Lea H.

Die Miene



„Und hier, meine sehr verehrten Damen und Herren, sehen sie Stonehenge. Diese Steinkreise stammen aus der Jungsteinzeit. Viel mehr muss ich zu diesem Imposanten Bauwerk nicht sagen, es steht alles in ihrem Reiseführer. Lassen sie nun die Magie des Ortes ein wenig auf sich wirken.“ Der Tourguide entfernte sich von unserer Gruppe und steckte sich einen Zigarillo an. Ich nahm Ludmillas Hand und ging mit ihr näher ran. Sie maulte schon den ganzen Tag rum weil sie lieber Shoppen wollte statt ein wenig der ländlichen Kultur zu erfahren. Ich ließ den Blick über ihren Körper und ihre stumpfsinnigen aber Stahlblauen Augen gleiten. Das entschädigte für die zickereien – vorerst. Sie löste ihre Hand aus meiner, zog ihre kurze Pelzjacke zurecht und zündete sich eine Zigarette an. Demonstrativ wedelte ich den Rauch weg und sofort drehte sie sich um und ging ein paar Schritte weiter. Innerlich fluchend ging ich weiter. Ich hätte mich nie darauf einlassen dürfen sie zu heiraten. Sie war Bildhübsch, keine Frage, aber sie hatte den Scharfsinn und Intellekt einer dreijährigen. Dimitri, ihr großer Bruder, war ein so gebildeter Mensch, wie konnte er nur mit diesem Wesen verwandt sein ? Doch ich hatte ihm am Sterbebett versprochen immer für seine Schwester zu sorgen und keinen Monat später stand ich vor dem Altar. Ich war 34 Jahre jung, erfolgreicher Besitzer in einer Miene voll von Amethystdrusen und noch dazu ziemlich attraktiv und trainiert, warum hatte ich also diese Frau geheiratet? Die riesigen Steine zogen mich letztlich doch in ihren Bann und ich umrundete sie und genoss die Mystik an diesem Ort. Kurze Zeit später kam die Gruppe wieder zusammen und wir stiegen wieder in unseren Bus. Wehmütig blickte ich auf die Imposanten Steinkreise zurück, ich hatte mich wohl gefühlt an diesem Ort.
 
Zurück am Flughafen in Russland schlug ich den Kragen meines dicken Pelzmantels hoch und stapfte missmutig zu meiner Limousine. Ludmilla stöckelte hinter mir her und quickte in ihr neues Handy. Das alte war wie immer vollkommen in Ordnung gewesen aber ihr betteln und jammern ging mir meist so auf die nerven das ich direkt beim ersten „Bitte bitte Juri“ aufgab und die Kreditkarte zückte. Im Auto drehte ich die Heizung voll auf und schmiss den Mantel auf den Sitz, mit einem zischen gab ich meiner holden Gattin zu verstehen das sie gefälligst den Mund halten sollte. Beleidigt drückte sie ihre Freundin weg und strafte mich mit einem schmollenden Blick und Schweigen. Endlich! Zuhause angekommen ging es bereits gegen Mitternacht. Nach dem langen Flug sehnte ich mir nach einer langen heißen Dusche und etwas…Entspannung. Nur mit einem Handtuch um die Hüften ging ich ins Schlafzimmer und rief Ludmilla zu mir, sie hatte einiges wieder gut zu machen…
 
Am nächsten Morgen fuhr ich schon früh zum Büro und seufzte als ich den erwarteten Papierhaufen auf meinem Tisch sah. Kurz nach mir kam Alexei in mein Zimmer und balancierte eine Kaffetasse auf einem weiteren Stapel Papier. Mit einem mitleidigen lächeln stellte er mir meinen Kaffe hin, legte den Stapel ab und ließ sich in den Sessel vor mir plumpsen. Grinsend richtete er sich halb auf und strahlte mich an: „Ich mach es kurz Herr Oblonski, wir haben wieder etliche Drusen bergen können. Etwa die hälfte sogar Mannshoch, wir haben großartigen Profit geschlagen. Lassen sie den Champagner fließen sie könnten von dem Geld des letzten Fundes ein luxuriöses Leben führen ohne jemals über Geld nachdenken zu müssen.“
Lachend sprang ich auf und umarmte ihn überschwänglich. Ich stürmte aus dem Büro, drückte meiner Sekretärin einen Kuss auf die Wange und lief zu meinem Wagen. Mein Chauffeur wartete wie immer brav in der Limousine und startete das Auto schon während ich noch rein sprang. Ich köpfte eine Flasche Champagner aus der Minibar und dirigierte ihn in Richtung meiner Villa. Von unterwegs schrieb ich Ludmilla sie solle sich schick anziehen und auf uns warten. Sie stand in einen langen Mantel gehüllt am Tor und tippte genervt auf ihr Smartphone ein. Wahrscheinlich hatte ich sie bei einer Maniküre gestört. Ich sprang aus dem Wagen und überraschte sie mit einem leidenschaftlichen Kuss. Erschrocken schob sie mich von sich und fluchte leise. Mehr als ein kichern hatte ich jedoch für dieses halbherzige gefluche nicht übrig. Meinen linken Arm schlang ich ihr fest um die Taille und zog sie an mich. Sie sah mich an als sei ich ein Alien, doch ich ging nicht darauf ein. Kurz berichtete ich ihr von den Vorkommnissen in unserer Abwesenheit. Als ich den gierigen Glanz in ihren Augen sah als ich den gigantischen Reichtum erwähnte wurde mir beinahe übel. Gieriges Miststück! Ich zog sie hinter mir zum Wagen und versprach ihr eine ausgedehnte Shopping-Tour. Wir brachten die Augen eines jeden Juwelier zum glänzen, da wir in jedem Laden ein neues, viel schöneres Juwelenbesetztes Ding entdeckten, welches dann auch sofort gekauft wurde. Meine schöne Limousine ächzte unter dem Gewicht der etlichen Tüten, Taschen, Boxen und Schachteln die wir hineinpackten und meine Kreditkarte glühte. Als es Zeit zum Mittagessen wurde führte ich sie in das teuerste Restaurant aus das ich finden konnte und wir bestellten die Karte rauf und runter. Ich konnte mich in meinem Übermut nicht zügeln, gab dem ganzen Restaurant eine Flache des teuersten Wein des Hauses aus, steckte der Kellnerin 5.000 Rubel zu und trotzdem konnte ich die gesalzene Rechnung in der eleganten schwarzen Mappe nur belächeln. Unser enormer Reichtum schien auf das Gemüt meiner holden Gattin zu erhellen. Gönnerhaft belächelte sie den ersten Kreis der russischen Gesellschaft, welcher in diesem Lokal zu speisen pflegte. Sie schien sich unsterblich zu fühlen, gar königlich mit einem solchen Reichtum zum verschleudern. Nun, ich konnte ihr nun einen wahrlich extravaganten Lebensstil ermöglichen, warum also sollte sie das nicht genießen? In dieser Nacht zeigte sie sich für meinen Erfolg mehr als erkenntlich.
 
Am nächsten Morgen gratulierte mir jeder in der Firma überschwänglich zu dem großartigen Fund in meiner Miene, immer noch bester Laune ließ ich alle Löhne erhöhen und verteilte einen kleinen Bonus zur Feier des Tages. Ich fuhr meinen Computer hoch und ging mir einen Kaffe holen, dieser war auf Standby umgesprungen und auf dem Bildschirm liefen die Bilder unserer letzten Reise als kleine Diashow. Ich dachte wehmütig an die wunderschönen Felsen von Stonehenge zurück und bekam das übermächtige Gefühl ein Stück davon besitzen zu müssen. Schnell zappte ich vor zu einem Bild der Felsen und betrachtete sie lange. Wenn man ein Stück davon abschlagen würde…
Ich orderte ein Privatflug und reiste noch am selben Abend zurück nach Salisbury und von dort nach Wiltshire zu meinen geliebten Steinkreisen. Alexei begleitete mich, im Schlepptau 2 unserer Mienenarbeiter. Ich zeigte ihnen meine geliebten Steinchen und die Arbeiter machten sich sogleich daran ein Stück aus einem der Felsen zu schlagen. Mit einem fiebrigen Glanz in den Augen stand ich neben ihnen und beaufsichtigte die arbeiten. Ich hörte die Alte nicht, bis sie mir ihre klauenartige Hand auf die Schulter legte. „Junge, tuen sie das nicht“, krächzte sie heißer, „der Fluch von Stonehenge wird über sie richten, wie er über jeden richtete der die Magie dieses Ortes stört.“ Darüber konnte ich nur lachen und schlug die Hand der Alten weg. Fluch, das ich nicht lache. Ljewin und Konstantin, unsere Arbeiter, riefen nach mir um ihr Resultat zu präsentieren. Sie legten mir einen Stein in die Hände, so groß wie eine Blutorange. Ehrfürchtig starrte ich ihn an, er war so wunderschön. Während wir uns auf den Rückweg begaben erzählte ich den anderen von der Alten und ihrem Fluch. Alexei lachte ebenfalls doch Ljewin und Konstantin wurden ganz Blass und weigerten sich auf einmal in das Flugzeug zu steigen. Wir lachten und zogen die beiden hinter uns her, unruhig rutschten sie auf den Sitzen hin und her und tuschelten leise während Alexei mich zu meinem Stein beglückwünschte. Irgendwann konnte ich nicht mehr an mich halten und fragte die beiden wovor sie solche Angst hatten. Fast flüsternd erzählten sie mir das Flüche kein Humbug seien, sondern real. Sie meinten das Flüche immer in Erfüllung gehen würden. Ich winkte diesen Unsinn lächelnd ab und lehnte mich zurück um zu schlafen. Nach einigen Stunden erwachte ich schweißgebadet in meinem Sitz, diese blöde Alte war in meinen Träumen rumgespukt. Zuhause stellte ich mir den Stein gut sichtbar über das Kopfende meines Bettes.
 
Am nächsten Tag beschloss ich mit Ludmilla die Quelle unseres Wohlstandes zu besichtigen. Bis sie die richtigen Schuhe ausgewählt und die passende Tasche gefunden hatte dämmerte es bereits. Wir fuhren in der riesigen Stahlgondel in die tiefe der Miene hinab und von da an ging es nur zu Fuß weiter. Ludmilla quietschte immer wieder angeekelt und hielt großen abstand zu den Wänden. Ich fand die schwüle Luft und die wärme hier unten erdrückend und lockerte den Knoten meiner Krawatte ein wenig um besser Luft zu bekommen. Mittlerweile bereute ich das ich den Mienenführer gebeten hatte uns allein zu lassen, doch als ich meinte Schritte zu erahnen dachte ich schon er hätte die Bitte missachtet. Ich drehte mich um und rief seinen Namen, er antwortete nicht doch die Schritte kamen näher. Ludmilla fragte mich wer sonst noch hier unten sei und ich musste gestehen das ich es nicht wusste. Die Schritte waren fast da, sobald die Person um die Ecke kam würde ich die Frage beantworten können, doch niemand war zu sehen. Ich bekam einen schrecklichen Klos im Hals und Ludmilla begann zu schreien. Niemand war zu sehen aber die Schritte kamen näher und man sah in den Pfützen das jemand auf uns zu lief. Ich sagte zu mir selbst das das unmöglich ist und streckte die Hand aus, in der Erwartung durch Luft zu fahren, doch ich spürte einen Körper! Ich schnappte mir Ludmillas Hand und rannte los. Sie schrie immer noch und fiel langsam aber sicher hinter mir zurück. Ich biss mir auf die Lippe, zwickte mich und wollte endlich aufwachen, doch es war kein Traum. Ludmilla hinter mir schrie und keuchte und uns beiden brannten die Lungen vom vielen rennen. Irgendwann konnte ich keinen Schritt weiter und blieb keuchend stehen, aus einem der Stützbalken neben mir zog ich einen rostigen Nagel und schob Ludmilla hinter mich. Die Schritte kamen näher und man hörte jemanden leise krächzen. Plötzlich schien es als würde ein Wind wehen und es wurde gespenstisch kalt. „Der Fluch richtet die, die die Magie des Ortes stört!“ Klar und deutlich erklangen diese Worte und hallten durch die verlassenen Mienenschächte. Ich stieß den rostigen Nagel dorthin, wo ich das Wesen vermutete und rannte weiter, hinter mir hörte ich Ludmilla schreien. Als ich mich umdrehte stockte mir der Atem bei dem grausigem Anblick der sich mir bot. Ludmilla lag schreiend und sich windend auf dem Boden, während der rostige Nagel, von einer unsichtbaren Hand geführt, immer wieder auf sie einstach. Überall war blut! Als der Nagel nach oben wanderte, Richtung Gesicht, und ihre Schreie leiser wurden, drehte ich mich würgend um und rannte weiter. Längst hatte ich mich hoffnungslos verlaufen. Ich blieb stehen um Luft zu holen und die Angst übermannte mich. Wimmernd und schluchzend sank ich zu Boden und flehte um Gnaden. Als die Schritte näher kamen wurde mir klar das ich Ludmillas schreie nicht mehr hören konnte, wahrscheinlich schrie sie nicht mehr. Keuchend rappelte ich mich auf und rannte los. Die Schritte hinter mir wurden schneller und kamen immer näher. Die Panik drohte erneut mich zu überwältigen. Plötzlich stolperte ich über etwas großes und schlug der länge nach hin. Als ich mich umdreht erkannte ich meinen Stein von Stonehenge auf dem Boden. Schluchzend rollte ich mich am Boden zusammen. Der Fluch richtet über die, die die Magie dieses Ortes stören. Ich schrie verzweifelt und wollte mich Ohrfeigen für meinen Anfall von Größenwahn. Wimmernd robbte ich über den Boden, die Schritte hinter mir wurden Selbstgefällig langsam. Das Scheusal schien sich an meinen Qualen zu weiden. Ich schrie gellend auf als sich der rostige Nagel durch mein Handgelenk bohrte und mich an den Boden fesselte. Das letzte was ich sah war, wie der blutige Nagel über meinem Gesicht schwebte und dann blitzschnell zustieß. 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.07.2013. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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