Gaby Schumacher

Bärentraum (18. Kapitel)

Ein zweites Mal wartete Sofie voller Ungeduld. Diesmal allerdings kniff sie nicht die Augen zu, sondern guckte sehr aufmerksam ringsumher. Es hätte ja sein können, dass Streifchen bereits in der Nähe war. Damit hatte Sofie übrigens gar nicht so Unrecht.

 
Als die Ohren der Oberarbeiterin Lumis Zauberspruch vernahmen, war Streifchen gerade dabei, einer übermütigen Gruppe von Bienenkindern Benehmen beizubringen. Anstatt das Schlürfen von Nektar zu üben, saßen die kleinen Schlingel faul auf den Blütenblättern und machten Musik. Ja, Ihr habt richtig gehört: Jedes von ihnen hielt zwischen seinen Vorderbeinchen ein hauchdünnes Blatt und strich immer wieder mit seinen Fühlern über dessen zarte Aderseiten.
 
´Ping, pingping` war da zu vernehmen, wieder und wieder. Das klang zwar schon schön, aber den Bienchen immer noch nicht gut genug. Da fehlte noch etwas. Ausnahmsweise nahmen sie die Fühler vom Blatt und kratzten sich am Kopf. Nachdenken war schließlich nicht so einfach, schon gar nicht, wenn man ein kleines Bienenkind war.
 
„Ich weiß was, wir summen dazu. Das wird toll!“, schlug da eines von ihnen vor.

Sofort stimmten sie ein richtiges Summkonzert an und da es eine sehr große Gruppe war, wurde es auch ein entsprechend lautes Konzert. Es dröhnte nur so über die ganze Wiese, bis zu den Bienenwohnungen und sogar auch bis zum Bienenschloss. Dort hatte die Königin gerade ganz viele Kinder bekommen und sich erschöpft zum Schlafen hin gelegt. Doch daraus wurde nichts. Ununterbrochen klang es von draußen:

„Pingping, summ, summ, pingsumm!”

 

Die Oberarbeiterin Streifchen stöhnte entsetzt:
„Seid bloß still, eure Mutter braucht dringendst Ruhe!“

Im Stillen dachte sie:

„Hätte ich nur nicht diesen Kindergarten übernommen. Das hat man davon, wenn man einer kranken Schwester hilft!“

Aber was hätte sie denn tun sollen? Die Schwester hatte viel zu viel gefuttert und lag mit Bauchweh zuhause im Bett.

„Schließlich konnte ich sie doch nicht im Stich lassen und irgendwer muss doch auf diese Bande aufpassen, seufz!“, dachte sie und stöhnte nochmals.

Diesmal allerdings noch viel lauter.

So war sie mehr als erleichtert, als Lumi nach ihr rief, atmete auf, übergab die kecke Kinderschar einer Arbeiterbiene, die zu deren Pech gerade da an ihr vorbei brummte und stieg mit fröhlichem Flügelschwirren in die Luft.

„Nichts kann so schlimm sein wie Flohbienenkinder zu hüten!“, brummelte sie vor sich hin.

 
Es war gottlob nur ein kurzer Flug. Schon sah sie Lumi, Sofie und die Bären vor einem der Bienenhäuser stehen und nach ihr Ausschau halten.

„Summsumm, hier bin ich!“, summte sie ihnen zu, flog noch zwei hübsche Kreise über deren Köpfen und landete dann genau zwischen der Fee und der kleinen Sofie.

 
Zuerst begrüßte sie natürlich die Fee. Sie neigte ihren Kopf und rieb die Fühler aneinander.

„Wie schön, dass du da bist, Lumi!“

„Ich freue mich auch, dich wiederzusehen!“, entgegnete die Fee und pustete liebevoll leicht über Streifchens Rücken.

Streifchen hielt ganz still und genoss das sehr.

