Rüdiger Seehaver

Das Geheimnis der goldenen Tanne

Das Geheimnis der goldene Tanne
In einem kleinen Dorf, nicht weit entfernt von hier, lebte
ein Bauer zusammen mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen
in einer alten Kate. Der Winter hatte das Land fest in
seiner eisigen Hand. Kalt und unerbittlich pfiff der Wind
durch alle Ritzen des Hauses.
"Heute will ich in den Wald um uns einen Weihnachtsbaum zu
schlagen. Mehr kann ich leider nicht zu Weihnachten bieten",
sagte der Bauer zu seiner Frau und schaute dabei durch das
undichte Küchenfenster seinen Kinder beim Spielen zu. "Lass
gut sein, du bist ein guter Mann. Heute werde ich uns einen
Kuchen backen, und glaube mir, wir werden wunderbare Weih-
nachten erleben." Die Worte seiner Frau stimmten ihn froh,
und so machte er sich auf den Weg in den Wald.
Nur mühsam kam der Bauer durch den tiefen Schnee voran.
Jeder Schritt zerrte an seinen Kräften, doch der Gedanke
ohne einen Baum nach Hause zu kommen, trieb ihn voran. An
einer Lichtung legte er eine Pause ein. Es war still, nur
der Wind, der sich in den Baumwipfel fing, untermalte die
Ruhe mit einen feinem Rauschen. Doch plötzlich hörte der
Bauer eine Stimme: "Komm zu mir, ich kann dir helfen!"
Verstört blickte der Bauer um sich, aber außer Bäumen war
niemand zu sehen. "Nun komm doch", tönte die freundliche
Stimme. Er ging auf die Mitte der Lichtung zu, wo eine
kleine schneebedeckte Tanne stand. "Nun schau nicht so ver-
dutzt", sprach die kleine Tanne.
"Aber warum kannst Du sprechen?", fragte der Bauer ganz
erstaunt. "Stell nicht so viele Fragen", bestimmte die Tanne.
"Mich juckt es an meiner Rinde, kratz mich doch bitte mal."
Unsicher schaute sich der Bauer um, ging in die Knie und








legte seine Hand an den Stamm und kratzte sanft an der Rinde.
"Ist es so recht?" Ein kurzes aber sehr zufriedenes "Ja" war
die Antwort. Plötzlich schüttelte sich die Tanne, dabei
löste sich der Schnee auf den Zweigen. Der Bauer traute
seinen Augen nicht und schüttelte ungläubig den Kopf. Die
Tanne trug unter ihrem Schneekleid ein ganz besonderes Ge-
heimnis, sie war aus purem Gold.
"Ich sagte doch, das ich dir helfen kann. Nun nimm mich
schon mit, schließlich hast du doch einen Weihnachtsbaum
gesucht", fuhr die Tanne fort.
Der Bauer konnte es noch immer nicht begreifen. Er nahm
seinen Rucksack, in dem sich eine Axt befand, um die Tanne
zu fällen.
"Doch eines merke Dir, die einzige goldene Tannenzapfe, die
ich noch trage, mußt du nach dem Frost genau hier wieder
einpflanzen."
"Verlass Dich darauf, das werde ich ganz bestimmt tun",
beteuerte der Bauer.
Seine Frau sollte recht behalten, als sie sagte, das es
wunderbare Weihnachtstage werden. Die beiden Kinder blickten
erstaunt auf die goldene Tanne, die das schlichte Wohnzimmer
in ein warmes Licht eintauchte.
"Nun wird alles gut, das armselige Leben ist von nun an Ver-
gangenheit", flüsterte der Bauer und pflückte die einzige
Zapfe von der Tanne.
Gleich nach dem Weihnachtsfest zerkleinerte der Bauer müh-
sam Stück für Stück die Tanne. Mit dem Gold kaufte er auf
der anderen Seite des Dorfes ein großes Haus mit viel Acker-
und Weideland. Er konnte sogar drei Landarbeiter einstellen.
Außerdem erwarb er noch Kühe und Schafe.









Kaum war der Winter vorbei, setzte der Bauer die Saat aus,
brachte das Vieh auf die Weiden und pflanzte die goldene
Tannenzapfe hinter dem Haus auf einem kleinen Beet ein.
"Warum sollte ich den Zapfen wieder in den Wald einpflanzen,
so können wir unseren Hof schon bald erweitern. Schließlich
war ich Zeit meines Lebens arm und damit ist jetzt Schluß",
dachte sich der Bauer.
Die Tage vergingen schnell, das Getreide wuchs und wuchs.
Eine ertragsreiche Ernte stand auf den Äckern. Auch aus der
goldenen Zapfe ist eine große, goldene Tanne geworden. Sie
wuchs sehr schnell, das freute den Bauer sehr.
Eines abends kam der Bauer sehr spät von der Arbeit nach
Hause. Es brannte kein Licht mehr im Haus. Sicher waren
seine Frau und die beiden Kinder schon schlafen. So machte
er noch einen Rundgang um das Haus. Es war sehr dunkel,
doch die goldene Tanne war sehr gut zu erkennen. Er stand
vor ihr und genoß die Ruhe und das goldene Antlitz der
Tanne.
Doch plötzlich unterbrach eine tiefe, grummelnde Stimme die
Stille der Nacht.
"Warum hast du nicht die goldene Zapfe wieder an gleicher
Stelle im Wald eingepflanzt. Menschen die Hilfe brauchen,
finden mich nicht. Ich finde die Menschen, so wie ich dich
gefunden habe."
Aber....", stotterte der Bauer. "Schweig! Hier in deinem
Garten werde ich niemanden helfen können. Und du hättest
auch nicht mehr meine Hilfe gebraucht. Aber du wolltest noch
mehr Gold, habe ich recht?"
"Ja aber ich....."








"Jetzt ist es zu spät, du wirst das ernten, was du verdient
hast!", unterbrach ihn die Tanne.
Der Bauer blieb stumm und neigte den Kopf schuldbewußt zum
Boden. In weiter Ferne hörte er es plötzlich donnern. Ein
Gewitter zog auf. Er ging ins Haus und setzte sich im
Dunkeln an das Stubenfenster und schaute dem heranziehenden
Gewitter zu. Die Blitze zuckten immer heftiger vom Himmel
und der Donner ließ das ganze Haus erbeben. Nun wurden auch
seine Frau und die Kinder wach. Alle standen sie am Fenster.
Furchtbare Blitze schlugen in die Felder ein, es regnete
sintflutartig.
"Was passiert hier?", fragte die Frau des Bauern.
Mit Tränen in den Augen antwortete er: "Ich habe einen gros-
sen Fehler gemacht."
Plötzlich schlug der Blitz mit einen großen Donnerschlag in
das Haus ein. Fluchtartig verließen sie das Haus und mußten
zugucken, wie es bis auf die Grundmauern niederbrannte.
Am nächsten Morgen war das ganze Ausmaß des Unwetters zu
sehen. Der Bauer hatte alles verloren, die Äcker und Weiden
standen unter Wasser, die Ernte war vernichtet, vom Haus
blieb nur noch die Mauer des Eingangsbereichs. Auch der
Glanz der goldene Tanne war ein Raub des Feuers geworden.
Doch sah der Bauer eine goldglänzende Tannenzapfe. Er wußte
genau was er zu tun hatte. Er pflückte die Tannenzapfe und
sprach zu seinen Söhnen: "Ich muß in den Wald, aber ich
werde nicht lange fort bleiben. Vertraut mir, es wird alles
wieder gut." Er warf noch einen Blick zu seiner Frau, dann
verschwand er in den angrenzenden Wald. Schon bald hatte er
die Lichtung wieder gefunden. Dort vergrub er den Tannen-
zapfen. Er blieb noch eine kurze Weile und sagte nur:








"Verzeihe mir bitte!"
Seitdem lebte der Bauer mit seiner Familie wieder in der
alten Kate, die er wieder einigermaßen herrichten konnte.
Und allabendlich las er fortan seinen Kindern eine Gute-
Nacht-Geschichte vor, die immer mit dem Satz endete:
"Hört der Natur genau zu, sie spricht immer die Wahrheit."







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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.01.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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