Robert Müller

Die Hure Babylon

"Ich komme gleich!" rief Heiko seiner Sekretärin zu, während er den Telefonhörer zuhielt. Sie hatte schon zum zweiten mal nach ihm gerufen, weil ein Kunde im Vorzimmer wartete. Heiko telefonierte gerade mit Sabine. Er hatte sie letzte Nacht mit zu sich nach Hause gebracht. Sie hatten sich in einer Bar kennengelernt. Er war verzaubert von ihrem purpurnen Kleid, ihrem perlenbesetzten Schmuck und ihrem verführerischen Blick. In der Hand hielt sie ein vergoldetes Glas mit teuerstem Champagner. Heiko kam schnell ins Gespräch mit ihr. Sabine hatte ein gut laufendes Geschäft für alle möglichen Luxusartikel. Viele große und einflussreiche Leute kauften bei ihr ein. Sie war zwar verheihratet, sagte aber, sie fände ihren Mann total langweilig und es wäre nur eine Frage der Zeit, bis sie sich trennen würden. Heiko hatte das als Rechtfertigung gereicht, mit ihr ins Bett zu gehen und sie hatten richtig viel Spaß gehabt. Er selbst war auch einmal verheihratet gewesen. Die Ehe ging aber zu Bruch, als seine Frau schwanger wurde. Heiko konnte sich mit dem Gedanken nicht anfreunden, ein Kind zu haben, schließlich hatte er schon genug Stress in der Kanzlei. Er hatte sie überreden wollen, das Kind abzutreiben, sie hatte aber entschlossen abgelehnt. Weiterhin hatte sie sowieso ständig genervt, dass sie sich so selten sehen würden, weil er immer bis spät in die Nacht zu arbeiten hatte. Heiko hatte sich für die Karriere entschieden und einen Schlussstrich gezogen. Nun schickte er seiner Ex-Frau regelmäßig Geld und beruhigte damit sein Gewissen. Außerdem besuchte er seinen Sohn von Zeit zu Zeit, da er ein gewisses Gefühl der Verbundeheit zu ihm nicht abstreiten konnte. Der Junge gab ihm jedesmal etwas Bodenständigkeit, Liebe und das Gefühl der Fürsorge zurück, dass durch dem Stress in der Kanzlei schnell verlohren ging. Sein Sohn liebte ihn und der kleine gelbe Teddy-Bär, den Heiko ihm geschenkt hatte, war seit seinem zweiten Geburtstag sein Lieblingsspielzeug Nummer eins.

"Du, ich muss jetzt schluss machen, Schatz. Bis heute Abend." Er legte den Hörer auf. "Schick ihn rein", rief er seiner Sekretärin zu. Ein großer, etwas schmächtig gebauter Mann (so etwa Ende 30) kam zu Tür herein und begrüßte ihn mit einem Lächeln. "Was kann ich für Sie tun?" fragte Heiko. "Ich möchte, dass sie Ihre Kanzlei schließen und zu Ihrer Frau zurückkehren." sagte der Mann in einem beunruhigend ernsten Ton. Heiko musste kurz lachen, verstummte aber wieder, als er bemerkte, dass der Mann in seiner ernsten Mine verharrte. "Was soll das heißen? Wieso sollte ich das tun?" fragte Heiko. "Ich zwinge Sie nicht dazu, aber wenn Sie nicht auf mich hören, werden Sie sterben." antwortete der Mann."Soll das eine Drohung sein? Verlassen Sie sofort den Raum, sonst rufe ich die Polizei!" sagte Heiko. Ihm standen die Schweißperlen auf der Stirn. Er wusste nicht, was er mit dem Mann anfangen sollte, wer er war und was er wollte. "Ich möchte Sie warnen. Ein weiterer Mann wird kommen. Er wird Ihnen Reichtümer und Macht dafür geben, dass Sie in seinem Auftrag morden. Er steht unter Zeitdruck und wird alles versuchen, um Sie zu überzeugen. Ihre einzige Möglichkeit, seinem Willen zu widerstehen ist, diese Kanzlei aufzugeben." Ist der Mann verrückt? dachte Heiko "Ich bin nicht verrückt", sagte der Mann "Ich komme, um Ihnen die Augen zu öffnen. Sie müssen mir vertrauen, ansonsten werden Sie den Absichten des anderen Mannes unterlegen sein." "Seien Sie nicht albern und verlassen Sie jetzt bitte diesen Raum" erwiderte Heiko. Mit einem traurigen Blick wandte sich der Mann zur Tür und verlies den Raum.

