Klaus-Peter Behrens

Das Tor zwischen den Welten, Teil 10

Das Reiten der Schnapper war für die Freunde eine völlig neue Reiseerfahrung. Tom, der schon des öfteren geritten war, fiel es zwar leichter als Dean, sich der Fortbewegungsart anzupassen, aber auch er kämpfte anfänglich noch mit seinem Mißtrauen gegenüber dem ungewohnten Transportmittel. Je länger er jedoch auf ihm saß, desto weniger fremdartig kam es ihm vor, bis es ihm nach einer gewissen Zeit fast natürlich erschien, von diesem grünen Ungetüm durch die unbekannte Landschaft getragen zu werden. Vor ihm ritt Gart, der mit einer beneidenswerten Sicherheit im Sattel saß, fast so, als wäre er mit seinem Schnapper verwachsen. Die riesige Axt auf seinem Rücken schwang wie ein Metronom zum Takt der Schritte hin und her. Ganz anders hingegen sah die Sache bei Dean aus, der sich verzweifelt in das Geschirr klammerte, die Beine zusammenpreßte und sämtliches Interesse an den Schnappern verloren hatte. Allein in der ersten halben Stunde war er nicht weniger als siebenmal von seinem Reittier gefallen. Dies hatte ihm eine Vielzahl blauer Flecken und der Gruppe jede Menge Verzögerungen eingebracht, so dass das Vorwärtskommen in dem ohnehin sehr schwierigen Gelände nur mühsam vonstatten ging. Den Schluß der Gruppe bildete der Packschnapper, der sehr zum Entsetzen Deans, schon zweimal fast auf ihn getreten wäre, nachdem dieser wieder einmal unfreiwillig auf dem Waldboden gelandet war. So verging der Vormittag, und allmählich wurde der Bewuchs um sie herum stärker, bis sich schließlich die Bäume des dichten Waldes über ihren Köpfen zu einem grünen Dach vereinten und nur noch gelegentlich den Blick auf den strahlend blauen Himmel freigaben. Gegen Mittag ließ Gart die Gruppe anhalten, um zu rasten. Behende stieg der Zwerg aus dem Sattel und ging hinüber zu Dean, der wieder einmal von seinem Schnapper gefallen war und auf dem Boden lag. Auch Tom trat hinzu und sah belustigt auf Dean hinab. "Na, was treibst du da, Pflanzenexkursion?", fragte er spöttisch. Stöhnend stemmte sich Dean in die Höhe und klopfte sich Staub und Pflanzenreste aus der Kleidung.
"Ich arbeite an meiner Doktorarbeit, sieht man doch, oder?"
"Wenn du so weiter machst, brauchst du bald einen Doktor." Gart schüttelte den Kopf und sah Dean mitleidig an. Dann ging er hinüber zum Packtier und überprüfte die Befestigungen. Die Freunde setzten sich abseits auf einen kleinen, flachen Felsbrocken.
"Irgendwie habe ich mir diese Reise leichter vorgestellt", seufzte Dean und erschlug eine Mücke, die es sich auf einem Rest noch nicht zerstochener Haut gemütlich gemacht hatte.
"Ich auch", stöhnte Tom. "Ohne dein ewiges Runterfallen würden wir wirklich schneller vorankommen." Er grinste Dean an, doch der winkte nur müde ab. Zum Streiten, war er im wahrsten Sinne des Wortes zu zerschlagen.
"Essenszeit!" Gart erschien mit dem Proviantsack, in dem er emsig zu wühlen begann. Die Freunde seufzten. An steinhartes Brot und Zwergenbrei würden sie sich wahrscheinlich nie gewöhnen. Tatsächlich förderte der Zwerg einen Laib Brot zu Tage, der sich nicht nur rein optisch bloß unwesentlich von dem Felsbrocken unterschied, auf dem sie gerade saßen. Gart bot den Freunden etwas Brot und Zwergenbrei an. Tom betrachtete resigniert sein Stück Brot. Seiner Ansicht nach, würde es ohne weiteres die DIN-Norm für Ziegelsteine erfüllen. Vorsichtig versuchte er ein wenig, mit seinen allmählich stumpfer werdenden Zähnen, abzubeißen, während Dean mißmutig den in Holzschalen dargebotenen Brei löffelte. Die Zwerge hatten ihnen nicht verraten, woraus er bestand. Dean war sich aber sicher, dass der Anteil von Sägemehl mindestens siebzig Prozent betrug. Entsprechend geäußerte Vermutungen diesbezüglich hatte Gart bisher nicht dementiert.
