In einem Call Center verkaufen Gitte und ihr Team sehr
erfolgreich die Produkte des Hauses, so erfolgreich, daß die sogar zum
Testen neuer Aktionen auserkoren werden. Trotz der harten Bedingungen fühlen
sich alle wohl bei Krass und Peinlich. Bis das Team von heute auf morgen
eine neue Projektleiterin vor die Nase gesetzt bekommt. Wie diese Dora Kilic
zu Krass und Peinlich kam und was sie so alles im Schilde führt; für die
Mitarbeiter passt zunächst so gar nichts zusammen. Bis Gitte während einer
Urlaubsvertretung die falsche Schreibtischschublade öffnet. Und Franziska
beim Besuch ihrer Tante in der Klapsmühle Sophie Prandtner trifft. Dann
nämlich vereinigen sich zwei Geschichten, und Gitte kann endlich aufdecken,
was für ein fieses Spiel Dora mit allen gespielt
hat.
Leseprobe:
...Sollen Mitarbeiter bei der Arbeit
etwas zu lachen haben? Diese Frage beantwortet Otto Wacker, der
Outboundleiter, soeben mit einem Blick aus seinem Büro heraus zu den dreien,
die dies in Anbetracht ihrer möglichen beruflichen Weiterentwicklung
herzhaft tun. Es scheint für Fuzzy, wie er heimlich von der Belegschaft
genannt wird, eine beängstigende Wirkung zu haben, wenn das monotone
Gemurmel in irgendeiner Art und Weise gestört wird. Also entschließen sich
die mit Blicken Gerügten, eine rauchen zu gehen.
Der verglaste
Bretterverschlag diente einst als Laderampe. Die ehemals weiß lackierten
Holzteile wechseln schon von rauchergelb nach raucherkrebsbraun. Decken,
Wände, Türe und auch die Glasscheiben gestalten sich ebenfalls Ton in Ton
und selbst die Außenwand hat durch die stets offenen Fenster diesen Gilb
angenommen.
Der ahnungslose Passant, dessen Auge diese scheußlich
pissgelbe Fensterfront von außen einfängt, mag manchmal zu dem Schluß
kommen, die Gestalten, die dort herausschauen, habe man weggesperrt. So
sehnsüchtig schauen die Glimmstengelzieher hinaus ins Freie und erwarten
das Ende ihrer Arbeitsschicht.
Die Einrichtung steht jener Siffecke an
Scheußlichkeit in nichts nach. An jedem der beiden ausgemusterten
Schreibtische fehlt mindestens eine Ecke, ganz zu schweigen von
Furnierschäden auf der Platte. Die Zahl der Stühle ändert sich täglich. Wenn
einer der Schreibtischstühle nicht mehr zum Arbeiten taugt, wird er in
dieses sogenannte Raucherzimmer geschafft. Wenn er sich durch die Behandlung
dort dann schließlich zum gefährlichen Ungeheuer entwickelt, weil seine
herausstehenden Schrauben oder Federn den Leuten buchstäblich den Arsch
aufreißt, dann darf dieses Invalidenmöbelstück endlich seinen Ruhestand auf
dem Sperrmüll genießen.
Und doch ist dieses Loch irgendwie das Herzstück
der ganzen Firma. Es ist Pressezentrum, denn ein Gerücht, dort unter der
Prämisse der absoluten Geheimhaltung erwähnt, ist garantiert binnen einer
Stunde im ganzen Betrieb durch. Noch bevor bekannt wurde, was mit Sophie
passiert war, wurde im Pressezentrum bereits eine Geschichte entwickelt, die
der Wirklichkeit in manchem sogar gerecht wurde. Die potentielle Neuigkeit
machte dann prophylaktisch schon einmal die Runde durch den Betrieb. Für
diese Art professioneller Berichterstattung hatte es nur eine einzige
Bemerkung der Reinigungsperle bedurft:
„In Büro liegt Chef mit Frau wie
hingekotzt.“
Das Raucherzimmer ersetzt aber auch den Betriebspsychologen.
Jeder Frust, sei es nun über einen unmöglichen Kunden, über ungeliebte
Kollegen oder aber über die Geschäftsleitung, kann hier in diesen heiligen
Hallen therapeutisch von den Seele geredet werden. Alle zufällig anwesenden
Mitraucher stehen mit Rat, Tat, Verfluchung und Rachevorschlag zur Seite.
