Bettina Lemmel

Ausnahmezustand

Sie ging die Straße entlang. Es war ruhig. Fast zu ruhig. Kaum Autos waren unterwegs und Menschen schon gar nicht. Ausnahmezustand hatte ihr Chef ihnen erklärt. Keiner dürfe raus. Ausgangssperre! Sie erschauerte. Der Tag hatte schon komisch begonnen. Bedrückte Mienen der Menschen. Gedrückte Stimmung. Grauer Himmel.
Der Krieg zwischen den Nationen war immer weit weg gewesen. Es gab ihn zwar aber hier hatte man sich immer sicher gefühlt. Bis heute.
 
Es war ein fernes Donnern gewesen, daß sie alle für ein nahendes Gewitter hielten. Auch bei der folgenden leichten Erschütterung hatte niemand ernsthaft an etwas schreckliches geglaubt. Sicherlich einer dieser Riesenflieger! Ungewöhnliche Route aber wer weiß das schon.
 
 
 
Als die Geräte nach und nach verrückt spielten und schließlich der Strom weg war, war so etwas wie Angst zu spüren, die durch die lauter werdenden Sirenen nicht gerade besänftigt wurde. Und dann kam die Nachricht: Sie durften nicht gehen. Bis auf weiteres. Für Nahrungsmittel und Schlafstätten würde gesorgt werden.
 
Unruhe, Panik, Entsetzen. Nichts war mehr sicher!
 
 
 
Nach dem ersten Schock waren sie und ihr Kollege abgehauen. Leise und unauffällig. Sie hatten sich voneinander verabschiedet, jedoch lag etwas unsicheres in ihren Stimmen.
Nun überlegte sie, wie sie am schnellsten nach Hause kam. Ihre Tiere! Ihre Wohnung! Sicherlich fuhr keine Bahn und kein Bus mehr. Also blieb ihr nichts anderes als der Fußmarsch. Sie wählte kleine Straßen und Wege, um nicht aufzufallen. Gab es schon Straßensperren? Wenn sie gesehen würde, nahm man sie fest? Sie sah sich um.
Niemand. Je näher sie dem Zentrum kam, desto unruhiger wurde sie. Mittlerweile waren vereinzelt Menschen zu sehen, die sich mit ausdruckslosen Gesichtern genauso vorsichtig wie sie bewegten.
Der Dreck auf den Straßen nahm zu. Vereinzelt irgendwelche Gegenstände. Brandgeruch, Rauchschwaden. Aber ungewöhnlich still. Keine Feuerwehr, keine Polizei? Unbemerkt war sie immer schneller geworden. Es war nicht mehr weit. Demnächst müßte sie am Bahnhof sein. Immer mehr Zeug auf den Straßen. Kaputte Fenster, Autos, Laternen, beschädigte Häuser. Und diese Stille!
Noch zwei Straßenecken, dann war sie am Bahnhof. Sie hielt den Blick starr geradeaus. Jetzt lief sie. Vorbei an ihrer Lieblingsbäckerei, der kleinen Schneiderei, die Drogerie. Da war der Briefkasten! Hat man ihn passiert, schiebt sich von rechts das mächtige barocke Gebäude des Bahnhofs heran und läßt einem für einen Moment den Atem stocken. Jetzt war sie da. Sie sah nach rechts. Doch da war nichts mehr! Kein Gebäude! Einfach nichts!
 
 
Ein Krater. Rauchender Schutt. Ihr Herz pochte. Sie ging einen Schritt an das riesige Loch heran und sah hinab.  Der Qualm brannte ihr in den Augen. Bewegte sich da was? Waren das Menschen? Ein Arm?
Dann kam die Panik und sie rannte los. Sie stolperte, versuchte dem Schutt auszuweichen, sprang und schlug Haken. Sie rannte, bis ihr die Lungen brannten. Da sah sie ihr Haus. Es war unbeschädigt. Sie sprang die Treppen hoch und schloß mit zitternden Händen die Wohnungstür auf. Dann stand sie da und rang nach Atem. Es sah alles so aus, wie sie es am Morgen verlassen hatte.
Wo war die Katze? Sie ging durch die Zimmer, rief und lockte. Da bewegte sich was unter ihrer Bettdecke. Sie hob sie an und da war sie. Verängstigt aber wohlauf. Sie nahm sie und setzte sich in einen Sessel. Sie schloß die Augen.
 
 
Als sie die Augen wieder aufschlug lag sie im Bett. Die Katze neben ihr. Sie sah sich um. Alles war normal. Ein Traum. Sie stand auf und ging ans Fenster. Menschen, Autos. Alles normal. Sie öffnete das Fenster und atmete tief durch. Verrückter Traum. Sie ging in die Küche, machte Kaffee, zog sich an. Die Arbeit ruft. Schuhe an und los.
 
 
Sie schloß die Tür und trat auf die Straße, da gingen die Sirenen los.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.03.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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