Germaine Adelt

Der falsche Tag

„Siehst müde aus!“, bemerkte Anne ein wenig vorwurfsvoll. Eva brummte nur und rieb sich ungehemmt die Augen. „Schätzchen, wann legst du endlich ein wenig Farbe auf?“ Ungefragt zupfte Anne Evas Haare zurecht. „So ein bisschen Rouge könnte dir nicht schaden.“

Mürrisch zog Eva den Kopf weg. „Fang nicht wieder damit an!“

„Übrigens, der Alte will dich sehen!“

„Nenn’ ihn nicht so.“

„Na klar“, flötete Anne, „ich vergaß. Man duzt sich ja, für dich ist er ja nicht der Herr Chef, sondern Wolfgang persönlich ...“

„Was soll das? Du weißt genau, dass ich ihn nicht duze.“

„Ja, das versteh’ wer will. Ich wüsste ja was zu tun sei, wenn er sich mir so geben würde.“

„Sag ihm, dass ich gleich komme“, demonstrativ nahm Eva den Telefonhörer in die Hand: „Ich muss noch einen wichtigen Anruf erledigen.“

„Wie du meinst“, erwiderte Anne beleidigt. „Ich würde ihn nicht warten lassen, aber du kannst es dir ja leisten.“

Nachdem Anne endlich aus dem Büro verschwunden war, legte Eva den Hörer wieder zurück und massierte sich leise seufzend die Schläfen. Es war einer der Tage, an denen sie sich minderwertig fühlte. Einer derer, an denen sie den Sinn ihres Daseins hinterfragte und keine Antwort wusste. Sie bewunderte all die, die sich groß und stark fühlten, ohne in ihren Augen tatsächlich etwas geleistet zu haben. Wie so oft redete sie sich ein, dass sie sich daran erfreuen sollte gesund zu sein. Aber angesichts ihrer Stimmung war es nur eine Frage der Zeit, wann auch dies aufhören würde. Sie betrachtete den vollen Aschenbecher und fragte sich, ob das nicht der unausgesprochene Wunsch war, sich heimlich aus dieser Welt zu entfernen. Alle Warnungen von Medien und Medizinern bestärkten sie eher darin weiterzumachen, als endlich damit aufzuhören. Der Alltag ödete sie an. Gleichzeitig wusste sie, dass sie weder den Mut noch den Willen hatte auszubrechen. Sie war zu müde für eine neue Herausforderung, zumal sie sich nicht vorstellen konnte, was sie in ihrem Leben ändern sollte.

„Willst du ihn verärgern?“, es war Anne, die schmollend in der Tür stand.

„Natürlich nicht“, Eva erhob sich und versuchte ein Lächeln. „Hast du eine Ahnung was er von mir will?“

„Nicht die Geringste.“

Vor seiner Tür blieb sie noch einen Moment zögernd stehen, aber es half nichts. Je länger sie ihn warten ließ, umso ärgerlicher wurde er. Wenn sie es auch verstand mit seinen Launen umzugehen, heute hatte sie kein Bedürfnis nach einer Auseinandersetzung. Eigentlich hatte sie das nie.

„Eva, da bist du ja“, strahlend kam er ihr entgegen und nahm ihre Hand. „So setz’ dich doch. Du siehst bezaubernd aus.“

Das war in ihren Augen eine Lüge. Aber bei ihm war die Wahrnehmung, was sie betraf,  schon vom ersten Tag an getrübt.

„Um was geht es?“ wie so oft vermied sie ihn direkt anzusprechen um das Thema siezen oder duzen zu umgehen.

„Wann nennst du mich endlich bei meinem Vornamen?“

Leicht errötet schwieg sie. Es war ihr peinlich, dass er sie offensichtlich durchschaute. Noch peinlicher war ihr die ganze Situation.

