Hans Pürstner

Reich ins Heim, 7. Kapitel

Unnötig zu erwähnen, das seine Tochter ihren Willen durchsetzte, und schon am darauf folgenden Wochenende trat sie ihren Dienst als Aushilfs-Pflegehelferin im Heim Waldesruh an. Dort wurde sie schon sehnsüchtig erwartet.
„Herzlich willkommen, Irene! Ich bin Luzie, Luzie Meier. Wir sagen hier aber alle du zu Kollegen. Ich bin sicher , dass wir uns gut verstehen werden! Bist du Hausfrau oder arbeitest du während der Woche noch woanders?“
Sie konnte sich schlecht zu erkennen geben, weder als Tochter des Kriminalbeamten, der den mysteriösen Todesfall im Heim bearbeitete und schon gar nicht als Volontärin des Grazer Express. Seit Erscheinen der kritischen Serie über private Altersheime war die Zeitung nicht gut gelitten im Heim, sogar ein Abonnement war gekündigt worden als Reaktion auf die Kritik. Deshalb hatte sich der Redakteur Lechner eine Schein-Anstellung für Irene ausgedacht, sie wurde in der Lohnbuchhaltung als Angestellte einer verlagseigenen Buchhandlung geführt. So konnte sie für die Aushilfstätigkeit Arbeitspapiere vorweisen, aus denen ihr wahrer Arbeitgeber, der Grazer Express, nicht ohne weiteres erkennbar war.
„In einer Buchhandlung arbeitest du? Na ja, in der Bücherei brauchst du ja wohl nicht ganz so schwer arbeiten, oder? Weil die Arbeit hier ist alles andere als leicht! Wir fangen um halb sieben an, zuerst werden die Leute gewaschen, gekämmt und angezogen, sofern sie nicht dauerhaft bettlägerig sind. Danach verteilen wir das Frühstück für diejenigen, die nicht runter in den Speisesaal gehen können. Anschließend machen wir eine Frühstückspause und danach müssen wir Betten machen. Das heißt, du, weil du als Pflegehilfe arbeitest. Ich muss Medikamente ausgeben, wenn nötig beim Einnehmen helfen und Spritzen geben. Wir haben auf unserer Station fünf Diabetiker, drei davon haben Alterszucker, aber zwei haben Diabetes Typ I. Das heißt, die kriegen Insulin gespritzt, und ich muss regelmäßig ihren Blutzucker kontrollieren.“
Während Luzie ihrer neuen Kollegin ihre Arbeit erklärte, gingen sie beide in den ersten Stock in die Pflegestation A1.
„Das hier ist das Zimmer von Herrn Weigand, darin ist vor zwei Wochen eine Frau unter rätselhaften Umständen ums Leben gekommen. Es war sogar die Kriminalpolizei da, angeblich soll sie ermordet worden sein!“
Irene spielte die Ahnungslose
„Ich glaub, ich hab da was in der Zeitung gelesen. Weiß man denn schon, wer es war?“
„Nein, uns sagt ja niemand was,“ entgegnete Luzie leicht verbittert.
„Aber die Oberschwester Herta, die weiß bestimmt mehr, als sie zugeben will. Immer war sie bei der Frau Eibel, so hieß das Opfer, und hat ihr jeden Wunsch von den Augen abgelesen. Aber vor uns hat sie dauernd geschimpft über sie. Wir haben uns ganz schön gewundert über die beiden. Aber ich will nichts gesagt haben!“
Irene verzichtete im Augenblick lieber, nachzuhaken, obwohl ihr das schwer fiel.
„Das geht mich sowieso nichts an, auf was muss ich denn sonst noch achten, wenn ich morgen allein auf der Station bin?“
„Na, morgen lassen wir dich noch nicht allein, ich pass schon auf dich auf, ich hab ja morgen auch Dienst! Und nächstes Mal, wenn du einmal nicht mehr weiter weißt, gehst du am besten ins Schwesternzimmer. Dort findest du immer jemanden, der dir weiterhelfen kann!“
Das war das richtige Stichwort, Luzie führte sie in das Zimmer, wo nicht nur die Medikamente für die Heimbewohner zusammengestellt wurden, sondern auch, nicht ganz unwichtig, die beliebten Kaffeepausen stattfanden. Vor allem die Raucher unter dem Pflegepersonal nutzten jede sich bietende Gelegenheit, diesen Raum aufzusuchen, weil sie offiziell nur dort ihrem Laster nachgehen durften.
