Veith Weidenfeldt

Der Hehre Hass des Heiligen K.: Teil II

Teil II

-was bisher geschah-
der Soziallegastheniker Hannes, dessen Name bisher überhaupt nicht aufgetaucht ist, und der hier also kein bißchen zum Verständnis der Geschichte, die sowieso keine wirkliche Handlung hat, sondern nur einen schwer erträglichen Fluß von unzusammenhängenden Gedankengrotesken darstellt, beiträgt, dieser krumme Typ also hat verschlafen und bewegt sich gerade, arge Aggros schiebend und Sternburger schlürfend, zum Institut für Informatik an der FU Berlin, wo er im sechsten Semester studiert, um dort Hausaufgaben abzuschreiben und eventuell zur Vorlesung zu gehen. Mehr ist eigentlich nicht passiert.



Milde betäubt trete ich durch die Tür des Instituts, in schattige Kühle und stehende Luft. Aus dem Hörsaal dringt die elektrisch verstärkte Stimme des Profs, stumm staunend lauschen ihm die Zweitsemester, unter denen ich jeden Montagmorgen verbringe, weil ich seit drei Jahren am gleichen Schein scheitere. Ich stehe in der Tür zum Hörsaal, dem Autitorium gegenüber. Das riesige, vieläugige Monster vor mir läßt seine Blicke gelangweilt zu mir schweifen, 150 schmalbrüstige, bebrillte Junginformatiker in karierten Hemden mit Nasenbluten nehmen meine Ankunft milde interessiert zur Kenntnis. Informatiker! Die Mitte der Sitzreihen ist durchweg verwaist, außen drängen sich die Soziophoben wie Hühner auf der Stange. Kein Durchkommen. Es ist viertel nach elf. Eine letzte halbe Stunde Vorlesung ist sowieso von nur zweifelhaftem Nutzen. Während ich kehrtmache, trifft mein Blick kurz den des Professors, und eine anstrengende Intimität schiebt sich für einen langen Augenblick zwischen uns und die pünktliche Masse. Es ist ein würdiger und weiser Mann, der uns unterrichtet. Sein Blick ist nicht streng, nicht mitleidig, sondern fragend. Ich verlasse den Hörsaal. Er sieht mich scheitern. Jeden Montag. Ich spiele die Rolle des lässigen Rebellen allerdings souverän weiter, als ich erhobenen Hauptes federnd aus dem Hörsaal schreite. Was bin ich sexy! Wäre ich eine Frau, wär ich auf mich dergestalt scharf, aber so was von!

Ich gehe die Treppe ins Untergeschoß hinab, um mir einen Kaffee zu kaufen und meine darbende Blase zu erleichtern. Ich bekomme, mittlerweile im sechsten Semester, von den guten Seelen, welche den Nahrungsverkauf übernehmen, Mitleidsrabatt auf Kaffee und Riegel. Besonders Montags. Ich schlürfe gerade zitternd an meinem großen Kaffe für 65 Cents, fünf Cent billiger, weil ich meinen eigenen Becher mitbringe und lutsche an meinem Gratissnickers, als mir das Glück zuteil wird, einen der kleinen überbegabten Zweitsemester gewahr werden zu dürfen. Er muß die gleichen Hausaufgaben abgeben wie ich und hat, wie ich ihn kenne, die schon seit einer Woche fertig. Ich beginne unter Vorwänden ein anstrengendes Gespräch, Smalltalk untersten Niveaus, um vorsichtig anzudeuten, daß es zwischen mir und meinem Übungspartner in der einen oder anderen Aufgabe gewisse Differenzen gebe, was den Lösungsweg betrifft und ich mir nicht sicher sei und keine falsche Lösung abgeben wolle und ich mir gern mal die Ergebnisse von jemand anderem anschauen täte, zum Vergleich sozusagen. Ich sage nicht, daß ich das ganze Wochenende durchgesoffen habe (Duncker, Mudd Club etc.) und keinen kleinen Finger für die Uni krumm gemacht. Vielleicht denkt er deshalb nicht daran, mir endlich seine Lösungen zu geben. Blöde Sau. Ich frage also schließlich, ob ich mir seine Lösungen mal ansehen könne. Ab hier ist das Protokoll ermüdend und demütigend.

