Maureen Böhnstedt

Der Mann mit dem Motorrad

Ich war eine Woche krank und meine Kollegin sagte mir, dass wir seit einer Woche einen neuen Kollegen haben. „Er fährt Motorrad“, sagte sie ein wenig abfällig.
Mein Interesse war geweckt. Denn Motorräder und Männer, die diese fahren fazinieren mich.
Die Tür ging auf und dann stand er da, in seiner Lederhose und sah so gut aus. Gross, dunkel-haarig und ein so wundervolles Lächeln auf seinem Mund.
Wenn ich nicht gerade in einer Beziehung gewesen wäre, hätte mich wohl auf der Stelle in ihn verliebt.
Er stellte sich vor, Philipp. Ein schöner Name.
Es dauerte nicht lange, bis wir ins Gespräch kamen. Wir redeten, lachten und verstanden uns, als würden wir uns seit Jahren kennen. Der Tag verging schnell und ich musste nach Hause, wo ich gar nicht hin wollte.
In den nächsten Tage fragte er mich, ob ich mit auf seinen Motorrad fahren möchte. Was für eine Frage, natürlich wollte ich.
Er brachte mir einen Helm mit und fuhr mich nach Hause. Des öfteren holte er mich auch von zu hause ab. Dieses Gefühl war unbeschreiblich. Sobald ich hinter ihm sass, meine Arme eng um ihn geschlungen hatte und er los fuhr, war alles vergessn. Die tausend Probleme die ich hatte, die Nächte in denen ich kaum geschlafen hatte, weil mein Freund mal wieder nicht nach Hause kam. Die Stunden der Verzweiflung und er vielen Tränen. Einfach alles. Ich fühlte mich so frei und glücklich, wie schon so lange nicht mehr. Wollte nicht mehr weg von ihm und seinem Motorrad.
Doch die Tage zogen ins Land.
Wir wurden immer bessere Freunde. Ich erzählte ihm meine traurige Lebens- und Liebesgeschichte. Und er wollte mir weis machen, dass es nichts besseres gäbe als Motorrad zu fahren. Ich war drauf und dran ihm zu glauben. Bis er eines Tages ins Büro kam, total verspätet und mich ansgrinste. Als wir später alleine waren, sagte er mir, dass er sich getäuscht hätte, es gäbe noch was besseres als Motorrad zu fahren.
Er hatte jetzt eine Freundin, deshalb kam er auch zu spät.
Als er mir von ihr erzählte leuchteten seine Augen, und man spürte die Liebe und die Leidenschaft, die er für sie empfand. Ich freute mich so sehr für ihn.
Die Tage in der Arbeit vergingen so schnell. Auch weil er nur Blödsinn im Kopf hatte, nahm das alles nicht ernst. Für ihn war das ein Job für die Semesterferien.
Einmal bestellte er uns abends, weil wir länger arbeiteten, Pizza ins Büro. Oder wir beschossen uns mit dem Tacker. Die arme Putzfrau. Doch die meisste Freude hatte er, und irgendwann auch ich, wenn er andere Leute auf den Arm nehmen konnte. Da er das wohl bei all seinen Freunden schon gemacht hatte, mussten meine daran glauben.
Ihn zu beschreiben ist schwer. Er war so unbeschwert, vieles war ihm egal. Hauptsache er hatte Spass am Leben. Aber nie machte er was, was andere schadete. Einmal sagte er mir, „wenn ich sterbe, möchte ich sagen können, dass ich mein Leben gelebt habe“. Das war wohl sein Lebensmotto und ich bekam davon eine ganze Dosis von ab.
Wir unterhielten uns über Literatur, den Tod, Frauen, Bourbon und manchmal in der Mittagspause las ich ihm was aus meinem Buch vor.
Unser Büro war im obersten Stockwerk, dreizehntes oder vierzehntes. Über uns war nur noch das Flachdach. Eines Tages meinte Philipp, dass er mit mir da hoch will. Ich hielt ihn für komplett durchgeknallt. Doch ich machte mit. Über eine Treppe gelangten wir darauf. Natürlich durften wir nicht da oben sein. Doch diese Aussicht war überwältigend. Ich fühlte mich so leicht, als wäre alles andere so weit weg.
Wir kamen wieder runter, ohne das es jemand merkte.
Und dann kam der letzte Tag, den wir zusammen verbrachten. Er wollte über Ostern zu einer Freundin und danach ging sein Studium weiter. Ich wünschte mir bei ihm bleiben zu können. Denn bei ihm vergass ich meine Sorgen, meine Ängste. Fühlte mich wieder lebendig.
Doch auch der Tag verging. Ich setzte mich ein letztes mal auf sein Motorrad und er fuhr mich nach hause. Ich hoffte, dass diese Fahrt nie enden würde. Doch dann bog er in meine Strasse ein. Fuhr vor mein Haus und ich musste absteigen. Wir redeten noch kurz und verabschiedeten uns mit einem Kuss. Natürlich nur auf die Wange, rein freundschaftlich.