„Grüß euch, alle miteinander, ich möchte euch jemand vorstellen. Das ist Irene, sie macht jetzt jedes zweite Wochenende Frühdienst. Irene, das ist Britta, unser Lehrling und das ist Frau Hammer, sie ist schon in Pension, war früher Krankenschwester und macht jetzt ab und zu Wochenenddienst bei uns. Weil das Stammpersonal , die haben fast alle Familie und Kinder, deshalb machen sie ungern Dienst am Sonntag. Aber so ein Heim muss rund um die Uhr laufen, das geht nicht so wie im Büro, wo man Freitag um fünf den Bleistift in die Ecke schmeißt und nach Hause geht.“
Die zwei setzten sich zu den Anderen und schenkten sich aus der Thermoskanne Kaffee ein.
„Willst du einen Schuss Milch dazu?“ fragte Luzie ihren neuen Schützling.
„Nein danke, ich trink ihn schwarz, ohne Zucker“, antwortete Irene und zündete sich eine Zigarette an.
„Ich hab gar nicht gewusst, Britta, dass die Altenpflege ein Lehrberuf ist, ich war immer der Meinung, da muss man Krankenschwester lernen,“ meinte sie zu dem Lehrling gewandt.
„Ja, unser Beruf hat leider nicht den Stellenwert in der Bevölkerung, der ihm eigentlich zukommt!“, antwortete Britta.
„Das hast du aber schön gesagt, den Sager hast du bestimmt von einem eurer Berufsschullehrer, oder?, spöttelte Frau Hammer.
„Aber wahr ist er auf jeden Fall!“, schmollte diese.
„Ich bin ja leider ein Anfänger in diesem Job“, erzählte Irene. “Wenn man davon absieht, dass ich meiner Mutter bei der Pflege von meinem Opa geholfen habe. Die letzten drei Jahre vor seinem Tod war er ans Bett gefesselt und wir mussten ihn pflegen. Nur für seine Insulinspritzen kam eine Schwester vom mobilen Pflegedienst des Roten Kreuzes vorbei. Somit ist die Arbeit hier nicht ganz unbekannt für mich.“ Auf der einen Seite wollte sie ihren Arbeitskolleginnen deren höhere Qualifikation nicht absprechen aber gleichzeitig dezent darauf hinweisen, dass sie auch noch mehr konnte als Betten beziehen.
„Habt ihr schon gehört, dem Adolf geht es ganz schlecht!“, unterbrach sie Luzie. „Den hat wohl der Tod seiner Freundin arg mitgenommen.“ Zu Irene gewandt, erklärte sie
„Der Adolf heißt in Wirklichkeit Hermann Waller, aber alle nennen ihn Adolf. Weil er immer so von der NS-Zeit schwärmt. Früher hat er Heim ins Reich geschrieen, dann ist er reich ins Heim gekommen! Aber , bei dem Geld, was er hier noch zuzahlen muß hier wird er bald arm sein!“
„Wieso, war er mit der Frau Eibel so eng befreundet?“ Irene hatte wieder eine Möglichkeit erspäht, unauffällig nützliche Hinweise zu ergattern.
„Das kann man wohl sagen! Die zwei waren richtig verliebt in einander. Sie haben ja nicht nur am selben Tisch im Speisesaal gegessen, auch sonst waren sie unzertrennlich!“ schwärmte Frau Hammer.
„Was heißt, auch sonst? Doch nicht in jeder Hinsicht?“ schmunzelte Irene.
„Du würdest dich wundern, was bei manchen älteren Menschen noch alles passiert! So etwas hört ja nicht einfach mit sechzig auf. Sicher sind das Ausnahmen, aber vorkommen tut es!“
Luzie kriegte richtig einen roten Kopf bei diesem schlüpfrigen Thema, und ein befreiendes Lachen der anderen beendete diese Diskussion.
Ein Blick zur Wanduhr ließ alle aufschrecken.
„Mein Gott, jetzt haben wir aber lange gekeppelt ! Auf geht´s, zur nächsten Runde. Die armen Leute warten sicher schon sehnsüchtig auf ihr Frühstück.“
sagte Luzie und stand eilig auf.
