Christine Maier

Schneegarten

Wie lange schon? Du sagtest ich soll endlich aufhören damit und ich bin weggelaufen. Jetzt tut es dir bestimmt Leid! Ich bin einfach hinausgelaufen. Mir ist alles egal. Wenn du mich nicht willst. Also bin ich gelaufen, gerannt, gelaufen. Meine Lunge hat gekrampft. Zerrendes Herzklopfen. Verzerrend. Dann wurde ich langsamer. Atmen. Und ich sog gierig die schneidenden Eiszapfen ein.
 
Hmm, es ist schon dunkel. Aber das ist gut so. Dann sieht niemand, dass ich geweint habe. Die Tränen beginnen schon mir im Gesicht einzufrieren und meine Augen haben aufgehört irgendwas zu fühlen. Wenn ich noch weinen könnte würden mir sicher die Augäpfel herausfallen. Ich bin so müde vom Laufen. Es hat angefangen zu schneien und es macht mir nichts aus. Schade nur um das Kleid. Ich hatte es extra für diesen Abend gekauft und jetzt ist es ruiniert. Ich wollte schönsein für dich, aber dann hast du wieder geschrieen. Meine Knochen splitterten unter deiner Stimme, zumindest habe ich gehört, dass etwas in mir bricht. Vielleicht war es auch nur etwas Ausgebrochenes. Oder etwas Zerbrochenes.
Ich habe ein zerbrochenes Stück Glas gefunden, es war wohl einmal eine hübsche Figur, die irgendwo in einem Schrank verstaubte, solange, dass man sie vergessen hatte. Und aus dem Vergessen heraus wohl umstieß. Sie lag neben dem ganzen anderen Müll. Ein Stück habe ich mitgenommen. Ich wollte sehen wie es in mir aussieht.
 
Es ist kalt.
 
Aber das ist ja normal im Winter. Meteorologen sagen das, dabei wird es jedes Jahr wärmer. Das Klima spinnt halt. Aber heute Nacht ist wirklich Winter. Innen und Außen. Ich will mich setzen. Ich kann nicht mehr. Meine tauben Füße nehmen mir die Entscheidung, wo, schon ab. Einfach kurz liegen, nur ausruhen.
 
Irgendwann geben sie nach und dann kann ich ausruhen. Ganz ruhig. Wie ruhig es hier ist. Der Wald ist wie ausgestorben. Alle verkriechen sich vor der Kälte, dabei sind sie doch alle selbst kalt. Es merkt nur keiner oder lässt es sich nicht anmerken. Aber ich weiß es besser! Ich kenne mich. Ich bin schon lange tot. Von innen heraus erstarrt. Ihr Bastarde! Seht ihr es denn nicht?! Es ist alles tot!
 
Aber Schwamm drüber. Warum sich wieder und wieder darüber aufregen. Es geschieht sowieso nichts.
 
Hm, diesen Weg kenne ich, vielleicht war ich hier schon mal. Der Schnee macht alles gleich, so dass ich schon überall gewesen sein könnte. Ich geh einfach weiter gerade aus. Immer vorwärts und nicht umschauen, sonst sehe ich die Schatten. Und sie sehen mich.
 
Wie lange ich wohl schon so herumlaufe. Und ich werde immer langsamer, alles geht ganz langsam in Kälte über und Kälte ist still.
 
Ich will mich hinlegen, dort auf der kleinen Lichtung. Wie melodramatisch, wenn man mich hier findet. Hat vielleicht ein bisschen was von Schneewittchen. Egal. Hier will ich liegen, hier will ich fallen. Gute Nacht...
 
Ich habe keine Lust mehr. Lustlos lieg ich hier. Morgen werde ich sicher krank sein. Mein Puls geht runter. Wie angenehm das ist. Ganz langsam. Ist das das Leben das aus mir heraus fließt oder nur die Wärme? Eigentlich friere ich immer schnell aber jetzt ist es mir egal. Es ist gut so. Warum aufstehen?
 
Es wartet ja niemand auf mich.
 
Schneeflocken schmelzen in meinem Gesicht. Etwas Einmaliges vergeht in einem kurzen Moment auf meiner Haut und niemand wird je wissen wie du ausgesehen hast kleine Schneeflocke. Wenn du das ahnen könntest, wärest du sicher traurig darüber. Niemand will vergessen werden.
 
Der Schnee beginnt auf derHautzubrennen.br  
Ich reagiere mit einer kurzen Zuckung um die Mundwinkel. Zu mehr fehlt mir die Lust. Du fehlst mir. Wenn ich dich doch nie kennen gelernt hätte, dann wäre dieses schöne Kleid nicht voller Blut. Du hast mich befleckt. Deine Liebe war niemals etwas  Reines. Je länger sie dauerte desto dreckiger wurden meine Gedanken. Ich habe oft für dich geblutet. Aber du wusstest das nie zu schätzen.
 
Das ist ja jetzt vorbei. Alles zieht vorbei. Der Ast ist ganz verschwommen. Ich sehe ihn nicht mehr. Lieber mache ich die Augen zu, dann brauche ich mich darum nicht zu kümmern. Ich hatte schon genug Kummer.
 
Ich erinnere mich. Aber alle Erinnerungen verschwinden so schnell wie sie gekommen sind. Ich kann meine Gedanken nicht länger festhalten. Alles entgleitet mir. Ich gehe weg. Wohin willst du wissen? Das sage ich dir wenn ich dort bin. Hoffentlich weit weg von dir, Verräter!
 
Ich laufe weg! Ich falle! Du konntest mich noch nie halten, niemals konntest du mich fangen, obwohl du es mir versprochen hast!
 
Du bist gemein. Mama war auch immer gemein zu mir. Ihr seid alle blind. Nein, ich mag nicht deine Puppe sein. Geh weg.
 
Oh, da ist ja der Löwe aus dem Zoo...Warum reitest du linksherum...Nein, ich will heute nicht lachen... warum lauft ihr denn alle weg...?
 
Hast du denn nicht gesehen... die Käfer haben deine Puppe ... verkabelt... aber das ist...
 
Lauf nicht weg... ganz... und...ohne mich... der Schneegarten........
 
Aus...
 

 

 
Vermisst
 
Gestern Abend wurde die  Leiche einer jungen Frau im nahe gelegenen Wald gefunden. Die Polizei geht nicht von einem Gewaltverbrechen aus. Die 22-Jährige wurde am 19. Januar 2005 von ihrem Lebensgefährten als vermisst gemeldet. Sie hatte nach einem Streit fluchtartig die gemeinsame Wohnung  verlassen und war seitdem unauffindbar. Nähere Informationen sind bisher nicht bekannt. Bekannt ist nur, dass sie bis vor wenigen Wochen vor ihrem Verschwinden in therapeutischer Behandlung war. Ein Selbstmord wird nicht ausgeschlossen...
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 18.02.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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