Michael Haaga

Am Bahndamm, Teil 1

Der Hund, der am Bahndamm entlangschlich, hatte wahrhaftig anderes zu tun, als auf das zu achten, was da hinter ihm so vor sich ging. Hinter einem Busch saßen nämlich zwei Gestallten, die sich ganz gemütlich eine Flasche Korn reinzogen. Beide waren schon ziemlich zu, als sie merkten, dass da etwas am Bahndamm war.

"Hee Bruder!", sagte Edgar zu Willhelm, "was ist denn das?" Willhelm kriegte nichts mit. Er hatte wohl auch schon zu viel gepichelt. "Stell den Teller in den Kühlschrank!", grunzte er und furzte laut. "Erzähl hier keinen Stuss!, gib mir lieber die Flasche!", brummte Edgar und nahm einen satten Schluck. Dann nahm er die leergewordene Flasche und warf sie ins Gebüsch. Doch zurück zu unserem vierbeinigen Freund. Die Nase dicht am Boden schnüffelte er sich langsam vorwerts in Richtung der Tippelbrüder. Vielleicht gab es dort etwas zu holen.

Seit zwei Tagen hatte er keine anständige Mahlzeit mehr gehabt. Seit dem Tag, an dem ihm sein Frauchen ausversehen eins mit der Peitsche verbraten hatte. Wollte sie doch ihrem masochistisch veranlagten Liebhaber so richtig den Hainz stehen lassen. Wie konnte sie wissen, dass der Kerl so ein Weichling ist und sich dann, wenn es ernst wird, gleich unter das Sofa wirft. So hatte der neugierige Hund die Peitsche abgekriegt und sich dann beleidigt davongemacht. Hätte er gewusst, dass der Kühlschrank bis zum Rand mit Fleisch gefüllt war, wäre er bestimmt nicht gegangen. Doch das nützte jetzt auch nichts mehr.

"Schau mal, ein Strassenköter, wo kommt denn der auf einmal her?" "Mensch Edgar, lass mich doch mit dem Fieh in Ruhe. Gib mir lieber etwas zu trinken." "Hab ich leergemacht und jetzt leck mich am Arsch." "Willst Du Streit?" lallte Willhelm und versuchte aufzustehen, aber er schafte es nicht. Inzwischen war der Vierbeiner nähergekommen und beschnupperte die nach Dreck und Schnaps riechenden Gestallten. Er stellte sehr schnell fest, dass er hier die Hoffnung auf eine schnelle Mahlzeit wohl unter übel verschieben musste. Dafür hatte er jetzt, wenn auch nicht ganz freiwillig, etwas Gesellschaft gefunden. Willhelm hatte seine Sprache wieder und lallte:

"He du Köter, verschwinde, oder hol uns eine Flasche Schnaps!"

Wärend dessen machte sich Edgar am gemeinsamen Rucksack zu schaffen.

"Willhelm, du Blödmann, da ist doch noch eine Pulle!"

Mit einem Satz war Willhelm da und krallte sich die Flasche. Mit einem Grinsen sagte er: "Na Hundchen, du willst sicher auch einen Schluck, was?" "Los Edgar, gib mir mal die alte Raviolidose!" Willhelm nahm sie und füllte einen Teil des Flascheninhalts hinein. Dann stellte er sie auf den Boden. Unser Freund schnupperte erst und begann dann, genüsslich zu schlabbern. "He Edgar, der mag das Zeug!" triumpfierte Willhelm und setzte die Flasche an, spuckte aber gleich wieder aus.

"Du Vollidiot, was soll ich mit Wasser anfangen?" "Habe ich vergessen", meinte Edgar entschuldigend. "Wir brauchen doch etwas zum Kaffeekochen und da habe ich eine leere Kornflasche mit Flusswasser gefüllt.

Mittlerweile war es schon dunkel geworden und so schlug Edgar vor, ins verlassene Bahnwerterhäuschen zu gehen, um zu schlafen. Willhelm war schon nahe an einem Filmriss, aber er schafte es dennoch, wie unser Freund auf allen Vieren ins Häuschen. Edgar hatte dort am Nachmittag ein Fenster entriegelt und die Türe dann von innen aufgemacht. Das Bahnwerterhäuschen bestand aus einem Raum, an dessen Wänden einige Regale, sowie ein Schrankbett angebracht waren. WC und Waschbecken, sowie ein kleines Schränkchen mit einem Wasserkocher, einem Teller und einer Tasse, befanden sich hinter einem Vorhang in der hinteren Hälfte des kärglich eingerichteten Raumes. Seit die Bahnstrecke vor einem halben Jahr stillgelegt worden war, kam hier niemand mehr her.

"Mensch Willhelm, da ist ja alles was wir brauchen. "Denkst Du etwa, ich schlafe mit Dir und dem Köter in einem Bett und trinke mit Dir aus einer Tasse?" "Dann müssen wir eben noch was organisieren", meinte Edgar und klappte das Bett runter. Bevor er recht hinschauen konnte, hatte Willhelm all seine Energie zusammengenommen und war ins Bett gesprungen. Edgar wollte zuerst laut fluchen, liess es dann aber doch. Er ging in den hinteren Teil des Raumes und untersuchte das Schränkchen, auf dem der Wasserkocher stand. Zu seinem Glück fand er unter dem Möbel eine alte Luftmatratze, die er sofort aufblies. Dann legte Edgar sich schlafen. Unser Vierbeiner zog es vor, sich neben der Tür auf den Boden zu legen, so wie es sich für einen Wachhund gehört, so fern mann bei einem Hund, der zu einer Hälfte aus Dackel und zur anderen Hälfte aus Spitz besteht, von einem Wachhund reden kann.

Edgar wachte am nächsten Morgen als Erster auf und begab sich in den hinteren Teil des Häuschens, wo er sich wusch. Anschliessend machte er sich daran, das Schränkchen zu leeren. Neben einem Glas mit löslichem Kaffee befanden sich noch ein Teelöffel, eine angefangene Packung Knäckebrot, sowie eine Kerze und Streichhölzer darin. Edgar kochte Kaffee, indem er einfach das Pulver mit in den Wasserkocher schüttete. Da fiehl ihm ein, dass er im Rucksack noch mehr von diesem löslichen Zeug hatte. Ausserdem war da noch der Topf, den er immer übers Lagerfeuer gehänkt hatte. Edgar weckte Willhelm, holte den alten Topf, füllte Kaffee hinein und hielt ihn ihm hin.

"Soll ich etwa aus dem Ding trinken?" "Was denkst denn Du?", entgegnete Edgar gelassen. "Du hast schliesslich das Bett gehabt und jetzt kriege ich die Tasse. Natürlich kannst Du auch die Raviolidose haben. Unser Freund hat sie bestimmt gut ausgeleckt. Im übrigen würde ich mich an Deiner Stelle erst einmal waschen. Du stinkst wie ein Schweinestall."

Willhelm war von Edgars Gerede nur wenig beeindruckt. Er schlürfte den Kaffee und griff dann nach der Packung mit dem Knäckebrot, die Edgar mitgebracht hatte. Dieser grinste vor sich hin, hielt sich aber sonst zurück.

Der Leser wird sicher schon bemerkt haben, dass bei Edgar und Willhelm, hinsichtlich ihrer Intelligenz gewisse Unterschiede bestehen. Dabei waren Beide einmal in derselben Klasse auf dem Gymnasium gewesen. Willhelm hatte immer bei Edgar abgeschrieben, und als dieser dann die Schnauze von der Penne voll hatte, dauerte es nicht mehr lang, bis auch Willhelm die Schule schmiss und sich wie Edgar meistens auf der Straße herumtrieb. Irgendwann fassten sie den Entschluss, ganz aus ihren Elternhäusern auszuziehen und nur noch auf der Straße zu leben. Das war vor etwa 5 Jahren. Seit dieser Zeit durchreisten sie fast die ganze Republik, und jetzt waren sie also im kleinen Bahnwerterhäuschen eines Vorortes gelandet.

Willhelm biss genüsslich in das Knäckebrot. Es krachte fürchterlich, Willhelm fluchte laut und Edgar lachte nur.

"Diesen Frass kannst Du behalten!", und mit diesen Worten warf Willhelm die Packung zu Boden. Jetzt wurde auch der Dritte im Bunde so richtig munter. Mit lautem Geräusch begann er das Knäckebrot zu verspeisen. Er hörte erst auf, als nichts mehr übrig war. Edgar hatte ihm noch eine Dose mit Wasser dazugestellt. "Mensch Edgar, hat der einen Hunger! Am besten, wir nennen ihn ab heute Fresser!" "Da habe ich eine bessere Idee", meinte Edgar entschlossen und zeigte auf die Brotkrümel am Boden. Damit war die Namensgebung erst einmal erledigt.

Die Beiden konnten ja nicht wissen, dass der Krümel, wie sie ihn nun nennen wollten, eigentlich Karuso hieß, weil er so schön jaulen konnte, aber das würden die Zwei schon noch mitkriegen.

Was meint ihr, soll ich an dieser Geschichte weiter schreiben?Michael Haaga, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.08.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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