„Komm, Irene, wir müssen endlich anfangen, außerdem schimpft Frau Probst, wenn wir das Frühstücksgeschirr so spät in die Küche zurückbringen!“
„Ist das die Köchin, die Frau Probst?“, fragte Irene.
„Nein, unsere Köchin, die Dobrila hat heute frei, und dann kommt immer Frau Probst. Sie ist eine ehemalige Küchenhilfe von uns, seit zwei Jahren ist sie in Pension, aber arbeitet noch ab und zu am Wochenende. Richtig kochen braucht sie eh nicht, das Essen für Sonntag wird immer schon am Samstag vorgekocht.“ Luzie bemerkte den etwas erstaunten Blick Irenes auf diese Bemerkung hin und versuchte, zu erklären.
„Weißt du, die alten Leute können ja meistens nicht mehr gut kauen mit ihrem künstlichen Gebiss. Da muss der Schweinsbraten so weich sein, dass er sich fast mit der Gabel zerkleinern lässt. Und deshalb macht das nichts, wenn er heute noch einmal aufgewärmt wird. Im Gegenteil, so können die Leute ihn viel leichter essen!“
Es war irgendwie liebenswert, wie Luzie immer alles verteidigte, was auf den ersten Blick für Außenstehende schwer verständlich war.
Sie holten den Wagen mit den vorbereiteten Frühstückstabletts in der Küche ab und fuhren mit dem Aufzug nach oben.
„Guten Morgen, Frau Schulz, hier ist ihr Frühstück!“ sagte, besser gesagt schrie Luzie, als sie das erste Zimmer betraten.
„Hoffentlich ist der Kakao nicht wieder so heiß wie gestern, sonst kann ich ihn nicht trinken!“, keifte die alte Dame sofort los, ohne den Gruß der Schwester zu erwidern. Genervt schüttelte Luzie den Kopf und brummelte, zu Irene gewandt
„Entweder ist er ihr zu heiß oder zu kalt, Frau Schulz kann man wirklich nichts recht machen!“. Schnell gingen sie wieder aus dem Zimmer und klopften beim nächsten.
Keine Reaktion. Sie warteten einen Moment und Luzie meinte verwundert
„Der Adolf schläft aber heute wieder fest“, und klopfte noch einmal, diesmal etwas lauter. Wieder kam keine Antwort. Nun öffnete sie die Tür, um sie sofort darauf wieder erschrocken zuzumachen.
„Irene, bleib lieber draußen stehen, ich glaub, das ist noch nichts für dich!“, meinte sie besorgt, irgendetwas war ihr sichtlich auf den Magen geschlagen.
Sie ging noch einmal ins Zimmer hinein und kam nach einigen Minuten mit ernstem Blick zurück. Traurig erzählte sie
„Herr Waller ist gestorben. Es schaut ganz so aus, als ob er Selbstmord begangen hat. Mit Tabletten!“
Luzie schloss die Tür ab und zog das schnurlose Telefon aus der Manteltasche, um den Ärztenotdienst anzurufen.
„Schade, heute können wir Doktor Henschel nicht erreichen“, sagte sie betrübt. „Na ja, irgendwann muss er auch einmal frei haben! Außerdem könnte er eh nichts mehr machen.“
Nachdem man sich vom ersten Schreck erholt hatte, machten sie mit der Essensausgabe weiter. Wenn auch für sie ein Todesfall nichts außergewöhnliches war, so fiel ihr es doch immer wieder schwer, sofort zur Tagesordnung überzugehen. Deshalb ging ihr das eben gesehene auch nicht aus dem Kopf und sie sinnierte laut vor sich hin,
„Ich weiß nicht, es ist fast nicht zu glauben, dass der Adolf sich mit Schlaftabletten umgebracht haben soll. Sicher war er ziemlich erschüttert über den Tod seiner Freundin Erna. Aber wenn überhaupt, ihm hätte ich eher zugetraut, dass er sich mit Zyankali vergiftet, angeblich soll er noch eine Kapsel aus seiner Zeit bei der SS besessen haben. Als das Gerücht aufkam, hat die Frau Pröll sein Zimmer peinlichst genau durchsuchen lassen. Aber es wurde nichts gefunden. Wer weiß, ob die nach so langer Zeit überhaupt noch gewirkt hätte?“
Während die beiden auf das Eintreffen des Notarztes warteten, telefonierte Luzie auch noch mit Oberschwester Herta, um diese über den Selbstmord von Herrn Waller zu informieren.