"Ist noch ein schönes Stück Weg bis zu unserer heutigen Station", sagte der Zwerg gerade kauend.
"Wie lange wird es denn dauern, bis wir in Wehrheim ankommen?", fragte Tom, der mit Todesverachtung auf seinem Brot kaute. Es krachte bedenklich.
"Kommt drauf an. In der Regel brauche ich drei bis vier Tage, wenn aber was dazwischen kommt .." Gart hob vielsagend die Augenbrauen.
"Was sollte denn dazwischen kommen?", wollte Dean wissen.
"Wir könnten zum Beispiel eine Breivergiftung kriegen", murmelte Tom leise, so dass Gart dies nicht mitbekam.
"Kann man nie wissen, ist eine gefährliche Gegend hier. Aber keine Sorge, bisher bin ich immer angekommen." Der Zwerg stand auf, reinigte sein Eßgeschirr im hohen Gras und verstaute es in dem Proviantsack. "Wenn ihr fertig seid, packt euer Geschirr hier hinein und befestigt den Sack am Schnapper." Dann drehte er sich um, ging zu seinem Reittier und überprüfte dort Sattel und Geschirr.
"Wie bekommt der das Zeug bloß immer so schnell runter?", murrte Tom, der immer noch mit seinem Brot beschäftigt war. "Ich glaube, die haben die Bezeichnung Steinofenbrot irgendwie mißverstanden. Wahrscheinlich bauen sie es in irgendeinem Stollen ab." Mißmutig warf er den Rest weg, der mit einem dumpfen Schlag gegen einen Baum prallte.
"Ein bißchen mehr Respekt vor der Natur", spottete Dean, der auch lieber auf den Rest seines Breis verzichtete und diesen unauffällig verschwinden ließ. Seufzend erhob er sich.
"Also los, mein Alter, Wehrheim wartet auf uns."
Gemeinsam gingen sie zu Gart hinüber, der inzwischen die Inspektion beendet hatte und befestigten den Proviantsack, wobei es Tom geradezu in den Fingern juckte, die Riemen ein wenig zu lösen, aber der strenge Blick des Zwerges hielt ihn davon ab.
Die folgenden zwei Stunden unterschieden sich kaum von den vorangegangenen, wenn man einmal davon absah, dass die Intervalle, in denen Dean der Schwerkraft folgte, länger und der Wald immer dunkler wurde. Tom war inzwischen sehr sicher im Sattel und träumte vor sich hin, als er plötzlich bemerkte, dass es unnatürlich still geworden war. Beunruhigt beobachtete er den vor ihm reitenden Gart. Es dauerte allerdings einige Sekunden, bis ihm auffiel, was an dem Zwerg anders war. Die Axt, die sich wie ein Pendel vor seinen Augen im Takt hin und her bewegt und eine fast einschläfernde Wirkung auf ihn ausgeübt hatte, war verschwunden. Gart trug sie jetzt in der rechten Hand und seine Haltung war ausgesprochen angespannt. Das war ein schlechtes Zeichen. Vorsichtshalber zog er sein Rapier. Ein Blick zurück zu Dean half ihm auch nicht weiter. Dieser hatte noch nichts von der Veränderung mitbekommen, da er immer noch seine ganze Aufmerksamkeit darauf verwenden mußte, im Sattel zu bleiben.
"Wir werden verfolgt", zischte Gart leise. Erschrocken sah Tom sich um und umklammerte nervös den Rapiergriff. Doch in dem dichten Blattgewirr, war nichts zu erkennen.
"Bist du sicher?"
Der Zwerg nickte. "Ich befürchte, es sind Golems."
"Golems? Was zum Teufel ist ein Golem? Haben die es auf das Gold und die Waren abgesehen?"
"Nein!"
Tom war etwas beruhigter, vielleicht waren es nur harmlose Tiere.
"Sie interessieren sich nur für Nahrung", erklärte der Zwerg. Das ernüchterte Tom schlagartig. Dass die Golems hinter Garts Vorratssack her waren, zog er nicht ernsthaft in Erwägung. Die verbleibenden Alternativen waren allerdings alles andere als erfreulich.
