Robert Franke

Der Fremde mit dem Blumenstrauß

Platsch machte es, als er mit einem kräftigem Hopser eine dreckige Pfütze zu überqueren suchte. Regentropfen verschleierten seine Sicht, doch sah er klar. Endlich würde er sie wieder sehen. Es mussten nun schon vier lange Jahre ins Land gestrichen sein, seit er sie am Bahnsteig 3 nahe der Schustergasse 34 um die vierte Nachmittagsstunde herum unter strahlendem Sonnenschein verabschiedet hatte. Fröhlich stapfte er über das plitschnasse Kopfsteinflaster der Dorfstraße und schwelgte in feinen Gedanken. Dieses Lächeln würde er nie und nimmer vergessen können, wenn sich ihre Mundwinkel sanft hoben und ihre strahlenden Zähne zeigten, so konnte man sich dieser Fröhlichkeit nur mit größter Müh und Anstrengung entziehen. Aber wer wollte das schon? Welcher Narr könnte sich nicht in dieses engelsgleiche Wesen verlieben? Er sinnte einige Wimpernschläge über den Gedanken nach und kam schließlich zu dem Schluss, dass es wirklich nicht möglich war, sich ihrem Lächeln zu entziehen. Gerade bog er in die Nebenstraße zur Musterallee ein. Nur wenige Menschen trauten sich bei diesem lästig nassen Regen auf die Straße. Die wenigen Unglücklichen, die doch einen Gang durch den Regen wagen mussten, kamen ihm schnellen Schrittes entgegen oder überholten ihn mit lustig platschenden Geräuschen, ohne dass er sich auch nur eines der vielen Gesichter hätte einprägen können. Zu hastig waren sie auch schon wieder fort. Was macht es mir? Ich habe doch eh nur das eine Bild im Kopf, was sollt ich mit griesgrämigen Gesichtern? Einer unhörbaren Melodie folgend begann er ein Liedchen zu summen und tappte dazu im Rhythmus mit seinen teuren Lackschuhen auf den Steinen der feuchten Straße. Teuer, oh wahrlich teuer waren sie gewesen! Aber für den heutigen Tag muss man sich seine Aufmachung doch auch einmal etwas kosten lassen, oder nicht? Da wird sie Augen machen, wenn sie sieht, was in der Zwischenzeit aus mir geworden ist. Nun bin ich nicht mehr der Taugenichts von damals! Oh nein, ich verdiene mein gutes Geld mit harter und anständiger Arbeit. Nun kann ich für sie sorgen. Er passierte die Bäckerei des alten Herrn Dressler zuerst, hielt dann jedoch inne, kehrte um und stellte sich vor die Ausgabe unter die tropfende Wetterplane des kleinen Ladens. Schließlich wurde er von Dressler, der an den Regalen gewerkelt hatte, bemerkt. Dressler schaute etwas ungläubig drein als er das breite, fröhliche Grinsen und ein noch fröhlicheres “Guten Abend!“ vernahm. “Was sind sie denn bei dieser Witterung so widerlich gut gelaunt?“ Dressler war beinahe schon sauer auf ihn. “Ja wissen sie es nicht mehr? Ich hatte es ihnen doch schon vor Tagen erzählt!“ Dresslers Züge klärten sich. “Ach nein! Heute schon? Nach also dann!“ Dressler grinste nun ebenfalls. “Dann dürfen sie sich heute zur Feier des Tages auch auf Kosten des Hauses bedienen!“ Eine noch nicht ausgesprochene Widerrede verbot Dressler mit einer strengen Handbewegung. “Hm, na gut, ich nehme zwei von denen und denen dort drüben.“ “Marmelade oder Pfaumenmuss?“ “Letzteres bitte.“ Nach kurzem Gespräch beugte sich Dressler über die Ausgabe nach vorn, klopfte ihm beglückwünschend auf die Schulter und meinte abschließend: “Viel Glück wünsche ich ihnen! Ach was, nicht einmal das brauchen sie jetzt noch. Fast würde ich ein bisschen neidisch, hätte ich kein eigenes Weib!“ Dressler schüttelte lächelnd den Kopf. Im Gehen bedankte sich der Beschenkte noch ein letztes Mal über die Schulter, dann war er auch schon wieder auf dem Weg zu seinem eigentlichen Ziel. Weit war der Bahnhof nicht mehr. Danals vor vier Jahren hatten sie es abgemacht. Am Tag ihres Abschiedes würden sie sich wiedersehen! Wie es sich wohl in Paris lebte? Sicherlich ist es eine traumhaft romantische Stadt! Doch nicht Paris oder irgendeine lächerliche Stadt war ihm wichtig, sie war es, nur sie! Alle die Jahre, ich möchte nur zu gern wissen, ob sie sich verändert hat. Ihr letzter Brief kam vor einem Jahr. Sie hat sicherlich viel zu tun. Tja, solch “Chance“ wie der Franzose sagt kommt nur einmal im Leben und es war richtig und wichtig für sie zu gehen. Hätte er es mit ansehen können, wenn ihr Traumschloss in sich zusammen gefallen wäre, bloß weil er sie nicht gehe ließe? Nein, das könnte er seiner Prinzessin nicht antun. Sie hatte auch so