Ladre Rasa

Angst

„Jetzt mal ehrlich, Durtal, warum hast du mich hierher gebracht?“ fragte ich meinen Freund, der mich an diesem sonnigen Freitag in diese abgelegenen Wälder gebracht hatte.
Er lächelte und schaute vergnügt zu den dicht stehenden Bäumen und Sträuchern, die uns umschlossen.
„Gefällt es dir hier nicht? Ich liebe diesen Teil der Welt, die Ruhe, die Natur und die Geschichten, die hier erzählt werden. Hat dir das Dorf nicht zugesagt?
Die kleinen schmucken Häuser, die romanische Kirche, die verschwiegenen Bewohner mit ihrer angeborenen Scheu? Hast du nicht das Flüstern bemerkt, das Tuscheln hinter unserem Rücken, Carter?“ Das hatte ich wohl, doch das war hier nichts besonderes. Es war eine abgelegene Gegend mitten in Neu-England, die großen Städte waren weit weg und die Menschen lebten noch relativ zurückgezogen, sie erfüllten sogar das typische Klischee des schweigsamen Puritaners.
Durtal hatte mich hierher gelockt mit der Begründung, mir von der hiesigen Folklore und den Legenden zu erzählen. So etwas interessierte ihn besonders, er begeisterte sich für Volkskunde und ich zog immer mit, wenn er sich wieder mal für etwas begeisterte.

„Komm, Carter, gehen wir ein Stück den Weg entlang. Dabei will ich dir von etwas erzählen, was sich hier vor etwa zweihundert Jahren abgespielt haben soll.“ Er ging zügig weiter, mir war nicht wohl dabei, denn es würde bald dunkel werden und wir hatten einen weiten Weg zurück ins Dorf, wo mein Auto stand.
„Muss das heute noch sein, es wird bald dunkel?“ Durtal antwortete nicht, sondern begann schon zu erzählen: „Hör zu, Carter, etwas weiter von hier entfernt gibt es Felder, die von den Dörflern bestellt werden, genau wie vor zweihundert Jahren, wo sich alles zutrug.
Die Leute hier leben hauptsächlich von der Landwirtschaft. Hörst du mir zu? Also, im Jahre 1798 begibt sich der Bauer Ebenezer Bell auf sein Feld, es ist noch nicht Zeit der Ernte, wahrscheinlich will er nur spazieren, Pilze sammeln vielleicht.
Jedenfalls geht er durch das Feld, es ist spät, langsam kriechen die ersten dunkeln Schatten hervor, die Bäume wiegen sich sachte...“ „Wieso läuft er mitten durch das Feld?“ Durtal winkte ab und redete verschworen weiter, wie er es immer tut, wenn er etwas erzählt und fesseln will.
„Also, der Gute tänzelt vergnügt durch das Feld. Der Weizen ist golden, wogt im Wind und scheint ein Meer aus Pastell zu sein. Nichts stört Ebenezer bei seinem Ausflug, er ist alleine und die Nacht kann ihn nicht erschrecken, er ist ein Naturmensch.
Dann plötzlich...“ „Solche Dinge passieren auch immer „plötzlich“,“ warf ich ein, „...hört er seltsame Geräusche vom Waldrand. Er kann sie nicht einordnen, sie sind wimmernd und langgezogen, wie von einem Kind. Er bekommt einen leichten Schreck, denn er sieht in der Dämmerung nichts, doch er bemerkt einen großen Schatten zwischen den Bäumen, etwas steht ruhig zwischen den Bäumen, als ob es ihn beobachtet. Er nimmt seinen Mut zusammen und ruft in die Nacht. Keine Antwort.
Nur das Wimmern. Ebenezer bekommt jetzt Angst, schlägt ein Kreuzzeichen und geht langsam in Richtung der Lichtung vor ihm, am Ende des Feldes. Er läuft nicht, denn wenn das Ding ein Tier ist, könnte er es ja reizen.“

„Er macht wirklich ein Kreuzzeichen?“, lächelte ich, konnte Durtal aber nicht stoppen.

„Während er so langsam entfliehen will, wird das Geräusch lauter, animalischer. Dann hört er ein Brechen und Krachen, als das Ding durch den Wald bricht, aufs Feld. Der arme Ebenezer rennt wie wahnsinnig los, hinter ihm das große Ding oder Tier oder was auch immer. Er läuft und läuft, doch das Ende des Feldes kommt einfach nicht näher. Es ist wie verhext, keine dreißig Schritte vor ihm ist die Lichtung, doch mit jedem Schritt entfernt sie sich. Er schreit jetzt und müht sich ab, dann spürt er den heißen Atem von etwas großem, da ist schon zu spät.

