Klaus-Peter Behrens

Nebelwald 2

Doch obwohl er ein guter Läufer war, dauerte es einen Augenblick, bis er sie eingeholt hatte, zumal seine Bergstiefel nicht gerade das beste Rüstzeug für einen Sprint waren.
"Wie heißt du eigentlich?", brachte er keuchend hervor, während er ihr schnaufend im Höchsttempo hinterher rannte, offensichtlich einem Fluss entgegen, denn im Hintergrund war deutlich ein beständig lauter werdendes Rauschen zu vernehmen.
"Monjya", kam es nach einem Augenblick zögernd zurück, "vom Stamm der Waldelben aus Nebelwald. Und wer bist du?"
"Michael, aus den Reihen der zu neugierigen Paläanthropologen", erwiderte er zynisch, während er wohl zum hundertsten Mal überlegte, wo er bloß gelandet war. Das Ganze wurde immer abenteuerlicher. Vielleicht wachte er ja plötzlich auf und alles war nur ein Traum. Leider sah es danach vorläufig jedoch nicht aus, dafür wirkte das Seitenstechen, das sich bei ihm unangenehm einstellte, zu echt. Zum Glück rannten inzwischen einen abschüssigen Hang hinunter, was nicht ganz so anstrengend war. Am Ende des Abhangs gewahrte Michael den Fluss, den er die ganze Zeit über schon gehört hatte. Doch damit tat sich ein neues Problem auf. Selbst durch die dichte Ufervegetation konnte er erkennen, wie das Wasser wild schäumte und sich an diversen Felsbrocken brach. Die Möglichkeit, ihn zu durchqueren und ihre Verfolger abzuhängen, zerbarst wie die unzähligen Wassertröpfchen an den spitzen Felsen im Fluss. "Wie willst du denn da hinüber kommen?", fragte Michael nervös, dem der Magen in die Knie sank bei der Aussicht, sich in die reißenden Stromschnellen zu begeben. Ob mit oder ohne Boot, würde dabei wahrscheinlich auf dasselbe Ergebnis hinauslaufen. Sie würden jämmerlich ertrinken. Doch Monjya gab keine Antwort, sondern wandte sich nach links und rannte nun im Höchsttempo am Uferrand entlang. Intuitiv warf Michael einen Blick zurück und wurde augenblicklich bleich. Auf der Anhöhe waren vier düstere Reiter erschienen, die auf etwas ritten, das an eine Kreuzung zwischen einem Krokodil und einem Leguan erinnerte. "Verdammt, sie haben uns gleich", schrie er der vorauseilenden Monjya hinterher, die inzwischen eine Wiese in der Größe eines kleinen Fußballfeldes erreicht hatte und eine seltsam aussehende Flöte aus der Tasche zog. Als sie darauf blies, konnte Michael keinen Ton vernehmen. Er vermutete Ultraschall. Wie ihnen das helfen sollte, war ihm schleierhaft.
"Was soll das? Wir haben keine Zeit zu verlieren, die können jede Sekunde hier sein", redete er hektisch auf die aufmerksam den Himmel beobachtende Elbin ein, als plötzlich für einen Augenblick ein Schatten die Sonne verdunkelte. Irritiert warf Michael einen Blick in den Himmel und erbleichte erneut. Über ihnen kreiste ein gigantisches Geschöpf, das Michael an die Zeichnungen von Flugsauriern erinnerte, und dieses Ungeheuer setzte nun zur Landung an. Womit hatte er das nur verdient? "Weg hier", brüllte er und versuchte, Monjya fortzuziehen. Doch die widersetzte sich ihm.
"Bei Gelegenheit mußt du mir unbedingt einmal erzählen, wo du herkommst. Eigentlich weiß jeder, dass die Elben des Nebelwaldes Drachenreiter sind." Ein leicht überhebliches Grinsen erschien auf ihrem Gesicht als sie Michaels verdutztes Mienenspiel sah. Der wollte gerade eine passende Erwiderung anbringen, als Monjyas Grinsen schlagartig erlosch. Die Ursache hierfür war nicht zu übersehen. Am anderen Ende der Wiese waren ihre Verfolger erschienen. Während sie in perfekter Choreografie ihre Schwerter zogen, sah sich Michael verzweifelt nach einem Ausweg um. Es gab keinen. Diesmal waren sie endgültig erledigt. Sie hatten einfach zu lange gezögert. Michael schluckte. Hätte er doch wenigstens das Schwert seines Angreifers mitgenommen. Doch stattdessen verfügte er nur über die verbliebenen Bürsten an seinem Gürtel, und die würden ihm kaum weiterhelfen. Nervös wandte er sich ihren Verfolgern zu, die ihren Reittieren, denen der Geifer aus den geöffneten, mit spitzen Zähnen versehenen Kiefern troff, in diesem Moment in die Seite traten und los stürmten. Wenn es ihm wenigstens gelingen würde, einen aus dem Sattel zu zerren und ihm die Waffe abzunehmen, hatten sie vielleicht eine kleine Chance. Wie er das allerdings anstellen sollte, wußte er nicht, und Zeit darüber nachzudenken, hatte er auch nicht, denn die Entfernung zwischen den ungleichen Gegnern verringerte sich rasant. Zu Michaels Überraschung hielt Monjya plötzlich einen Bogen in der Hand. Die Elbin schien immer wieder für eine Überraschung gut zu sein. Während Michael noch das Sirren der Bogensehne in den Ohren klang, hatte Monjya bereits zwei der Reiter aus dem Sattel geholt. Doch für einen weiteren Pfeil blieb keine Zeit, denn schon waren die verbliebenen Angreifer heran. Mit einem Hechtsprung zur Seite brachte sich die Elbin in Sicherheit. Michael hatte weniger Glück. Nur um Haaresbreite entging er einem tödlichen Schwerthieb als er versuchte, einen ihrer Angreifer aus dem Sattel zu zerren. Zum Glück trug der Schwung des Angriffs Michaels Gegner jedoch so schnell an ihm vorbei, dass dieser keinen weiteren Schwerthieb anbringen konnte. Brutal rissen die Angreifer daraufhin ihre Tiere herum und sprengten erneut los. Diesmal nahmen sie ihre Opfer von zwei Seiten in die Zange. Ein Ausweichen war so schwierig, wenn nicht unmöglich. Während Michael hektisch nach einem Ausweg suchte und Monjya mit fliegenden Fingern einen Pfeil auf die Sehne legte, erklang plötzlich ein gewaltiges Rauschen, als der Drache über sie hinweg glitt und mit einem einzigen Flügelschlag einen der Angreifer von seinem Reittier beförderte. Michael jubelte begeistert. Den Drachen hatte er völlig vergessen. Doch die Gefahr war noch nicht gebannt. Zwar hatte das Reittier des zweiten Angreifers beim Anblick des angreifenden Drachens gescheut und ihnen so ein paar wertvolle Sekunden geschenkt, doch der Angreifer hatte sein Tier schnell wieder in der Gewalt und jagte nun erneut im Höchsttempo auf sie zu. Doch die paar Sekunden Verzögerung hatten Monjya genügt. Mit einem gezielten Schuß ins rechte Auge beförderte sie den Angreifer in eine bessere Welt. Das Reittier, nunmehr seines Herren beraubt und angesichts des Drachens, der über ihren Köpfen kreiste hochgradig nervös, flüchtete wie seine Vorgänger ins Unterholz. Im selben Moment griff der gewaltige Drache den verbliebenen Gegner an, der sein Reittier gerade noch an der Flucht hatte hindern können und sich nun wieder auf dessen Rücken schwang. Doch das hätte er lieber bleiben lassen. Mit der Schnelligkeit und Präzision einer Viper pickte der Drache ihn so schnell aus dem Sattel, dass dieser noch nicht einmal dazu kam, einen Angstschrei auszustoßen. Dann war es vorbei. Während der Drache eine elegante Schleife flog, um auf der Wiese zu landen und dabei die Überreste des Bolg hinunter schlang, fragte sich Michael beim Anblick des ebenfalls ins Unterholz flüchtenden letzten Reittiers, ob er ihm nicht lieber folgen sollte. Immerhin sprach eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Drache für ihn eine Gefahr darstellte. Doch für eine Flucht war es ohnehin zu spät, denn der Drache setzte gerade keine zehn Meter entfernt zur Landung an. Selbst auf diese Entfernung warf Michael der Luftdruck der gewaltigen Flügel beinahe um. Fasziniert, aber auch stark beunruhigt beobachtete er, wie der Drache die riesigen Flügel elegant zusammenfaltete und dann auf zwei massiven Beinen aufrecht gehend auf sie zu kam. Die roten Augen, mit denen er Michael fixierte, hatten etwas Hypnotisches. Irgendwie wurde er das Gefühl nicht los, dass der Drache ihn gerade als Nachtisch auf die Speisekarte gesetzt hatte. Vielleicht hatte der Bolg ihn auf den Geschmack gebracht.
"Du brauchst keine Angst zu haben", beruhigte Monjya ihn, die offensichtlich seine Gedanken erriet. "Ich sage ihm, dass du ein Freund bist."
"Prima Idee", erwiderte Michael trocken, "sag ihm aber bitte auch, dass ich nicht schmecke und Sodbrennen verursache. Das kann nicht schaden."
Grinsend wandte sich die Elbin daraufhin an den Drachen und sprach ihn in einer Sprache an, die Michael nicht verstand. Der Drache lauschte aufmerksam, legte den Kopf jedoch zweimal mißtrauisch auf die Seite, während er Michael auf eine Weise fixierte, die diesen blass werden ließ, doch wenigstens blieb er einstweilen stehen. Als Monjya Michael schließlich mitteilte, dass alles in Ordnung sei, atmete er erleichtert auf. "Er wird uns nach Nebelwald bringen", informierte sie ihn, "es sei denn, du hast etwas Besseres vor."
Nachdenklich betastete Michael den Stein in seiner Tasche, dann schüttelte er den Kopf. Wann hatte man schließlich als Paläanthropologe schon mal die Gelegenheit, auf einem echten Flugsaurier zu reiten? Auch wenn der vielleicht ein wenig hungrig war. "Auf nach Nebelwald", sagte er, alle Bedenken ignorierend.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.04.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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