„Servus, Herta, entschuldige, dass ich dich zu Haus störe, aber die Frau Magister geht ja nicht ans Telefon, seit sie im Krankenstand ist. Das find ich sowieso eigenartig! Ich ruf ja normalerweise nicht wegen einem Todesfall an, aber Herr Waller hat sich umgebracht!“
„Das ist ja furchtbar! Hast schon recht, dass du angerufen hast! Jetzt haben wir schon den zweiten unnatürlichen Todesfall in einer Woche. Wenn das so weitergeht, müssen die hier noch eine Polizeiwachstube einrichten. Hoffentlich kriegt das niemand von der Zeitung mit, ich sehe schon die Schlagzeilen:
“Schon wieder ein Toter im Waldesruh!“
Ich werde sofort mit dem Büro von Doktor Urban telefonieren und fragen, was wir tun sollen, falls jemand von der Presse anruft. Diese Reporter sind doch immer heiß auf neue Sensationen, die wissen ja oft gar nicht, was sie mit so einem reißerischen Artikel alles anrichten können!“
„Ist in Ordnung, Herta, du meldest dich wieder bei uns, oder? Solange geben wir einfach keine Informationen an die Presse!“, meinte Luzie und legte den Hörer auf.
Irene dachte im stillen
„Du wirst dich wundern, wie schnell die Zeitung davon erfährt, dafür werde ich schon sorgen!“
Beim Blick durch das Fenster im Treppenhaus sahen sie, dass inzwischen der Wagen des ärztlichen Notdienstes eingetroffen war, ein jüngerer Mann stieg aus und blickte suchend in Richtung Heim. Sie winkten dem Arzt zu, um sich bemerkbar zu machen, so brauchte der sie nicht erst lange suchen. Kurze Zeit später stand er vor ihnen und begrüßte Luzie fröhlich.
„Grüß Gott, ich bin Doktor Wimmer, ich mach heute den Notdienst, wo ist denn der Patient?“
Die hatte ihn sofort erkannt, sie schätzte den jungen Assistenzarzt vom Landeskrankenhaus aus der Abteilung für innere Medizin.“ Wir haben schon des öfteren miteinander telefoniert, um Therapieauflagen für Heimbewohner, die aus dem Spital zurückgekommen waren, abzuklären. Wahrscheinlich muss er sich noch was dazuverdienen, wenn er auch noch Nachtdienst als Notarzt macht“, flüsterte sie Irene zu. Der Doktor erzählte ihr, dass er vom Spital vielmehr an den Notarztdienst abkommandiert worden war, weil der ursprünglich eingeteilte Arzt kurzfristig ausgefallen war. „Jetzt ist bei uns auf der Station noch einer weniger!“, meinte Doktor Wimmer bedauernd.
„Hier ist das Zimmer von Herrn Waller“, sagte Luzie zu ihm, „aber ich fürchte, da ist nicht mehr viel zu machen. Gestern Abend ging es ihm noch ganz gut, abgesehen von seinem bedrückten Gemütszustand. Die Frau Eibel war nämlich seine Freundin!“
Gemeinsam betraten sie das Zimmer, Doktor Wimmer fühlte nur kurz den Puls und leuchtete mit der Taschenlampe in die Augen von Hermann Waller, bevor er sich umdrehte und sagte
„Leider haben sie recht, eigentlich hätte sie mich gar nicht zu rufen brauchen. Das ist einwandfrei eine Sache für die Polizei. Medikamentenvergiftung, ich tippe auf ein starkes Schlafmittel.“
Er ließ sich das Telefon geben und wählte die Nummer der Kriminalpolizei, das ging direkter als über den Umweg über die Notrufnummer.
„Die schicken gleich jemand vorbei, wir sollen hier nichts mehr berühren und bis zum Eintreffen der Beamten das Zimmer abschließen!“
Luzie befolgte seine Anweisung und steckte den Schlüssel ein.