Der Tag droht mir zu entgleiten, meine Stimmung sinkt bedenklich. Ich muß schnell was trinken. Ich trotte hinter dem Zweitsemestler her, der es sich nicht nehmen läßt, seine sämtlichen Zweitsemestlerfreunde langwierig zu begrüßen, während ich wie Falschgeld danebenzustehen verdammt bin, an meinem Kaffee sauge und Aggressionen entwickle. Endlich haben wir einen freien Rechner gefunden, an dem sich der Grünschnabel anmeldet, mir seine Hausaufgaben zeigt und sie mir dann, nach weiteren Überredungsanstrengungen, auf meine Institutsemail schickt. Erhobenen Hauptes zieht er ab. Dreckskind! Kulturloses Pack, diese Computergören! Aber wenn jemand wie ich seine freie Zeit den schönen Künsten widmet und deshalb keine Zeit für sinnlose Hausaufgaben hat, zicken sie rum. Ich logge mich unter meinem Profil ein, ändere rasch ein paar Bezeichner, setze den Namen meines Übungspartners über meinen und schicke das Ding an den Duplex-Laserdrucker im Mittelgang. Dorthin tragen mich meine Gummibeine als nächstes. Scheiße! Kurz vor zwölf ist die Meute, die sich um den Drucker zusammenrottet, traditionell immens. Ich schiebe mich kurz durch die Horde, um den unwahrscheinlichen Fall ausschließen zu können, daß meine Hausaufgabe schon draußen ist und um Körperkontakt mit einer steilen kleinen Bioinformatikerin herzustellen. Dummerweise bermerke ich nicht, daß ihr Freund danebensteht, der sowieso auf mich nicht gut zu sprechen ist, und der mir nun finstere Blicke zuwirft, als ich seine Schnitte zärtlich beiseite schiebe. Mist. Meine Bierfahne wird mit allgemein bewundernden Blicken quittiert. Die Torte guckt mich komisch an. Ich glaube, sie steht auf mich. Hähä!

Für die blöde Warterei kann ich mich grade jedoch nicht so erwärmen. Ich muß außerdem schleunigst was trinken. Die Cafete hat Alkoholverbot. Zum Glück habe ich ja die Buttel Wein dabei. Hihi! Ich mache es mir auf der Wiese vor dem Institut in der Sonne gemütlich, schnell ist die Flasche entkorkt, der Kaffeebecher gefüllt und der erste tiefe Schluck genommen. Hm! Bioinformatikerinnen flanieren vorbei. Ich werfe ihnen sexuläre Blicke zu und fühle mich geil. Zum Glück sind sie außer Riechweite. Der freundliche Rotwein legt sich wattig weich um meinen schmerzenden Schädel, die Sonne scheint warm von oben auf denselben. Dumm: irgendwie muß ich ja noch die Hausaufgaben abgeben. Seufzend will ich mich erheben, als mein Kommilitone Matthias um die Ecke biegt und fröhlich auf mich zu kommt. Er hat Pilze gekauft. Wir teilen uns ein Duftsäckchen und warten auf den Flash. Eine kleine Tüte ist ebenfalls schnell gedreht. So sitzen wir zufrieden untätig im warm uns umflutenden Sonnenlicht, rauchen, staunen, haben gute Laune und schmarotzen uns so bafögfinanziert durch unsere von Vater Staat finanzierte Regelstudienzeit, die wir natürlich nie im Leben einhalten können. Zur kulturellen Erbauung zücke ich mein Büchlein. Tschingis Aitmatov: Dshamilja. Eins der schönsten Bücher der Welt. Ich lese eine besonders schöne Stelle gegen Ende vor und wir weinen zarte Tränen der Rührung, dann sagt mir Matthias, ich solle mal duschen. Verschwommen nehme ich kleine leptosome Informatiker wahr, die zum Haupteingang trotten, zur 12-Uhr-Vorlesung. Voller Skepsis und Abscheu sehen sie zu uns Hippies herüber. Demonstrativ nehme ich einen letzten Zug vom Joint durch die Faust. Leider guckt keiner.

