Nicolai Rosemann

Die Jagd

„Schaffst du das wirklich?“ fragte Niclas skeptisch.
„Meine Armbrust ist die Verlängerung meines Armes. So wie du es verstehst dein Schwert zu führen, so schieße ich mit der Armbrust.“ antwortete Michael und spannte prüfend die Sehne.
„Ich habe einen speziellen Bolzen schmieden lassen. Hier. Leg ihn auf.“ sagte Niclas und reichte dem Söldner einen in Leder eingewickelten Bolzen. Er war aus einem mattgrünen Metall, die Spitze bestand aus vier Haken die wieder mit Gold verziert waren. Eine wunderschöne aber auch tödliche Arbeit.
„Dieser Bolzen durchschlägt Reiter samt Ross. Rüstung samt Wams. Wenn nicht, wird der Schmied für seine Lüge sterben.“ erklärte Niclas.
„Dann wollen wir mal hoffen dass er wirkt.“
„Wenn du verfehlst schneid ich dir die Kehle durch.“ zischte Niclas und sprang von dem Felsvorsprung herunter. Er passierte den Weg und kroch in die Büsche. Der enge Gebirgspass, den Niclas für ihren Hinterhalt gewählt hatte, war wie geschaffen dieses Monster, das er nunmehr seit vier Jahren durch ganz Europa verfolgte, endgültig zu stellen und zu vernichten. Viele Freunde waren durch es gestorben und die kleine Gruppe, die verblieben war, würde entweder hier sterben oder siegen.
„Wer kriegt eigentlich die Beute?“ fragte Valentin, der beste Assassine. Valentin war der beste, den Niclas gefunden hatte. Lautlos, verlässlich und vor allem billig. Valentin hatte einst bei der Miliz gedient, war dann aber doch dem Geld, das Niclas ihm geboten hatte, verfallen. Jetzt waren sie enge Freunde und Niclas war sich sicher, dass nicht mehr das Geld ausschlaggebend für die Loyalität von Valentin war.
„Der Großteil wird an Michael gehen. Immerhin wird er die meiste Arbeit hier verrichten. Den Rest teilen wir uns gerecht auf.“
„Jedes Mal, wenn du das sagst, überlege ich mir auszusteigen.“
„Die kriegst meinen Anteil auch. Zufrieden?“
„Ich bin dein Mann.“ antwortete Valentin zufrieden und zog sein Kurzschwert. Er prüfte die Schärfe und steckte es dann zurück in die Scheide.
Das vierte und letzte Mitglied ihrer Gruppe stieß zu den beiden Kriegern. Es war eine junge Frau namens Magdalena, die ihre Familie und ihr Zuhause durch das Monster verloren hatte. Sie war eines der ersten Opfer, das Niclas gerettet hatte. In den Jahren hatte Niclas sie zu einer guten Waldläuferin, Spurenleserin und Späherin gemacht.
„Eine Gruppe Ritter mit einem Inquisitor liegt etwa eine halbe Stunde Fußmarsch hinter unserem Ziel. Sie haben einen Wagen und kommen langsam voran. Trotzdem sollten wir uns beeilen.“
„Wir werden genug Zeit haben. Ein platzierter Schuss, dann trennen wir ihr den Kopf ab und verbrennen den Körper. Das dauert nicht lange.“
„Wir sind auf alles vorbereitet. Von ein paar Rittern lass ich mich da nicht aufhalten.“
 
„Da kommt sie ja.“ flüsterte Valentin. Er zog vorsichtig einen Dolch aus dem Gürtel und ritzte das Leder seines Handschuhs aus. Ein dünnes Rinnsal Blut entstand.
„Da ist viel zu weit. Mindestens hundert Fuß.“ flüsterte Magdalena.
„Vertraut ihm. Michael packt das.“ zischte Niclas.
Dann zischte der Bolzen los. Das Monster, gekleidet in einem braunen Mantel mit Kapuze fiel in die Knie.
„Ein Hoch auf den Schützen.“ jubelte Valentin.
„Abwarten.“ holte Magdalena den ehemaligen Ritter aus den Boden der Tatsachen zurück.
„Niemand überlebt einen Schuss mit diesem Bolzen. Niemand…“ Valentin stockte. Das Monster zuckte und fasste sich an die Brust.
„Bei allen Teufeln der Hölle!“ entfuhrt es Valentin.
„Los, die packen wir uns!“ befahl Niclas und sprang aus den Büschen. Er riss sein Kurzschwert aus dem Gürtel und schlug zu. Die Klinge verfehlte das Ziel, trennte aber die Kapuze des Mantels ab. Das Monster sprang auf und stieß Niclas gegen den anstürmenden Valentin. Beide taumelten zurück und fielen hin. Das Schwert entglitt Niclas Hand.
Das Monster war geschrumpft. Vielleicht noch ein Meter fünfzig war es groß, aber seine Kraft war deshalb nicht minder. Zwei Tritte beförderten die beiden Angreifer wieder auf den Boden. Magdalena stach mit ihrem Schwert zu, verfehlte das Monster aber und taumelte überrascht in einen Faustschlag. Ein normaler Bolzen zischte an ihr vorbei und blieb im Boden stecken.
„Michael, du Wahnsinniger! Hör auf!“ rief Niclas. Ein weiterer Bolzen schoss ins Getümmel und riss den Harnisch an Valentins Schulter auf.
„Ihr werdet mich nicht kriegen!“ zischte das Monster. Die Stimme war tief und nicht von dieser Welt. Ein weiterer Angriff von Niclas verpuffte, dann rannte das Monster los. Bevor einer der vier Söldner reagieren konnte war es im Wald verschwunden.
„Weg hier! Zum Hof!“ befahl Niclas. Valentin und Magdalena nickten und verschwanden in verschiedene Richtungen. Wie vereinbart würden sie sich erst wieder am Hof treffen.
Michael winkte vom Felsvorsprung her herunter. Dann zeigte er auf seinen Beutel mit den Bolzen. Niclas verstand. Er rannte noch einmal auf den Weg zurück, sah den Bolzen und zerrte ihn aus dem Boden. Die Spitze war verbogen.
„Verdammt.“ fluchte Niclas.
„Halt, stehen bleiben! Im Namen der Kirche!“ rief ihm jemand zu. Niclas ließ den Bolzen schnell in seine Tasche gleiten und hob die Arme.
 
Der Hof war eine Art Operationsbasis für die vier Söldner. Der Bauer war käuflich und der Hof nah genug an der Stadt um im Notfall schnell Unterstützung von der Stadt zu bekommen.
„Wo ist Niclas?“ fragte Magdalena, die als letzte eintraf. Die hatte die ganze Umgebung nach einer Spur des Monsters abgesucht.
„Die Ritter haben ihn erwischt. Keine Ahnung was sie mit ihm machen.“ antwortete Michael.
„Haben Sie ihn in die Stadt gebracht?“
Michael nickte. „Er ist ein Gefangener. Wir können nichts für ihn tun.“
„Verdammt. Und wir waren so nah dran.“ fluchte Magdalena und fegte eine Schale vom Tisch.
„Wir haben noch eine Chance. Das Monster ist etwa einen Kilometer von hier entfernt in einen Sumpf verschwunden.“ erklärte Valentin.
„Ohne Niclas sollen wir erst recht keine Chance. Wir waren vier zu eins überlegen und wären fast besiegt worden. Es ist Glück dass sie keinen getötet hat.“ zischte Magdalena. „Nein, wir werden unser Leben nicht so sinnlos hergeben. Wir wissen wo sie hin will. Wir werden ihr noch einmal auflauern. Aber zuerst holen wir Niclas raus.“
„Du willst in die Stadt? Bist du verrückt?“ fragte Michael.
„Ich will mehr als in die Stadt, Schütze. Ich will das Gefängnis aufbrechen! Wer ist dabei?“
„Du hast mein Schwert.“ stimmte Valentin zu.
„Ich bin nicht verrückt. Wir kommen nicht mal an den Wachen vorbei. Sie werden sofort erkennen dass wir Söldner sind.“ jammerte Michael weiter.
„Wie viel willst du für zwei Knechtroben, Bauer?“
Der Bauer, der zusammen mit seiner Frau und seiner Tochter die Gespräche immer schweigend verfolgt hatte, überlegte. Dann sagte er: „Wenn ihr garantiert dass dieses Monster stirbt, gebe ich sie euch für 120 Goldmünzen.“
„Gib ihm das Gold. Und dann macht, dass ihr zur Stadt kommt. Wir treffen uns im Hafen, in der Taverne „Zum Einbeinigen Klabauter“.“
„Und was machst du?“
„Ich komme wie immer in die Stadt. Als Wanderer.“ antwortete Magdalena und verließ den Hof.
 