Als der Notarzt das Heim verlassen hatte, meinte sie mitfühlend
„Mensch, Irene, du hast dir aber wirklich einen aufregenden Tag ausgesucht, um hier anzufangen! Wirst sehen, sonst ist es eigentlich ganz gemütlich hier. Sobald du etwas Routine hast bei der Arbeit, geht es auch ganz flott voran!“
Sie konnte ja nicht wissen, dass Irene die ganze Geschichte sehr gelegen kam, schon der erste Tag ihrer Undercover-Ermittlungen hatte sich gelohnt.
Nach einer Stunde trafen dann endlich ein paar Leute von der Kriminalpolizei ein. Irene registrierte erleichtert, dass kein bekanntes Gesicht darunter war, eine unvorsichtige Reaktion hätte sie schließlich schnell auffliegen lassen können. Die Beamten erledigten ihren Job routiniert, aber ohne übertriebenen Eifer. Sie ließen die Leiche ins Institut zur Obduktion bringen und schienen vom Fall Eibel nichts zu wissen. Aber dafür würde sie selbst schon sorgen, ihr Vater würde bestimmt ganz elektrisiert von der Nachricht vom Tod Wallers sein.
Nachdem die Beamten weg waren, konnten sie sich nun endlich wieder um ihre Arbeit kümmern und so verging die Zeit ziemlich flott, bis ihre Ablösung kam und beide nach Hause gehen konnten.

In ihrer kleinen Wohnung angekommen, ließ sie gleich heißes Wasser in die Badewanne einlaufen. Von der ungewohnten Arbeit taten ihr ganz schön die Füße weh. Bevor sie in die Wanne stieg, rief sie noch ihren Redakteur an.
„Hallo Peter, stell dir vor, gleich bei meinem ersten Tag im Waldesruh Heim ist was passiert! Einer der Bewohner, ein gewisser Herr Waller, hat sich mit Schlaftabletten vergiftet. Er war der Freund der Frau Eibel, das ist die Dame die in der vergangenen Woche auf ungeklärte Art ums Leben gekommen ist. Bestimmt gibt es da einen Zusammenhang!“ Gespannt erwartete sie seine Reaktion auf ihre Schilderung.
„Servus Irene“, begrüßte sie Lechner und stoppte vorerst die überschäumende Begeisterung seiner jungen und hoch motivierten Volontärin,
„Das ist ja sehr interessant, aber warten wir doch die Ermittlungen der Polizei ab. Auf jeden Fall frage ich zuerst deinen Vater, was er dazu sagt, bevor ich die Nachricht in der nächsten Ausgabe unterbringe. Vielleicht ist ihm das ja gar nicht recht!“
Etwas enttäuscht, aber doch einsichtig, legte sie den Telefonhörer auf und genoss nun endlich ihr wohlverdientes Bad.
Am nächsten Morgen telefonierte Lechner mit dem Oberinspektor und erzählte ihm, was Irene am Vortag erlebt hatte.
„Wieso hat sie mich denn nicht selbst angerufen? Bestimmt hat sie ein schlechtes Gewissen, dass sie nicht auf meinen Rat gehört hat!“
„Seien sie nicht so streng mit ihr, Herr Pilz, Irene ist wirklich mit Leib und Seele Reporterin, und das Recherchieren liegt ihr einfach im Blut!“, verteidigte Lechner seine Kollegin.
„Das hat sie bestimmt von mir, das Recherchieren, aber den Dickschädel auch!“, seufzte Pilz.
„Ich werd jetzt auf jeden Fall zu Frau Pröll, der Heimleiterin fahren, die Adresse hab ich rausgekriegt. Und für morgen Nachmittag hab ich den Urban vorgeladen. Außerdem werde ich mich mit den Kollegen, die den Fall Waller bearbeiten, in Verbindung setzen. Der Hofrat soll die Sache an uns abgeben. Da besteht doch ganz bestimmt ein Zusammenhang.“
Gesagt getan, schwungvoll wuchtete er seinen massigen Körper in den kleinen VW-Käfer. Er hätte längst einen moderneren Dienstwagen bekommen können, aber er war so an das alte Auto gewöhnt, dass er auch die häufigen Lästereien seines Assistenten Vasic in Kauf nahm.