    Es stand außer Frage, dass er sie begehrte. Es war fast rührend mit welcher Zurückhaltung er immer wieder dabei vorging. Vermutlich war ihm klar, dass eine andere Vorgehensweise jede Illusion zerstören könnte. In seinem Alter war ein behutsames Vorgehen effektiver, zumal auch sie über Lebenserfahrung verfügte und seine führende Position sie überhaupt nicht beeindruckte. Prinzipiell war sicher, dass all seine Träume keine Grundlage hatten und sie fragte sich immer wieder, was ihn antrieb, sich ihr so zu öffnen. Sie war außer Stande sich seinen Wünschen hinzugeben, um ihn zu kontrollieren, so wie Anne es vermutlich getan hätte. Sie verspürte Angst in seiner Gegenwart. Die Macht die er ausstrahlte lähmte sie. Und so sah sie keinen Weg, als sich immer mehr zurückzuziehen.

    „Ich habe mächtige Probleme. Finanziell. Das Finanzamt hat Forderungen an mich, die ich nicht erfüllen kann. Um die Firma zu halten habe ich alle finanziellen Polster aufgebraucht. Alle, auch die privaten. Das Finanzamt will über eine halbe Million, die ich nicht habe. Auf die Nachzahlung von einhundertvierzig war ich eingerichtet, aber nicht dass die auch noch eine Vorrauszahlung von dreihundertsiebzig haben wollen. Wenn mir die Bank keinen Kredit gibt, muss ich Insolvenz anmelden.“

Die Vorstellung über Nacht arbeitslos zu werden, fand Eva nicht allzu dramatisch. Zugegeben, bei Ausbruch aus dem Alltag hatte sie nicht an den Einbruch ihrer finanziellen Freiheit gedacht. Aber letztlich war ihr sowieso alles egal. Vielleicht verbarg sich in dieser Situation tatsächlich eine Möglichkeit der Veränderung.

„Was hat das alles mit mir zu tun?“

Er kam so dicht an sie heran, dass sie unwillkürlich zurückwich. „Ich brauche deine Kompetenz, deine klare Rhetorik und dein untrügliches Bauchgefühl für die Dinge. Ich brauche dich. Dich und deine Nähe. Das Gefühl das wenigstens du mir beistehst. Ich mache dich zu meiner Assistentin. Quasi zu meiner rechten Hand, zu meiner Stellvertreterin.“

Eva schwieg. Sie brachte es nicht fertig ihn direkt abzuweisen. Nicht jetzt in dieser Situation.

„Natürlich bekommst du dann ein fürstliches Gehalt.“

„Und wenn die Bank nicht mitspielt?“

„Machen die schon. Warum sollen die mich in den Ruin treiben und riskieren, dass sie ihr Geld nicht sehen und weitere Arbeitslose zu beklagen haben.“

„Seit wann denken Banken rational?“

Sie erwischte sich bei dem Gedanken, dass bei einer Kreditverweigerung durch die Bank alle ihre Probleme gelöst wären. Sie könnte ihm für immer aus dem ihm aus dem Weg gehen, ohne es ihm direkt sagen zu müssen.

„Ach komm, sei nicht so pessimistisch“ Er stand auf und holte eine Sektflasche aus dem Schrank. „Darauf stoßen wir an.“

„Ich möchte das nicht.“

„Bitte?“

„Ich werde nicht deine Assistentin.“

Flehend sah er sie an: „Eva, das kannst du mir nicht antun. In dieser Situation brauche ich dich mehr denn je. Jemanden wie dich, der ehrlich ist und wahrhaftig. Keine dieser Ja-Sager und Schleimer. Eva, bitte.“

„Ich kann nicht“, flüsterte sie. Und ihr war klar, dass er es nicht verstehen konnte. Aber sie ertrug seine Nähe nicht mehr. Seine Überlegenheit. Seine Begierde. Sie verachtete ihn und wusste, dass sie nie die Kraft hatte sich ihm direkt zu widersetzen.