Das Ding erwischt ihn und seitdem ist er nie wieder gesehen worden.“ Durtal endete und sah mich an. Wir waren jetzt schon tief im Wald und konnten in der Ferne das Dorf schon nicht mehr ausmachen. „Aber, Durtal, er war doch alleine...“

„Ich weiß, was du sagen willst, er war ja alleine, wie kann man dann davon wissen. Nun, es ist ja nur eine Geschichte, sie wird mündlich weitergegeben. Folklore eben. Das gibt ja zu genüge, aber warte, das Beste kommt noch.“ Ich tat so, als wäre ich gespannt. Durtal holte aus und fuhr fort. „Ein paar Tage später gehen drei junge Männer auf die Lichtung. Sie kommen gerade von der Arbeit aus dem Wald, ich glaube es waren Holzfäller, da hören auch sie diese Geräusche, diesmal direkt aus dem Feld. Sie bekreuz..., sie sind erstaunt. Einer ruft, ich sehe etwas und zeigt mitten ins Feld, doch da ist nichts. Das Geräusch ist inzwischen zu einem Gekreische geworden, der Weizen ist hoch und wiegt im Wind hin und her. Dann hören sie ein Bellen und Jammern, als ob jemand sein Schicksal beklagt. Als endlich Ruhe herrscht, nähern sie sich zögerlich dem Feld und sehen eine riesige Schneise darin, als ob etwas großes darin gelaufen sei.
Alle Ähren sind geknickt und zur Seite gedrückt und mitten in der Schneise liegt ein Totenschädel. Ängstlich sehen sie hin, es ist wohl der Schädel eines erwachsenen Mannes und mitten auf der Stirn ist mit schwarzer Tinte der Name „Ebenezer“ gekritzelt. Die drei rennen daraufhin davon...“ „Nehmen sie den Schädel mit?“ „...Nein. Sie kommen aber wieder. Sie waren nämlich ins Dorf gelaufen und hatten allen davon erzählt. Daraufhin rotten sich die Mutigen zusammen und laufen zum Feld, sie sehen die Schneise und hören in der Ferne das Wimmern eines Kindes, doch sonst ist da nichts, auch kein Schädel. Sie gehen zurück und meiden lange Zeit das Feld.“

Ich musste lächeln, denn das war wirklich ein klassisches Märchen aus dieser Gegend. „Seltsam ist doch, das die Leute dem Wesen keinen Namen verpasst haben, oder?“ sagte ich. Durtal nickte. „Ja, sonst bekommen solche Wesen immer schaurige Namen, wie zum Beispiel das „Weiße Monster“ von Cotton Mather, du kennst die Geschichte bestimmt. Unser Ungeheuer ist namenlos und das entspricht nicht der Tradition der klassischen Gruselgeschichte. In Mathers „Magnalia Christi Americana“ sind ähnliche Erzählungen, du weißt ja, wir leben in einer Welt voller Teufel, die uns stets versuchen.“ „Mather war ein Wahnsinniger und seine Geschichten erlogen. Ist deine Geschichte wirklich überliefert?“

„Zumindest mündlich. Aber sie ist noch lange nicht fertig, lass mich erst zu Ende erzählen. Eine Zeit lang ist Ruhe. Niemand hört mehr Geräusche aus dem Wald oder dem Feld, die Erntezeit kommt, alles ruhig. Die Leute leben wie gewohnt weiter, bis zu dem Tag, als die alte Yezabel auf den abseits gelegenen Friedhof geht, um ihren verstorbenen zu besuchen. Der Friedhof ist inzwischen umgesetzt worden und eine Straße führt jetzt durch. Es ist dort hinter dem Wald...“, er wies irgendwo ins Dunkle, „...und liegt in einiger Entfernung zum Feld. Nun, die Alte betet dort also am Grab, es ist zwielichtig und sie ist alleine dort mit den Toten. Ein Ende des Grabes, noch aus der Kolonialzeit, liegt halb im Wald, verborgen von den Espen und Weiden...“ „Die Weiden wiegen natürlich wie bei Algernon Blackwood unheilschwer im Wind“, warf ich ein.

