Burckhardt Fischer

Von Malören

Dienst ist Dienst, und Schnaps ist Schnaps“ pflegte mein Vater zu sagen.

Meint, das Private ist vom Dienstlichen zu trennen, hat nichts zu suchen dort, sofern nicht Beistand, Hilfe, Mitgefühl, oder ein gutes Gespräch.

1.
Nun kam aber der Tag, da meine Eltern geheiratet hatten 25 Jahre zuvor, und in jenem Ländchen, in das sie es verschlagen hatte nach Krieg und Diktatur, da war es gang und gäbe, die Silberhochzeit groß zu feiern – mancher Buur[i] ist daran wohl pleite gegangen, wenn „de Nabers[ii] dazu eingeladen hatten.

Auch meine Eltern nahmen dieses Jubiläum[iii] verblüffend ernst, zur Überraschung von uns Kindern und zur Peinlichkeit, wiewohl sie doch sonst gegenüber solchen Konventionen zu mildem Spott oder gar Sarkasmus neigten.

Mein Vater aber, sonst in der Kirche nur zu Weihnachten, Trauerfeiern oder vielleicht Taufen, der Konfirmation seiner Kinder, orderte einen eigenen Gottesdienst an diesem speziellen Tag, nur für unsere Familie, und ging, eilte – wie immer in zeitlichen Nöten – zu unserer Kirche, die auf ganze andere Besucherzahlen eingerichtet erschreckend groß und leer erschien, und dröhnend setzte ein die Orgel. Er in feinstem Ornat: im Frack, auf dem Haupt den vom Großvater ererbten Zylinder, Nadelstreifenhose. Auch meine Mutter festlich gewandet, zudem aufgelegt ein angestrengt beglücktes Dauerlächeln, und die Söhne, im Gänsemarsch folgend, der Größe nach – ich hinterher stolpernd – gezwängt in das Beste, was der jeweilige Kleiderschrank herzugeben schien: sonst nie oder ungern getragen zumeist.

Mein Vater, mit hohem Tempo gesegnet, schritt mächtig aus, die Frau an seiner Seite eingehakt, wir hasteten hernach, von den Passanten überrascht, erstaunt betrachtet, war es doch Sylvester, aber vormittags an einem sonst normalen Wochentag, und schien kein Anlaß für solchen Aufzug gegeben, noch nicht. Seht her: der Herr Direktor und Frau Gemahlin, VIER Söhne!

Bis heute – 60 Jahre danach – rätsele ich ein wenig über den Grund für diesen Akt. Obwohl noch fast klein damals, wußte ich doch bereits aus Erzählungen der Mutter, daß die kirchliche Trauung damals, mit Brautkleid und Schleier – eine Maskerade, der Forderung ihrer Eltern entsprach, da jene die Finanzierung der Festlichkeit und des HAUSSTANDES daran knüpften, nicht aber ihren eigenen Anschauungen entsprang. Und auch, daß der Wiederbeginn nach Jahren der Trennung in Krieg und Gefangenschaft ihr nicht leichtgefallen war – der Neuanfang eben in unserer Provinz.

Ich stelle mir vor: es ist eine neue Verabredung gewesen, eine Bekräftigung der bereits geschlossenen Verbindung, aus eigenen Stücken nunmehr. Und hat sie gehalten bis zum Ende, das aber dann leider nicht mehr fern gewesen. Und darüber hinaus.
Mein Beitrag hierzu aber geriet kümmerlich, meine großen Pläne wurden gestutzt, da das gesparte Geld für den Erwerb der benötigten Materialien gestohlen wurde im Unterricht.

2.
Weil das Ereignis dieses silbernen Hochzeitsfestes nun so bedeutsam war, sahen sich meine Eltern bemüßigt, dieses in angemessenen Rahmen auch in der Bibliothek zu zelebrieren, da mein Vater Direktor war.

