Joana Angelides

Herbst

Man merkte es schon, es war Herbst. Sie zog fröstelnd die Schultern hoch und zog den Schal enger. Der kühle Wind wirbelte die Blätter auf und ließ sie als bunte Farbkleckse wieder zu Boden fallen. Sie fallen sanft und zögernd auf dem feuchten Waldboden und wiegen sich noch ein letztes Mal, als wollten sie sich aufbäumen gegen das Schicksal und hätten Angst vor der Unausweichlichen, dem Vergehen.

Sie horchte angestrengt in den dichten Wald hinein um das Raunen und Ächzen der Bäume zu hören. Die Zweige bewegten sich im Wind und zauberten zarte Sonnenkringel auf den Waldboden. Der Geruch von Pilzen vermischte sich mit dem feuchten würzigen Geruch des Herbstwaldes.

Sie schloß die Augen und lehnte sich an einen der dicken Baumstämme. Aus dem Nebel vor ihrem geistigen Auge tauchte ein Gesicht langsam auf und traurige Augen blicken sie stumm an. Dieses Gesicht war zum Greifen nahe, sie vermeinte seinen Atem zu spüren und hob die Hand um es zu berühren, da löste sich der Nebel auf und es verschwand. Es war ein Gesicht aus vergangenen Tagen, aus der Zeit des Sommers, aus der Zeit der Gefühle, des Lachens und von wunderbaren bisher nicht gekannten Gesprächen darüber und tiefes Verstehen. Es war die kurze flüchtige Begegnung zweier Menschen während eines kurzen Zeitraumes ihres Lebens, losgelöst vom Alltag und zusammen geführt durch einen Zufall. Es gab Spaziergänge durch diesen Wald, stilles Verweilen und scheue Berührungen. Der Abschied und Verzicht waren vorprogrammiert und unausweichlich.

Dieser Abschied war ein schwieriger Prozeß, der sich hauptsächlich im Kopf abspielte und die rebellierenden Gefühle nicht unter Kontrolle brachte. Die Sehnsucht, seine Hände in den ihren und seine Nähe neben sich zu spüren, seine Blicke mit den ihren festzuhalten, war noch immer übermächtig.
Doch der Sommer verging.
Der Herbst zog ins Land und mit ihm die Kälte.
Der Winter stand schon wartend vor der Türe.

Sie fröstelte und zog den Schal noch enger um ihre Schultern.

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Joana Angelides).
Der Beitrag wurde von Joana Angelides auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.03.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Joana Angelides als Lieblingsautorin markieren

Buch von Joana Angelides:

cover

Im Schatten des Olivenbaumes von Joana Angelides



Ein Olivenbaum zieht die Menschen in seinen Bann und bestimmt besonders das Leben einer leidenschaftlichen Frau.
Sie trifft eine überraschende Entscheidung.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Liebesgeschichten" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Joana Angelides

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Alles Roboter, oder was? von Joana Angelides (Science-Fiction)
Eine E-Mail-Liebe von Barbara Greskamp (Liebesgeschichten)
Weihnachtslüge von Klaus-D. Heid (Satire)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen