Horst Dreizler

Das Gesicht

Aufgewachsen bin ich an der Grenze, damals, als man noch eine Menge Papiere brauchte um auf die andere Seite zu wechseln, in einem Dorf ohne Zukunft, von dem es nicht lohnt, zu erzählen, an das ich mich kaum erinnere. Meinen Vater habe ich nie gekannt, er hat die Papiere schon vor meiner Geburt ausgefüllt und sich von dannen gemacht, auf die andere Seite, so erzählte zumindest meine Grossmutter. Meine Mutter sprach nicht über ihn, sie ballte nur die Fäuste, bis die Knöchel knackten, wenn ich auf das Thema kam, also liess ich es dann.
An was ich mich aber erinnere waren die Nachmittage in der Stube der Grossmutter.
Da sammelte die Alte immer alle Enkel um sich und das waren eine Menge, denn wir waren dort alle miteinander verwandt, in diesem Dorf.
Sie streichelte jedem über den Kopf, verteilte harte Zimtplätzchen und wir tranken Salbeitee aus einer Emaillewanne, in der sie morgens ihre Fussbäder nahm. Ich glaube, alle Kinder wussten dies , wir ekelten uns, aber kein Kind weigerte sich zu trinken, denn sie beobachtete uns streng und wir liebten sie.
Dann erzählte sie ihre Geschichten von Wichteln und Feen, von den alten Weissagungen der Apokalypse und den ungeheueren Schätzen, die entlang der Grenzen vergraben seien, von unglücklichen Reisenden, die keine Papiere hatten , Flüchtlingen vor den Kriegen im Westen...sie wusste so viel und wir sassen mit offenen Mäulern da und die Zeit verging wie im Flug.
Gegen Abend legte Grossmutter jedem noch einmal die Hand auf den Kopf und prophezeite die Zukunft, so nach der Art“ bei deiner Geburt stand die Venus im Süden, du wirst glücklich werden mit einem Mann und viele Kinder haben“...“ bei dir stand der Mars rot am Himmel, du wirst ein grosser Feldherr“...jedem Kind weissagte sie und jedem eine glückliche Zukunft, nur bei mir, bei mir wurden ihre dunklen Augen noch dunkler, ihre faltigen Mundwinkel zogen sich nach unten und sie flüsterte:“ Dir sage ich nichts, du hast das Gesicht, gebe dir Gott die Kraft, es zu ertragen...“
Ich verstand sie damals nicht, ich fragte auch nicht nach, obwohl mich die anderen Kinder damit aufzogen, dass ich keine Zukunft hätte, über die es sich lohne zu berichten, mir gefielen ihre Geschichten und deshalb kam ich zu ihr und dafür liebte ich sie.

Es war am Tag nach meinem 15.Geburtstag und Zigeuner zogen durch das Dorf, wie jedes Jahr nach der Schneeschmelze. Sie kamen an fast jedes Haus, zumindest dorthin, wo sie die Hunde nicht losgebunden hatten, boten ihren Trödel an und schliffen Messer und Scheren für ein paar Pfennige.
Und wie jedes Jahr gab es wieder Gezeter und Geschrei, dieses Mal schrie der alte Jandrak, den sie immer den Tag über im Rollstuhl auf die Veranda fuhren am lautesten, er sei bestohlen worden, seine goldene Uhr wäre verschwunden, das Zigeunerpack sei es gewesen. Das ganze Dorf kam herbeigelaufen, auch die Zigeuner und der Alte tobte und kreischte, dass man meinte, in trifft gleich der Schlag.
Eine alte Zigeunerin trat vor, starrte Jandrak mit grossen Augen an und flüsterte heiser:“ Wir haben deine Uhr nicht gestohlen und das weisst du genau!“ Mit einem Mal war der Alte still, drehte sich quietschend in seinem Rollstuhl und rollte sich zur Tür. Die Menge zerstreute sich bereits, „der Alte spinnt“, war der überwiegende Tenor, aber da und dort waren auch Feindseligkeiten gegen die Zigeuner zu hören.
Ich blieb stehen und beobachtete Jandrak, wie er mühevoll die Haustüre erreichte, irgend etwas hielt mich fest und als er gerade den Knauf der Türe griff, drehte er sich noch einmal um und mein Herzschlag setzte aus. Ich starrte entsetzt in die Visage eines Monsters, mit fahlen, hochgezogenen Wangenknochen, schrägstehenden, gelben Wolfsaugen und hinter dem halboffenen Maul blitzten dolchlange Fangzähne.
Sekunden später war es wieder der Alte, mit seinem zerknitterten und verkniffenen Gesicht, so, wie ich ihn kannte, vielleicht hat nur der Verandapfosten einen Schatten auf ihn geworfen. Ich schaute mich um, niemand hatte es wohl bemerkt, nur die alte Zigeunerin sah zu mir herüber.
Tage später, da waren die Sintis schon weg, fanden seine Kinder die goldene Uhr im Rahmen des Rollstuhls, als sie Jandrak über die Türschwelle hievten , brach der eine Haltegriff ab und sie kam zum Vorschein...er hatte gelogen, der Zigeunerhasser.

