Joana Angelides

Aus Glas

Es ist manchmal so, dass Menschen, obwohl sie unter uns leben, eigentlich unsichtbar, aus Glas, sind. Ihre Umrisse sind sichtbar, umgeben uns, sie reden mit uns, doch sind sie so weit weg, dass man sie kaum mehr wahrnimmt. Man sieht durch sie hindurch.
Im Normalfall geht das langsam vor sich, unmerklich und lautlos. Manches Mal jedoch geschieht es plötzlich, von einer Minute auf die andere. Gerade eben noch war dieser Mensch der Mittelpunkt unseres Lebens und plötzlich zerspringt dieses Bild und es fallen durchsichtige Bruchstücke zu Boden, zerbersten oft in kleine Stücke und bleiben zu unseren Füßen liegen.
Wir sind dann oft fassungslos, wie eben dann, wenn eine kostbare Vase, ein wertvolles Stück unseren Händen entgleitet.
Diese Menschen bestehen ja nicht nur aus Materie, die man angreifen kann, sie bestehen aus zärtlichen Worten, aus Lachen und aus gemeinsamen Gedanken. Sie haben Ecken und Falten, die entstanden sind durch das gemeinsam Erlebte, oft kann man ein halbes Leben aus diesen Unebenheiten herauslesen.
Und dann ist plötzlich alles weg, zersprungen und vergangen eben in einem einzigen Augenblick. Sollte man versuchen, die Teile wieder zusammen zu setzen? Wenn es gelingt, dann bleiben aber doch sichtbare Sprünge, Narben, die man nicht überdecken kann. Sie erinnern uns ständig an das bittere Geschehen.
Man verliert das Vertrauen, die trügerische Gewißheit, dass es ewig dauern wird. Obwohl man ja weiß, dass es keine Ewigkeiten gibt. Die "Ewigkeiten" des Menschen sind begrenzt, können maximal ja nur so lange dauern, als ein Menschenleben. Doch das hätte uns ja schon genügt. Doch werden diese Zeitspannen verkürzt, durch Geschehnisse, die unsere Fahrt durch das Leben gehörig erschüttern, zur Berg und Talfahrt werden lassen.
Das Leben geht natürlich weiter, rund um uns dreht und bewegt sich alles, nur wir stehen für Momente still, halten den Atem an und sehen alles nur durch einen Schleier, der manchmal durch Tränen, manchmal durch Schleier des Entsetzens, verursacht ist.
Man könnte es auch mit einem Kinderkarussell vergleichen, dass sich immer weiter dreht, wir hören die Musik, sehen die Figuren an uns vorbei ziehen und immer wieder kommen und bleiben doch am selben Punkt stehen. Wenn wir die Augen schließen, dann gaukeln wir uns vor, wir bewegen uns mit, obwohl es eben nicht so ist.
Scheint es nicht manchmal so im Alltag, dass wir meinen es befindet sich noch jemand im selben Raum? Wie durchsichtige Schatten bewegen sich Gestalten um uns, wir sehen nur die Konturen und sehen durch sie hindurch. Sie sagen auch hin und wieder etwas, wir müssen uns bemühen es zu hören, zu verstehen und sind doch alleine im Raum unserer Empfindungen.
Die Natur hat vorgesorgt, der Mensch kann nur eine gewisse Tiefe und Stärke von Schmerz fühlen, dann verliert er das Bewußtsein, spürt gar nichts mehr. Auch die Seele schaltet ab einer gewissen Stärke des Schmerzes ab, manchmal stirbt sie auch.
 
 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 29.03.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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