Matthias liegt im Gras und pennt. Scheiße: Hausaufgaben! Ich lasse ihn erstmal liegen und mache mich auf den Weg zum Drucker. Allmählich kommen die Pilze, holla! Wankend humple ich die Treppe herunter. Ich laviere mich schwankend durch die inzwischen nur noch ungefähr zweiköpfige Menge um den Drucker, rempele trotzdem, unverständliche Entschuldigungen murmelnd, beide an, krame in einem feisten Konvolut von wichtig aussehenden Ausdrucken, und finde schließlich, nach zwei Ewigkeiten, endlich meinen Zettel, habe inzwischen aber sämtliche anderen Ausdrucke durcheinandergebracht und muß mich beeilen wegzukommen, um nicht von aufgebrachten Bachelorn verprügelt zu werden. Ich will also gerade in den ersten Stock davonkriechen, wo die Tutorenfächer sind, als zwei Kommilitoninnen mich begrüßen, leicht entrüstet, daß ich sie bisher nicht bemerkt habe.
„Hallo, Hannes! Läuft einfach an uns vorbei“
„Mähährngnräh. Äh!“ sage ich und gebe mir Mühe, nicht umzukippen.
„Was?!“
„Huär!“
Die Frauenquote unter Informatikstudenten liegt bei circa zwei Promille. Die Hälfte davon ist mit irgendwelchen Mathecheckern unter der Haube, die andere Hälfte häßlich. Diese beiden sind zwar frei, trotzdem sollte man es sich nicht verscherzen, man kann sie nämlich noch brauchen, um sich über sie an leckere kleine Bioinformatikerstsemesterinnen ranzuschmeißen. Obwohl es im Sommersemester logischerweise keine Erstsemester gibt, man kann nämlich nur im Oktober anfangen. Mein Blickfeld bewegt sich irgendwie nicht nachvollziehbar. Ich kann die Senkrechte nicht ausmachen.
„Muß...hoch...abgeben...bisspäter!“ röchele ich und trete die Flucht an. Was waren das für Pilze! Meine räumliche Wahrnehmung verschiebt sich. Die Umgebung rückt irgendwie von mir weg, das mich umgebende Stimmengewirr verschwimmt zu einem matschigen brummenden Klangteppich, aus dem sich jetzt hinter mir langsam und weit weg ein Fluch schält;
„Wer zum Henker hat in meinen Ausdrucken herumgewühlt!!“
Ich torkle an den offenen Rechnerräumen vorbei, ausdruckslose Gesichter wenden sich mir zu, langsam, und drehen sich wieder weg, zurück zum stummen Dialog mit dem flimmernden Gerät. Vier Brüste kommen auf mich zu, denen ich instinktiv hinterherblicke, wobei ich gegen eine geschlossene Tür renne. Angewiderte Artikulation. Erektion. Risse in den Wänden. Rechts und links von mir bersten Computer, deren pulverisierte Einzelteile in Zeitlupe in einem glühenden, schmorenden Plastikregen an mir vorüberschweben. Schwitzende Physiker vergewaltigen verzückt jauchzende Bioinformatikerinnen. Ein gewaltiges Erdbeben bricht los, das Gebäude neigt sich unaufhörlich, als sich die Quartiärtektonik irreparabel verschiebt. Nur durch diesen Umstand schaffe ich es die Treppe hinauf. Unwissende Studenten sehen mich verständnislos an, als ich sie warnen will. Ich stürze durch die Tür zum Gang im ersten Stock und versuche mich zu orientieren. Ich muß bergauf, um zu den Fächern zu gelangen. Stöhnend beginne ich den Aufstieg, taumle entkräftet den Gang entlang, stütze mich an den rissigen Wänden ab, beiße die Zähne zusammen. Hinter einer Glasscheibe sitzen einige Professoren um einen Tisch, sie haben das Erdbeben scheinbar nicht mitbekommen. Wahrscheinlich besoffen. Ich sehe meinen Tutor, er hat gerade sein Fach geleert. Noch zwei Schritte, dann habe ich es geschafft. Ich recke ihm zitternd meinen Ausdruck entgegen. Er sieht es ungläubig an. Ich auch: Ich halte ein Pornoheftchen in der Hand, wie ist das dahingekommen? Ich wühle in meinem Rucksack, wo ich die Hausaufgabe finde, gebe ihm die und wünsche ihm unter Bemühung einer entsetzlichen Grimasse ein schönes Wochenende, woraufhin er mich belehrt, es sei Montag, ich irgendwas von Kater und Schlafdefizit fasele und den Rückweg antrete. Angenehm schnell schaffe ich es die Treppe herunter, und die warme, helle Sonne, die mich empfängt, als ich mich aus dem Haupteingang schleppe, rührt mich zu Tränen.

