Renate Harig
Der alte Schuhkarton
Er stand in Mutters altem Schrank –
voll mit Fotos, bis obenhin,
es gibt ihn noch – und Gott sei Dank,
wenn ich wieder mal zuhause bin,
stellen wir ihn auf den Tisch,
wie wir gemeinsam es oft machten
Erinnerungen werden frisch,
bei manchem Bild wir herzlich lachten!
Fast wie damals stöbern wir
und kramen Bild um Bild hervor,
viele der Lieben sind nicht mehr hier,
sie singen längst im Engelschor.
Da auf der Bank vorm Elternhaus
sitzt Oma mit der Enkelschar
und Opa sieht gemütlich aus,
sein Pfeifchen ihm sein Alles war.
In Omas Garten, das bin ich,
im Wasser planschen machte Spass,
und der da knipste, sicherlich,
war hinterher bestimmt ganz nass!
Ein Bild, das mir so sehr gefällt,
zeigt mein kleines Schwesterlein,
ich war schon länger auf der Welt -
hab’ sie beschützt, weil sie geweint!
Uns’re Eltern frisch verliebt,
mein Gott, ist das so lange her,
gut, dass es dieses Foto gibt,
auch diese Zeit kommt niemals mehr!
Vati mit ganz dichten Haaren,
zeigt ein Foto - nicht zu fassen,
dass nach all’ den vielen Jahren
uns die Haare mal verlassen!
Überhaupt, man muss gestehen,
dass, je älter Fotos werden,
wir darauf jünger aussehen,
so ist’s bei allen hier auf Erden!
Und wir stöbern und wir kramen
in dem alten Schuhkarton,
vergessen sind schon manche Namen
doch Bilder sprechen noch davon.
Erstkommunion im weißen Kleid,
was war das für ein frommes Fest,
so ganz bescheiden, nicht wie heut’,
wo man sich reich beschenken lässt!
Brav und sittsam stehn wir da,
nach der Feier aufgenommen,
mit Mutter im Bild, ist ja klar,
die Aufnahme ist leicht verschwommen.
Wir finden auch ganz alte Bilder,
auf extra dickem Pappkarton,
fühlen sich eher an wie Schilder,
es gibt wohl einige davon.
Leute, die diese Fotos zeigen,
habe ich nie kennen gelernt,
sie stammen aus dem Ahnenreigen
der meilenweit von mir entfernt.
Auch Urgroßmütter, Urgroßväter,
Cousin, Cousinen, Onkel, Tanten
und manchen andern Schwerenöter
wir fanden unter den Verwandten.
Der Karton ist nun ganz leer,
auf dem Tisch siehts munter aus,
alle Bilder, kreuz und quer –
wollten wieder einmal raus.
Behutsam, langsam, Stück für Stück,
an Erinnerungen reich,
legen die Fotos wir zurück
eines wertvollen Schatzes gleich.
Wenn’s den Karton aus Mutters Schrank
mal eines Tages nicht mehr gibt,
so gab’s ihn doch und Gott sei Dank,
die Erinnerung im Herzen liegt!
Erinnerungen bekommen Flügel,
sie überdauern Raum und Zeit,
sie fliegen frei, und ohne Zügel,
wohin sie wollen – endlos weit!
© Renate Harig 2011
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.04.2012.
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