Langsam stellte er die Sektflasche zurück und ging dann zu seinem Schreibtisch. Ganz plötzlich hatte er eine Waffe. Groß, schwer und silberfarben lag sie wie selbstverständlich in seiner Hand. Demonstrativ legte er sie auf den Glastisch ab. Es war keine bloße Drohung, sie sah es in seinen Augen. Es war sein Ernst.

„Ich kann nicht mehr. Eva, verstehst du? Jeden Tag die Angst, dass mir irgendein Kreditgeber den Hahn abdreht. Jeden Tag das Gequatsche, dass ich mich glücklich schätzen soll, bei den Einnahmen die ich habe. Die Ausgaben sieht keiner. Die werden erst dann gesehen, wenn ich wie jetzt, dringend Unterstützung brauche. Dann stehen sie da wie die Lehrer und erklären mir, was ich zu tun habe und was nicht. Mir, jemanden der seit Jahrzehnten im Geschäft ist. Einen Neuanfang würde ich nur noch mit dir in Erwägung ziehen.“

Es war klar, dass ein Neuanfang für sie nicht in Frage kam und das wusste er auch. Nach wie vor verstand sie nicht, warum er es nicht wahr haben wollte. Vom ersten Tag an hatte sie ihm klar gemacht, dass es keine Gemeinsamkeit zwischen ihr und ihm geben würde. Aber je mehr sie sich ihm verweigerte, umso mehr umwarb er sie.

Und nun saß sie hier. Allein mit ihm und einer Waffe. Er war offensichtlich zu allem entschlossen und es schien ihr, als wolle er sie für alles bestrafen. Dennoch war sie nicht mehr bereit sich weiter seinen Launen hingeben zu müssen. Wenn er meinte, er müsse eine Entscheidung treffen, dann solle er es eben tun.

 

„Was ist das für eine?“

Verdutzt sah er sie an: „Was?“

„Die Waffe. Revolver, Pistole? 33er, 45er? Ich hab’ doch von so was keine Ahnung.“

„Eine 45er Magnum.“ erklärte er noch immer verwundert.

„Kann ich sie mal haben?“

Er zögerte kurz. „Wozu.“

„Einfach nur so, reine Neugier.“

Noch nie hatte sie eine Waffe in der Hand gehalten. Dass er sie vorher entsicherte empfand sie als Misstrauen. Doch es war ein eigenartiges Gefühl den Impuls zu spüren, einen Menschen einfach töten zu können, in dem man auf seinen Kopf zielte und abdrückte.

Behutsam legte sie sie wieder zurück auf den Glastisch. „Willst du mir drohen?“

„Vielleicht“, murmelte er ohne sie anzusehen. „Eva ich liebe dich.“

„Nein das tust du nicht. Es mag Begierde sein, aber mit Liebe hat das nichts zu tun.“

„Warum verweigerst du dich mir?! Weil ich verheiratet bin und nicht offen zu dir stehen würde?“

„Vielleicht“, murmelte sie vielsagend. Sie wollte und konnte ihm nicht sagen, dass ihr allein der Gedanke an Intimität mit ihm regelrecht Angst machte. Und wenn er sie wirklich lieben würde, würde er es erkennen und akzeptieren und sie endlich in Ruhe lassen.

„Sag das du mich liebst!“, bettelte er.

Schweigend erhob sie sich um zu gehen. Er hatte sich den falschen Tag ausgesucht und letztlich die falsche Person.

 

Den ersten Schuss hörte sie noch. Erstaunt sah sie, wie sich ihr Pullover von ihrem Blut rot färbte, ohne jeglichen Schmerz zu verspüren. Erschrocken stürzte er auf sie zu um sie aufzufangen. Fast liebevoll drückte er sie an sich und schluchzte dann leise. Das Letzte was sie sah, war, wie er sich die Waffe an seine linke Schläfe hielt.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.02.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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