Die folgende Nacht konnte Heiko kaum schlafen. Er hatte wahnsinnige Alpträume von einer riesigen mehrköpfigen Kreatur, die seine Ex-Frau durch die Wüste verfolgte. Die Kreatur kam ihm seltsam vertraut vor. Sie war erboßt über seine Ex-Frau Frau und wollte sie und ihr Kind töten. Das Monster verletzte sich an einem Felsen, doch die Wunde schloss sich innerhalb weniger Sekunden. Seine Ex-Frau und ihr Kind fanden schließlich Schutz in einer Höhle, was die Kreatur noch wütender machte.

Schweißgebadet wachte Heiko am nächsten Tag auf und machte sich auf den Weg zur Kanzlei. Er ging wieder einmal zu Fuß, weil das Wetter schön war und er hoffte, auf diese Weise etwas für seinen Körper tun zu können. Auf dem Weg traf er auf einen Mann, dessen Auto offenbar liegengeblieben war. Heiko kannte sich etwas mit Autos aus und bot ihm Hilfe an. Er war ein gutaussehender, stattlich gebauter Mann mit einem sympatischen Blick. Einzig auffällig war die Wunde an seinem rechten Auge. Sein Name war Sebastian-Baltasar. Er bestand jedoch darauf, dass Heiko ihn Sebatian nannte. Ein Hydraulikschlauch hatte sich gelöst, was kein Problem für Heiko darstellte. Die Panne war schnell behoben und Sebastian fuhr Heiko zur Kanzlei. "Ich würde Sie heute nach Feierabend gerne zu einem Bier einladen. Kommen Sie doch um acht ins China-Restaurant an der Parkstraße." sagte Sebastian. "Gerne" antwortete Heiko und ging in die Kanzlei. Sebastian war ihm sehr sympatisch und er konnte sich vorstellen, das sie beide Freunde werden würden. Bei der Arbeit musste er wieder an seinen Traum denken. In dem Moment schaltete seine Sekretärin einen Anruf zu ihm durch. Heiko zuckte zusammen, als er die Stimme des Mannes vom vorherigen Tag hörte: "Halten sie die Augen offen. Ich möchte Ihnen helfen. Sie werden diesen Mann daran erkennen, dass...." plötzlich wurde die Leitung unterbrochen.Heiko war verwirrt. Zwei Minuten später kam ein Fax. In krakeligen Buchstaben stand auf dem Papier: "Geb alles auf und kehr zu deiner Familie zurück. Sonst bist du der Kreatur ausgesetzt". Obwohl Heiko diesen Mann für verrückt hielt, lies ihn der Anruf und das Fax den ganzen Tag nicht mehr los und er konnte es sich nicht verkneifen, jeden seiner Kunden genau zu begutachten. Er hatte viel Kundschaft an diesem Tag, aber keiner dieser Menschen fiel ihm sonderlich auf, was für ihn eine Bestätigung seiner Verrückterklärung gegenüber dem Mann war.