Meine Brüder hatten besseres vor, ich aber half gerne – auch, um über die Verlegen-heit des verunglückten Geschenks hinweg zu helfen, zuvörderst aber, da ich das Haus von Herzen liebte, darinnen die Bibliothek sich eingerichtet hatte nach meines Vaters Geschick, die Mitarbeiter schätzte, und den Eltern gerne zu Diensten war, nachdem der kirchliche Gang nun Gottseidank vorüber.

Auf einem leer geräumten Bücherwagen wurden Gläser plaziert, Teller, Gabeln, Sherry und ein großer Laib Christstollen, den meine Eltern alljährlich zum Weih-nachtsfest in beträchtlicher Menge backen ließen – die ganze Familie mußte hierfür Frondienst leisten schon im November, um Mandeln zu schälen, Zitronat zu schneiden, Rosinen in Rum zu tränken. Er schmeckte tatsächlich auch immerdar unvergleichlich.

Ich schob den Wagen von Zimmer zu Zimmer, von Tisch zu Tisch, daran die Mitarbeiter saßen, füllte die Gläser, reichte die Teller, räumte benutztes Geschirr beiseite, während meine Eltern mit den Bibliothekaren parlierten, den Helfern, dem Buchbinder, dem Tischler, dem Hausmeister und seiner Familie – was mich verlegen stimmte, da ich für die schöne Tochter heimlich schwärmte – und je weiter der Karren geschoben ward, desto angeregter wurde die Laune, insbesondere die meines Vaters, obwohl ich achtete, sein Gläschen immer nur mäßig zu füllen. Es mußten die Eltern doch aber etliche Stationen passieren.


Schließlich nun stand unser Vater mit rotem Gesicht, die Mutter jedoch angestrengt, als ein Vertreter des Personals – so freundlich, arglos, willfährig, daß niemand ihm gram sein konnte – den Eltern ein Geschenk überreichte: ein großer Strauß Blumen, Gladiolen, nicht unbedingt geliebt, aber akzeptabel, zumal eben zur Winterszeit. Sie steckten jedoch in einer Vase, auch diese Teil des Präsents, ferner eine Schale in eben jenem Dessin der Fünfziger Jahre, das dem Stil UNSERES Hauses so gar nicht entsprach, in Form, Farbe, Musterung. Den Eltern gefror das Lächeln, mühsam bewahrte contenance, und ein schneller Abschied – war ja auch schon spät geworden.

Immerhin haben sie dies Geschirr über die Jahre hinweg bewahrt, in einer hinteren Ecke des Schrankes, und ich hüte es weiterhin, da sie schon lange tot sind. Im Angedenken an diesen denkwürdigen Tag, und an die Verlegenheit des freundlichem Bibliothekars Herrn Janßen, der dieses Malheur im Namen der Belegschaft hatte darreichen durfte.


Nach den Feiertagen, zu Beginn des neuen Jahres, drängte es, endlich das für jene Festivität geliehene Geschirr zurückzugeben.

Der Verleiher prüfte ein jedes Stück, das – gereinigt und poliert – von meiner Mutter und mir hereingetragen wurde und wies unerbittlich eine Anzahl von Sherrygläsern zurück, da sie angeschlagen seien. Das hat ein ordentliches Loch in die ohnehin schon strapazierte Börse gerissen und den Eltern die Freude verhagelt.

Die zumeist nur minimal beschädigten Gläser wurden solchermaßen unfreiwillig erworben. Da aber auch deren Form nicht den Ansprüchen genügte, wie auch Schale und Vase zudem mit zweifelhaften Erinnerungen verbunden, wurden sie nahezu nie benutzt und haben auf diese Weise fast alle Fährnisse überstanden. So stehen sie ebenfalls auf einem Ehrenplatz, wiewohl eben formal höchst unzulänglich, als Erinnerung auch an die Höhen und zumal Tiefen des Lebens. Davon hatten die Eltern reichlich genossen.

 

[i] Oldenburger Plattdeutsch: Bauer

[ii] Oldenburger Plattdeutsch: die Nachbarn

[iii] 31.12.1961