„Wegen dir muss ich in dem alten Spuckerl fahren, die Kollegen lachen uns schon alle aus!“
„Dafür steht unser Dienstwagen nicht ewig in der Werkstatt, wie der Wagen vom Hofrat!“, war wie immer seine Antwort.
In der Mariatroster Straße angekommen, musste er dreimal läuten, bis sich endlich die Tür zu dem schmucken Einfamilienhaus öffnete.
„Ja, der Herr Oberinspektor, was machen Sie den hier?, war die erstaunte Reaktion von Frau Pröll.
„Wir waren doch vorgestern verabredet, aber Sie haben sie sich Hals über Kopf krankgemeldet. Ich muss ihnen leider noch einige Fragen bezüglich der Tatnacht stellen.“
Da kam er bei ihr aber an die Falsche, aufgebracht antwortete sie „Schließlich bin ich auch krank, außerdem wüsste ich nicht, was ich ihnen nicht schon gesagt hätte.“
Pilz wurde etwas ärgerlich.
„Zum Beispiel, dass sie in der Nacht, als Frau Eibel ums Leben kam, im Heim waren!“
Erschrocken zuckte die Heimleiterin zusammen und stotterte
„Wer hat ihnen denn das gesagt? Und überhaupt, sie sagen das in einem Ton, als ob sie mich verdächtigten!“
„Im Moment verdächtigt sie noch niemand, Frau Pröll, aber sie werden zugeben, dass es merkwürdig erscheint, dass sie mir diese Tatsache verschwiegen haben und mir seitdem aus dem Weg gehen.“ Da sie ihm unhöflicherweise keinen Platz angeboten hatte, setzte er sich kurzentschlossen auf einen herumstehenden Küchenstuhl und wartete gespannt darauf, wie sie auf diesen Satz reagieren würde. Nach außen hin hatte sie sich wieder gefangen und gab kühl zurück,
„Aber Herr Oberinspektor, das ist doch lächerlich! Welchen Grund sollte ich denn gehabt haben, eine meiner Heimbewohner umzubringen?“ So selbstsicher sich ihre Antwort auch anhörte, ihr Mienenspiel verriet ganz offensichtlich Unsicherheit.
„Wer weiß, vielleicht hat die Frau Eibel ja etwas von ihnen gewusst und sie damit erpresst?“ Er hatte einfach nur einen Schuss ins Blaue abgegeben, aber an der Reaktion der Heimleiterin konnte er erkennen, dass da vielleicht doch ein Kern Wahrheit dahinter steckte. Das würde er bald herausfinden. Pilz hatte nämlich nicht nur Doktor Urban, den geschäftsführenden Kommanditisten der Urban Seniorenheimbetriebsgesellschaft vorgeladen, sondern auch mit Josef, seinem Bruder telefoniert. Der war Abteilungsleiter bei der Steuerfahndung des Grazer Finanzamtes, und hatte ihm versprochen, auf dem kleinen Dienstweg zu klären, ob es im Waldesruh irgend welche Hinweise auf Unregelmäßigkeiten in steuerlicher Hinsicht gäbe. Das würde ihm die Möglichkeit eröffnen, kurzfristig eine Buchprüfung anzuordnen, in deren Verlauf sich dann wiederum für Pilz vielleicht ein Motiv für den Mord an Frau Eibel konstruieren ließe.
Das alles konnte er Frau Pröll natürlich schlecht sagen und so beließ er es bei einigen unverbindlichen Sätzen zum Abschied:
„Was glauben sie, aus welchen Gründen schon Leute ermordet worden sind! Für mich sind solche Fragen reine Routine, auch wenn ich damit vielen Leuten auf die Nerven gehe. Ich muss einfach so viele Informationen wie möglich sammeln, bis sich ein Tatverdacht ergibt. Das ist halt mein Job. Sind denn die Sachen von Frau Eibel inzwischen abgeholt worden?“
„Ja, ihr Bruder war gestern bei uns und hat sie mitgenommen.“, antwortete sie, eine Spur zu schnell und betont uninteressiert. Deshalb hakte er nach „Hat denn der Bruder irgendetwas gesagt, was uns weiterhelfen könnte? Vielleicht hat er ja was vermisst?“.