Niclas hatte nichts gesagt. Die Ritter hatten ihn ihm einen Banditen gesehen und der Bolzen in seiner Tasche sowie die hundert Goldmünzen erhärteten ihren Verdacht. Aber sogar wenn Niclas ihnen die Wahrheit gesagt hätte, nämlich dass er ein Soldat des Königs sei, sie hätten ihm nicht geglaubt. Er trug weder Waffen noch Rüstung eines solchen Soldaten, noch hatte er einen anderen Beweis bei sich.
Der Inquisitor, der den Konvoi hier führte, hatte dann nicht lange gewartet. Kurzerhand hatte er ihn als Ketzer angeklagt und verhaften lassen. Irgendwann würde das Urteil vorstreckt werden.
Aber so hatte Niclas Zeit sich zu erinnern. Warum er eigentlich auf der Jagd war.
 
Die Jagd hatte begonnen als Niclas mit einer kleinen Gruppe von Stadtgardisten zu einem etwas abgelegenen Bauernhof aufgebrochen war um die Abgaben einzutreiben. Der Zehnt für Kirche und König.
Der Hof war damals bereits drei Tage überfällig und die Zeiten waren auch hart. Räuber und wilde Tiere hatten in letzter Zeit mehrere Händler getötet und die Stadt lief Gefahr zu hungern.
Der Hof sollte vor allem Getreide und Fleisch liefern, aber auch Bau- und Brennholz. Im Moment alles wichtige Dinge, denn die Banditen hatten kürzlich auch die Stadt direkt angegriffen und ein großes Loch in die Verteidigung geschlagen. Sie hatten zwar einen hohen Preis bezahlt, aber ohne das Holz würde die Lücke bestehen bleiben. Und so noch mehr Räuber anziehen.
Die Gruppe wurde von Hauptmann David angeführt, die anderen drei Gardisten waren Florian, Michael und Niclas selbst.
Niclas würde die Worte des Hauptmanns nie vergessen als sie die Felder erreichten: „Bauernpack. Die sollten doch auf den Feldern sein. Stattdessen sitzen sie auf ihrem Hof und schlagen sich den Wanst voll während wir in der Stadt fast schon hungern müssen.“
Er stellte Florian ab die Felder zu durchsuchen ob nicht doch irgendwo zwischen dem hüfthohen Getreide ein Bauer faul auf der Haut läge. Die anderen folgten ihm auf den Hof.
Jener Hof bestand aus drei Gebäuden. Der Küche mit dem Vorratslager für Fleisch, der Scheune mit den Schlafstätten für die Knechte und dem Lager für das Getreide, und dem Haupthaus, wo der Bauer und seine Familie lebten.
„Michael, du holst das Fleisch. Wenn sie sich wehren, hilf mit der Rute nach. Niclas, stell einen Wagen mit Getreide bereit. Ich werde mich mit dem Bauern unterhalten.“ hatte David befohlen, sein Schwert gezogen und dann war er ins Haupthaus gegangen.
Als Niclas die Scheune betreten hatte, war ihm der kupferne Geruch von Blut in die Nase gestiegen. Eine Kuh hatte bestialisch geschlachtet im Getreide gelegen. Aber keine Spur eines Bauers. Selbst die Holzfäller waren nicht zu hören, obwohl ihr Schlaggebiet direkt an die Scheune angrenzte. Es war ruhig, zu ruhig.
Dann hatte Niclas den Schrei gehört. Sofort war er nach draußen gerannt, wo Michael bereits mit gezücktem Schwert stand. „Es kam aus den Feldern.“
„Florian!“ hatte Niclas sofort gerufen, aber keine Antwort erhalten. Michael, der noch nicht lange bei der Garde war, hatte Niclas fragend angesehen.
„Hol den Hauptmann. Ich suche Florian.“ hatte Niclas sofort befohlen und war dann mit blankem Schwert in die Felder gerannt.
 
„Wo soll es denn hingehen, Bauer?“ fragte die Torwache skeptisch als Michael und Valentin anklopften.
„Zum Schmied. Wir brauchen neue Werkzeuge.“ antwortete Michael.
„Klar. Zum Schmied.“ antwortete die Wache skeptisch. Aber er machte die Tür auf. „Ihr geht schnurstracks zum Schmied und bevor das Tor für die Nacht zugemacht wird, seid ihr wieder weg. Wenn ich einen von euch heute Nacht im Puff oder in einer der Schenken sehe, ich schwöre euch, ich bring euch ins Gefängnis zu dem Ketzer. Dann werdet ihr mit ihm zusammen brennen.“
„Versprochen.“ antwortete Valentin wenig beeindruckt. Sein Schwert trug er versteckt in einem Ledertuch unter dem Mantel. Der Mantel war aus einfachem, braunem Kuhleder, so wie ihn die Knechte trugen.
„Ich sag es noch mal. Wenn ich einen von euch erwische, brennt ihr.“
„Wir haben verstanden.“ zischte Michael und quetschte sich durch das Tor.
„Nicht frech werden, Bauernlümmel. Oder ich zieh dir den Hosenboden stramm.“ fauchte der Gardist.
Valentin sagte nichts mehr, obwohl ihm jetzt auch ein scharfer Satz auf der Zunge gelegen hätte. Aber er wollte verhindern dass sich die Wache an sie erinnern würde, sollte jemand nachfragen.
„Moment noch!“ rief der Gardist plötzlich und packte den Beutel von Michael. Darin trug der Meisterschütze seine Armbrust. Ungewöhnlich für einen Bauern.
„Was haben wir denn da?“ fragte der Gardist und zog die Armbrust heraus. „Woher hat ein Bauer wie du eine solche Waffe?“
Michael knirschte mit den Zähnen. Die Waffe war verdammt teuer gewesen. Alleine das Gold, dass er für das Muster am Griff hatte einschmelzen lassen müssen, war ein kleines Vermögen gewesen.
„Also. Seid ihr auf einmal stumm oder sagt ihr mir jetzt wo ihr sie her habt?“ bohrte die Wache.
„Wir haben sie auf der Jagd im Wald gefunden. Der Besitzer war tot. Wölfe.“ entfuhr es Michael. Aber am liebsten hätte er sich auf die Zunge gebissen. Ohne Erlaubnis des Statthalters war es nicht erlaubt zu Jagen.
„Dann zeigt mir mal eure Erlaubnis. Ich kann mich nicht erinnern euch in letzter Zeit gesehen zu haben.“ bohrte die Wache weiter.
„Wir sind durch das andere Tor rein und raus.“ versuchte Michael die Sache zu retten. Aber wieder ein Fehler.
„Seltsam. Die letzten Tage war ich am Osttor. Ich hab euch dort nicht gesehen.“
„Was soll die ganze Sache hier.“ sagte Valentin. „Wir…“ Dann zog er schnell das Schwert aus dem Ledertuch und rammte er der Wache mit aller Kraft in die Brust. Stöhnend fiel der Mann zu Boden, wand sich und starb. Schnell durchsuchte Valentin den Toten, nahm das Gold an sich und förderte einen Schlüssel zu Tage. „Schnell. Versuch ob er an einer Tür hier passt. Sonst werfen wir dieses Würstchen in den Graben.“
Michael fing den Schlüssel auf und versuchte beide Türen. Aber er passte nicht. Also warfen die den Toten, natürlich ohne Schwert, denn das würde einen guten Preis bringen, unter die Zugbrücke. Da der Graben trocken gelegt war, war das die einzige Möglichkeit. Sonst hätte man die Leiche spätestens bei der nächsten Wachablösung bemerkt und Alarm geschlagen.
„Jetzt aber schnell in den Hafen. Sonst sieht uns jemand.“ zischte Valentin, versteckte beide Schwerter wieder und rannte los.
 
