Martina Bartels

Der Wunschgnom

Nora zog sich die Decke bis zur Nasenspitze und drehte sich auf die andere Seite. Im Schlaf murmelte sie etwas vor sich hin und knirschte mit den Zähnen.
„Na, träumst du wieder von ihm? Hast du ihn noch immer nicht vergessen?“
Nora drehte sich auf die andere Seite.
„Werd endlich wach! Ich will mit dir reden! Halloooo, Schlafmütze, aufwachen!!!“
Sie fröstelte und griff nach ihrer Decke, doch da war nichts. Verschlafen öffnete sie die Augen und blinzelte. Nora sah ein flackerndes Licht am Ende ihres Bettes und erschrak fürchterlich.
„Endlich bist du wach, das hat aber gedauert!“, sprach das Licht zu ihr.
Sie griff nach ihrer Bettdecke und rieb sich die Augen.
„Was für ein bescheuerter Traum“, schoss es ihr durch den Kopf.
„Ich bin kein Traum“, antwortete das Licht.
„Wer, wer bist du?“, stammelte Nora. Sie richtete sich auf und schob sich ihr Kopfkissen hinter den Rücken. Das Licht erschien ihr nicht mehr ganz so grell und sie sah genauer hin. Auf ihrer Bettkante saß ein kleines, grünes Männchen, das wie eine Lampe von innen leuchtete. Es hatte ein schrumpeliges Gesicht und spitze Ohren. Ein wenig sah es aus, wie die modernen Kuscheltiere der Kinder. Eine Mischung aus Teletubbi und Pokemon.
Das Männchen sah sie aus dunklen Knopfaugen an.
„Ich bin Tuzzel, dein Wunschgnom.“
„Mein was?“, verwirrt sah Nora ihn an.
Plötzlich schwebte er durch die Luft und landete sanft neben ihr. Erst jetzt sah sie die kleinen Flügel auf seinem Rücken.
„Ich spinne!“, sagte sie laut.
„Nein“, antwortete Tuzzel und verzog seinen zahnlosen Mund dabei zu einem Grinsen. „Pass auf, ich erkläre es dir.“
Nora machte es sich gemütlich und sah ihn abwartend an. Angst hatte sie keine, noch immer dachte sie an einen Traum, eine Halluzination oder so.
„Also“, begann er. „Ich bin ein Wunschgnom, dein Wunschgnom. Einmal in seinem Leben erscheint jedem Menschen sein persönlicher Wunschgnom. Wann das ist, das entscheiden wir selber. Und ich finde, der Zeitpunkt ist jetzt gekommen, auch wenn die Zauberelfen mich daran hindern wollten.“
„Die Zauberelfen?“, wollte Nora wissen.
„Ja, sie mögen es nicht, wenn wir Schabernak mit den Menschen treiben, dabei wollen wir doch nur helfen. Aber die Elfen mögen unsere Späße nicht.“
„Aber warum ich und warum heute?“, fragend sah sie ihn an.
„Weil ich finde, dass du nun lange genug traurig warst. Das ist der Kerl nicht wert!“
Noras Augen nahmen einen traurigen Ausdruck an. Sie dachte an Klaus, er hatte sie betrogen und verlassen. Eine Träne lief über ihre Wange.
„Du meinst ... Du kannst ...?“, voller Erwartung sah sie ihn an.
Doch Tuzzel schüttelte den Kopf. „Nein, er kommt nicht zu dir zurück, das kann ich nicht. Diesen Zauber können nur die Feen, aber trotzdem kann ich dir helfen.“ Ein böses Lächeln huschte über sein Gesicht.
Nora sah ihn an. Sie verstand nichts.
„Wie meinst du das?“, wollte sie wissen.
Er rückte ganz nah zu Nora und legte seine kleine Hand auf ihre Große. Treuherzig sah er sie an.
„Hör mir gut zu, ich kann es dir nur einmal sagen, dann ist der Zauber vorbei.“
Nora nickte und er begann zu erzählen ...
Am nächsten Morgen erwachte Nora durch das strahlende Sonnenlicht in ihrem Zimmer. Sie gähnte und streckte sich. Da erinnerte sie sich an die letzte Nacht.
„Was für ein wirrer Traum“, lächelnd schüttelte sie den Kopf. „Mein Wunschgnom ... tztztz, langsam werde ich wirklich verrückt!“
Ein paar Tage vergingen, doch Nora konnte den Traum nicht vergessen. Jedes Wort hatte sie im Gedächtnis. Sie begann zu überlegen.
„Und wenn es doch kein Traum war? Nur bei Vollmond hatte das Männchen gesagt, das wäre in fünf Tagen ...“
Ihre Augen blitzten, als sie sich vorstellte, was passieren würde ...
„Also gut, ich probiere es!“, beschloss sie.
Nora begann sofort mit den Vorbereitungen. Sie besorgte bei der Oma ein großes Einmachglas mit Gummiring und aus der Bücherei ein Buch über Pilze und Beeren.
Am nächsten Tag machte sie sich auf den Weg in den Wald. Den grünblättrigen Schwefelkopf sollte sie suchen. Einen hochgiftigen Pilz. Wieder war Nora erstaunt, wie sehr ihr jedes Wort aus jener Nacht noch im Ohr war. Sie erkannte den Pilz an seinem verflochtenen Stil. Schnell legte sie ihn in ihre Schachtel. Nach einigem Suchen fand sie endlich versteckt am Waldrand auch einen Strauch mit Tollkirschen. Nora pflückte fünf der glänzenden, schwarzen Kirschen und steckte sie ebenfalls in die Schachtel.
Am nächsten Tag kochte sie den Pilz mit den Tollkirschen auf und goss den Sud in das Einmachglas. Mindestens drei Tage vor Vollmond durfte das Glas nicht mehr geöffnet werden, das war morgen. Sie musste sich beeilen, denn die schwierigste Aufgabe stand ihr noch bevor. Nora brauchte einen Frosch, und zwar einen lebendigen Laubfrosch.
Sie wusste, das es im Wald am Teich Frösche gab, aber wie sollte sie einen fangen? Sie fand Frösche einfach nur glitschig und ekelig. Nach einer Weile rief sie den Sohn ihrer Freundin an und gegen einen ordentlichen Taschengeldzuschuss versprach er, noch heute einen Laubfrosch zu liefern. Tatsächlich erschien er am Abend lehmverschmiert und lieferte den gefangenen Frosch ab.
Nora atmete auf und packte den Frosch schnell zu dem Sud in das Einmachglas. Sie entfernte die Gummidichtung, damit das Tier genügend Luft bekam. Nun hieß es warten.
Endlich war es soweit.
Bei Vollmond machte Nora sich mit dem Froschglas auf den Weg zu Klaus. Verwundert öffnete er ihr die Tür. Ohne viele Worte öffnete sie das Glas und mit einem großen Satz sprang der Frosch ins Freie. Ehe Klaus etwas sagen konnte, verwandelte er sich vor Noras Augen in eine hässliche, braune Kröte. Angewidert streckte sie die Hand aus und steckte ihn in das Glas. Nun gehörte er für immer ihr.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.03.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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