Im Gras liegt Matthias mit meiner Flasche Wein, die ich mich gerade aber nicht zu evakuieren traue, weil sich mehrere Studenten um meinen Kumpanen versammelt haben, die vergeblich versuchen ihn zu wecken. Schade drum, ich bin allerdings gerade echt überfordert. Ich biege schnell schwankend um die Ecke, wo ich mich erstmal ins Gebüsch übergebe. Langsam komme ich wieder klar. Die tektonische Situation normalisiert sich, ich kann wieder oben und unten unterscheiden und einigermaßen das Gleichgewicht halten. Derb. Ich trotte müde den Tom-Trotter-Weg entlang, Richtung U-Bahn.

In der Arnimallee stalkere ich zwei knapp bekleideten wahrscheinlich Mathematikerinnen hinterher, die Sommersonne weckt viehische Begierde. Sie schlendern Richtung Mensa. Zwar bin ich hungrig, ich weiß aber, daß mein Futterkonto leer ist und sich der lange Weg nicht lohnt. Der Plan, ein Glas Wein zu zapfen, es unbemerkt zu assimilieren und schleunigst wieder zu verschwinden, ist aus meiner zunehmenden Austrocknung geboren und schnell ausgeheckt. Ich folge den beiden Hinterteilen also weiterhin, den Rudi-Dutschke-Weg entlang. Während ich an der Glasfassade der Mensa vorbeilaufe, versuche ich zu sondieren, was es heute so alles gibt. Ah, Pampe. Lecker. Ich kann es mir leider nicht leisten.

In der Vorhalle steht von Zeit zu Zeit ein Fäßchen Wein, das dem durstigen Studenten zur Selbstbedienung zur Verfügung steht, welcher dies dann auf sein Tablett stellt, sich damit dann in die Schlange vor der Essensausgabe einreiht, um Pampe mit Kartoffeln bittet und Pampe mit Reis bekommt, den ganzen Kram zur Kasse schleppt, wo eifrige Damen in unglaublicher Geschwindigkeit einen am Fraßhaufen gemessenen Preis veranschlagen, welcher dem Studiosus, der seine Magnetkarte in den Leser schiebt, von seinem Futterkonto abgezogen wird. Meines ist leer, ich habe kein Geld dabei, deshalb nehme ich mir jetzt ein leeres Glas, drücke mich unbemerkt zum Fäßchen und fülle das Gefäß, während ich mich dicht an den Hahn lehne, um Blicke abzuschirmen. Neben mir sind die vorgesehenen kleinen Weingläser aufgereiht. Ich blicke mich verstohlen um. Gut. Keiner scheint bemerkt zu haben, was ich hier treibe. Ich verstecke mich hinter der Safttheke und trinke das Glas aus. Das Glas bleibt auf dem Boden stehen, ich nicht länger hier, und so marschiere ich hurtig davon, der Versuchung widerstehend, mir noch ein Glas zu genehmigen. Bloß schnell weg hier.

Niemand wollte sie, keiner hat drauf gewartet, hier ist sie trotzdem: Die Fortsetzung der sehnlichst ignorierten, weil schlechten Geschichte um Figuren, die am Rand der Gesellschaft stehen, selbige aber trotzdem zu retten sich imstande sehen. Hurra! Mehr davon!Veith Weidenfeldt, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.02.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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