Nach kurzer Suche hatte Niclas dann seinen Freund gefunden. Florian hatte mit aufgerissener Kehle im Getreide gelegen. Neben ihm hatte ein ebenfalls toter Bauer mit einem jungen Mädchen gelegen. Beide hatten zerbrochene Sicheln vor sich liegen, Florian hatte nicht mal sein Schwer gezogen. Das Blut war noch warm gewesen.
Niclas war so schnell er konnte zurück auf die Straße gerannt und zurück zum Hof. Sein Hauptmann und Michael hatten bereits vor dem Haupthaus gewartet. Beide waren kreidebleich gewesen.
„Was gefunden? Wo ist Florian?“ hatte David gestottert.
„Tot. Ich habe noch zwei Bauern gefunden. Etwas hat ihre Kehlen aufgerissen. Aber es war kein Wolf oder anderes wildes Tier. Ihre Waffen waren zerbrochen.“ hatte Niclas schnell die Lage geschildert.
„Michael hat die Holzfäller am Waldrand gefunden. Einige waren enthauptet, einige hatten aufgerissene Kehlen.“ hatte David fortgesetzt.
„Wir müssen das sofort melden!“ hatte Michael gesagt. David zustimmend genickt.
„Nein. Der Angreifer ist noch in der Nähe. Das Blut der beiden toten Bauern in den Feldern war noch warm. Vielleicht wurde Florian nur überrascht.“ hatte Niclas gesagt.
„Du kannst gerne bleiben.“ Michael war immer eher weich gewesen. Aber jetzt hatte er es zu weit getrieben. Hauptmann David hatte ihm zwei Backpfeifen gegeben. Dann hatte die Suche begonnen.
Das Monster fanden sie dann in den Feldern. Es war gerade dabei gewesen einen weiteren armen Bauern auszuweiden als Michael es entdeckte. Doch bevor er Alarm schlage konnte, war er tot gewesen. Niclas hatte nur zufällig gesehen, wie ein Arm im Getreidemeer verschwunden war. Er war auch als erster an der Stelle gewesen. In seinen Armen war sein junger Freund verblutet.
„Wir gehen doch in die Stadt zurück! Dieses Monster hat jetzt zwei meiner Leute und die ganzen Bauern und Holzfäller getötet. Was ist das überhaupt?“ Hauptmann David schien die Kontrolle zu verlieren. Er war der Sache nicht gewachsen gewesen, aber damals war es Niclas nicht besser ergangen. Die Angst hatte sich bereits tief in ihre Eingeweide gefressen. So hatte Niclas keine Widerworte gebracht und zusammen hatten sie die Flucht ergriffen, das Monster auf den Fersen.
Der Hauptmann erreichte die Stadt nicht mehr. An einer Kehre hatte ihn das Monster angesprungen und ihn in die Tiefe gestoßen. Das erste Mal hatte Niclas da das Monster aus der Nähe gesehen. Es war damals knapp zwei Meter groß gewesen, Augen wie der Teufel hatten aus dem Kapuzenmantel geleuchtet. Sonst hatte er nichts gesehen, aus den vier Metallklauen, die es an den Handgelenken trug, und mit denen es David den Rücken ausgerissen hatte.
Niclas hatte die Beine unter die Arme genommen und war gerannt bis er total erschöpft vor dem Stadttor zusammengebrochen war.
Drei Tage und Nächte hatte er dann geschlafen, sodass niemand erfahren hatte, was ihn da gejagt hatte und wo seine Leute waren. Als Niclas dann die Situation schildern konnte, war es zu spät. Das Monster war bereits in der Stadt und hatte gemordet. Der Hof in den Bergen war erst der Anfang gewesen und Niclas hatte es direkt in die Stadt geführt.
 
Magdalena saß in der rauchigen Bude, die sich „Zum Einbeinigen Klabauter“ schimpfte, in der hinteren Ecke, direkt neben einem Ofen. Trotz des Spätfrühlings, der herrschte, brannten sechs Holzscheite darin und wärmten alles noch mehr aus. Selbst das kalte Quellwasser, das sie bestellt hatte, war schal und warm.
„Wo habt ihr so lange gesteckt?“ fragte sie ihre Begleiter, als sie eintrafen.
„Wir hatten Probleme am Tor.“ antwortete Valentin. Er sah sich vorsichtig um und als er sicher war, dass ihn niemand sah, zeigte er ihr in der Zeichnsprache der Diebesgilde, was sich ereignet hatte.
Trotzdem wurde einer der Gäste aufmerksam und setzte sich ohne zu fragen zu ihnen.
„Für wen arbeitet ihr? Cassia? Rengaru?“ fragte er leise.
„Für keinen von denen.“ antwortete Valentin.
„Aus welcher Stadt kommt ihr dann?“ bohrte der Mann weiter.
„Verschwinde, du Wurm. Sonst wirst du sterben.“ zischte Michael.
„Gut, ich werde gehen. Aber ich gebe euch einen Rat. Cassia sieht es nicht gerne wenn ihr jemand das Geschäft versaut, und Rengaru ist da auch nicht zimperlich. Erst vor zwei Tagen hat einer die Klinge von Attila gespürt.“
„Verschwinde einfach und lass uns in Ruhe! In zwei Tagen sind wir schon wieder weg.“
„Das hoffe ich für euch.“ verabschiedete sich der Mann und setzte sich wieder auf seinen alten Platz. Obwohl die Taverne bis zum letzten Platz voll war und viele stehen mussten, hatte es niemand gewagt sich auf diesen Platz zu setzen.
„Was hast du herausgefunden?“ fragte Valentin.
„Niclas sitzt alleine in der Zelle der Kaserne. Aber wir müssten durch zwei Zimmer gehen. In einem davon sitzt die Zellenwache, ein Trinker namens Banger. Im Vorraum sind die beiden Ausbilder der Stadtgarde und der oberste Hauptmann der Stadtwache.“ erklärte Magdalena.
„Dann können wir diesen Weg vergessen. Der zieht zu viel Aufmerksamkeit auf uns.“
„Richtig. Aber es gibt einen zweiten. Über das Dach. Die Zelle hat ein Fenster von etwa einem Meter Durchmesser, verstellt durch vier Eisenstangen. Mit einer Säge könnten wir nachts das Gitter entfernen und Niclas könnte sich rauszwängen.“ gab Magdalena die zweite Möglichkeit bekannt.
„Aber es ist Vollmond. Wenn wir auf das Dach steigen, sieht man das. Und ich habe das Gefängnis gesehen. Da geht es verdammt weit runter und dann ist das Meer.“ überlegte Michael.
„Die dritte Möglichkeit ist dieser Mann, zu dem du gerade so nett warst. Er heißt Nagur und für genug Goldmünzen würde er Niclas da raus schaffen. Denn sonst würde man ihn morgen hinrichten.“
„Was verstehst du unter ein paar Münzen, Frau?“ fragte Valentin.
„1000 sofort und weitere 1000 wenn Niclas frei ist.“ antwortete Magdalena.
„2000?“ entfuhr es Valentin. Einige Blicke richteten sich auf ihn. „Wir haben zusammen vielleicht 500.“ sagte Valentin etwas leiser.
„Wenn wir das Schwert des Gardisten verkaufen, bekommen wir vielleicht noch mal 100.“ überlegte Michael. „Dann fehlen noch 1400.“
„Vielleicht ist der Mord an der Wache auch was wert. Du scheinst eine gute Verbindung zu diesem Kerl, Nagur, zu haben. Frag mal nach. Und sonst soll er uns sagen, was wir sonst tun sollen.“ sagte Valentin. Magdalena nickte.
 