Am Abend ging er dann mit Sebastian in das China-Restaurant an der Parkstraße. Sie lernten sich dort etwas besser kennen und Heikos erster positiver Eindruck bestätigte sich hier. Sebastian war Inhaber einer großen Telefongesellschaft, die für die ganze Stadt zuständig war. "Ihr Auge ist ja wieder in Ordnung. Wie haben Sie das so schnell hinbekommen?" fragte Heiko. "Das wichtigste sind Beziehungen" war alles, was Sebastian dazu sagte und die beiden stießen erneut an. "Ich kann Sie gut leiden, Heiko. Deshalb möchte Ihnen etwas schenken. Tragen Sie dieses Gold-Armband an der rechten Hand. Es wird Ihnen ungeahnte Türen öffnen." "Inwiefern?" fragte Heiko. "Jeder, der hier in der Stadt Bedeutung hat, wird daran erkennen, dass Sie zu mir gehören. Dazu gehören zum Beispiel Ärzte und Chefs großer Firmen. Es wird Ihnen zu großen Erfolgen verhelfen, Heiko" Heiko sah Sebastian verwundert an und war beeindruckt von dem scheinbar großen Einflussbereich, den Sebastian in dieser Satdt haben musste. Er nahm dankend an und in den nächsten Wochen lief seine Kanzlei erfolgreicher denn je. Er vertrat die größten und einflussreichsten Geschäftsmänner der Stadt und verdiente Massen an Geld. Folglich arbeitete er von nun an täglich über 15 Stunden. Das machte ihm jedoch nichts aus, denn die Arbeit war sein Leben. Außerdem wurde er jeden Tag von Sabine besucht und fand immer noch etwas Zeit für sie. Leider fand er jedoch keine Zeit mehr, seinen Sohn zu besuchen. Bald hatte er ihn völlig aus seinem Leben verdrängt und lebte nur noch für seine Arbeit, was ihn absolut erfüllte. Der seltsame Mann, der ihn vor etwas warnen wollte, rief nie wieder an.

Sein größter Prozess, der ihn endgültig berühmt machen sollte, stand ihm jedoch noch bevor. Im Sommer des folgenden Jahres vermittelte Sebastian ihm einen 34jährigen, dem 7 Sexualmorde vorgeworfen wurden. Ein sehr unsympatischer Mann mit zerzausten Haaren und einem Gebiss, als wär er seit der Kindheit nicht mehr beim Zahnarzt gewesen. Heiko gab wirklich alles für diesen Fall. Schließlich würde das sein absoluter Druchbruch werden. Er schuftete Tag und Nacht und leistete sich keine freie Minute.

Die Behörden waren glücklich gewesen, nach langjähriger Suche einen Schuldigen gefunden zu haben und arbeiteten folglich gegen Heiko, was diesen jedoch nicht einschüchterte.

Am entscheidenden Verhandlungstag hielt Heiko sein Abschluss-Plädoyer, worauf der Richter dem Angeklagten das letze Wort gab. Dieser wollte gerade zum sprechen ansetzen, begann dann aber krampfhaft zu schlucken und hilet sich den Hals. Im Gerichtssaal brach Unruhe aus und die Leute starrten ihn an. Heiko klopfte ihm auf den Rücken. Nach mehrminütigem Würgen (sein Gesicht war mittlerweile blau angelaufen) hustete er schließlich einen faulen Zahn auf den Tisch. "Die Beweisaufnahme ist hiermit beendet" rief der Richter und brachte damit wieder etwas Ruhe in den Saal.

Obwohl er es selbst kaum hätte glauben können, hatte Heiko den Richter scheinbar davon überzeugen können, dass es keine ausreichenden Beweise gegen den Angeklagten gab und der Mann wurde freigesprochen. Heiko wusste zwar, dass sein Erfolg mit dem Armband, das er von Sebastian bekommen hatte, zu tun hatte, fühlte sich aber trotzdem fantastisch.

Seine kleine Kanzlei wurde wie erwartet zur gefragtesten der ganzen Stadt und Heiko fühlte sich auf dem Höhepunkt seines Lebens.