"Was frißt denn so ein Golem?" Wider Erwarten hoffte er, dass die Golems doch die Geschmacksrichtung des Zwergs teilten. Dieser sah sich um, machte ein ausdrucksloses Gesicht und erwiderte:
"Fleisch!"
"Na prächtig."
"Allerdings ist kein Fall bekannt, bei dem ein Zwerg verspeist wurde."
"Großartig, wenigstens einer braucht sich keine Sorgen zu machen." Nervös musterte Tom die Umgebung und wechselte das Rapier von einer Hand in die andere, um sich den Handschweiß an der Hose abzuwischen. Ängstlich sah er sich nach Dean um und hoffte inständig, dass dieser nicht ausgerechnet jetzt von seinem Schnapper fallen würde. Schweigend ritten sie weiter. Tom glaubte, die Bedrohung beinahe körperlich zu spüren. Schließlich passierte das, was er befürchtet hatte: Dean fiel von seinem Schnapper. Der Aufprall hallte laut durch den Wald. Erschrocken blickte Tom sich um, doch alles blieb ruhig. Dean war gerade dabei, sich mühsam wieder aufzurappeln, als plötzlich ein wildes Geheul erklang. Im nächsten Augenblick flog Tom auch schon ein kräftiger Körper aus dem Dickicht entgegen und beförderte ihn aus dem Sattel. Schwer schlug er mit dem Rücken auf. Als er fluchend wieder auf die Beine kam, stellte er entsetzt fest, dass ihm seine Waffe abhanden gekommen war. Seinem Angreifer schien das ebenfalls aufgefallen zu sein; denn triumphierend bleckte dieser sein beeindruckendes Gebiß. Tom schluckte. Er hatte schon bessere Tage erlebt. "Naja, wenigstens kann ich so mal testen, ob ich das Geld für das Karatetraining richtig angelegt habe" knurrte er grimmig und ging in Kampfposition. "Kleine Trainingsstunde gefällig?", fragte er das Wesen herausfordernd, das mit einem Grunzen antwortete. Offensichtlich hatte es Interesse. Tom taxierte es, während sie sich umkreisten. Der Golem war ungefähr so groß wie Dean, doch damit endete die Ähnlichkeit auch schon. Der Körper war dichtbehaart und dunkelbraun, die Arme lang und kräftig, wie bei einem Affen. Kleidung konnte er nicht ausmachen. Tom hatte keine Zweifel, dass Hollywoods Maskenbildner für das Gesicht der Kreatur in der Kategorie Horror und andere Scheußlichkeiten einen Oscar bekommen hätten. Schräg stehende Augen mit einer schwefelgelben Iris und eine Schnauze, für die jeder Werwolf seinen Pelz versetzt hätte, rangen miteinander um den Vorrang an Häßlichkeit. Spitze, seitliche Ohren und lange Klauen an den Händen und Füßen vervollständigten das Bild des personifizierten Alptraums. "Genauso grantig wie meine Nachbarin, nur spärlicher bekleidet", dachte er, während sich der Golem knurrend auf den Angriff vorbereitete.
Gart und Dean hatten ähnliche Schwierigkeiten. Der Zwerg wurde gleich von mehreren Wesen attackiert, denen es jedoch noch nicht gelungen war, ihn von seinem Schnapper zu werfen. Ein am Boden liegender Golem mit einer riesigen Beule am Kopf lieferte Zeugnis für den fehlgeschlagenen Versuch. Drohend pfiff die mächtige Axt durch die Luft und verkündete eine unmiverständliche Botschaft, die auch die Golems verstanden. In gebührendem Abstand umkreisten sie den Zwerg. Doch obwohl auch die Echse mit ihren mächtigen Klauen und ihrem starken Gebiß ihrem Namen alle Ehre bereitete, schien die Zahl der Angreifer eher zu als abzunehmen.
Auch Dean hatte inzwischen mitbekommen, was los war. Das Schwert hatte er zwar gezogen, glaubte jedoch nicht ernsthaft daran, dass die Lehrstunden des Zwerges ausgereicht hatten, um sich gegen solche Monster zu verteidigen. "Es muß doch eine andere Möglichkeit geben, sich dieser Bestien zu entledigen. Denk nach Dean, denk nach", ermahnte er sich selbst.