Durtal setzte sein konspiratives Gesicht auf und flüsterte: „Während sie gottesfürchtig mit ihrem toten Herren redet, bemerkt sie ein Knacken und Knirschen im Wald. Erschreckt sieht sie ins Dunkel hinein, da hört sie ein Weinen und Jammern. Mehr noch, sie behauptet, Stimmen gehört zu haben, verzerrt menschlich und wie von einem verängstigten Kind. Sie will fliehen, doch sie ist alt und gebrechlich und verharrt dort in Angst.

Ein großer Schatten erscheint, seltsam verformt, sie denkt, das ist der Teufel, der Ebenezer geholt hat und jetzt holt es mich. Das Ding tritt langsam und schleichend aus dem Wald und bleibt an einem der Grabsteine stehen. Sonst nichts, es beobachtet die alte Yezabel und schweigt. Yezabel ist bei dem Anblick zitternd und halb wahnsinnig zu Boden gegangen. Später sagt sie, das Ding sei drei Meter hoch gewesen und hatte einen zottigen Pelz gehabt...“

„Ein Bär!“ rief ich.

„...und es stände auf zwei Beinen...“ „Ein Bär! Das hat Ebenezer geholt!“

„Nun gib doch mal Ruhe und hör mir zu! Das Schrecklichste aber war der Kopf, denn es war laut Yezabel der Kopf eines Menschen gewesen. Und noch mehr: Das Ding hielt in seinen Armen einen kleinen Schädel und wiegte es sacht. Yezabel liegt also am Boden und schildert ihre Angst, sie redet von Käuzen, die böse krächzten und vom sausen des Windes, von sich bewegenden Schatten und blasphemischen Geweine, sie hätte wohl auch gesagt, der Mond schien dämonisch und faulig, wenn es nicht Neunmond gewesen wäre. Das Ding bewegt sich auf einmal und rennt hinkend auf sie zu, böse kreischend und den Schädel schwingend. Den Boden scharrend steht es vor ihr, sie noch immer am Boden, betend. Sie glaubt, das Ding mit dem Menschengesicht nimmt sie jetzt mit in die Hölle, doch der Spuk endet. Es ist weg. Zögernd steht sie auf und sieht sich um. Nichts, doch halt! Der Schädel ist noch da, es ist der Schädel eines Kindes und auch auf ihm steht unbeholfen gekritzelt ein Name:
Christabel. Und wie der Zufall es will, ist eine Woche vorher ein kleines Mädchen verschwunden, mit dem Namen Christabel. Die Alte rennt kreischend ins Dorf und wieder rotten sich die Mutigen zusammen, wie ein Lynchmob aus den Schwarzweißfilmen, du weißt schon, mit fackeln und Heugabeln. Sie erreichen den Friedhof, finden aber weder ein Ungeheuer noch einen Schädel.“

Durtal endete und sah mich prüfend an. Inzwischen war es dunkel geworden und ein Käuzchen krächzte. Der Weg war nur noch undeutlich zu sehen, doch Durtal lief unbeirrt weiter.

„Ein behaartes Ding mit einem Menschenkopf, das auf die Schädel seiner Opfer deren Namen schreibt? Nun ja, ich gebe zu, die Geschichte hat etwas, doch sie ist so...ich weiß nicht...klassisch! Warum hat keiner einen dieser Schädel mitgenommen? Und an welchem Grab ist das Ding am Anfang stehengeblieben?“ Durtal schüttelte den Kopf.

„Was für eine Rolle spielt denn das Grab? Was die Schädel betrifft, die Leute waren in diesem Moment von Angst erfasst, einer Angst, die wir uns heute gar nicht vorstellen können.

Stell dir vor! Wir reden hier vom Übersinnlichen, dem Surrealen, dem ES.“

Durtal liebte diese Pose. Ich grübelte nach und fragte ihn nach einer Weile: „Und wie ging es weiter?“

Durtal war froh, das ich Neugier zeigte und begann: „Das Biest tauchteseitdem nur mehr einmal auf, im Jahre 1805. Ein Bauer namens Henry macht sich seit ein paar Tagen Sorgen um seinen Nachbarn und Freund William, der etwa zwei Stunden entfernt im Wald wohnt. Dieser William hat drei Kinder, die ihm bei der Arbeit in seiner Schreinerei helfen. William lässt also tagelang nichts von sic hören und liefert auch nicht den Stuhl, den Henry bei ihm in Auftrag gegeben hatte. Henry macht sich inzwischen große Sorgen und beschließt, zu William zu reiten und zu fragen, was denn los sei. Er reitet die zwei Stunden durch den Wald und erreicht das Haus, ein windschiefes Gebäude mit Walmdach und Giebeln, da sieht er erschrocken...“