wundervolles langes Haar. Gefärbt wie Eichenholz schimmert es in vielerlei Farbschattierungen. Wie konnte ein trotteliger Tunichtgut wie er nur an solch ätherisches Wesen geraten? Er schüttelte ungläubig seine wirren Gedanken fort und erblickte in der Ferne das schräge Großdach des Bahnhofes. Sein Herz tat einen Sprung als er mit wegen dem Regen halb zugekniffenden Augen ein Straßenschild las. Schustergasse! Er war schon so gut wie bei ihr! Freudig pfeifend ging er weiter bis er schließlich vor dem Bahnhofsportal stand. Ehrfürchtig, als wäre es die Himmelspforte, tat er einen vorsichtigen Schritt nach vorn. Einen Meter und noch einen Meter, ich werde sie bald wieder in meinen Armen halten, sie an mich drücken, sie küssen, sie endlich, endlich wiederhaben! Bevor er jedoch den heiligen Boden des Bahnsteiges 3 betrat, kehrte er noch in dem kleinen, gemütlichen Blumenladen neben dem Fahrkartenschalter ein und kaufte einen riesigen, sündhaft teuren Blumenstrauß. Rose, Nelke, Schwertlilie, Goldlack und Kornblume bildeten eine hübsch anzusehende Kombination. Ihm gefiel der Strauß sehr. Ob sie ihn auch mochte? Mit einem Blick auf die große Wanduhr der Halle vergewisserte er sich. Er würde es ihn wenigen Minuten erfahren. Er musste sich etwas beeilen, sollte es nicht so aussehen, als wäre er gerade erst überhastet eingetroffen, wenn sie ausstiegt. Er grinste in sich hinein. Guter Dinge trat er aus der Halle heraus, hinaus in den herrlichen Regen, auf den Bahnsteig 3. Inzwischen war das Dunkelblau der Wolken einem finsteren Grau gewichen. Na und? Gleich wird meine Sonne für immer scheinen! Eine schnarrende Ansage über den Lautsprecher erfolgte und kündigte die Einfahrt des Zuges in wenigen Minuten an. Es hätte der Ansage nicht bedurft, er konnte schon fast die Rauchsäule des Schornsteines sehen, das metallene Gezische und Gerumpel der Dampflokomotive hören, er sah ein strahlendes Lächeln vor seinem inneren Auge und er lächelte zurück. Tatsächlich kam einige Wimpernschläge später, es waren Stunden für ihn, ein Zischen und Pfeifen an sein Ohr. Wieder später schälten sich eckige Umrisse aus dem Dunkel der Regenwand. Näher und näher kam die Lokomotive. Um sich für die Zeit abzulenken, die der Zug zum Anhalten benötigen würde, blickte er sich um. Kaum Menschen hier. Naja, bei diesem Regen. Es gibt nunmal auch nicht so viele Glückspilze wie mich, die ihre Liebste vom Bahnhof abholen und nach Hause geleiten, wo sie sich bei warmem Tee aufwärmen kann, wo man sich erzählen kann, was in der ganzen, langen Zeit geschah, wo es dann endlich nicht mehr so einsam ist. Der Zug stand schließlich still und in sich versunken schreckte er auf, als er sich dabei ertappte, den wichtigen Augenblick des ersten Wiedersehens mit irgendwelchen Gedanken zu verschwenden. Er wartete. Der Regen fiel gleichmäßig nieder. Plitsch, platsch machte es als sich ihm eine Gestalt von hinten näherte. Langsam drehte er sich um. Was wollte er eigentlich sagen? Oh, du Narr, du hättest dir Worte parat legen sollen, damit du nicht stotterst wie ein Idiot. Er entschloß sich schließlich für ein Lächeln und ein fast schon zu bescheidenes “Schön, dass du wieder da bist.“ und blickte etwas betreten zu Boden. Der Mann mit dem schwarzen Reisekoffer, der sich ihm von hinten genähert hatte, konnte mit den durch den Regen verzerrten Worten selbstverständlich nichts anfangen, genauso wenig wie mit der seltsamen Haltung des Fremden mit dem Blumenstrauß.

Also scherte er sich nicht um den fein gekleideten Menschen und stieg rasch in den nächsten Waggon ein. Der Zug war fast leer. So konnte sich der Mann mit dem schwarzen Reisekoffer einen Platz am Fenster nehmen. Nach ein paar Minuten hörte man einen Pfiff und der Zug fuhr gemächlich an. Am Fenster liefen die Tropfen in Strömen herab und so bemerkte der Mann mit dem schwarzen Reisekoffer erst recht spät, dass der Fremde mit dem Blumenstrauß noch immer im dunklen Regen auf dem Bahnsteig 3 nahe der Schustergasse 34 stand.

Eine Kornblume fiel zu Boden.

(Zuletzt am 12.05.2003 geändert)

Diese Geschichte soll schmerzhaft zeigen, wie sinnlos das romantisch verklärte Warten auf die Liebe sein kann.Robert Franke, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.02.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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