Christian Beckers

Waldteufel

Unter mir der mit Moos und Gras übersäte weiche Waldboden.  Darüber der sonnige blaue Himmel.
 
In Gedanken versunken blicke ich umher, höre das vereinzelte Zwitschern eines Vogels, das Knacken des Unterholzes, wenn ein Wild durch das Dickicht läuft, das Rauschen der Blätter und Äste, wenn ein Windhauch durch die Bäume fährt oder das Schreien eines geschlagenen Tieres, dass der natürlichen Nahrungskette zum Opfer fällt.
 
Sehe dann am blauen Himmel einige Wolken sich vor die Sonne drängen und im nächsten Augenblick wieder verschwinden. Zeit vergeht, ich gebe mich meinen Träumen und Wünschen hin, versinke in eine Welt, die so nie existieren wird. Die Blätter an den Bäumen leuchten in einsamer Farbenpracht, gold, gelb, braun, orange, rötlich, schimmern sie im letzten Sonnenlicht. Verirrte Strahlen der Sonne durchdringen die Gipfel der Bäume, wärmen meinen Körper ein letztes Mal, dann verschwindet die Sonne farbenfroh langsam am Horizont, ein Bild, Sehnsucht erweckend.
 
Schleichend bricht die Dämmerung herein, die Luft wird kühler, es fröstelt mir ein wenig.
 
Ein starker Wind zieht von Westen her auf, weht zu mir herüber einen Duft von Harz und Moder, süßlich mir die Sinne raubend, einem schweren Rotwein ähnlich, der zäh und blutrot im Glas schimmert, dem Lebenssaft gleich.
 
Die Schatten der Bäume werden länger, führen ein Eigenleben, verändern Form und Gestalt, mal Fratzen, mal bucklige Gnome, dann wiederum schemenhafte Riesen mit tentakelartigen Armen, nach mir greifend, fordernd, wie ein Seelenräuber. Gleichzeitig verstummen die Vögel, das Rauschen der Bäume nimmt zu, mal wie Schreie, mal wie das warnende Geflüster eines Waldgeistes, einer Elfe gleich. Die Dunkelheit umschlingt mich langsam wie ein Mantel, letzte Sonnenstrahlen machen dem ersten Mondschein Platz, schaurig schön der Anblick der silbrigen Scheibe, von Wolkenfetzen, dunkel und grau, verhangen.
 
Ein Kauz lässt sein klagendes Lied erklingen, begleitet durch das reißende Rauschen eines Wildbaches.
 
Die Schatten werden länger, schneller jetzt auch die Gestalt ändernd,  wollen sie mich packen, schleichen sie sich heran, katzenartig und flink. Leichter Schauder durchfährt mich, von Gänsehaut begleitet, ich weiß, die Zeit der Waldteufel ist angebrochen. Obwohl noch keine Gefahr droht, macht sich die Angst bis ins letzte Glied breit. Ich versuche die Angst zu unterdrücken, allein mit mir selbst,  meinen Gedanken und den Waldteufeln.
 
Sturm keimt auf, der Himmel gelb, wie Schwefel, höllengleich. Ein Donner ertönt in der Ferne.  Die Bäume biegen sich, ein Kampf der Natur,  Jahrtausende alt. Da plötzlich ein Blitz, erhellt die Szenerie, grinsend und zuckend Fratzen mir entgegen blicken, höhnisch und falsch. Unruhig rutsche ich hin und her, Ruhe und Romantik sind längst Angst und Grauen gewichen. Mein Herz, schnell schlagend bis zum Hals - innere Stimmen flehen um Hilfe. Ich mahne mich selbst zur Ruhe, angewurzelt dem Schauspiel frönend. Laut mit mir redend und auf Antwort wartend, die Angst dadurch versuchen zu vertreiben. Doch Schatten bewegen sich auf mich zu, nicht wissend, ob lebend oder tot, doch auffressend das letzte Licht des Tages. Kein Leben, weit und breit, nur ich selbst und die geballte Natur.
 