„Er sieht, das alles zerstört ist und findet die zerfetzten Leichen der Familie.“

„Aber Carter, hast du mir denn zugehört! In dieser Geschichte gibt es keine blutigen Leichen. Henry hat Angst und erinnert sich schaudernd an die Feld- und Friedhofgeschichte. So steht er zögernd vor dem Haus und ruft zaghaft nach seinem Freund. Keine Antwort, da entschließt er sich doch, nachzusehen – denn er vertraut seinem Pferd, das gemütlich Gras frisst und keine Anzeichen von Gefahr wittert. Er betritt das Haus und sieht Zeichen der Zerstörung, alles ist umgeworfen und zerkratzt, der Tisch in der Wohnstube liegt auf dem Boden und darum herum liegen noch die Teller mit Essensresten, als ob sie das Unheil beim Abendbrot ereilt hat. Von der fünfköpfigen Familie keine Spur. Er wendet sich ab und will ins Dorf, da hört er ein leises Weinen und Bibbern. Erschrocken sieht er sich um und zieht sein Messer, doch da ist nichts. Das Weinen wird leiser, doch er weiß jetzt, wo es herkommt. Es kommt aus der kleinen Kommode, die noch heil ist.
Er rafft all seinen Mut zusammen und geht darauf zu, es ist jetzt leise und die Dielen knistern unter seinen Schuhen. Ganz langsam geht er zur Kommode, hebt sein Messer und reißt die kleine Tür auf. Erschrocken springt er zurück: In der Kommode ist das kleinste Mädchen von William, gerade sechs Jahre alt, doch wie sie aussieht!

Ihr Haar, früher pechschwarz, ist schlohweiß geworden und aus ihren Augen spricht die Angst eines Uralten. Sie muss sich versteckt haben, als das Unheil geschah, aber sie muss das Biest auch gesehen haben und von seinem Anblick erschrak sie sich so sehr, das ihr Haar erbleichte!“

„Weißes Haar! Das ist doch abgedroschen und wissenschaftlich unmöglich! Das ist ja wieder wie bei Cotton Mather, wie in der Erzählung des Mansardenfensters. Durtal, beinahe hättest du mich gehabt, ich spürte schon einen Schauer, aber dann, weiße Haare...“

„Aber Carter, ich erzähle nur, wie es war! Es geht auch weiter! Henry zieht das verrückt gewordene Kind aus der Kommode und nimmt es auf seinen Arm. Er wendet sich zur Tür und tritt heraus, da scheut sein Pferd auf einmal wie verrückt und reißt sich mit Schaum vor dem Munde los, es fegt davon und auch das Kind schreit irr auf und zerkratzt Henry das Gesicht, es gebärdet sich wie toll und Henry muss es loslassen. Da erschallt ein Brüllen wie aus der tiefsten Hölle und etwas bricht infernalisch aus dem Wald hervor. Das Mädchen rennt panisch los und auch Henry rennt vor Panik. Sie rennen in den Wald, hinter sich das stampfende Ding, immer weiter und weiter, das Mädchen mit den senilen Augen voran. Ihre Flucht führt sie hinaus aus dem Wald, mitten auf das Feld, wo die Ähren fett stehen. Noch immer ist das Ding hinter ihnen und bellt und blökt.
Henry spürt heißen Atem auf seinem Nacken und wie durch Zauber läuft er plötzlich vor dem Mädchen, sie rennt jetzt hinter ihm – ich glaube eher, das Henry in seiner Panik das Mädchen einfach überrannt hat, statt sie zu tragen – das Ende des Feldes kommt einfach nicht näher, egal wie sehr er sich bemüht, hinter ihm wandelt sich das Gekreische nun zu einem Weinen und gerade als er denkt, es ist um ich geschehen, endet der Spuk. Keuchend dreht er sich um und sucht das Kind, doch sie ist fort. Er ruft nach ihr, doch nichts außer einem Weinen weit weg. Da sieht er im Weizen vier Schädel, sauber aufgereiht, mit den Namen von William, seiner Frau und seinen zwei Söhnen.

Er rennt davon.“

„Und natürlich findet man später auch den Schädel des verrückt gewordenen Kindes.“

Durtal nickte, was ich nur noch schwer sehen konnte, denn es war jetzt richtig finster. Noch immer waren wir im Wald, doch ich glaubte etwas vor uns eine helle Fläche zu sehen.

„Das war alles, was meint ´s du?“ fragte er und blieb stehen.