Na ja“, stotterte sie verlegen, eine leichte Röte überzog ihr nicht unhübsches Gesicht, „das sind doch alles Erbschleicher, erst kümmern sie sich jahrelang nicht um ihre Angehörigen und dann sollen wir auf einmal alles mögliche gestohlen haben!“. Zum zweiten Mal wurde sie richtig ungehalten und Pilz mit seiner jahrzehntelangen Erfahrung im Umgang mit Zeugen war sich sicher, dass sie einiges zu verbergen versuchte. Deshalb probierte er es auf die sanfte Tour.
„Ich weiß, mein Vater hat auch oft behauptet, die Putzfrau hätte ihm was gestohlen. Und dann stellte sich heraus, dass die Sachen in der Schublade waren, er sie aber nicht finden konnte“.
Frau Pröll taute sichtlich auf und sagte “Ja, was glauben sie, welche Dinge bei uns schon angeblich gestohlen worden sind, Nylonstrümpfe, Pullover, ja sogar Unterhosen sind schon als „Gestohlen“ gemeldet worden. Aber oft haben Angehörige die Kleidungsstücke mit nach Hause genommen um Knöpfe anzunähen oder einen empfindlichen Pullover zu waschen.
“Na ja, lassen wir es fürs Erste. Aber wir müssen uns sicher noch einmal darüber unterhalten. Bis dahin wünsche ich ihnen gute Besserung. Auf Wiedersehen, Frau Pröll!“

Er fuhr wieder zurück in die Dienststelle und erzählte seinem Assistenten Vasic , was er bei der Heimleiterin erfahren hatte.
„Ich kann mir kein Motiv für die Frau Pröll vorstellen, meiner Meinung nach war es der Waller, und deshalb hat er sich auch umgebracht!“. Vasic bevorzugte immer die Lösung, die plausibel klang, aber auch am wenigsten Arbeit versprach, während Pilz immer misstrauisch war, wenn ein Fall allzu klar zu sein schien.
„Aber auch die Oberschwester wäre eine Tatverdächtige, nach mehreren Aussagen hat sie zu Frau Eibel ein ungewöhnlich enges Verhältnis gehabt. Normalerweise machen in so einem Heim alle ihre Arbeit und nicht mehr. Sonst könnten sie die Arbeit auch gar nicht schaffen. Wenn aber Herta Kien der Frau Eibel jeden Wunsch erfüllte, muss es eigentlich einen triftigen Grund dafür geben.“
Das war ja noch schöner, nun ging es auch noch gegen seine Herta. Sofort verteidigte sie Vasic vehement ,
„Geh, das ist doch so eine nette Frau, opfert sich auf für die alten Leute, und du willst gleich eine Mörderin aus ihr machen!“, richtig empört war er darüber.
„Ich weiß eh, dass du ein Auge auf sie geworfen hast, aber Dienst ist Dienst, und Schnaps ist Schnaps!“
Da kannte Pilz kein Pardon, auch auf die Gefahr hin, dass er das Liebesleben seines Kollegen durcheinander brachte.
„Ich geh jetzt rüber zu den Kollegen, die den Selbstmord von Hermann Waller bearbeiten. Vielleicht haben die irgendetwas, das uns weiterbringen kann.“ Vasic lief zu Hochform auf, um seinen großen Schwarm, Schwester Herta, zu entlasten.
„Ja, geh halt rüber“, meinte Pilz, verständnisvoll lächelnd, „ich ruf derweil meinen Bruder bei der Finanz an.“
Gerade als er zum Hörer greifen wollte, klingelte das Telefon selbst, Pilz hob ab,
„Servus, Schwammerl, hier Bruckner, aus der Gerichtsmedizin. Ich hab gerade unser Abschlussgutachten geschrieben für die Leichensache Eibel. Du kriegst es per Boten zugestellt. Es hat sich meine Vermutung bestätigt, die Dame war durch eine hohe Dosis des Wirkstoffes Nitrazepam stark benommen und ist dadurch wohl unglücklich gestürzt. Dabei muss sie sich die letztendlich tödlichen Kopfverletzungen zugezogen haben.“
„Grüß dich, Professor, du bist dir jetzt also sicher? Aber ich versteh nicht, warum wir nicht die geringsten Blutspuren gefunden haben. Das gibt’s doch eigentlich gar nicht, bei der Verletzung! Und warum hätte jemand Spuren beseitigen sollen, wenn das ganze doch ein Unfall war? Der behandelnde Arzt, Doktor Henschel bestreitet, ihr jemals ein Medikament mit dieser Substanz verschrieben zu haben. Er sagt, er habe ihr nur Ivadal gegeben, mit dem Inhaltsstoff Zolpidem. Kann es nicht auch das gewesen sein?“ Insgeheim hoffte Pilz auf eine negative Antwort, hatte er doch schon so viel Zeit und Energie in den Fall investiert. Da wäre es schon ziemlich frustrierend gewesen, wenn er die Sache als Unfall zu den Akten hätte legen müssen.