Toms Gegner hatte sich entschlossen, die Sache schnell zu beenden. Mit einem mächtigen Satz sprang er vor, um ihn mit den Klauen zu zerfetzen, doch Tom war schneller und machte eine blitzschnelle 180 Grad Drehung auf dem vorderen, linken Bein. Dabei beugte er den Oberkörper weit nach vorne und trat mit dem rechten Bein, ähnlich wie ein Pferd, nach dem Golem aus. Mit Befriedigung sah und hörte er, wie seine Hacke mit der Wirkung eines Vorschlaghammers das Gesicht des Golems traf. Dieser blieb abrupt stehen, als sei er gegen einen Autobus gerannt und fiel dann wie in Zeitlupe um. Tom war schon wieder in die Ausgangsstellung zurückgeschnellt. "Die erste Übungsstunde ist immer gratis", rief er spöttisch und wandte sich dem nächsten Gegner zu. Der machte ein verdutztes Gesicht. So sollte sich Beute wirklich nicht verhalten. Das war gegen die Spielregeln. "Na, haben wir auch schon den Mitgliedsbeitrag gezahlt?", fragte Tom und bewegte sich auf den Golem zu. Ihm begann die Sache allmählich Spaß zu machen.

Dean bereitete das Ganze hingegen überhaupt kein Vergnügen. Grundsätzlich war er zwar an dem Jagdverhalten der ansässigen Spezies interessiert, nicht aber aus der Perspektive der Beute. Mit einem unangenehmen Kribbeln spürte er plötzlich, dass er beobachtet wurde. Schnell drehte er sich um und wurde mit dem Anblick eines Golems belohnt, der ihn aus drei Meter Entfernung mit einem Blick ansah, den ausgehungerte Wölfe normalerweise für ein einsames Lamm übrig haben. Dean hob sein Schwert und begann, um Hilfe zu schreien.

Den Golems war es mittlerweile, wenn auch unter beträchtlichen Verlusten, gelungen, Gart von seinem Schnapper zu befördern. Das hatte die Laune des Zwerges nicht gerade gehoben. Breitbeinig stand er nun neben seinem Reittier und ließ wütend seine Axt wie ein Hammerwerfer seinen Hammer rotieren, als er plötzlich Deans Hilfeschrei vernahm. Durch die Trainingsstunden war ihm klar, dass dieser keine Chance gegen einen ausgewachsenen Golem hatte. "Jetzt muß ich auch noch Babysitter spielen", knurrte er in seinen Bart.

Tom hatte den Hilfeschrei ebenfalls vernommen, konnte aber augenblicklich nicht eingreifen, da er mit seinem Golem im wahrsten Sinne des Wortes alle Hände und Füße voll zu tun hatte. Gerade griff dieser mit einem schnellen, von oben nach unten geführten Schlag an, wobei er die entsetzlichen Klauen weit spreizte, um seinen Gegner möglichst weitflächig zu verletzen. Tom wich leichtfüßig nach links aus und trat dem Golem mit einem sichelförmigen Halbkreistritt dorthin, wo er den Solarusplexus vermutete. Der Golem stöhnte laut auf und krümmte sich. Tom schnellte vor, schlug ihm mit einem geraden Schlag seitlich an die Schläfe, und der Golem gesellte sich zu seinem Kollegen. In diesem Augenblick griff Deans Widersacher an. Doch zu seiner Überraschung kam er nicht weit, denn mitten im Sprung kollidierte sein Schädel plötzlich mit der stumpfen Seite von Garts Wurfaxt, was zu einer kurzfristigen Änderung seines Terminkalenders und der Streichung Deans von der Speisekarte führte. Dem klopfte beim Anblick des bewußtlos vor ihm liegenden Golems das Herz bis zum Hals. Dankbar sah er sich nach dem Zwerg um, doch der war schon wieder damit beschäftigt, auf seine Gegner einzuprügeln. 
"Alles klar?" Tom war neben Dean erschienen und schlug ihm auf die Schulter. Erschrocken zuckte dieser zusammen.
"Es wollte mich fressen!" Dean war außer sich vor Angst und trat dem bewußtlosen Golem wütend in die Seite. Tom beruhigte ihn.
"Nimm dich zusammen! Denk lieber nach, wie wir hier herauskommen. Schließlich bist du unser Superhirn." Doch statt einer geistreichen Erwiderung zeigte Dean nur ängstlich auf einen Punkt hinter Tom. In Gestalt eines Golems kündigte sich dort neuer Ärger an.