Nagur lachte über das Angebot, aber nur im ersten Moment. Als Magdalena ihm sagte, dass die Wache tot sei und seine Waffe vorlegte, hellte sich die Miene des Diebes auf. „Dieser Benedict war uns seit langem ein Dorn im Auge. Gute Arbeit.“
„Also. Bringt uns einen Bonus ein?“ fragte Magdalena.
„Ich werde mit Cassia sprechen. Mit dem Schwert machen wir es dann vielleicht für 1000 Goldmünzen. Aber weniger ist echt nicht drin. Wir riskieren viel, denn die ganze Gilde wird da antreten müssen. Und es könnte Tote geben.“ antwortet Nagur.
„Dann geh. Wir warten hier. Sag uns Bescheid wie die Entscheidung deiner Anführerin ausfällt.“ sagte Magdalena zufrieden, überließ Nagur das Schwert und ging zurück zu ihren Freunden.
„Wir haben Niclas vielleicht bald wieder.“
 
Es hatte einige mysteriöse Morde gegeben, vor allem im Armenviertel. Niemand hatte sich zu Beginn darum geschert, da es nur einzelne Personen gewesen waren, meist sogar Leute mit Schulden oder anderen Problemen.
Aber an einem Morgen wurden dann zwei Tote gefunden. Ein Soldat der Stadtwache und ein feiner Pinkel aus dem besten Viertel. Beide bestialisch getötet.
Der Stadthalter hatte eine groß angelegte Suchaktion in Auftrag gegeben. Die Armenviertel wurden auf den Kopf gestellt, der Untergrund untersucht. Aber man hatte nur noch mehr Leiche gefunden, keine Spur des Täters.
Schließlich wurde der Stadthalter selbst Opfer des Monsters, ebenso wie seine Leibwache, der Hauptmann der Stadtwache und der Richter. Chaos brach aus und die Menschen flohen in Massen aus der Stadt. Nur Niclas hatte gewusst, was da sein Unwesen trieb.
Aber schließlich floh er selbst. Aber es war keine richtige Flucht vor dem Monster, mehr der Drang zu Kontakt mit anderen Menschen. Denn seine Heimatstadt war zu einer Geisterstadt geworden.
Aber das Monster war seiner Beute immer auf den Fersen und so folgte die blutige Spur den flüchtenden Bürgern.
Eines Tages erreichte Niclas einen abgelegenen Bauernhof, ganz in der Nähe einer kleineren Stadt. Sechs Tote hatte er auf dem Weg hierher gefunden und längst war er nicht mehr die Beute, sondern der Jäger geworden. Niclas ging es nicht mehr darum sein Leben zu erhalten sondern das Leben dieses Monsters zu beenden.
Der Bauernhof war ebenso verwüstet gewesen wie der Hof, auf dem Florian und Michael den Tod gefunden hatten. Niclas hatte dort nach Spuren des Monsters gesucht als er auf dem Heuboden in der Scheune eine junge Frau entdeckte. Sie war damals vielleicht sechzehn gewesen, und total verstört. Ihre ganze Familie war niedergemetzelt worden, nur sie hatte überlebt.
Niclas hatte sie mitgenommen, geplant war gewesen bis zur Stadt. Aber die Frau war nicht mehr von seiner Seite gewichen. So kam Niclas zu seinem ersten Begleiter – Magdalena.
In der Stadt selber war es bereits zu zwei Morden gekommen, als Niclas und Magdalena dort eingetroffen waren. Der Hof war eine Art Ausflug für das Monster gewesen.
Da Niclas dieses Wesen bereits seit längerem verfolgte, wusste er auch um seine Gewohnheiten und machte sich so meist nachts auf nach potenziellen Opfern zu suchen.
Eines Tages war er sogar fündig und ertappte das Monster dabei, wie es einen betrunkenen, alten Mann, aufriss und sein Blut trank. Niclas und Magdalena hatten mit blankem Schwert eingegriffen, bezahlten ihren Edelmut aber mit dem Gefängnis. Die Stadtwache erachtete sie als Mörder und sperrte sie ein.
Niclas nutzte diese Zeit um seine Ergebnisse über das Monster aufzuschreiben, Magdalena suchte mehr nach einem Weg aus der Zelle zu kommen. So trafen sie Valentin.
Er war der einzige, der ihre Geschichte glaubte, und am Abend vor der Hinrichtung der beiden Mörder, befreite er sie und flüchtete mit ihnen.
Als Niclas ihn zur Rede gestellt hatte, konnte er dem Gardisten nicht verübeln ihnen helfen zu wollen. Seine Frau und sein Sohn hatten durch das Monster, der Niclas mittlerweile für einen Blutsauger aus dem Osten hielt, verloren.
Einen Monat später waren sie dann auf Michael und seinen Kumpel Dimitri getroffen. Nachts war das Monster dann aber in ihr Lager eingefallen und hatte Dimitri ermordet. Die Gruppe war komplett gewesen.
Seitdem waren immer wieder einmal neue Streiter zu ihnen gestoßen, aber viele hatten ihren Rachedurst oder ihre Abenteuerlust mit dem Leben bezahlt.
Jetzt stand aber Niclas näher als jemals zuvor das Monster zu stoppen. Er kannte das Ziel und hatte eine Waffe, die fähig war das Monster auch zu töten, oder zumindest lange genug aus dem Verkehr zu ziehen. Nur statt mit Gold würde er den Bolzen mit Silber beschlagen lassen.
Aber zuerst würde er hier raus müssen.
 
Der Abend war bereits fortgeschritten als Nagur mit einer brünetten Frau zurückkehrte. Die Frau trug eine teuer gearbeitete Waffe am Gürtel, und Magdalena war sich sicher, dass sie die Waffe auch meisterlich zu führen wissen würde.
„1000 Münzen. Sofort.“ sagte Nagur ohne sich zu setzen.
„Ist das alles?“ fragte Michael.
„Mehr verlangen wir nicht. Außer einer meiner Leute verliert sein Leben. Aber in diesem Falle werden wir auch einen Weg finden.“ antwortete die Frau. Magdalena war sich sicher, dass das Cassia war.
„Das ist alles was wir bei uns haben. Aber wir haben Waffen und Verpflegung.“ sagte Magdalena und legte einen Beutel auf den Tisch. Abschätzig hob Cassia den Beutel mit ihrem Dolch hoch. „Etwa sechshundert Münzen.“ schätzte sie.
„Was habt ihr für Waffen anzubieten?“ fragte Nagur. Valentin zeigte ihm das Schwert, Michael die Armbrust. Dann nickte Nagur. „Das Gold an der Armbrust und das Schwert reichen aus. Einverstanden?“
„Moment mal.“ unterbrach Michael. „Ich habe fast 1500 Goldmünzen eingeschmolzen für diese Verzierung. Und Valentins Schwert alleine ist schon 500 Münzen wert.“
„Wir machen hier die Preise. Wenn ihr nicht wollt.“ Cassia zuckte mit den Schultern. Magdalena legte Michael den Arm auf die Schulter und flüsterte etwas in sein Ohr, dann nickte er.
„Wir bieten euch das Schwert und etwas, was unser Freund bei sich trägt.“ sagte Magdalena.
„Was soll das sein?“ fragte Nagur interessiert.
„Ein Dutzend Armbrustbolzen aus purem Gold.“ antwortete Valentin, der die Finte erkannte.
„Ein Dutzend? Die wären dann…“ Nagur rechnete. „Das kann nicht sein.“
„Doch, annähernd 10.000 Goldmünzen.“ beendete Valentin den Satz.
„Behaltet das Schwert. Wir wollen nur diese Bolzen.“ sagte Cassia zufrieden und schob den Beutel auch wieder zurück.
„Wir wollen aber mitgehen.“
„Wenn ihr meint.“ sagte Cassia achselzuckend. Sie zeigte Nagur etwas in der Sprache der Diebe an. Sie wusste anscheinend nicht, dass alle drei dieser Sprache mächtig waren. So verstanden alle, was Cassia dem Mann angezeigt hatte: wenn ihr die Sachen habt, tötet alle.
 