„Nein, ich bin mir absolut sicher, wir haben extra noch einen speziellen Test gemacht, das Ergebnis ist hundertprozentig.“
„Dann bedanke ich mich fürs erste, Professor, wahrscheinlich treffen wir uns ja im Gericht wieder, falls du als Zeuge gehört wirst!“
„Ja, Schwammerl, aber da musst du zuerst einmal deinen Mörder finden, früher gibt’s auch keinen Prozess!“, meinte Doktor Bruckner lachend.
„Darauf kannst du Gift nehmen, ich werd das herausfinden!, Servus!“
Auch wenn das vorangegangene Gespräch die Wahrscheinlichkeit einer natürlichen Ursache dieses Todesfalles wieder aufleben ließ setzte Pilz die Untersuchung fort und wählte nun endlich die Nummer des Finanzamtes Graz-Stadt.
„Guten Tag, hier Pilz, ich möchte den Oberamtsrat Pilz sprechen!“, diese Floskel ließ er sich immer auf der Zunge zergehen, auch wenn er den erstaunten Blick der Dame am anderen Ende der Leitung leider nicht sehen konnte.
„Hallo, Alfons, da bist du ja endlich!“, kam sein Bruder sofort zur Sache,“ Ich wollte dich schon selber anrufen! Wie gewünscht hab ich mir die Akten kommen lassen. Normalerweise zahlen Altersheime ja gar keine Steuern, weil sie unter die Gemeinnützigkeit fallen, aber bei dieser privat geführten Kette ist das was anderes. Auf den ersten Blick war nichts Auffälliges zu erkennen in den Papieren, aber ich bin heute Vormittag in das Büro vom Urban gefahren, zum Glück war nur eine Aushilfssekretärin da. So hat man mir keine Steine in den Weg gelegt. Aber sobald der Urban das erfährt, macht er mir bestimmt die Hölle heiß. Hoffentlich zahlt sich das Ganze wenigstens aus! Auf jeden Fall hab ich mir die Ordner vom Waldesruh mitgenommen und bin dann zum Heim gefahren. Dort hab ich im Büro von Frau Pröll die Abrechnungsbelege des letzten Monates angeschaut, die noch nicht in die Buchhaltung geschickt worden sind. Und jetzt kommt’s. Die gute Frau hat anscheinend eine doppelte Buchführung gemacht, und mehrere Aushilfskräfte nicht angemeldet. Außerdem lag auf dem Schreibtisch eine schriftliche Beschwerde von einem Angehörigen, worin er sich bitter beklagt, dass seiner Mutter die Zuzahlung für teure Medikamente in Rechnung gestellt worden sei, die diese niemals erhalten habe. Wegen der ersten Sache werde ich ein Ermittlungsverfahren einleiten, aber diese Geschichte mit den Medikamenten geht uns nichts an. Das musst du selbst aufklären, Bruderherz!“
„Dank dir schön, Pepi, das ist wirklich eine gute Nachricht, jetzt kommt die Sache langsam ins Rollen! Meine Nase hat mich doch nicht getäuscht. Ich melde mich wieder, wir müssen unbedingt wieder einmal einen Kaffee trinken gehen ins Cafe Stadtpark, wie wär´s denn morgen Nachmittag?“
„An sich gerne, Alfons, aber ich kann das jetzt noch nicht hundertprozentig sagen, ob ich Zeit hab. Wir telefonieren morgen noch einmal, ja?“
„Wahrscheinlich hat er Angst, dass er wieder alles selber zahlen muss, dabei wollte ich ihn doch einladen!“, murmelte der Oberinspektor etwas enttäuscht vor sich hin.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.02.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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