Rudi Bachmann-Voelkel

Am Ende des Weges

Der Weg, den ich lief, kam mir bekannt vor, und doch wusste ich, dass ich hier noch nicht gewesen sein konnte. Meine Schritte wurden durch das auf der Erde liegende feuchte Laub gedämpft. Das Laub des vergangenen Herbstes. Die Sonne ging unter. Ich konnte sie nicht sehen. Eine Anhöhe lag dazwischen. Einzelne Strahlenbündel drangen durch die Wipfel der Fichten und Buchen. Sie schienen mir die Richtung zu weisen. Es dämmerte. Der Weg stieg leicht an. An seinen Seiten lagen Felsbrocken unterschiedlicher Größe. Er wurde schmaler. Nachdem ich eine halbe Stunde gelaufen war, teilte er sich. Die Dunkelheit hatte nun alles Leben umhüllt. Eine innere Unruhe nahm von mir Besitz. Ich entschied mich, den linken der Wege weiter zu gehen. Hier wuchsen unmittelbar am Wegesrand Sträucher, die, im Licht des Mondes, sonderbare Gestalt annahmen. Menschen, Tiere und Fabelwesen, schienen mich zu begleiten. Als ich eine Weile unterwegs war, hörte ich, es kam von einer kleinen Lichtung rechts des Weges, ein Geräusch, wie eine Stimme. Nun wurde mir angst und doch ging ich weiter. Etwas in mir ließ mich unaufhaltsam weiter zur Lichtung laufen. Als ich sie erreichte, sah ich eine Gestalt auf dem Boden liegen, die sich bewegte. Ich ging näher.

„Nein! Nein!“, schrie ich.

Während ich noch aus lauter Verzweiflung schrie, schossen mir Tränen in die Augen und ich hatte das Gefühl, gleich die Besinnung zu verlieren.

„Mutter!“

Ich ging näher zu ihr. Sie sah mich mit angstverzerrtem Gesicht, mit bittenden Augen an. Ich wollte ihr gerade meine Hände entgegenstrecken, als sie den Kopf anhob, um mir etwas zu sagen. Sie bewegte iher Lippen, doch kein Laut kam. Mir wurde plötzlich kalt, ich fror und begann am ganzen Körper zu zittern.

„Mutter, warum?“

Wieder versuchte sie mir etwas zu sagen. Innerhalb eines kurzen Augenblickes alterte sie um Jahre. Ihr Gesicht, anfänglich noch so, wie ich sie kannte, war voller Falten und zerfiel vor meinen Augen. Ihr Haar wurde weiß und strähnig. Was ich sah, raubte mir fast den Verstand. Ich wollte meine ohnmächtige Verzweiflung aus mir herausschreien und blieb doch stumm. Ich wollte sie umarmen, langte jedoch in´s Leere. Sie war nicht mehr da. Die Erde hatte sie aufgesogen.

Mutter .....

Ich kann dich nicht fassen,
Möcht dich gern verstehn.
So sehr ich dich suche,
ich kann dich nicht sehn.
Ich find keine Worte,
soll ich dich beschreiben.
Meine Rufe nach dir
werden zweifelnde bleiben.
Dein Körper hat mich zwar vor Jahren geboren,
doch in meiner Seele
ging die Liebe verloren.

Die ersten Sonnenstrahlen hinter mir sagten einen neuen Tag an. Vir mir, am Ende des Weges, lag ein Weiher, in dem sich die Morgensonne spiegelte.

© bachmann-voelkel rudi günther

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