Eveline Dächer

Nur 4 Tage (Hospiz)


Die Koordinatorin Frau Walter. stellte mich ihnen vor:
Tochter und Mutter.
Sie lag so klein in ihrem Bett, so zerbrechlich sah sie aus, die Mutter.
Ihre braunen Augen schauten mich an, flatterten unruhig hin und her.
Ich nahm ihre Hand und stellte mich vor.
„Wenn ich kann, will ich ihnen helfen“, sagte ich ihr, „Sie müssen nicht allein bleiben“.
Die Augen wurden irgendwie ruhiger. Sie hatte seit einem halben Jahr einen Schlaganfall
Erzählt mir die Tochter, seit dem kann sie nur noch den linken Arm und den Kopf bewegen.
Sie hört noch alles, sprechen kann sie nicht mehr.
Die Tochter streichelt ihr Haar, erzählt ihr nochmals, dass ich mich auch
(im gewissen Rahmen) um sie kümmern werde. Ich hielt noch immer ihre Hand, oder hielt
auch sie mich fest?. Sie drückte meine Hand, ja, sie hatte verstanden und mich wohl auch
angenommen.Ihre Züge entspannten sichtlich.
Die Tochter (sie ist single) erzählte mir, sie wohne in Holland, kann daher nicht sooft kommen . Der Bruder wohnte hier in der Nähe, war aber im Sommer verstorben. Nun hatte sie nur noch die Mutter.
Ihre Schwägerin, die Frau ihres verstorbenen Bruders, kümmere sich auch um die Schwiegermutter. Jetzt zu den Feiertagen habe sie selbst aber Zeit und stehe ihrer Mutter zur Seite.
Ich hatte das Gefühl, die Tochter hat Angst allein gelassen zu werden.
Die Tochter hatte noch etwas einzukaufen und bat mich noch 1 Stunde zu bleiben.
Sie zog sich an, schaute immer wieder ihre Mutter an, nahm ihre Tasche und erklärte der Mutter, dass sie nur kurz weg sei, und verließ dann sehr zögerlich den Raum.
Ich setzte mich zu Frau Dreyer ans Bett, nahm ihre Hand und erzählte ihr von mir.
Was ich so tue, wie ich lebe, über meine Familie, meine Hobbies.
Sie hörte sehr aufmerksam zu. Ihre braunen Augen sahen mich sehr eindringlich an.
Manchmal hatte ich so Gefühl, sie wollte lächeln, nur es gelang ihr nicht so richtig.
Die Tochter kam sehr abgehetzt zurück. Ich fragte sie, warum sie sich so gehetzt haben, sie wisse doch, dass ich hier wäre. Ja, meinte sie, sie wolle mich nicht zu sehr strapazieren.
Ich verabschiedete mich bis zum nächsten Tag.
Heute ist Sylvester, das alte Jahr geht zu Ende.
Gegen 11 Uhr traf ich bei Frau Dreyer. ein. Die Tochter Heidi begrüßte mich sehr freundlich,
sie wirkte müde und abgespannt. Ich sagte ihr, sie brauche ein heißes Bad und eine Mütze voll Schlaf. Was nutzt es wenn sie zusammenbricht? Ich hätte nun 2 Stunden Zeit um bei ihrer Mutter zu sein. Sie streichelte die Mutter ununterbrochen und kümmerte sich sehr liebevoll um die alte Dame. „Mama, du darfst noch nicht sterben, es wird schon alles gut werden,“
Frau Dreyer hatte wieder dies unruhige Flattern in den Augen. Es fiel Heidi auf.
„Ja,“ sagte ich zu ihr, „schauen sie, wenn Sie ihre Mutter nicht loslassen wollen , weil sie selbst Angst haben, allein zu sein, macht sie sich Sorgen, ist sie unruhig. Sie müssen erst mal ausschlafen jetzt. Legen sie sich ein paar Stunden hin, Sonst brechen Sie eher zusammen wie Ihre Mutter.“ Sie lächelte mich gequält an, „Ich glaube, Sie haben recht.“. Sie zog sich an und fuhr zu Ihren Freunden .
Die alte Dame drückte meine Hand, ich glaube, sie war auch dankbar für etwas Ruhe.
Ihre Augen sprachen mit mir, sie hatte so einen gütigen Blick. sie fielen ihr immer zu,
Ich summte einfach ein Schlafliedchen .Nun versuchte auch sie zu schlafen..
Ihr Atem war ruhig, der Puls auch. Die Schwester kam herein um nach der Transfusion zu schauen. „Na, was macht unsere liebe Frau Dreyer?“ „Sie ist müde, versucht zu schlafen,“
„Ja, das soll sie auch, sie braucht nun etwas Ruhe“, Puls und Temperatur waren zwar etwas erhöht, aber in diesem Falle normal. Die Patientin schlief ein. Ich ging heim.
Tochter Heidi rief an, sie hatte etwas geschlafen und wolle nun wieder hinfahren.
Ich wolle am Neujahrstag mittags kommen, sagte ich ihr.
Ich hatte am Sylvesterabend Besuch, wir feierte sehr ruhig, waren im Jahresabschlussgottesdienst., gedachten der Familie, aller Kranken und Verstorbenen, gingen sehr gut und gepflegt essen, erlebten dann das große Feuerwerk auf meinem Balkon mit Blick auf den Dom.
Am Neujahrstag war ich um 12Uhr bei Frau Dreyer.Die Tochter Heidi hatte auf einem Sessel neben dem Bett ihrer Mutter geschlafen.
Die Mama wird immer schwächer, die Wangen sind ganz eingefallen, die Augen flattern wieder.
Ihre Hand ist heiß, sie hat etwas Temperatur. Die Tochter ist beunruhigt. Sie überlegt, ob man einen Arzt holen solle. Die Schwester meinte, noch sei es nicht nötig, der Hausarzt sei auch erst morgen wieder erreichbar. Ich fand es auch nicht angebracht, jetzt einen Arzt zu rufen, Wozu? Was konnte der jetzt noch tun? Die Dame wollte nicht mehr, sie wollte in Ruhe sterben. Tochter Heidi sah es nun auch ein. Sie fuhr zum Ausruhen zu den Freunden, ich blieb noch bis sich Frau Dreyer. wieder ganz beruhigte. Diese liebevollen Blicke, die sie mir schenkte, werde ich so schnell nicht vergessen. Sie schlief, ich ging.
Mein Schwiegersohn hat heute Geburtstag. Wir fahren dorthin.
Heidi hat meine Handy-Nummer.
Gegen 20,30h werde ich irgendwie unruhig, ich fahre heim, rufe im Heim an. Tochter Heidi
sagt, sie bleibt bei der Mutter, ich brauche jetzt noch nicht zu kommen, vielleicht später.
Gegen 22h ging das Telefon. „Bitte können Sie jetzt doch kommen ? Mutter geht es schlecht.“
„Ich komme.“ War 10 Minuten später vor Ort.
Heidi öffnete mir die Tür, weil um diese Zeit niemand mehr rein soll.
Die Schwester empfing mich, meinte, sie würde nun doch lieber einen Arzt rufen, damit sie sich später keine Vorwürfe machen müsste, nicht geholfen zu haben.
Man rief einen Notarzt, der ließ sich den Zustand schildern, meinte dann, ob es wirklich erforderlich wäre, er müsse ganz neue Untersuchungen anstellen, weil er die Patientin bzw. die Krankengeschichte nicht kenne. Man ließ es.
Frau Dreyer stöhnte und röchelte etwas .Ihre Hand war kalt, aber sie hielt ihren kleinen Glücksbringer fest , ein Häschen.. Nun wird es sicher nicht mehr lange dauern......
Die Schwester sagte mir auf Nachfrage, ein Priester wäre schon mit der Krankensalbung bei ihr gewesen. Man gab ihr Sauerstoff, die Atmung wurde leichter.
Tochter Heidi machte eigentlich einen sehr gefassten Eindruck. Sie erzählte mir, sie hätte heiß gebadet, gut geschlafen, wäre ein ganz anderer Mensch. „Ich muss Ihnen dankbar sein,“
Meinte sie, „Sie haben mir sehr geholfen,“ „Ich?“ fragte ich ungläubig. „Ja,“ sagte sie,
„Sie haben mir den Kopf gewaschen, es war wirklich so, ich wollte nicht loslassen, weil ich dann als single ganz allein bin. Es ist schwer, erst meinen Bruder, jetzt meine Mutter,“ sie weinte, „Aber sie quält sich ja nun schon seit ½ Jahr rum, weil sie sich nicht mehr bewegen kann, es wird eine Erlösung für sie sein.“ schluchzte sie.
Ich nahm sie in den Arm und drückte sie ganz herzlich.
„Ja, es wird eine Erlösung sein, schauen Sie, Sie sind berufstätig, was meinen Sie, wie lang ihr Chef Ihr Fehlen noch toleriert? Wer kümmert sich dann?“ Sie nickte, sie habe jetzt schon Schwierigkeiten.
Ich trat wieder ans Bett. Diese liebe Frau wurde immer kleiner, immer schmächtiger.
Durch den Sauerstoff atmete sie nun ruhig, nur die Augen...... da war wieder dieses Flackern.
Ich versuchte sie zu beruhigen. Sagte ihr, sie möge die Augen kurz schließen, Sie tat es. Ich erzählte ihr nun von einer wunderbar duftenden Blumenwiese, auf der sie sich bald ausruhen könne. Da steht eine weiße Bank, da setzen wir uns und schauen den Faltern und den Bienen zu. Sehen Sie die Margariten, den Rotklee, die Gänseblümchen, die Leberblümchen , die Himmelschlüsselchen? Da pflücken wir nun 2 ab. Hier nehmen sie sie,
Sie müssen damit bald eine Türe öffnen, die Tür zum Licht...

Schauen sie dahinten diesen Rosenbogen, wie in einem alten Bauerngarten.
Hmmmmmm wie das duftet, nehmen sie den Duft in sich auf, atmen sie ganz tief............
Heidi unterbricht mich.
„Woher wissen, Sie das alles“? „Was?“ „das mit dem Bauerngarten und der Blumenwiese ?
meine Mutter schwärmte immer von einer Blumenwiese und einem Bauerngarten mit so einem Rosengitter, und Himmelsschlüsselchen sind ihre Lieblingsblumen...“
Ich weiß es nicht, es war, als ob ich es selbst sah.
Wer weiß, wer mir diese Worte in den Mund gelegt hat..
Die Mutter schläft.
Ich werde heimfahren, wir haben nun 0,45h.
Am nächsten Morgen fahre ich nach der Kirche ins Heim
„ Guten Morgen, wie geht es heute ?“ sie schüttelt kaum merklich den Kopf.
Die Augen , die heut Nacht noch rot umrändert waren, sind nun blutunterlaufen, beide,
Ihr Blick ist traurig, verloren, die Lider wollen ihr zufallen, sie wehrt sich dagegen , hält sie krampfhaft auf. Na, nun wird sie es wohl bald überstanden haben.
Sie drückt meine Hand, kaum merklich, keine Kraft mehr.
Ich sage ihr, wenn sie müde sei, solle sie ruhig schlafen, sie will nicht
Ihre schönen Augen – sie schauen mich immer noch an, aber irgendwie verloren ist der Blick,
sie scheint durch mich durch zu schauen. Ich singe ihr ein Schlafliedchen. Sie schließt die Augen.
Die Tür geht auf, Tochter Heidi sieht gut aus – ausgeruht. Ja, sie habe nach einem heißen Bad lange geschlafen, sei nun fit, aber warum ich ihrer Mutter ein Schlaflied singe, dass sie immer
Von ihrer Mutter hörte, Abends wenn ich schlafen geh..... Ich weiß nicht, mir fiel es ein und Mutter schläft. Ich verabschiede mich , hab heut einiges vor. Frau Dreyer schläft, der Mund ist etwas verzogen, als wenn sie lächelt. Ich drücke die Tochter noch mal und gehe.
Gegen 22.10h rufe ich noch mal an. Die Schwester sagt mir, dass Frau Dreyer gerade verstorben sei. Der Notarzt war noch kurz da, konnte aber nichts mehr machen.
Tochter Heidi kommt ans Telefon : „Sie hat es überstanden.“ Gott sei Dank!
Heidi sagt, sie hätte eine große Bitte, Ja ??
„Darf ich Sie beim Vornamen „Eva“ nennen ? Sie haben mir so sehr geholfen und Mutter auch.
Danke“
„Das war meine Aufgabe hier; und wenn ich sie erfüllen durfte, kann ich nur danken, diese 4 Tage haben auch mich irgendwie beschenkt, ich hab z.B. eine Freundin gewonnen“.

Heidi schickte mir ein Bild von den beiden Personen, die sie innerhalb eines halben Jahres verlor.
Mutter und Bruder.








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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.01.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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