Dimitri Schwartz

Glück im Unglück

Joe war pleite.

Gestern die Sache mit
Massimo und jetzt das.

Mit Spielschulden bei
großen Unterweltbossen durchs Leben zu gehen ist nicht gerade ein freies
Lebensgefühl. Auch ihn hatte es erwischt. Ein falscher Spielzug beim Pokern und
er hatte jede Menge Sorgen. Joe war immer gewieft genug gewesen so gekonnt
falsch zu spielen, dass ihm solche Situationen erspart blieben, aber jetzt...

Heute war Zahltag. Alles
was Joes Portemonnaie jedoch enthielt waren einer seiner nicht ganz echten Personalausweise,
etliche Adressen von Menschen zu denen seit Jahren kein Kontakt mehr bestand
und drei Rubbellose, die er nach durchzechter Nacht und einem darauf folgenden
morgendlichen Blackout dort vorgefunden hatte. Auch jeglicher Kredit bei
sämtlichen sizilianischen Banken war aufgebraucht und Sonnenschein in dieser
Beziehung war nicht in Sicht. Dass Cora ihn verlassen hatte, lag übrigens nicht
an seinem aktuellen Problem, sondern seine wie er sie nannte „sehr gute
Freundschaft“ zu einer blonden Bardame irgendwo unten an der Küste war doch zu
eng geworden, sodass Cora sich kommentarlos verabschiedete als sie davon
erfuhr.

Joes Einnahmequellen
waren im wesentlichen Touristen die es zum Mittelmeer verschlug und die er
immer wieder in geschickten Glücksspielpartien ausnahm. Aber im Februar auf
Touristen zu stoßen  war nicht
unwahrscheinlich sondern unmöglich.

Er hatte drei
Möglichkeiten, die ihm Toni angeboten hatte, der mittlerweile durch seine
Kontakte und sein Ansehen als „König der Rotlichter“ die Macht hatte über Leben
und Tod verschiedener Kleingauner zu entscheiden. Entweder Joe zahlte und die
Sache war vom Tisch, er zahlte nicht und er war vom Tisch, oder er führte einen
von Tonis sogenannten „ Spezialaufträgen“ aus.

Jede der drei
Möglichkeiten löste in Joe nicht gerade Glücksgefühle aus, besonders die zweite
machte ihm Unbehagen. Das Geld würde er seiner Brieftasche nach zu urteilen
wohl nicht auftreiben  und ein Auftrag
von Toni würde wohl aus keinem Kaliber bestehen, was man erledigt wie einen Samstagseinkauf
für Mama. Doch blieb ihm wohl nur diese Wahl.

Immer wieder musste er an
Massimo denken, wie der aus Verzweiflung ins Wasser gegangen war. Massimo,
genannt „Die Mücke“, hätte ihm jetzt sehr wahrscheinlich helfen können. Ein
Ansprechpartner für Geldwäsche, gefälschte Identitäten und alle möglichen
Kräuter und Pillen zum abheben, kurz alle Dinge, die Joe jetzt gut hätte
gebrauchen können. Massimo hatte in seinem kurzen Leben wahrscheinlich jeden
erdenklichen Menschen beschissen, auch und vor allem große Fische aus Palermos
Unterwelt. Joe kannte ihn von diversen Gefallen, die er Massimo und Massimo ihm
getan hatte, meistens war es dabei um Geld gegangen. Das Verhältnis der Beiden
war kollegial, jedoch meistens auf nicht mehr als Geschäfte beschränkt. Massimo
war jedoch durch seine Geschäfte und Spielchen mit der Gefahr so vereinsamt,
dass er sich gestern in einem Anfall von Depressionen von der „Ponte Ragazza“
gestürzt hatte, seinem sonstigen Hauptumschlagsplatz für Drogen und anderen
dubiosen Materialien in einer felsigen Gegend Siziliens über einem Fluss. Joe
hatte gehofft ihn auf der Brücke anzutreffen, wo er jeden Montag und Dienstag
um 21 Uhr 30 seine Geschäfte abwickelte, um ihn wegen dieser Sache um Rat zu
fragen. Massimo war da, stand jedoch bereits auf dem Brückengeländer und alles
was Joe noch hatte rufen können war: „Massimo, spring nicht!“.               

Doch er war gesprungen
und Joe hatte es gesehen. Er hatte es gesehen, aber noch mit Niemandem darüber
gesprochen und Massimos Leichnam würde man erst in ein paar Tagen finden. Das
Bild Massimos auf dem Geländer ging ihm nicht aus dem Kopf, aber er war sich
sicher, nicht als aufgequollene Wasserleiche zu enden (enden zu wollen). Er
musste einen anderen Weg finden.


 Joe drückte seine Zigarette
aus, überquerte die Strasse und betrat „Tonis Ristorante“.

So wie er es erwartet
hatte, stand, neben der ersten von zahlreichen im Raum zwischen weißen
Holztischen verteilten Zimmerpalmen, Stefano, Tonis rechte Hand. Ein Bär von
Mann mit Armen, die Joes Beinen glichen, einem rasierten Schädel mit der Größe
eines Basketballs und der Form einer genmanipulierten, zu groß geratenen Birne
und Fäusten wie die Boxhandschuhe eines Schwergewichtsweltmeisters. Stefano
trug stets schwarze Anzüge von teuren italienischen Designern, dazu
weißlackierte Gucci-Schuhe. Als Joe ihn passierte, erschien es ihm, als würde
dieser irgendwie hämisch auf ihn nieder blicken. Joe wusste, jetzt gab es kein
zurück mehr.