"Hier, nimm mein Schwert, du kannst damit im Zweifel mehr anfangen." Während Tom Deans Schwert ergriff, um dem Störenfried zuzusetzen, lief dessen Gehirn auf Hochtouren. Verzweifelt suchte er nach einem Ausweg.
"Zeit für den Friseur", rief Tom gerade übermütig und bearbeitete fröhlich das Fell seines unglücklichen Kontrahenten. Dass sich dabei auch gleichzeitig diverse Hautpartien mit verabschiedeten, berührte ihn wenig, den Golem dafür um so mehr. Verärgert knurrte er Tom an, während er überlegte, wie er diesem Derwisch von Beute beikommen sollte. Dean, der immer noch auf der Suche nach einer Lösung war, fiel eine besonders finstere Ausgabe eines Golems auf, der die anderen anzutreiben schien und plötzlich wußte er, was zu tun war.
"Tom, wir müssen den Anführer beseitigen, dann wird das Rudel kopflos fliehen – hoffe ich jedenfalls", ließ sich er aufgeregt vernehmen.
"Hmmm, nicht schlecht die Idee! Und wo steckt der Typ?"
"Dort hinten. Siehst du das Ekelpaket mit den großen Zähnen?" Tom nickte skeptisch. "Bisschen weit weg! Wie willst du den erledigen?"
"Mit dem Bogen?"
Tom wies in Richtung des tobenden Schnappers an dessen Seite der Bogen befestigt war.
"Na dann viel Glück. Ich nähere mich dem Vieh jetzt bestimmt nicht", erwiderte er während er lässig eine neue Attacke des lauernden Golems abwehrte. Der hatte fürs erste genug und zog sich zurück. Dean hatte inzwischen, nach einem Blick auf den wild um sich beißenden Schnapper, die Idee mit dem Bogen wieder verworfen. Es mußte eine andere Möglichkeit geben. Er dachte einen Augenblick nach, dann erhellte sich sein Gesicht. Schnell nahm er seinen Rucksack ab und durchwühlte ihn, bis er schließlich strahlend einen Gegenstand zu Tage förderte. "Eine Leuchtpistole?" Toms Stimme klang spöttisch. "Was willst du denn damit anfangen? Ein Notsignal abschicken? Ich glaube kaum, dass da einer kommt."
"Quatsch! Weißt du, wie heiß eine Leuchtkugel ist? Die setzt alles in Brand, auch langes, trockenes Fell!"
Tom grinste, als ihm klar wurde, was sein Freund vorhatte. "Hey, gute Idee, wir machen ein Golem-Barbecue. Und wie treffsicher ist deine Wunderwaffe?"
"Das ist das Problem, sie ist nicht zum Zielen ausgelegt." Dean starrte die Waffe in seiner Hand unglücklich an.
"Und was willst du dann damit anfangen? Sie ihm an den Kopf werfen?"
Dean sah seinen Freund mißmutig an. "Natürlich nicht? Du wirst schießen! Du bist der bessere Schütze."
"Und derjenige, der King Kongs Zorn auf sich zieht, wenn ich ihm den Pelz ansenge", erwiderte Tom widerwillig, nahm aber trotzdem die Pistole an sich. Dann sprinteten sie zu dem Zwerg hinüber.
"Siehst du den dort drüben?", fragte Dean, als sie bei Gart angelangten.
"Was ist mit ihm?", keuchte der Zwerg. Er atmete schwer und trug seine Axt jetzt doppelhändig vor dem Körper, bereit, den nächsten Angriff zu parieren.
"Wir wollen, dass ihm ein Licht aufgeht", erwiderte Tom und grinste.
"Hä?" Gart schaute irritiert.
"Vertrau uns, wir müssen nur näher heran. Auf drei sprinten wir los, einverstanden?" Der Zwerg überlegte einen Augenblick. Er hatte keine Ahnung, was seine Gefährten vorhatten. Da es aber kaum noch schlimmer kommen konnte, als es ohnehin schon war, schob er grimmig das Kinn vor und grollte: "Also gut, bei der ewigen Axt, aber wenn das schief geht, lernt ihr mich kennen."
"Wenn das schief geht, brauchst du dir darüber keine Gedanken mehr zu machen. Also aufgepaßt, eins, zwei, drei..." Die Gefährten rannten los. Ein Golem versuchte, sich ihnen in den Weg zu stellen und erhielt so das zweifelhafte Vergnügen, Garts Axt näher kennenzulernen. Nach einem kurzen Spurt hielten sie zur Überraschung der sie umlauernden Golems plötzlich abrupt an, und Dean bückte sich, um Tom eine stabile Unterlage zum Zielen zu liefern, während Gart ihnen Deckung gab.