Nagur führte die drei Söldner zur Kaserne der Stadtwache. Am Eingang zur Kaserne standen zwei andere Männer in braunen Kutten. Nagur begrüßte beide mit einem Handschlag und winkte dann die anderen näher.
„Das sind unsere Kunden.“ erklärte er.
„Alles klar. Ich bin Attila, das ist Jesper. Wenn ihr uns nicht im Weg steht, geht alles glatt. Sonst wird die Sache blutig.“ erklärte der größere der beiden. Er war sonnengebräunt und hatte eine lange Narbe auf der Wange. Der andere Dieb war fast leichenblass und hatte nur ein Auge.
„Sollte hier nicht eine Wache stehen?“ fragte Michael.
„Doch. Aber die schläft.“ antwortete der Einäugige grinsend. „Kommt mit.“
Der Weg zu den Zellen war überraschen ruhig. Aber alle bewegten sich leise und diszipliniert und weckten so nicht einen Wachsoldaten oder Gardisten auf. Als sie Banger erreichten, war dieser auch schon in einen tiefen Schlaf gesunken. Zwei leere und eine angebrochene Flasche Wein standen neben seinem Kopf auf dem Tisch. Einige Gläser mit Bierschaum standen zwischen seinen Beinen.
„Niclas?“ fragte Magdalena und klopfte an die Gitterstäbe. Niclas, der auf einer Pritsche gelegen hatte, sprang auf.
„Alles in Ordnung?“ fragte Valentin.
„Ja. Holt mich hier raus bevor der Saufkopf aufwacht.“ antwortete Niclas hysterisch. Attila, der eine Axt bei sich trug, zog den Stiel über den Kopf von Banger.
„Jetzt wird er nicht mehr so schnell aufwachen.“ sagte er kühl. Magdalena legte den Holzhebel neben der Zelle um und das Gitter wurde nach oben gezogen.
„Wo sind die goldenen Bolzen?“ fragte Nagur.
„Goldene Bolzen?“ fragte Niclas. Aber dann spannte er sein Gesicht. „Klar, die Bolzen.“ Langsam ging er zu Banger. „Ich habe sie in der Tasche, hier!“ Das letzte Wort schrie er und wollte das Schwert des Soldaten ziehen. Aber es verkantete sich und Niclas taumelte gegen Jesper.
„Die wollen uns in den Rücken fallen!“ schrie Jesper und zerrte an seinem Schwert. Aber Michael gab ihm einen Faustschlag ins Gesicht und warf sich gegen Attila. Obwohl dieser seine Axt bereits gezogen hatte, brachte es ihm nichts. Als er wieder auf die Beine kam stand Valentin mit gezogenem Schwert über ihm, Magdalena hielt Nagur im Schach.
„Jetzt mal ganz ruhig. Was geht hier ab?“
„Wir suchten einen Weg dich zu befreien. Jetzt bist du frei. Los! In die Zelle!“ befahl Valentin. Widerwillig kroch Attila in die Zelle, gefolgt von Nagur. Michael und Niclas waren den bewusstlosen Jesper auch hinein und dann zog Magdalena den Hebel wieder runter.
„Banger wird sich morgen freuen.“ sagte sie grinsend und schnupperte an der Weinflasche. Dann verzog sie das Gesicht.
„Los, wir verschwinden!“ befahl Niclas. „Ich brauch was zwischen die Zähne, und einen schönen Humpen Bier.“
Ohne Probleme verließen sie die Kaserne wieder.
 
„Das war verdammt töricht. Ihr habt das sicher nicht geplant, oder?“ fragte Niclas draußen.
„Zum Teil schon. Wir haben gesehen wie die Anführerin der Diebe Nagur angezeigt hat, uns zu töten.“ antwortete Michael. „Außerdem…“
Plötzlich fiel er wie ein gefällter Baum um. In einer Gasse hallten Schritte.
„Das war sicher Cassia. Die pack ich mir!“ rief Valentin und rannte los. Magdalena kniete neben Michael nieder. „Verdammt.“ stellte sie fest und zog einen Bolzen aus seiner Brust. Eine grüne Flüssigkeit schimmerte im Hohlraum des Bolzens. Sie schnupperte vorsichtig daran. Dann zischte sie: „Gift.“
„Tut mir einen Gefallen.“ stöhnte Michael.
„Keine Sorge. Du schaffst das. Hier in der Nähe ist ein Arzt.“ sagte Niclas und hob seinen Freund hoch.
„Tötet das Monster. Haltet es auf.“ stöhnte Michael. Dann starb er. Niclas fluchte und legte den Toten in eine dunkle Gasse.
„Was tun wir jetzt, ohne Schützen?“ fragte Magdalena.
„Auf offenem Feld können wir uns dem Monster nicht stellen. Dafür ist es zu stark. Aber vielleicht…“ Niclas überlegte.
„Diese Hexe ist entkommen.“ zischte Valentin, der enttäuscht zurückkam. „Plötzlich war sie verschwunden.“
„Das ist ihre Stadt. Wir hatten nie eine Chance.“ versuchte Magdalena den heißblütigen Krieger aufzumuntern.
„Wir trennen uns. Jeder geht in eine andere Taverne. Versucht Freiwillige und Söldner zu finden, aber achtet darauf keinen der Diebesgilde hier zu erwischen. Wir können es nicht brauchen, dass sie uns in den Rücken fallen. Morgen treffen wir uns vor dem Westtor. Dann geht es weiter.“
 
Niclas sah sich in einer Edeltaverne um. Aber außer schnöseligen Neureichen und einigen Aufschneidern fand er nichts. Absolut nichts. Selbst das Bier war schlechter als im „Zum Einbeinigen Klabauter“.
So verließ er schnell das Lokal und suchte sich ein billiges Zimmer in einem Hotel.
Magdalena hatte auch kein Glück. Sie ging in eine der Kneipen der Mittelklasse. Aber dort waren zu viele Gardisten um effektiv neue Söldner anzuwerben. Denn wenn die Gardisten auch betrunken waren, sie waren immer wachsam.
Valentin ging zurück in den Einbeinigen Klabauter. Dort fand er schnell einen potenziellen Krieger. Ein wahrer Riese, wenn auch etwas schmächtig. Er sah etwas seltsam aus, als wäre er geistig nicht auf der Höhe, aber ansonsten schien er gerade ausgezeichnet geschaffen für einen solchen Job. Nach einigen Krügen Bier willigte der Mann dann ein. Valentin war zufrieden, erklärte dem Söldnern, wo er sich wann einzufinden hatte, und ging auch schlafen. Nur er suchte sich eine schöne Frau im Puff der Stadt.
 
Niclas erwachte wie aus einem Winterschlaf. Im Haus war es noch ruhig, die Sonne würde aber bald aufgehen. Leise schlich er sich aus dem Schlafraum, in dem sieben weitere Männer und Frauen schliefen, hinunter in den Speisesaal. Dort schlief der Wirt auf einem Tisch. So leise es ging zog Niclas sein Schwert und begann mit seinen Übungen. Heute würde er dem Monster entgegentreten und jede zusätzliche Minute würde sich lohnen.
Plötzlich fuhr der Wirt aus seinem Schlaf auf, sah die blanke Klinge und schrie auf: „Nehmt das Gold und meine Tochter! Aber lasst mich!“
„Keine Sorge, alter Mann. Ich bin nur ein Frühaufsteher. Ich bereite mich auf die Jagd vor?“
„Ein Jäger also.“ murmelte der Wirt verlegen. „Einige Händler in der Stadt zahlen gut für alle Arten von Fellen. Vor allem die Felle des schwarzen Wolfsrudels, dass in letzter Zeit mehrere Schafe gerissen hat, würde viel einbringen.“
„Was du nicht sagst.“ antwortete Niclas interessiert. Wenn das Monster gerichtet sein würde, würde er sich vielleicht die Wölfe krallen um seine Finanzen aufzubessern.
„Ich werde noch vor den anderen gehen. Wie viel bekommst du?“
„Drei Goldmünzen, Herr.“ antwortete der Wirt gierig und streckte seine fettige und schmalzige Handfläche dem Söldner entgegen. Niclas kramte vier Münzen zusammen und legte sie vorsichtig dem Wirt hin. Er achtete penibel darauf die Hand nicht zu berühren.
„Ich sagte drei, Herr.“
„Ich gebe dir vier, aber dafür sagst du niemandem, dass ich hier war.“ zischte Niclas und sah den Wirt böse an. Dieser nickte zuerst zögerlich, dann überzeugt. „Natürlich, Herr.“
„Gut.“ antwortete Niclas zufrieden, wohl wissend dass der Wirt ihn für jeden auch so kleinen Preis verraten würde, und ging nach oben seine Sachen packen.
Bevor er ging, richtete er noch ein letztes Wort an den Wirt: „Verliere ein Wort über mich, und ich komme zurück!“
"Ja, Herr."
 