Langsam kriecht die nasse Kälte in mir hoch, ein Gefühl als ob tausende von toten kalten Fingern über meinen Körper wandern, der vor einiger Zeit noch so gemütliche Platz wird auf einmal spitz wie ein Nagelbrett. Ich springe wie gestochen auf, einen Moment mit meinem Atem ringend und nach Orientierung suchend. Zu guter Letzt tauchen jetzt auch noch die ersten Nebelschwaden zwischen den Bäumen auf, lassen den eben noch zu sehenden Waldweg vor meinen Augen verschwinden. Wieder ertönt ein Donner in der Ferne und ein Blitz zuckt auf. Auch der Gott des Donners und des Blitzes schien heute auf der Seite der Waldteufel zu stehen. Noch hielten diese sich zurück, aber alles schien für sie zu laufen. Mittlerweile zitternd, vor Angst oder vor Kälte, wer weiß, machte ich mich im Laufschritt in die Richtung auf, wo ich den Waldweg vermutete. Nach einiger Zeit hatte ich diesen dann auch gefunden, wählte schnell und überhastet eine Richtung, in die ich laufen wollte und verschwinde in der  Dunkelheit.
 
Auf einmal prasselt Regen auf den Waldweg, flutenartig er vom Himmel fällt. Minuten später, der Waldweg ein einziges Schlamm - und Pfützenmeer, ich selbst durchnässt und demoralisiert bis auf die Knochen. Plötzlich ist der Weg zu Ende, eine Sackgasse, dichter Wald blickt mir entgegen, durch den Nebel erblickte ich wabernde Gestalten, die mir entgegen kriechen. Ruckartig und gehetzt drehe ich mich um, will den Rückweg antreten, doch, welch ein Graus, ein Blitz erschlägt einen Baum, der mir dann den letzten Ausweg versperrt. Aus dem Baum heraus höhnisch grinsend, blicken mir Fratzen entgegen. Eine Drehung, voller Panik- und herein ins Verderben, hinein in den dichten Wald, willkommen im Reich der Waldteufel. Die ersten Nebelgestalten versuchen mich zu fangen, mal klein und gebrechlich, einem Zwerg gleich, mal stark und dick, einem Riesen gleich. Wild um mich schlagend befreie ich mich aus den zahlreichen Umklammerungen. Trotz der Nässe und Kälte entsteht Schweiß an meinem ganzen Körper- Angstschweiß. Ich renne um mein Leben, links und rechts weiterhin Arme nach mir greifend, Höllengesichter mich höhnisch anlachen, der Überlegenheit bewusst. Durch Spinnennetze und Dornenbüsche, Ekel am ganzen Körper verspürend, über Stock und Stein, renne ich um Leben und Tod, schreiend um mich schlagend. Alles dreht sich im Kreis, der Nebel verschwindet, Mondschein erhellt ab und an die Nacht, vereinzelt Blitze am Firmament erscheinend, der Regen nimmt zu. Und ich laufe und laufe, zerkratze mir das Gesicht, Arme und Beine - Wunden, wie kleine Bisse oder gar von Krallenhänden gerissen, blaue Flecken und Beulen, übersäen meinen Körper, wie von Schlägen gezeichnet, die Angst mir im Nacken sitzend. Auf einmal, ein großer Baum, mitten im Weg, seine Arme nach mir ausstreckend, doch ich weiche aus, stolpere über die Wurzeln und falle. Schlage auf mit dem Kopf, mit der Besinnungslosigkeit ringend, höre ich Schreie und Lachen, Krächzen und Schmatzen. Sehe Gestalten auf mich zurennen, mit Ihren Fratzen und Armen, tentakelgleich, blicken sie auf mich herab. Aus und vorbei, ein schwarzes Loch bringt die Erlösung.
 
Schweißgebadet, mit einem Schrei auf den Lippen, fahre ich aus dem Schlaf hoch. Nach Luft schnappend und Orientierung suchend, finde ich endlich den Lichtschalter. Helligkeit flutet durch das Schlafgemach, alles ist beim Alten, Erleichterung steigt in mir spürbar hoch.
 
Doch plötzlich merke ich, dass kein Vorhang das Fenster verdeckt, dieses auch nicht verschlossen ist. Auch das Nachbarhaus, sonst ein Steinwurf entfernt,  ist nicht mehr zu sehen. Stattdessen Bäume und Sträucher, groß und klein, mit Armem und Fratzen mir triumphal entgegen blicken. Schmerzen am Körper noch dazu, von Kratzern -  Bisswunden gleich, Beulen und blauen Flecken. Entkommen zwecklos, endgültig aus und vorbei.
 Kein Traum ist nach dem Schlaf beendet. Das Grauen ist überall, natürlich und gefährlich. Waldteufel gibt es halt nicht nur im Forst oder im Traum. Nein, auch die Wirklichkeit hält ihre Waldteufel für Sie bereit, achten Sie bei Gelegenheit einmal darauf.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.04.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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