"Was hast du vor?" Der Zwerg und sah die Leuchtpistole neugierig an, während er einen Angriff abwehrte.
"Überraschung", antwortete Tom. Dann zielte er sorgfältig, rief in bester Terminatormanier: "Hasta la vista baby", und betätigte den Abzug. Mit einem Fauchen raste das Geschoß auf den überraschten Golem zu, der sich sofort in eine strahlend rote Fackel verwandelte und einen bewundernswerten Stepptanz hinlegte. Ein panisches Heulen ging durch die Menge. Der Zwerg nickte anerkennend.
"Jetzt verstehe ich, ihr habt ihn sozusagen erleuchtet."
"Könnte man sagen, ob er uns dafür allerdings dankbar ist, wage ich zu bezweifeln."
Der Golem versuchte inzwischen erfolglos, sein brennendes Fell im feuchten Gras zu löschen. Schließlich flüchtete er fürchterlich kreischend in das Unterholz. Die übrigen Golems standen stocksteif da und blickten fassungslos auf die Stelle, wo sich ihr Anführer soeben in eine leuchtende Barbecue-Reklametafel verwandelt hatte. "Der nächste bitte!" Tom schwenkte die Leuchtpistole hin und her. Da keiner das brennende Verlangen verspürte, es ihrem Anführer gleich zu tun, flüchteten auch sie panikartig, und keine Minute später war der Kampfplatz verlassen.
"Na, willst du nicht hinterher laufen und ein paar für deine Forschungszwecke einfangen?", fragte Gart und sah Dean grimmig lächelnd an.
"Danke, mein Bedarf ist gedeckt."
"Hey, komm schon, so ein bißchen Action ist doch ganz nett", neckte ihn Tom, doch Dean ignorierte ihn.
"Los jetzt, wir müssen hier weg, bevor sie wiederkommen!", unterbrach der Zwerg ihr Geplänkel und ging zu den Schnappern hinüber. Diese hatten sich zwar zwischenzeitlich wieder etwas beruhigt. Ihre Schwänze peitschten aber immer noch hin und her, und die Köpfe bewegten sich witternd von links nach rechts. Ab und zu fauchten und zischten sie drohend. Gart hielt erst einmal ein wenig Abstand bis sich die Schnapper soweit beruhigt hatten, dass er sie untersuchen konnte. Außer einigen Kratzern, hatten diese zum Glück nichts abbekommen. Beruhigt saßen die Gefährten auf. Während sie sich rasch von diesem unerfreulichen Ort entfernten, fragte Dean Gart nach den Golems aus. "Grundsätzlich besteht zwischen uns Zwergen und den Golems so eine Art stillschweigender Nichtangriffspakt. Es gibt aber immer wieder Gruppen, die dies nicht respektieren", erklärte Gart den Freunden die Lage. "Sie sind einfach dumm." Der Zwerg schnaufte verächtlich. "Eigentlich müßten sie wissen, dass man gegen einen Zwerg keine Chance hat." Dean murmelte irgendetwas davon, dass eine gewisse Leuchtpistole einen nicht ganz unwesentlichen Beitrag hierzu geleistet hatte, was Gart aber geflissentlich überhörte.
"Für Menschen, Zwerge, Elfen oder Trolle sind sie eigentlich keine Bedrohung", erklärte der Zwerg weiter, "aber wie man sieht .......... Ausnahmen gibt es immer wieder."
"Elfen, Trolle?", hakte Dean aufhorchend nach. "Gibt es noch mehr gefährliche Arten?"
"Elfen und Trolle sind im Allgemeinen nicht gefährlich, es sei denn, du verärgerst sie. Dann kann so ein Troll ganz schön bösartig werden. Aber wartet ab, und bildet euch selbst eine Meinung. Ihr werdet sie noch früh genug kennenlernen." Deans war erfreut. Vielleicht bot sich ja doch noch die Gelegenheit für die Erforschung einer weniger gefährlichen Spezies. Der Rest des Tages verlief zur Beruhigung der Freunde ohne weitere Zwischenfälle. Als sich schließlich die Sonne dem Horizont zuneigte, näherten sie sich einer, aus massiven Baumstämmen bestehenden Hütte, die auf einer kleinen Lichtung am Wegesrand errichtet worden war. Fenster waren nicht vorhanden, sondern nur kleine Öffnungen, die an Schießscharten erinnerten. Neben der Hütte war ein geräumiger Unterstand, der offenbar für die Schnapper vorgesehen war.