Wie vereinbart trafen sich die drei Söldner am Westtor. Die verschlafene Wache fragte sie erst gar nicht, wohin sie wollen. Er war nur froh weiterschlafen zu können.
Der Neue folgte einige Minuten später. Er trug einen leichten Lederwams und ein schartiges Schwert an der Seite.
„Wo hast du denn den her? Aus der Gosse gezogen?“ zischte Magdalena.
„Wenigstens habe ich jemanden aufgetrieben.“ antwortete Valentin beleidigt. Niclas winkte Valentin zu, zu schweigen. „Kannst du kämpfen?“
„Ich versuche es zu vermeiden. Aber es reichte bis jetzt immer.“ antwortete der Neue.
„Na ja. Das hört sich aber nicht überzeugend an.“ Niclas überlegte einige Minuten. „Da das Monster zum Steinkreis will, gibt es nur zwei Wege diesen zu erreichen. Entweder über den Pass, oder über die Brückenfurt.“
„Die Brückenfurt zieht sich über vier Tage. Und der Tempel in den Bergen ist schwer bewacht. Nur wenige haben es überlebt.“ fügte Magdalena hinzu.
„Wir werden den Weg durch den Sumpf nehmen und den Pass belagern. Du gehst zur Brückenfurt. Schlag dein Lager an der ersten Brücke auf und warte ab. Wenn das Monster dort erscheint, greif es an. Halte es so lange auf wie du kannst. Bis dann werden wir den Steinkreis erreicht haben.“ befahl Niclas. Der Neue nickte. „Ich werde sterben, wenn dieses Monster diesen Weg wählt, oder?“
„Wahrscheinlich. Sogar sehr sicher. Aber wenn wir dieses Monster nicht aufhalten können, wird es am Steinkreis weitere seiner Selbst schaffen. Das dürfen wir nicht zulassen!“
„Ich habe verstanden.“ murmelte der Neue. Dann ging er zügig durch das Tor in Richtung des Passes.
„Glaubst du er geht zum Brückenfurt?“ fragte Valentin, als der Söldner außer Hörweite war. Niclas schüttelte den Kopf. „Wenn er schlau ist, setzt er sich ab, sobald er sicher ist, dass wir ihm nicht folgen.“
 
Der Ort des Hinterhalts war nicht so gut wie der letzte. Aber er würde ausreichen. Niclas würde sich mit seinem Bogen auf einer Klippe verstecken und das Monster wie beim letzten Mal versuchen niederzustrecken.
Magdalena und Valentin würden im Unterholz abwarten und ihm dann den Todesstoß versetzen. Schnell, effizient, hoffentlich schmerzvoll.
Rache für die vielen gefallenen Krieger. Für Freunde, Gefährten, aber auch für die ganzen Unbekannten.
‚Da kommt was?’ zeigte Valentin dem Schützen an. Vorsichtig warf Niclas einen Blick in die Ferne. Der Leuchtturm etwa eine Meile entfernt warf gerade sein Licht in seine Richtung. Ein einzelner Wanderer auf dem Weg. Höchstwahrscheinlich ihr Ziel, und sonst sicher auch ertragreich. Immerhin würden sie bald mit leeren Beuteln dastehen. Ein paar Goldmünzen würden nicht schaden.
Niclas legte einen Pfeil auf und schätzte den Wind ab. Dann feuerte er den Pfeil ab. Und traf.
 
Valentin sprang erfreut auf als das Monster wie vom Blitz getroffen fiel. Der Pfeil verbrach unter dem Gewicht und weitere Splitter bohrten sich in den Feind.
Er sprang mit blankem Schwert auf den Feind zu und trieb es einige Male in den Rücken. Blut spritzte und befleckte ihn. Magdalena kam hinzu und rammte einen Spies knapp unterhalb der Lunge in den Körper.
Das Monster krümmte sich und schrie. Es war ein schreckliches Geräusch.
„Den Kopf abschneiden!“ schrie Niclas von der Klippe. Valentin nickte und hob das Schwert zum tödlichen Streich.
Aber plötzlich bäumte sich das Monster auf und schleuderte Magdalena wie ein lästiges Insekt weg. Keuchend taumelte die junge Frau nach hinten. Rasend schnell riss das Monster den Spieß hoch und rammte ihn mit aller Kraft in Valentins Körper.
Überrascht keuchte der Krieger auf und ließ das Schwert fallen. Dann kippte er auf die Seite. Niclas feuerte einen weiteren Pfeil ab und durchbohrte damit den Oberschenkel des Monsters. Aber unbeeinflusst marschierte es auf Magdalena zu und riss der wehrlosen Frau gnadenlos die Kehle auf. Gurgelnd starb auch sie.
„Du bist der Letzte! Und auch dich werde ich holen!“ zischte das Monster. Es streute silbernen Staub auf die beiden Leichen und lief dann los. Dass zwei weitere Pfeile Rücken und Arm trafen schien es wenig zu stören. Schließlich war das Monster verschwunden. Stille.
Niclas war geschockt. Gut ausgebildete Krieger wie Valentin und Magdalena waren innerhalb weniger Sekunden gestorben. Ohne Chance zur Gegenwehr. Das Monster war mächtiger als erwartet.
Er würde seine Gefährten begraben und dann die Jagd beenden. Auf jeden Fall. Niclas hängte seinen Bogen auf die Schulter und wollte mit dem Abstieg beginnen. Da stöhnte Valentin und stand auf.
Niclas war überrascht. Der Spieß hatte seinen Körper durchbohrt. Niemand, selbst ein schwer gerüsteter Ritter, hätte das überlebt. Aber Valentin stand auf, hob sein Schwert auf und steckte es in die Scheide.
„Valentin? Alles in Ordnung?“ fragte Niclas. Aber sein Gefährte reagierte nicht. Plötzlich stand auch Magdalena wieder auf. Blut beschmierte ihr ganzes Gewand. Aber sie stand da als wäre nichts.
„Magdalena! Valentin! Wir müssen weiter!“ rief Niclas. Jetzt reagierten die tot geglaubten Söldner. Sie starrten Niclas an. Ihr Blick war leer. Valentin sprang überraschend schnell hoch und packte Niclas am Bein. Mit einem überaus starken Ruck, stärker als Niclas es von dem bulligen Mann erwartet hätte, fegte er Niclas von den Beinen. Magdalena, bei weitem wendiger, sprang behände auf die mindestens sechs Meter hohe Klippe hoch und warf sich auf Niclas. Der faulige Geruch des Todes strömte auf ihrem Mund.
„Hört auf!“ zischte Niclas und stieß Magdalena von sich. Aber sofort war sie wieder auf den Beinen und auf ihm.
Irgendwie schaffte es Niclas dann seinen Dolch aus dem Gürtel zu bekommen. Er rammte ihn mit aller Kraft in den Kopf von Magdalena. Schwer fiel sie auf ihn und rollte zur Seite. Valentin zog jetzt aber sein Schwert und holte auf.
Niclas konnte im letzten Moment zur Seite springen. Dabei strauchelte er aber und stolperte über Magdalenas Leiche. Valentin sprang über ihn und hob sein Schwert zum letzten Stich. Niclas schloss die Augen und erwartete den Tod.
Aber er kam nicht. Vorsichtig blinzelte Niclas. Valentin war verschwunden. Vorsichtig richtete er sich auf.
Die blutige Leiche lag vor seinen Beinen, das Schwert lag neben ihm.
„Alles in Ordnung?“ fragte jemand. Die Büsche teilten sich und zwei Jäger mit Armbrüsten traten heraus. Einer trug einen Überwurf aus Wolfsfellen, der andere eine Lederrüstung, die mit Brustplatten von Riesenkäfern verstärkt war.
„Was machst du hier?“ zischte der Mann.
„Ich war mit meinen Freunden auf der Jagd. Aber es lief nicht alles wie geplant.“ antwortete Niclas knapp.
„Sie wollten dich umbringen?“ fragte der andere Jäger.
„Nein, wir kannten uns schon lange. Das hätten sie nie getan.“ entfuhrt es Niclas. Er hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen.
„Das sah grade anders aus. Der hier wollte dich grade erstechen.“ sagte der andere Mann wieder und stieß Valentin mit dem Stiefel an.
„Sie waren nicht Herr ihrer Sinne.“
„Betrunken jagen gehen. Na toll.“ lachte der andere.
„Sie waren mehr als betrunken. Sieh dir ihren Hals an. Als hätte ein Tier die Kehle zerfetzt.“ stellte sein Kumpel fest. Der Jäger legte unauffällig die Hand aufs Schwert. „Sag uns jetzt was hier passiert ist. Wenn du uns leimen willst, bist du auch bald tot.“ drohte er.
„Was ich euch jetzt sage, stimmt.“ antwortete Niclas resignierend.
„Das will ich auch hoffen.“ zischte der Jäger.
„Ich werde nicht übertreiben oder etwas beschönigen. Ich sage nichts als die Wahrheit.“ setzte Niclas unbeeindruckt fort. Dann erzählte er die ganze Geschichte, von Anfang an.
 
Die beiden Jäger verlangten dann sich beraten zu dürfen. Aber sie behielten Niclas im Auge. Schließlich winkten sie ihn näher.
„Es klang verdammt an den Haaren herbei gezogen, was du uns da erzählt hast. Aber ich habe bereits von solchen Wesen gehört. Aber das es sie wirklich gibt, habe ich immer bezweifelt.“ erklärte der Jäger mit der Lederrüstung.
„Und jetzt? Lasst ihr mich leben?“ fragte Niclas erleichtert.
„Mehr als das. Dieses Monster ist gefährlich. Wir werden dir helfen es aufzuspüren und zu töten. Aber zuerst begraben wir die beiden. Mach dir keine Sorgen, Denis ist ein meisterhafter Spurenleser. Wir werden diesen Magog finden und töten.“
„Magog?“ fragte Niclas.
„Ich habe wie gesagt von solchen Wesen gehört. Man nennt sie Magog – Teufel. Sie trinken Blut wie Vampire und sind mächtig wie Dämonen. Außerdem sind sie fähig die Gestalt von Menschen anzunehmen. Sie töten wahllos und grausam um ihren Durst zu stillen. Aber man kann sie töten.“
„Ich habe viel versucht. Michael, einer meiner Gefährten, war ein Meister der Armbrust. Der Bolzen prallte an dem Magog ab. Pfeile durchbohrten dieses Monster bei meinem letzten Zusammentreffen mit ihm. Das Monster schien das nicht einmal zu spüren.“ Niclas seufzte. „Ich kenne keine Waffe, die dieses Monster jemals auch nur schwerer verletzt hätte.“
„Feuer bekämpft man am besten mit Feuer. Magische Wesen wie einen Magog mit Magie.“ erklärte der zweite Jäger.
„Ihr kennt einen Magier?“ fragte Niclas überrascht. Die Jäger schauten sich an und lachten. Schließlich erkläre einer der beiden prustend: „Er ist keinesfalls ein Zauberer, der mit einem Zauberstab wedelt und das Monster so tötet. Aber er hat ein Pulver mit enormer Vernichtungskraft. Und einige andere nützliche Dinge.“
 
Die Jäger, Denis und Martin, führten Niclas zurück in die Stadt. Einmal dachte Niclas in der Menge Cassia zu sehen, aber vielleicht hatte er sich auch geirrt. Die beiden Jäger führten Niclas in den Hafen. In der Nähe der Stadtmauer, neben einer Schmiede, war eine kleine Hütte. Die Tür, schwer beschlagen mit Eisen, war verschlossen. Vorsichtig klopfte Denis an.
„Ja, ja. Ich komme ja schon.“ seufzte ein Mann und kurz darauf schwenkte die Tür nach außen auf. Ein gebrechlicher, alter Mann stand in einer Lederschürze in der Tür und musterte die drei.
„Was treibt euch denn her? Gibt es kein Wild mehr?“ fragte er mit einer knarrenden Stimme.
„Reichlich. Aber wir brauchen etwas von deinem Feuerpulver.“ antwortete Denis.
„Warum?“ fragte der Mann misstrauisch.
„Unser Freund sagt ein Magog treibt sich in den Wäldern herum.“
„Ein Magog? Das ist ein Märchen.“ zischte der Mann und wollte die Tür schließen.
„Nein, da ist einer. Zwei Menschen starben heute Nachmittag, hunderte in den letzten Jahren. Also gib uns das Pulver.“
„Erzählt eure Märchen woanders.“ zischte der Mann und schlug die Tür zu. Dabei klemmte er die Hand von Denis ein.
„Alter, störrischer Esel.“ zischte der und massierte die Hand.
„Wartet mal. Ich habe eine Idee.“ sagte Niclas plötzlich und klopfte an. Die Tür ging nur einen spaltbreit auf. „Ich sagte doch…“
Niclas fiel ihm ins Wort: „Willst du dass ich Cassia hole und sie dir das erklärt?“
„Cassia ist hier?“ fragte der Mann erschrocken. Niclas nickte.
„Ich gebe euch einen Beutel voll. Aber dann verschwindet ihr. Und bitte sag nichts zu Cassia. Ihre Schläger haben letztes Mal meine ganzen Instrumente zusammengeschlagen. Ich bin doch nur ein armer Alchemist und…“
„Rück das Pulver raus, dann sind wir verschwunden.“ unterbrach Martin dieses Mal. Der Alchemist nickte schnell und verschwand in der Hütte. Dann reichte er einen großen Beutel heraus.
„Ihr wisst ja wie es funktioniert. Geht jetzt!“
 
Denis fand die Spur des Monsters schnell wieder. Sie führte aber nicht wie erwartet direkt zum Steinkreis sondern zu den Pässen. Ein Knecht auf den Feldern zeigte ihnen auf einer Karte, die er gefunden habe, wo sie am besten zuschlagen könnten.
So kauften sich die drei Jäger bei dem Hof Pferde und brachen auf. Als sie die Brückenfurt erreichten lag die Leiche eines Mannes in den Büschen. Der Neue war also wirklich hier herauf gegangen. Da seine Kehle zerfetzt war und er kaum Blut auf der Kleidung hatte war klar, was ihn angegriffen hatte.
„Der Weg ist jetzt sehr gut einsehbar. Aber spring uns nicht von den Klippen. Es geht verdammt tief runter.“ scherzte Martin.
Als sie auf den Pass einbogen sahen sie eine Gestalt etwa eine Meile voraus. Sie marschierte schnell, und die Sonne sank.
„Bei Einbruch der Nacht erreicht der Magog den Steinkreis. Dann ist es zu spät. Los!“ rief Niclas und gab dem Pferd die Sporen. Denis und Martin folgten ihm sofort.
Im Reiten riss Martin einen Pfeil aus dem Köcher und feuerte zielsicher auf den Magog. Beinahe hätte er getroffen. Aber der Pfeil traf auf Fels und zersplitterte.
Das Monster drehte sich um und stieß einen markerschütternden Schrei aus.
Denis zog seine Axt vom Gürtel, Niclas zog das Schwert. Schnell kamen sie näher.
„Trenn den Kopf ab!“ rief Denis. Er drängte sich vor Niclas und schwang seine Axt.
Als er das Monster erreichte schlug er zu. Der Magog unternahm erst gar nicht den Versuch auszuweichen. Die Axt fuhr in die Schulter und fraß sich fest. Statt abzubremsen ließ Denis den Griff los, ritt einige Meter weiter und wendete das Pferd. Er sprang aus dem Sattel und riss dabei eine weitere Waffe aus der Scheide.
Inzwischen führte Niclas einen Strich, verfehlte den Hals aber und trennte stattdessen den linken Arm des Monsters ab.
Martin stoppte sein Pferd einige Meter hinter dem Monster und legte zwei weitere Pfeile auf. Beide trafen zielsicher in den Rücken.
Dann führte Denis einen weiteren Schlag. Plötzlich erwachte das Monster aus der Starre und schleuderte Denis gegen die Felswand. Klirrend zerbrach das Schwert. Niclas schlug zu und traf den Magog irgendwo am Torso. Blut spritzte und ließ das Monster taumeln. Zwei weitere Pfeile fuhren in die Seite des Monsters.
„Den Kopf ab! Den Kopf ab!“ schrie Martin hysterisch. Denis rappelte sich inzwischen hoch. Schützend stellte sich Niclas vor ihn als das Monster auf den verletzten Mann zuging.
„Ich habe euch erwartet!“ zischte der Magog mit seiner durchdringenden Stimme. „Ihr seid direkt in meine Falle getappt.“
„Ach was. Du wirst sterben!“ schrie Niclas und schlug zu. Die abgetrennte Hand des Magogs fiel zu Boden. Aber das Monster lachte nur.
Niclas zögerte. Sonst, wenn er und seine Gefährten das Monster so zugerichtet hatten, hatte es die Flucht ergriffen. Und dann begriff er. Die Sonne. Sie war fast verschwunden.
„Schnell!“ rief er. Martin nickte und schoss seinen letzten Pfeil ab. Dann warf er den Bogen über die Schulter und rannte mit blanker Faust auf den Dämon zu.
„Nein!“ rief Denis, aber es war zu spät. Der Dämon packte den Angreifer an den Armen und schleuderte ihn in den Abgrund. Schreiend vor Überraschung und Wut fiel der Jäger.
 
Es war ein bizarrer Anblick. Der Magog hatte noch immer die Axt von Denis in der Schulter stecken. Der eine Arm war vollkommen abgetrennt, der andere knapp unter dem Ellenbogen. Mehrere Pfeile steckten in Rücken und Torso. Eine große Lache aus Blut hatte sich zwischen den Beinen gebildet.
Die Sonne war im Rücken des Monsters und verlieh ihm mehr und mehr ein dämonisch rotes Leuchten. Und weder Niclas noch Denis waren im Standen den tödlichen Streich zu führen. Eine unbekannte Macht hinderte sie.
„Ich weiß nicht recht was ich mit euch tun soll. Euch eurem törichten Freund nachschicken? Oder soll ich euch mitnehmen und meinen großen Aufstieg beobachten lassen?“
„Töte uns einfach und mach der Jagd ein Ende!“ zischte Niclas böse. Obwohl er das Schwert erhoben hatte, konnte er es nicht bewegen. Seine Glieder waren steif, bewegungsunfähig war er dem Feind ausgeliefert.
„Weißt du, Niclas, du verfolgst mich jetzt schon so lange. Hunderte Menschen starben unter meiner Hand, und wie viele durch meine Hand? Letzthin schon drei, diesen Narr eben mitgerechnet. Michael traf eine weise Entscheidung euch zu verlassen. Er wird so im Alter sterben.“
„Michael starb durch einen vergifteten Pfeil!“ zischte Niclas.
„Ach komm. Dann bist du ja der Letzte. Dann müsste ich dich fast gehen lassen.“ sagte der Magog amüsiert. „Aber die Jagd ist vorbei. Hier wird sie enden!“
 
Plötzlich war Niclas wieder Herr seiner Kräfte. Schnell drehte er das Schwert in der Hand und schlug dann zu. Die Sonne war bereits untergegangen und eine schreckliche Düsternis unterstrichen von Wind lag über dem Pass.
Das Monster verschwand in der Tiefe. Ohne einen weiteren Laut. Denis jubelte und schaute dem Monster nach. „Es ist weg!“ schrie er erfreut und drehte sich um. Er umarmte Niclas. „Wir haben es geschafft!“
Niclas grinste zufrieden und entspannte sich. Endlich.
Aber dann hörte er die Schwingen. Riesige Schwingen, die die Luft teilten. Sofort riss er sein Schwert wieder hoch. Aber Denis war nicht schnell genug. Ein riesiges, geflügeltes Monster, erhob sich und packte mit riesigen, messerscharfen Krallen den Jäger. Dann riss das Ungeheuer den Mann ohne größere Anstrengung in zwei Hälften.
Der letzte Ausdruck in Denis Gesicht war das blanke Entsetzen. Der Beutel mit dem Schießpulver, das sie sich besorgt hatten, hing an seinem Gürtel. Ungeöffnet, ungebraucht.
Niclas überlegte nicht lange. In der rechten Hand das Schwert schwingend warf er sich mit einem hellen Schrei aus Hass auf den Monster und krallte sich seine Brust.
Das neue Gewicht überraschte den geflügelten Magog und ließ ihn taumeln. Niclas trennte sofort eine der Schwingen ab und ließ das Monster so ins Trudeln geraten. Dann begann er auf die gefederte Brust einzustechen und einzuschlagen. Riesige Federn und Fleisch wurden in großen Mengen herausgerissen.
Der Magog schrie vor Verzweiflung, Angst und Hass. Mit seinen Krallen versuchte er den blinden Passagier zu packen, während er auch den Sturz mit dem verbliebenen Flügel abfangen wollte. Aber beides misslang.
„Der ist für Florian!“ Ein weiteres Stück Fleisch wurde aus der Brust gerissen. Eingeweide drängten aus dem Loch. Der Gestank war enorm.
„Der ist für Michael!“ Niclas riss die Eingeweide heraus. „Der ist für Valentin!“ Die Eingeweide platzten auf und stinkende, dunkle Flüssigkeiten tränkten Niclas. Ihm wurde übel, aber mit dem Mut der Verzweiflung und des Hasses erlangte er immer wieder aufs Neue ungeahnte Kräfte.
Der Abgrund war wirklich so tief wie Denis ihn beschrieben hatte. Aber schließlich sah Niclas im Augenwinkel die ersten Felsen in der Tiefe. Irgendwo glaubte er etwas Weißes zu sehen, was ihn stark an den Umhang von Martin erinnerte.
„Der ist für Magdalena! Der für Martin! Der für Denis!“ schrie Niclas und schlug erneut mehrmals zu. Dann waren nur mehr wenige Meter zwischen ihm und dem Tod.
„Und der ist schließlich für mich selbst!“ zischte er und rammte sein Schwert ein letztes Mal mit aller Kraft in die Brust. Dann brach er die Klinge ab.
Der Magog schrie noch einmal auf und dann wurde er zerschmettert. Niclas wurde in die weiche, stinkende Hülle gepresst. Er spürte seine Knochen brechen, seine Glieder wurden verdreckt. Dann wurde es dunkel.
Die Jagd war vorbei. Endlich.

Die Jagd ist ein Gemeinschaftswerk mit Freunden. In drei Tagen erstellten wir die handgeschriebene Vorlage, ich selbst hatte dann die Ehre die 12 eng beschriebenen Seite (in meiner unleserlichen Handschrift) zu tippen.
Aber da meine Freunde mit dem Werk zufrieden sind, hoffe ich auch, dass es euch gefällt.

Was das Monster ist habe ich nicht definiert. Das könnt ihr selber entscheiden. Aber es gibt Komponenten von Vampiren, Werwölfen, Drachen und vielleicht auch dem Teufel.
Den Namen Magog habe übrigens nicht ich gewählt, sondern Torsten, der den Charakter Martin ins Spiel brachte.
Nicolai Rosemann, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.03.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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