„Nun, das ist schon eine merkwürdige Geschichte...“ „Und sie macht Angst“, sagte Durtal und ging wieder weiter, auf die helle Fläche zu.

„Angst macht sie eigentlich nicht,“ sagte ich vorsichtig.

„Doch, das tut sie, denn sie spricht unsere Urängste an, Carter, sie erzählt von Ungeheuern und wahnsinnigen Kindern, sie ist so anders als unsere modernen Ängste. Wovor fürchten wir uns heute? Vor Atombomben, Viren, dem Verlust der Arbeit und ähnlichem. Wir haben unsere archaischen Ängste vor der Dunkelheit verdrängt, die Angst vor dem namenlosen Ding, wir haben einfach keine Zeit mehr, uns vor Monstern zu fürchten, dabei muss es noch nicht einmal ein Monstrum gewesen sein.“

„Ich denke schon, es ist eine Legende...“ wollte ich sagen, doch Durtal unterbrach mich: „Denk doch mal an die Geschichten des Werwolfmythos! Wie ist der entstanden? Es ist eine Krankheit, Carter. Stell dir jemanden im Mittelalter vor, jemand der im Wald arbeitet und kaum Kontakt zu Menschen hat. Stell dir vor, bei ihm bricht die Genkrankheit Porphyrie aus. Diese Krankheit verbrennt Menschen bei Hautkontakt mit Sonnenstrahlen die Haut und macht sie narbig und eitrig, Warzen und Haarbüschel wachsen manchen dieser Kranken und nun stell dir vor, der Arme leidet auch noch an Lykantropie, das ist die Geisteskrankheit, bei der sich der betreffende für ein Raubtier hält, auf vier Beinen läuft, heult wie ein Wolf und sogar zum Kannibalen wird, wenn der Anfall besonders stark ist.
Und nun wird dieser Mann von einem klassischen Vertreter des Altertums oder der Bronzezeit gesehen, in beiden Fällen brodelt der Aberglaube, der Kranke wird unweigerlich für ein Mann-Tier gehalten. Und übrigens wurden in der vergangenen Zeit Tests mit Porphyrie-Kranken gemacht, bei einigen reagiert der Stoffwechsel allergisch auf Knoblauch! Wirklich, der Körper empfindet Schmerzen durch die chemischen Stoffe des Knoblauchs und voila! Das ist wohl auch der Ursprung des Vampirismus und dem Unsinn mit der Angst des Vampirs vor Knoblauch.“

Er hatte nicht unrecht und ich fragte ihn, ob er denn glaubte, unser namenloses Ding sei in Wahrheit ein Mensch gewesen.

„Könnte doch sein! Degeneriert durch die Einsamkeit, leidend an Erbkrankheiten. Vergiss nicht, das es auf die Schädel geschrieben hat.“

„Aber das ist doch kein Argument. Das ist ja so, als sagst du, Herkules muss gelebt haben, weil Zeus das sagt!“

Durtal lachte und blieb stehen. Er sah mich an. Wir standen vor dem Feld. Das war das helle gewesen, was ich gesehen hatte. Es war finster und die Ähren wogten sachte, der Wald war ruhig, kein Geräusch störte uns und doch sah ich schwarze Vögel fliegen; es fehlt nur der obligatorische Mondschein dachte ich und wandte mich an Durtal.

„Deshalb hast du mich also hier raus gelockt. Und jetzt, warten wir im Weizen auf das Ding?“, sagte ich und hoffte, spöttisch zu klingen, doch es gelang mir nicht ganz.

„Komm!“ sagte Durtal und lief in das Feld. Mürrisch folgte ich ihm und strich mit meinen Händen über den Weizen, der weich meine Finger streichelte. Die Ähren standen uns bis zur Hüfte und wir gingen durch, knickten den Weizen, doch das störte Durtal nicht, er war ganz aufgeregt, in dieser Atmosphäre zu wandeln.

„Ich finde es sehr aufregend, gar nicht naiv. Wir schaffen uns nur ein bisschen Schauer-Stimmung“, lachte er. Ich konnte seine Freude nicht teilen, es war nachts und kühl, wir liefen durch ein fremdes Feld. Und die Geschichte spukte mir jetzt doch durch den Kopf.

Ein Mensch, sinnierte ich, das könnte sein. Geisteskrank. Jetzt musste ich lachen, Durtal hatte erreicht, was er wollte. Ich dachte darüber nach.