Am Abend, genau 6 Wochen nach dem Fall, saß Heiko zusammen mit Sabine in ihrem neuen Wirlpool. Sie hatten sich schon lange einen gewünscht und ihn sich endlich gegönnt. "Auf den Erfolg." sagte Sabine und erhob ihr Sektglas. Heiko wollte gerade mit ihr anstoßen, da klingelte es an der Tür. "Bleib doch hier, Schatz..."sagte Sabine. Heiko stieg jedoch aus dem Wirlpool und öffnete die Tür. Sabine konnte Heiko mit dem örtlichen Polizeichef reden hören. Sie kannte seine Stimme, weil sie vor zwei Jahren ein Verhältnis mit ihm gehabt hatte. Plötzlich rief Heiko aus dem Wohnzimmer "Oh mein Gott! Nein!" Dann hört Sabine ihn schluchzen. Obwohl Sabine nach ihm rief, verließ er ohne ihr zu antworten die Wohnung. Sabine sprang aus dem Wasser, schnappte sich ein Handtuch und rannte ihm ins Treppenhaus hinterher. "Was ist los?" rief sie ihm nach. Sie war böse auf ihn, weil er nicht aus sie reagiert hatte. "Sie sind tot!" hörte sie Heiko in einem verzweifelten Ton durchs Treppenhaus schreien. Sabine konnte ihm nicht weiter nachrennen, weil sie nichts an hatte und so blieb ihr nichts, als in die Wohnung zurück zu gehen und abzuwarten. Heiko kam jedoch nicht zurück. Am nächsten Morgen fuhr Sabine in die Kanzlei, in der Hoffnung, Heiko dort anzutreffen. Sie wusste nicht, wo sie sonst nach ihm suchen sollte. "Ist Heiko in seinem Büro?" fragte Sabine seine Sekretärin. "Ja. - Er ist am Boden zerstört. Ich hoffe Sie können ihn aufmuntern." Sabine fiel ein Stein vom Herzen und sie rannte in Heikos Büro. Er lag dort scheinbar völlig verzweifelt mit dem Gesicht auf seinem Tisch und schlief. Seine geballte Faust lag neben ihm auf dem Tisch. Unter seinem Oberkörper ragte eine Seite Faxpapier hervor. Sabine rannte zu ihm. Kurz bevor sie ihn erreichte stolperte sie über das Telefon, dass Heiko vom Tisch geschleudert haben musste. Sie landete mit ihrem Gesicht direkt vor einer Schachtel mit Schlaftabletten. Die Hülsen der Schachtel waren alle samt ausgedrückt. Neben der Schachtel lag noch eine Tablette auf dem Boden. Sabine ahnte fürchterliches, sprang auf und stieß ihn an. Er rührte sich nicht. "Heiko!" Sabine suchte seinen Puls. "Nein." Sabines Gesicht verzog sich. Sie öffnete Heikos Faust. Sabine zuckte zusammen, als ein fauler Zahn aus seiner Hand fiel. Schließlich hob sie Heikos Kopf an. Sein Gesicht war bleich und leblos. Sabine brach in Tränen aus. Unter Heikos Kopf fand sie einen kleinen gelben Teddy-Bär, der auf dem Faxpapier lag. Sie zog ihn weg und fand einen getrockneten Blutfleck am Arm des Teddies. Auf dem Faxpapier darunter stand in krakeliger Schrift:

 

"Denk also daran, wie du die Lehre empfangen und gehört hast. Halte daran fest, und kehr um! Wenn du aber nicht aufwachst, werde ich kommen wie ein Dieb, und du wirst bestimmt nicht wissen, zu welcher Stunde ich komme."

 

Offenbarung 3, 3

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Robert Müller).
Der Beitrag wurde von Robert Müller auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 13.03.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Robert Müller als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Lebensscherben von Flora von Bistram



Susanne, eine kranke und depressive Frau erinnert sich durch die behutsame Führung eines Psychotherapeuten an verschüttete Erlebnisse in ihrer Kindheit, die geprägt sind von Misshandlungen durch die Eltern und Missbrauch eines Onkels vom 4. Lebensjahr an

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Unheimliche Geschichten" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Robert Müller

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Ein Arbeitstag von Robert Müller (Drama)
Leben und Tod des Thomas von Wartenburg, I. Teil von Klaus-D. Heid (Unheimliche Geschichten)
Es wird Zeit zu gehen... von Rüdiger Nazar (Einfach so zum Lesen und Nachdenken)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen