Rolf-Peter Wille

Das grüne Auge der Eifersucht



Harmlos, in der Tat, hatte es angefangen. Schuld war das grüne Auge der Eifersucht. Das grüne Auge der Eifersucht war der Fußnagel von Lüly, und Bonbon, der Boyfriend von Lüly, hatte diesen Namen im Scherz erfunden. Bonbon war ganz vernarrt in das grüne Auge der Eifersucht und ebenso vernarrt war er auch in Lülys grünes Handy, ihre grüne Handtasche und die grünen Zigaretten. “Lüly hat ihren Stil.“ sagte Bonbon. Diesen Stil übertrug Lüly auch auf ihre Umgebung, und er blieb sogar daran haften, selbst wenn sich Lüly dieser Umgebung entzogen hatte. Ein Bürozimmer, das von Lüly verlassen worden war, schimmerte noch stundenlang grünlich von den Spuren, die Handy und Handtasche dort hinterlassen hatten.

Auf einem Wochenendausflug im Alishan passierte es: Lüly hatte zu kleine Schuhe angezogen, ihre kleinen Füße waren niemals zuvor gewandert und das grüne Auge der Eifersucht trennte sich von der großen Zehe. Sicher wäre es ganz schwarz gewesen, wenn es nicht bereits so grün gewesen wäre. “Gib mir das grüne Auge der Eifersucht.“ sagte Bonbon. Lüly liebte es, sich zu verteilen. “Aber Du wirst Dich doch revanchieren?“ sagte sie, und ihre spitzen Finger kniffen Bonbon in den Arm. Da versprach es Bonbon.

Von diesem Tage an hing das grüne Auge der Eifersucht an der Wand von Bonbons Büro und starrte eifersüchtig auf Bonbon. Lüly aber ließ sich einen neuen grünen Fußnagel wachsen.

Von diesem Tage an ließ sich Bonbon nicht mehr blicken. Vielleicht vergnügte er sich ja mit dem grünen Auge der Eifersucht und brauchte keine Lüly ohne Fußnagel. Per E-mail entschuldigte er sich mit einer bösen Blinddarmentzündung, aber Lüly glaubte kein Wort.

“Er läßt mich sitzen.“ dachte Lüly erbost. Jedoch dann erschien er eines Tages in ihrem Büro mit einem Geschenk unter dem Arm. Viel Seligkeit sprach aus seinen Augen. Lüly konnte nicht einmal eine Szene machen, denn Bonbon stand da wie ein Heiligenbild. Auch hatte er deutlich abgenommen. “Ich habe mich revanchiert.“ sprach Bonbon. “Aber nun ist die Reihe an Dir!“ Bonbon drückte einen feuchten Kuß auf die grünlichen Lippen von Lüly und verschwand.

Lüly erschauerte und ihr Parfüm flatterte grünlich durch die Büroluft. Die spitzen Finger zitterten ihr, als sie das Geschenk öffnete. Und als sie es geöffnet hatte, schossen ihr die Tränen in die Augen. In einem Einmachglas schwamm ein seltsamer Regenwurm in einer klaren Flüssigkeit. Das war der Blinddarm von Bonbon.

“Wie konnte ich nur…“ dachte Lüly gerührt. Sie taufte den Blinddarm Harry und stellte ihn direkt neben ihren Computer. Harry schien sich recht wohl zu fühlen im Lülyschen Büro. Er nickte mit dem Kopf wie eine Brillenschlange, wenn Lüly mit ihrer Maus hantierte.

Lüly war ganz vernarrt in Harry. Vielleicht war Harry ihr neuer Boyfriend? Bonbon jedenfalls hörte lange Zeit nichts von Lüly. Dann wurde es ihm zu bunt. Bonbon rief das grüne Handy an und sprach mit Lüly. Eigentlich jedoch sprach nur Bonbon. Lüly erschien eigenartig wortkarg und sagte nur “hmm, hmm,“ und wiederum “hmm…“ “Ich sollte Dich Olympia nennen.“ sagte Bonbon. “Hmm.“ sagte Lüly. “Hat Dich Harry hypnotisiert?“ “Hmm.“ sagte Olympia. Und Bonbon erschauerte.

Bereits eine halbe Stunde nach diesem Gespräch erschien eine Krankenschwester im Bonbonschen Büro. Es war jedoch keine Krankenschwester sondern Lüly persönlich. Sie trug eine Chirurgenmaske und einen weißen Kittel. Sie wirkte wie eine barmherzige Schwester. Lange hielt sie die Bonbonsche Hand, und lange schaute sie voll Seligkeit in die Bonbonschen Augen. Dabei sprach sie kein einziges Wort. Wie konnte sie auch? Sie trug ja eine Chirurgenmaske, und die hatte sie nicht abgesetzt. Endlich nahm sie etwas aus ihrer Kitteltasche und legte es dem Bonbon sanft in die Hände. Dann drückte sie ihm die Augen zu und verschwand.

Bonbon stand lange in seinem Büro mit ausgestreckten Händen. Und er traute sich nicht, die Augen zu öffnen. Als er sie endlich öffnete, mußte er schreien. Auf seinen Händen lag die Zunge von Lüly. Bonbon riß die Hände auseinander. Die Zunge zuckte auf dem Marmorboden und rollte unter das Ledersofa. Bonbon war hierauf nicht gefaßt gewesen. “Ein Blinddarm ist ein Blinddarm.“ dachte er. “Auch ohne ihn läßt es sich leben. Aber eine Zunge…?“ War es denn die Zunge von Lüly? Vielleicht hatte sie ja geblufft?

“Ein kleiner Surf im Internet wird mich die Sache vergessen lassen.“ dachte Bonbon. Doch siehe da. Er hatte ein E-mail von Lüly. “Bonbon,“ schrieb Lüly, “Du wirst Dich doch revanchieren?“ “Nein, da werde ich mich nun nicht revanchieren…“ murmelte Bonbon unbewußt. Doch da begann es unter dem Sofa zu flüstern: “Bonbon,“ flüsterte es mit Reptilstimme, “Bonbon, Bonbon, Bonbon. Du wirst Dich revanchieren müssen!“ Und das grüne Auge der Eifersucht warf einen recht boshaften Schimmer auf Bonbon.

Lange Zeit hörte Lüly nichts von Bonbon. Doch gestern erschien er überraschenderweise in ihrem Büro. Er war einen Kopf kleiner als gewöhnlich.

Alishan: Ein Berg in Taiwan ("mount Ali", shan = Berg) und ein beliebtes Ausflugsziel (fuer Taiwanesen, die kein Geld haben, um im Ausland Ferien zu machen).

Olympia: Spalanzanis mechanische Puppe aus ETA Hoffmanns Erzaehlung "Der Sandmann" (siehe auch Offenbach)

"Er war einen Kopf kleiner als gewöhnlich.": Hier nun, lieber Leser, muss Deine eigene Fantasie diese Geschichte weitererzaehlen...
Rolf-Peter Wille, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.01.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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