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„Im Schlunde des Abyss“ von Patrick Rabe


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Je kritischer die globalen Probleme werden,
desto mehr Aggressionen bilden sich heraus.
Wo befindet sich das Haus,
das die Antworten darauf gibt?
Viele Werte verschimmeln, verdorren,
und lange schon wählt der Mensch verworren.
Wo kein Same gesät, der gute Frucht bringt,
steht das Gegenteil auf:
wer wohl am Ende die Schlachten gewinnt,
wenn die Mehrheit nur böse gesinnt?

Über uns schweben viele Fragen,
und vollkommene Antworten
wüsste allein Gott zu sagen.
Diese haben wir zwar schon vernommen,
doch wir lassen unseren Glauben
mehr und mehr verkommen.
Bis wir vor dem endgültigen Abgrund stehen;
dann belügen wir uns ein letztes Mal
- und dann ist es um uns geschehen...

Ein paar Gedankengänge aus der Meeresenge
- Renate
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Lieber Patrick,
dein Gedicht liest sich gleichzeitig abgründig und straff. Es erinnert mich an deine besten früheren Gedichte. Du findest (oder suchst) offensichtlich deine Wurzeln. Zwei Verse stachen für mich hervor und sprachen mich direkt an: "Kann man eine Jugend lieben, die erst tötet und dann lacht?" Ich frage mich, ob solcher Generation nicht irgendwas wichtiges fehlt, ob es nicht Defizite irgendeiner Art sind, die zu einem dermaßen monströsen Verhalten führen? Was kann Kultur? Was muss sie erfüllen? Kann man sie impfen und boostern? Dein Gedicht klagt an und ist doch selbst verzweifelnd verstrickt. Es wirft viele, auch soziologische, Fragen auf.
PS.: der Song, den ich dir von den Dire Straits empfohlen habe, heißt "Industrial Desease", nicht "Industrial Street", wie ich dir schrieb.
Liebe Grüße von deinem Frühaufsteher Andreas (der heute geboostert wird. Juhuu!)

Patrick Rabe (06.01.2022):
Moin, Andreas! (Obwohl ich das Wort "Moin" mittlerweile hasse, weil sich in Hamburg eine ekelhafte "Moin-Kultur" entwickelt hat - vielleicht, um allen Quietjes und "Ausländern" tz teugen, was man hier zu jeder Tages-und Nachtzeit sagen MUSS. Nämlich ein breites "Moooooooooooooiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiin". Das ist, wie so viele andere zivilisatorische Zwänge, die in den letzten Jahren ja leider mehr geworden sind, für mich extrem nervig. Ich bin deswegen eher wieder zu "Tach!" übergegangen. Natürlich mit original pampfigem Hamburger Schlechte-Laune-Gesicht. Nur so kann man die gehirngewaschenen "Moin-sager" mundtot machen. Aber zum Gedicht. Ja. Es stimmt. Ich nähere mich meinen Wurzeln wieder an. Ist mit Mitte 40 aber vielleicht auch nicht so ungewöhnlich. Ich verspüre ausßerdem oft die Lust, wie du ja offensichtlich auch. mir Musik aus meiner Jugend anzuhören. Schön, wenn es dann noch Bands aus dieser Zeit gibt, die noch relevant sind. (Was bei Tocotronic ja zum Glück der Fall ist.). Du bist ja, altersgemäß typisch, eher in den 80er'n sozialisiert, die stoßen mich vom Sound her oft ab. Was ich durchaus mag, sind depeche Mode, aber eigentlich auch erst ab ihren Sachen aus den später 90ern. Und natürlich U2 und die Dire Straights, ja. (Springsteen selbstverständlich auch...). Aber die waren auch genau die Fraktion, die damals vom handelsüblichen Plastiksound abwichen. U2 beriefen sich ja zum Beispiel auf die Punkbewegung der 70'er, mit Joe Strummer, Patti Smith und so, aber ihre eigentlichen und aus ihrer Dubliner Vorstadt-Prügel-Sozialisation mit Peinlichkeit belegten Wurzeln waren ja, woraus Bono auch später keinen hehl mehr machte, bei Leuten wie John Lennon, Bob Dylan oder Lou Reed, der ja beim "Zoo-TV-Konzert" auch ein Lied mit U2 singt ("Satellite of love", passender weise via Satellit auf die Leinwand projiziert.). Die Dire Straights, die ja sehr stark und sehr eindeutig von Bob Dylan beeinflusst wurden, waren mir oft zu "Walk-of-life"-fröhlich, dieses Kinderlied-Keyboard mag ich einfach nicht. Auch, wenn ich "Walk of life" gerne mal mitsinge. Was ich toll finde, ist ihre Frühphase mit "Sultans of Swing". In gewisser Weise ein englisches "Alles klar auf der Andrea Doria", nur etwas besser. Wird ja da eine grottige Dixie-Band beschrieben, die richtig aufdrehen kann. Für mich schlichtweg einer des besten Songs aller Zeiten. "Industrial Disease" hab ich mir angehört, da ist ja auch dieses Kinderlieder-Keyboard drin, aber der Text ist gut. Das schreit eigentlich nach einer langsameren, düstereren musikalischen Umsetzung. Erinnert mich auch an die Theorien eines ehemaligen Weggefährten von mir, der immer von einer kollektiven Zivilisationsneurose sprach. Besonders schön und auf die heutige Zeit passend die Zeilen mit dem Mann, der im Korridor niest, und die mit dem Wächter oder Aufpasser (Care-taker kann man ja auch mit "Beschützer" oder "Behüter" übersetzen, jedenfalls jemand, der mit den Leuten eher vorsichtig umgeht...). Bob Dylan nahm diese Zeile -so denke ich es mir- in seinem Song "Tempest" wieder auf; die Zeile mit dem schlafenden Schiffsausguck (Watchman) auf der Titanic. Knopfler und Dylan haben ja auch oft zusammen getourt, auch in den letzten Jahren noch. Mein Gedicht ist vor allem inspieriert von den bereits veröffentlichten Videos zum neunen Tocotronic-Album, "Jugend ohne Gott gegen Faschismus", "Ich tauche auf" und "Nie wieder Krieg". Man darf sich von den Titeln dieser Songs nicht täuschen lassen. Die Tocos konterkarieren damit offensichtlich den Vorwurf, sie würden immer nur sloganhaft schreiben. Und perfektionieren ihren Stil, der ja auch von Anspielungen lebt. So weit jedenfalls die Musikjournaillenmeinung auf dem Stand von ca. 1997. Die deutsche Musikjournaille hat ja manchmal etwas behäbiges und lernt nicht so gerne dazu. Vor allem auf den letzten Alben waren die Tocos schon sehr weit weg von reinen Slogan-oder Zitatenrock, und auch ihre ganz alten Alben haben davon eigentlich gar nichts. Sie vermitteln eine Art Lebensgefühlsmagie, die meine Generation sehr geprägt hat. Es hat etwas mystisches, wie etwa auch die "Doors" oder ähnliche Bands. Wie man aber angesichts von dem Video zu "Ich tauche auf" nicht auch an das "Phantom der Oper", Harry Potter und Dumbledore und natürlich manche Passagen aus Allen Ginsbergs "Howl" denken soll, weiß ich nicht genau. Ich empfehle gerade letzteres Gedicht. Und dann nach dem Lesen NOCH mal einen Blick auf "Ich tauche auf" werfen. Ein Lied über den Versuch, bei jemandem im Abgrund zu sein, und das Feststellen, dass nicht einmal die Öiebe einem dauerhaft hilft, diesen Abgrund auszuhalten. Bzw. vielleicht nur gerade noch sie. Ginsbergs Gedicht ist ja auch eine Kritik am Geben von Elektroschocks, neben seiner allgemein zivilisationskritischen und queer-befürwortenden Ebene. Das neue Album nimmt den "alten" Tocostil wieder auf, mit Selbstreferenzen wie dem "Kanal" aus "Unten am Kanal", bei dem ich nämlich beim Hören nie an "Dirty old town" oder "Simple twist of fate" dachte, wie das offenbar ältere Hörer taten. Für mich hat dieser Song und auch andere von den Tocos diese unmittelbare Magie, die sich aus der mystischen Erfahrung des Herumstromerns etwa an einem Kanal an der Schnellstraße oder an einem Baggersee ergibt. Diese Art von Mystik ist eine andere "Einweihung", als beispielsweise esoterische Zirkel sie bieten. Und für meine Generation dankenswerter Weise sehr typisch. Vielleicht sind wir deswegen auch ein bisschen immuner gegen Konformität und Sekten. Es ist ja nicht so, dass wir in unserer Mystik KEINE Schnittmenge mit den großen esotierischen oder religiösen Schriften aller Jahrhunderte sähen, aber das macht unsere Spiritualität nicht aus. Für mich sprechend würde ich sagen, unsere Generation ist eben KEINE Nachmacher-Generation, auch, wenn uns das von älteren ja oft vorgeworfen wird. In "Jugend ohne Gott gegen Faschismus" habe ich zunächst rausgehört "Man liebt sich immer zweimal", was ich in Anlehnung an "Love me two times" von den Doors recht sympathisch finde. Offenbar singt Dirk hier aber "Man SIEHT sich immer zweimal". Wahrscheinlich bringt mir der bessere CD-Sound da den Aufschluss. Der Titel des Songs mag den leisen Zwiefel transportieren, ob es gegen Faschismus hilft, wenn man in der Schule "Jugend ohne Gott" liest, es charaktierisiert aber vielleicht auch die sehr atheistisch gewordene Jugend von heute, die mit dem Hereinbrechen von echter Mystik offenbar sehr überfordert ist. Ich danke den Tocos jedenfalls für diese dichten, atmosphärischen Songs. Ich weiß ja nicht, ob die Jungs meine gedichte lesen, aber in "Ich tauche auf" finde ich schon auch Anklänge an mein gedicht "Die Perle", und alles, was mit der damaligen Schreibphase von mir zu tun hatte. Deswegen ist mein Gedicht sowohl eine Hommage an die neuen und alten Songs von Tocotronic, als auch eine Zustandsbeschreibung von möglicher und unmöglicher Liebe. Ja, Andreas, gewohnt lang, meine Ausführungen hier. Und jetzt geh ich gleich runter an den Kanal. Liebe grüße von Speivogel Spielmann vom und zum Spinett zu Speyer.

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Bist im Abyss du gelandet,
wirst du nicht so schnell gestrandet;
hängst dort eine Weile fest,
bist raus aus dem sichern Nest.

Patrick, toll gereimt,
lG Bertl.

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