"Hier sind wir heute Nacht sicher untergebracht." Gart stieg ab und führte seinen Schnapper in den Unterstand. Tom und Dean sahen sich skeptisch um. Das Ganze wirkte nicht gerade einladend, aber es war immer noch besser, als im Freien zu übernachten.
"Sollte mich nicht wundern, wenn da der große böse Wolf auf uns wartet", meinte Tom ironisch.
"Dann fütterst du ihn mit Garts Brötchen", erwiderte Dean, während er mühsam von seinem Schnapper kletterte. "Die liegen mindestens so schwer im Magen, wie Wackersteine."
Nachdem die Tiere untergebracht waren, zauberte der Zwerg einen großen Schlüssel aus seiner Hosentasche und schloß die schwere Holztür auf. Drinnen war es gemütlicher, als sie es vom äußeren Anschein für möglich gehalten hätten. In der Mitte des Raumes dominierte ein gußeiserner Ofen, der zugleich als Kochstelle diente. Ein großer runder Tisch und vier Stühle standen daneben. An den Wänden befanden sich mehrere Holzbetten, allerdings nur in Zwergengröße, wie die Freunde seufzend feststellten. Auch die Decke hätte etwas höher ausfallen können. Tom konnte gerade noch aufrecht stehen. Neben der Tür hingen mehrere Armbrüste, und auf dem Boden stand ein Korb mit Ersatzbogensehnen und diversen Bolzen. Tom sprach Gart darauf an: "Erwartest du Besuch?"
"Vorsicht ist der Vater des langen Bartes", erwiderte der Zwerg gelassen und schleppte den Proviantsack zum Tisch. "In der Regel wird damit aber nur gejagt, was wir ja zum Glück nicht nötig haben", erklärte er beim Anblick der betroffenen Gesichter grinsend. Die Freunde seufzten ergeben.
"Erinnere mich daran, dass ich ihm in Wehrheim ein Kochbuch kaufe. Generationen von Zwergen werden uns ewig dafür dankbar sein", murrte Tom beim Anblick dessen, was Gart aus dem Sack geholt hatte. Doch dieser war schon wieder draußen, um auch noch das restliche Gepäck hineinzutragen. Nachdem alles erledigt war, richteten sich die Gefährten häuslich ein. Schon bald loderte ein munteres Feuer im Ofen und selbst das karge Essen war unter diesen Bedingungen zumindest erträglich. Gart erzählte den Freunden von ihrer nächsten Etappe, dem Siebenhügeldorf am Silberfluß. "Nun, wie der Name schon sagt", erklärte er, "wurde das Dorf auf sieben Hügeln unten am Silberfluß errichtet. Es ist das letzte Dorf auf der Etappe nach Wehrheim. Die Bergausläufer rücken später sehr dicht an den Fluß heran, so dass auf dieser Seite ein Vorwärtskommen nur schwer möglich ist. Auf der anderen Seite erstreckt sich eine riesige Moorlandschaft bis kurz vor Wehrheim."
"Und wie kommen wir von dort weiter?", fragte Dean.
"Wir lassen die Schnapper da und nehmen ein Boot." Das erschien Tom sehr vernünftig. Er hatte sich zwar an die Echsen gewöhnt, fragte sich jedoch, wie sie damit in einer Stadt zurechtkommen sollten. Man konnte sie ja schlecht an der Parkuhr abstellen. Eine Bootsfahrt war da schon mehr nach seinem Geschmack. Gelegentlich segelte er ein wenig, so dass ihn die Aussicht, die restliche Reise zu Wasser zurückzulegen, sehr freute. Deans Begeisterung hielt sich dagegen in Grenzen. Als schlechter Schwimmer wurde er in der Regel schon vom bloßen Anblick eines schaukelnden Schiffes seekrank.
"Na das kann ja heiter werden", murmelte er, während er zusammen mit Tom ein paar Zwergenbetten zusammenschob, um ein einigermaßen passendes Nachtlager herzustellen.
 
 
Fortsetzung folgt ..........................

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 31.03.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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