Ich drehte mich zu ihm um, um ihm zu gratulieren, doch ich sah nur, wie er angestrengt zum Waldrand sah. „Was ist?“ fragte ich.

„Still!“, zischte er, „ich höre etwas!“

Ich konnte im Dunkeln nichts erkennen und fand auch, das er es jetzt übertrieb. „Lass gut sein, ich hatte meinen Schauer!“ sagte ich, doch Durtal blieb wie angewurzelt stehen. „Hörst du es denn nicht! Da weint jemand.“ Ich war ja einiges von meinem exzentrischen Freund gewohnt, doch so plump war er noch nie gewesen. Nach einer Zeit hörte auch ich ein leises Weinen aus dem Wald. Tolle Show, Durtal, dachte ich sauer.

„Hör auf, das ist kindisch, wie viel hast du dem Kerl bezahlt, das er da Geräusche macht?“

Durtal drehte sich abrupt zu mit und flüsterte: „Das ist kein Trick. Hörst du denn nichts! Würde ich so etwas dummes arrangieren? Du kennst mich doch.“ Dann wandte er sich wieder zum Wald, doch es war jetzt ruhig.

Mir wurde mulmig, denn Durtals Blick war wirklich verstört gewesen. Ich glaubte nun, eine Bewegung zwischen den Schatten zu erahnen und wieder erklang das Weinen, diesmal aber irgendwie verzerrt.

Durtal ging ein bisschen auf den Schatten zu und bückte sich, ich konnte nicht mehr sehen, was er machte, doch auf einmal sprang er auf und kreischte: „Weg! Lauf doch, Carter! Lauf!“

Und tatsächlich fing er an zu rennen und er schrie dabei, ich solle um mein Leben laufen. Instinktiv fing ich an zu rennen, denn wenn jemand in Todesangst davonläuft folgen wir ihm, das ist angeboren, ohne nachzudenken rannte auch ich los, vor mir der hastende Durtal und hinter mir irgendetwas. Einmal bei der Flucht, setzen unsere Urtriebe ein und ich dachte nur noch, weg! Weg! Etwas verfolgt uns und dabei hatte ich noch nicht einmal etwas gesehen. Während ich die Lichtung ansteuerte, zeriss hinter mir ein Schrei die Nacht, wie von einem Kind. Jemand erschreckt uns, dachte ich wild, doch der Schrei änderte sich, wurde in meiner Panik zu einem tierischen Gebrüll und so schrie auch ich, rannte an Durtal vorbei, immer weiter zum Ende des Feldes, als ob dort die Erlösung wartete.

Alles lief so schnell ab, es war so surreal und ich meinte, heißen Atem auf meinem Nacken zu spüren und das verdammte Feld wollte einfach nicht enden, sosehr ich auch lief.

Dann erscholl ein letzter Schrei, ich weiß nicht mehr, wer geschrieen hatte, Durtal oder unser Verfolger. Dann war es vorbei, das Gefühl der Angst wich. Ich blieb stehen, keuchte wild und drehte mich um. Das Feld lag wogend vor mir. Wellen liefen durch wie in einem Meer, wie in einem Meer von Pastell...

Durtal war nicht mehr da. Zitternd suchte ich zwischen den Ähren nach ihm, rief in die Nacht hinaus und ging sogar den Weg zurück durch den Wald, doch ich fand ihn nicht.

Im Feld aber sah ich die kleine Spur, die wir beide zwischen die Ähren gelaufen hatten und ich sah noch eine dritte Spur, breit und tief.

Ich blickte zum purpurnen Horizont und lauschte. Hörte ich ein Weinen?

Das ganze ist jetzt drei Jahre her und ich habe nie wieder was von meinem Freund Durtal gehört. Er ist seit dieser Nacht verschwunden. Ich kehrte auch nie wieder dorthin zurück und ich habe ein flaues Gefühl im Magen, wenn ich wogende Weizenfelder sehe. Zu erwähnen gibt es noch, das Tage später einer aus dem Dorf einen Schädel gefunden haben will, wo ein Name drauf stand. Der Finder konnte nicht lesen und so weiß ich nicht, was ich davon halten soll, außerdem soll der Kerl geistig zurückgeblieben sein. Der Schädel wurde auch von keinem anderen gesehen. Was genau in dieser Nacht passierte, werde ich wohl nie erfahren, aber ich weiß eins, ich hatte Angst gehabt. Ein so starkes Gefühl der Angst, das ich noch heute schweißgebadet aus dem Schlaf schrecke.





ENDE

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.03.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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