Später sah ich sie noch oft, die Ungeheuer, auf Arbeitsämtern, Sozialämtern, in Polizeiwachen, im Knast, bei Vermietern, Arbeitgebern, immer dann, wenn es um Macht ging, um unberechtigte Vorteilnahme aber es waren immer jeweils nur Sekunden, ich gewöhnte mich daran, ich wusste, es geschieht Unrecht, aber ich lebte damit und abends in meinem Zimmer öffnete ich das Fenster und lauschte der Nachtigall und dachte an meine Grossmutter, die mir keine Zukunft prophezeit hatte, sondern nur das „Gesicht“ und ich dachte, so muss es wohl sein, so ist es bestimmt...

Dann diese schrecklichen Geschehnisse in Heidelberg.
Den Studienplatz bekam ich über die ZVS zugewiesen, das Zimmer dazu nicht.
Nach einigem suchen und etlichen feuchten Nächten auf den Neckarwiesen fand ich über eine Abrissannonce am Schwarzen Brett der Mensa ein winziges Zimmer in einem Mehrfamilienhaus in einer Seitengasse der Bergheimerstrasse.
Gleich am ersten Abend klingelte es an meiner Tür, die Umzugskartons standen noch im Flur. Draussen ein freundlicher Mann, vielleicht Mitte 40, die akkurat geschnittenen Haare sauber gescheitelt, in weicher Strickjacke, weiter Wollhose und bequemen Puschen. Malkan heisse er und Buchhalter sei er, in der Farbenfabrik in Eppelheim. Er würde über mir wohnen, mit seiner Frau und den 2 Kindern und sie bräuchten viel Ruhe. Es seien schon häufiger Studenten im Haus gewesen, ab und zu hätte es auch Ärger gegeben, wegen nächtlicher Ruhestörung und Sperrmüll im Treppenflur, sie seien hier aber ein anständiges Haus.
Dies alles sagte der Herr Malkan in einem warmen, angenehmen Ton und als ich ihn eben beruhigen wollte, ihm erklären, ich sei ein ruhiger, sehr zurückgezogen lebender Mensch, da erlosch das Flurlicht.
Als ich im Halbdunkel nach dem Lichtknopf suchte, war mir, als hörte ich ein leises fauchen und im selben Augenblick flammte das Licht schon wieder auf und ich sah eben noch Malkans Hand, eine schwarzbehaarte Klaue, wie sie sich vom Lichtschalter löste. Sekunden später reichte er mir dann diese Hand, nein, eine haarlose, teigige, etwas feuchte Hand und verabschiedete sich.
Malkans Kinder sah ich am nächsten Morgen. Ruhig und gesittet kamen sie die Treppe herab, das Mädchen mit schweren Zöpfen, weisser Bluse und dunkelblauen Faltenrock, 10 Jahre alt, maximal, der Junge im weissen Hemd und heller Trevirahose, mit der Frisur vom Vater, vielleicht 16 Jahre.
Maria und Klaus hiessen sie, so stand es auf jeden Fall auf ihren Schultaschen, als könnten sie verloren gehen oder nicht mehr heimfinden. Beide Kinder waren sehr ernst, das Mädchen mit traurigem Blick.
Der Junge murmelte einen Gruss, als er an mir vorbeiging, Maria senkte den Blick und blieb stumm.
Oben auf der Treppe ein wimmern...eine kleine Frau, mit schwarzen Haaren wie das Mädchen klammerte sich an das Geländer, als wolle sie etwas festhalten, das sie schon längst verloren hatte und mit einem Blick auf die Kinder, der mich betroffen machte. Frau Malkan, die Mutter, sie erwiderte meinen Gruss nicht, sie sah mich nicht mal. Nachdenklich ging ich ins Zimmer zurück.
Es vergingen Tage und Wochen, das Studium nahm mich in Anspruch, Zwischenprüfungen standen an, tagsüber verbrachte ich viel Zeit in der Bibliothek und in der Cafeteria den Abend dann meist in den Kneipen der Unteren Strasse und morgens lag ich im Bett, bis die 10 Uhr OEG mein Blechgeschirr zum lautstarken vibrieren brachte und mich so weckte.
Eine Nachmittags, kurz vor der BWL Klausur, traf ich Malkan auf der Treppe.
Ich hatte ein Problem mit der Skontierung kurz- und mittelfristiger Verbindlichkeiten bei drohendem Konkurs und erinnerte mich, dass er Buchhalter war. Er versprach mir, einen Blick drauf zu werfen, er war sehr liebenswürdig. Abends versumpfte ich dann im „Weinloch“, wie ich später heimkam wusste ich nicht so genau, aber geweckt hat mich am nächsten Morgen nicht das Gerüttel der OEG, sondern ein klopfen an der Wohnungstür, ein kratzen, dann wieder ein klopfen...es klang dringend.
Im Mund einen wattig faden Geschmack und Kopfschmerzen bei jeder Bewegung, so tastete ich mich zur Tür. Durch das Fenster drang das Licht eines hellen Tages und die Longines zeigte bereits nach 8.
Als ich die Tür öffnete stand Maria vor mir.
„Da, da...“, sie stammelte nur diese Worte und hielt mir meine Klausurvorbereitungsblätter entgegen.
Mit dunkel geränderten Augen in einem wachsbleichen Gesicht, starrte sie mich an, am ganzen Körper zitternd, die schwarzen Zöpfe, von Sonnenblumenclips gehalten fielen auf ihre weisse Bluse..“Da, da...“, mein Blick glitt über ihren blauen Faltenrock, zu ihren dünnen, strumpflosen Beinen. Sie stand seltsam breitbeinig da, irgend wie unsicher, wie auf einem schwankenden Schiff. An der Innenseite ihres rechten Oberschenkels bewegte es sich unter dem Rock hervor, etwas lebendiges, eine Fliege?.
Ich ging etwas vor und sah, dass es Blut war, ein Blutstropfen, der sich langsam Richtung Knie bewegte.
„ Das sind Ihre Aufgaben, für BWL, ich habe Ihnen alles aufgeschrieben“.
Malkan, seine Stimme kam von oben und noch bevor ich den Blick hob hatte ich eine erwartende Ahnung, als ich ihn dann allerdings sah, die Fratze des Ungeheuers, die glühenden Augen in einem struppigen Fellgesicht und den Rachen weit aufgesperrt, mit den gelben Dolchzähnen, den Kopf in den Nacken gestreckt, die Klauenarme an sich gepresst, mit einem Triumphgeheule ohnegleichen...und dahinter, kleiner, ein weiteres Geschöpf der Finsternis, mit hohem Fistelgeknurre...so feierten sie ihren Sieg, ihren Sieg über Maria, die weiter zitternd vor mir stand und mir die Blätter unter die Nase hielt. Ich taumelte zurück gegen die Wand, die Fratzen blieben, das Geheule blieb, es hörte nicht mehr auf...

Als ich erwachte war es dunkel. Ich lag angezogen auf meinem Bett und dachte an einen Alptraum.
Ich erhob mich, verliess die Wohnung und stand im Finsteren. Ein Stock höher fiel ein schmaler Lichtschein aus der Malkan´schen Wohnung, die Tür war nur angelehnt. Als ich klopfen wollte öffnete sich die Tür.
Die kleine Frau stand vor mir, sie sah frischer aus als damals, hübscher und war auch geschminkt.
Hinter ihr im Wohnungsflur standen 2 gepackte Koffer und auf einem sass Maria.
Es roch nach Spiritus.
Ohne einen Ton zu sprechen schob sie mich aus der Tür. Als ich eben den Mund öffnete, um etwas zu sagen, hob sie kurz den Kopf und fauchte mich mit der Visage einer gereizten Tigerin an.
Ich ging wieder nach unten, packte eine kleine Tasche und verliess das Haus.

Die Zeitungen am nächsten Tag sprachen von einem Grossbrand und 2 verkohlten männlichen Leichen.
Als ich auf dem Bahnhof ,auf dem ich die Nacht verbrachte, zum Waschraum ging und in den Spiegel starrte wusste ich, wie das Ungeheuer aussah, das in mir wohnte.

ENDE

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.02.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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