Toni saß an einem am Ende
der Tafelreihen in der Mitte postierten Tisch. Als er Joe erblickte, breitete
er sein breites, ironisches Grinsen auf und breitete seine Arme zum Empfang
aus, wobei nur noch fehlte, dass er aufstand und Joe aus gespielter Liebe und
Zuneigung an seine Brust drückte. Joe blieb mit einem 10 Meter
Sicherheitsabstand zu Toni stehen:

„Ah, mein Lieblingsgast!
Setz dich mein lieber Freund!“.

Toni packte sich einen
nahestehenden Stuhl und schob ihn mit einer gezielten Handbewegung Joe vor die
Füße. Joe setzte sich. Hinter seinem Rücken verspürte er den an seinen Stuhl
herangetretenen Stefano:

„Ich hoffe du bringst mir
gute Nachrichten oder jede Menge Geld! Oder bist du gekommen um unsere
„Freundschaft“ auf eine harte Probe zu stellen?“.

Joe schluckte. Er hatte
gehofft, er käme vielleicht als Erster zu Wort und könnte Toni die Sache mit
dem Geld schonend beibringen. Er räusperte sich:

„Hm, ja also ich
hab...äh...alles versucht, aber mit dem Betrag...Ich glaube ich sollte etwas
für dich tun!“.

Tonis Grinsen erstarb so
schnell wie es gekommen war und er stierte Joe an:

„Das glaube ich auch!“.

Sein Blick hätte in
diesem Moment mindestens 5 braungebrannte, mit Gel und Sonnenbrille
ausgestattete Sizilianer tausend Tode sterben lassen. Joe kannte diesen Blick,
doch war bisher nie in der Situation gewesen, ihn auf sich beziehen zu müssen:

„Was glaubst du
eigentlich wer du bist? Du meinst, nur weil du für mich ein paar schwule
deutsche Touristen bescheißt, könntest du am Zahltag einfach ohne Geld zu mir
hereinspazieren?“.

Toni sprach diese Worte
mit einer Stimme, die für einen Außenstehenden den Eindruck erweckt hätten, man
mache sich gerade einen Heiratsantrag. Joe schwieg und begann langsam sich von
dieser Welt zu verabschieden. Toni, der ihn die ganze Zeit über angestarrt
hatte, nahm nun eine neben sich auf dem Tisch liegende Kubanische, zündete sie
an und paffte kleine stinkende Kringel in den über ihm sich drehenden
Ventilator. Dann sah er Joe an und lächelte. Angespannte Stille. Nach ein paar
Sekunden, die Joe wie Minuten vorkamen, griff Toni mit einer routinierten
Bewegung in die Innentasche seines Armani-Anzuges, nahm einen kleinen weißen
Briefumschlag heraus und gab ihn dem bereits wartenden Stefano, dessen
Wurstfinger den Umschlag umschlossen und ihn zu Joe herüberschoben:

„Du wirst für mich bis
heute Abend um 22 Uhr jemanden aus der Welt schaffen. Auch er schuldet mir eine
ganze Menge. Wäre er zuerst hier aufgetaucht, hätte ich ihn zu dir geschickt!“.

Joe rutschte das Herz in
die Hose. Das war das Schlimmste was er erwartet hatte. Noch nie in seinem
ganzen Leben hatte er jemanden umgebracht, ja selbst geprügelt hatte er sich
früher höchstens auf dem Schulhof und auch dann nur ganz selten:

„Du wirst ihn um 21 Uhr
30 treffen, da wickelt er seine Geschäfte ab. Du erledigst die Sache gleich an
Ort und Stelle. Der Ort und alles Weitere befinden sich im Briefumschlag. Noch
Fragen, du Schuldenberg?“. Joe wusste, dass er keine andere Wahl hatte:

„Nein, keine Fragen
mehr“.

„Avanti, dann geh mir aus
den Augen!“.

Joe wurde von Stefano
gepackt und buchstäblich vor die Tür gesetzt, die mit einem lauten Knall hinter
ihm ins Schloss fiel. Da saß er nun. Joe der Spieler und Betrüger beauftragt
mit einem Mord. Er stand auf, strich sich den Dreck der Straße von seinem
T-Shirt und öffnete den Umschlag. Er enthielt ein Foto, ein Foto von...Massimo!
Mit schwarzem Edding war in Druckbuchstaben darunter geschrieben:

21 UHR 30

PONTE RAGAZZA

MASSIMO „DIE MÜCKE“


 
Joe rieb sich die Augen.
Träumte er? Im nächsten Augenblick wusste er, was er tun würde, er würde um 21
Uhr 30 zur Ponte Ragazza fahren, sich auf das Geländer setzen und an Massimo
denken, seinem guten Freund Massimo, der ihm heute das Leben gerettet hatte!


 
 

Dimitri Schwartz
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 13.02.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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