Nicht zu vergessen, dass die, wie schon erwähnt, dringend auf ihre
Invalidität wartenden Möbelstücke dankbar sind über jeden Wutausbruch, den
man an ihnen ausläßt. Gitte und Franziska, aber auch Annelie, Ricarda,
Sabine und viele andere trifft man hier regelmäßig. Eine Stunde malochen,
sieben Minuten qualmen, so heißt die Devise. Im übrigen eine der wenigen
Methoden, einen solchen Arbeitstag auf Dauer durchzustehen.
Franziska
war vor knapp drei Jahren zu „Krass und Peinlich“ gekommen. Man machte dort
grade mühsam die ersten Schritte in diesen neuen Bereich des
Telefonmarketings. Outbound, das sind diese Anrufe, die auch Sie ständig
bekommen. Sei es, dass Sie an einer illustren Marktforschung teilnehmen und
anschließend mit für Sie völlig uninteressanter Werbung zugeschissen werden
oder aber die tollen Schnäppchen, die diese netten Damen und Herren immer so
schön anpreisen, dass Sie doch glatt das Neinsagen vergessen - all diese
Anrufe könnten von Franziskas Mitarbeitern kommen. Die Fünfzigjährige hat
diesen Bereich bei Krass und Peinlich salonfähig gemacht bei. Große,
erfolgreiche Firmen lassen ihre Waren mittlerweile von diesem Call-Center
verkaufen....
Auch jetzt muß mal wieder ein neues Produkt unter die
Leute gebracht werden. Einzig Gittes Team eignet sich für derlei
Testaktionen. Gitte war damals kurz vor Franziska in die Firma gekommen die
beiden haben zusammen einiges an Pionierarbeit in diesem damals neuen
Geschäftsbereich geleistet. Und das, obwohl die zwei Frauen den Begriff
„Outbound“ noch nie gehört hatten, bevor sie an diesen Betrieb geraten
sind....
...Blass und abgemagert saß Sophie Prandtner
auf ihrem Krankenhausbett. Ihre erster Versuch, mal wieder ein Buch zu
lesen, klappte überraschend gut. Wie heiter doch das Leben in den Romanen
war!
Auch das dritte Klopfen blieb unbeantwortet. Du liebe Zeit, sie wird
sich doch nicht... Entschlossen öffnete Schwester Brigitte die Tür und blieb
verwundert stehen. Dieses ausgemergelte Gesicht, in dem der einstmals sicher
sehr schöne Mund wie ein viel zu großes klaffendes Loch aussah – dieses
Gesicht lächelte. Noch nie hatte Schwester Brigitte dieses Gesicht lächeln
sehen.
„Sie haben Besuch, Frau Prandtner.“
Sophies Lächeln
erfror langsam, ihre Augen begannen zu flattern und ihr Lippen formulierten
die bange Frage:
„Ist er es?“ Schwester Brigittes Nicken war nur
angedeutet. Sie senkte den Blick und hoffte insgeheim, Frau Prandtner würde
die richtige Entscheidung treffen.
„Sagen Sie ihm, ich möchte ihn nicht
sehen... Sagen Sie ihm, ich möchte ihn nie mehr sehen.“ Diese Antwort nahm
Schwester Brigitte sichtlich erleichtert mit aus dem Krankenzimmer. Die
Buchstaben von Sophies heiterem Roman wirbelten indessen aus den Seiten
heraus und formierten sich zu einer ganz anderen Geschichte, die die
Patientin nur zu gut kannte. Die Entscheidung, Heinz Eckerbauer nicht zu
empfangen, war ihr nicht leicht gefallen. Trotzdem, sie durfte diesen Mann
nie mehr treffen. Ihn nicht mehr anrufen und ihn anflehen, er möge doch zu
ihr kommen, nie mehr in seiner Firma arbeiten und auch nie mehr mit ihm
schlafen. Sophie wußte ganz genau: wenn sie es diesmal nicht schaffte, mit
dem Saufen aufzuhören, würde sie jämmerlich verrecken. Noch einmal würde ihr
Körper so eine Hölle nicht durchstehen. Und ihre Seele auch nicht. Und ihre
elfjährige Linda erst recht nicht. Tränenbäche schwemmten das schreckliche
letzte Jahr aus ihrem Körper und tauchten sie in einen erschöpften
Schlaf.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 2004-06-17. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).