Ostern verging. Es war nicht besonders schön für mich. Es gab nur Streit und Zoff. Wollte von zu hause weg. Wieder arbeiten. Auch wenn Philipp nicht mehr in der Stadt war.
Ich wollte ihn anrufen, dafür ging ich in die Aktei, da war ich ungestörter. Wählte seine Nummer und wartete. Eine fremde Männerstimme meldete sich. Komisch. Doch noch dachte ich mir nichts dabei und fragte, ob ich Philipp sprechen konnte. Diese fremde Stimme sagte etwas, was ich nicht verstand und nicht glauben konnte. Er sagte, Philipp sei mit dem Motorrad tödlich verunglückt. Das konnte nicht sein. Nein, er war nicht . . . Die Stimme (sein Vater) redete weiter, dass die Beisetzung in ein paar Tagen ist und auf dem Westfriedhof. Wieso Friedhof? Wieso Beisetzung? Und dann hörte ich meine Stimme, gefasst ohne zittern. Ich redete von irgendeinen Schlüssel, den ich noch brauchte. Sagte ihm, dass ich mich noch mal melde. Legte den Hörer auf und sass an dem Tisch und wartete. Keine Träne, kein Schrei, gar nichts. Ich guckte auf das Telefon und wartete, dass es klingelte. Das Philipp dran ist und er mir sagt, dass es nur wieder einer seiner Scherze ist. Aber dieses blöde Telefon klingelte nicht. Vielleicht war es ja kaputt. Vielleicht wusste er die Nummer nicht. Keine Ahnung wie lange ich da sass. Doch irgendwann kamen die Tränen. Der Schmerz kroch ganz langsam in meinen Körper. Er frass sich durch ihn durch, bis er an mein Herz kam und ich ihn nicht mehr aushielt. Ich verkroch mich in die hinterste Ecke und weinte, wie nie zuvor in meinem Leben. Es dauerte bis ich es wirklich realisierte. Doch was sollte ich jetzt tun? Die Welt hatte nicht aufgehört sich zu drehen und ich . . .
Ich musste weiter arbeiten, es verdrängen, musste wieder stark sein nach aussen. Also rappelte ich mich auf, versuchte die Tränen und den Schmerz wegzuwischen und ging an die Arbeit. Einige Zeit ging es, doch eine Kollegin merkte was und fragte, ob etwas passiert sei. Und dann kamen wieder diese Tränen und dieser Schmerz. Sie versuchte mich zu beruhigen und meinte ich soll nach hause gehen. Doch was sollte ich da. Zu hause lag mein Leben in Scherben. Ich war verloren, konnte weder vor noch zurück.
Heute weiss ich nicht mehr, wie ich die nächsten Tage überstanden habe.
Zu seiner Beisetzung konnte ich nicht gehen. Ich war zu schwach und hilflos. Kannte keinen seiner Freunde oder jemanden von der Familie. An diesem Tag ging ich aufs Dach, alleine. Ich stand da oben und dachte an ihn. Wie er mich jeden Tag zum lachen brachte oder ich hinter ihm auf seinem Motorrad sass. Ach hätte ich doch an seinem Unglückstag auch nur drauf gesessen. Dann wären wir jetzt zusammen und ich müsste nicht alleine auf der Erde umher wandeln. Meine Gedanken flogen weit weg und ich wünschte mir, dass auch mein Körper fliegen konnte. Doch getraut habe ich mich nicht.

Das ist meine erste Geschichte, die ich geschrieben habe. Eure Meinung würde mich sehr interessieren. Danke.Maureen Böhnstedt, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.02.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Wörterworte von Iris Bittner



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