 
Danach sprach die Biene kurz mit den drei Bären und wandte sich dann aber fix an Sofie:

„Sofie, Lumi hat mich nicht ohne Grund gerufen. Du brauchst meine Hilfe?“

„Ich geh` nicht allein in das Haus. Das darf ich doch gar nicht. Ich bin doch hier fremd.“

„Ach, und da soll ich dich wohl begleiten, stimmt`s?“, summte Streifchen belustigt.

„Ja, bitte!“, bettelte Sofie.

 
Natürlich brauchte Sofie darum nicht zweimal zu bitten. Die Oberarbeiterbiene tat nichts lieber als das, denn sie hatte Sofie sofort gut leiden können.

„Es wird mir ein Vergnügen sein!“, lächelte sie. „Komm mit.“

Die Biene flog voraus und Sofie marschierte hinter ihr her. Am Haus angekommen, dachte Sofie noch einmal an Lumis Worte:

„Wenn du daran glaubst, dass etwas geht, dann geht es auch!“

 
Ja, mittlerweile glaubte sie fest daran. Andernfalls konnte sie ja nicht das Bienenbaby in diesem winzigen Haus besuchen. Neben der Haustüre hing eine kleine, gelbe Klingel. Sofie schellte und gleich wurde geöffnet.

„Das ist Sofie. Sie möchte das Baby besuchen. Lumi schickt uns!“, stellte Streifchen der Babyschwesterbiene das Mädchen vor, die dies erstaunt musterte.

„Oh, ihr kennt Lumi! Dann kommt rein.“

 

Noch ein wenig zögerlich machte Sofie einen Schritt. Ihr Herz klopfte heftig und dann noch viel, viel heftiger, denn sie fand sich in einer winzigen Diele wieder. Ihr Wunsch war in Erfüllung gegangen: Sie war tatsächlich im Bienenhaus!

Drinnen gab es zwei Räume. In dem größeren der beiden wohnte die Babyschwester. Direkt hinter der Zimmertüre stand ein kleiner Tisch, auf dem ein Trinkfläschchen stand. An dem klebte ein Zettel: „Zuckerwasser!“, las Streifchen vor.

„Das Baby kriegt Zuckerwasser?“, fragte Sofie verblüfft.

„Ja, und das mögen unsere Babys sogar ausgesprochen gern“, erklärte ihr die Babyschwester.

„Hm!“ dachte Sofie. „Eigentlich gar nicht so komisch. Ich lutsche schließlich auch ab und zu ein Zuckerstückchen, weil das so lecker ist!“

„Was isst das denn sonst noch?“

„Nichts, nur das!“

„Nuur das??“

 
Sofie dachte, sie hätte sich verhört.

„Also, damit wäre ich aber nicht zufrieden, wenn ich zuhause nur Zucker bekäme und sonst gar nichts!“, empörte sie sich.

„Du bist ja auch keine Biene!“, lächelte Streifchen sanft.

„Möchte ich dann auch bestimmt nicht sein! – Immer nur Zuckerwasser...“

Sofie schüttelte fassungslos den Kopf.

Um die Kleine abzulenken, meinte Streifchen:

„Na, was hältst du davon, wenn wir uns jetzt das Baby ansehen?“

Sofort war Sofie wieder bester Laune und strahlte.

„Au ja!“, meinte sie dazu.

Streifchen und die Babyschwesterbiene lachten.

 
Sie betraten das zweite Zimmer. Das war viel kleiner als das andere. Doch das wunderte Sofie nun gar nicht, denn ein Baby brauchte ja viel weniger Platz als eine erwachsene Biene.

„Ist das aber niedlich!“

Die Wände schmückte eine lustige Tapete. Die zeigte Babybienen in ihrer Wiege, Bienenkinder im Kindergarten und auf dem Spielplatz und sogar auch fleißigen Krabbelnachwuchs in der Schule.

„Genauso fleißig wie die Kinder in der Bärenschule!“, dachte Sofie.

 
Vor der einen Wand war ein Regal aufgestellt. Im obersten Fach saßen Stoffbienen und bunt schillernde Schmetterlinge. Ein Brett tiefer standen kleine Vasen mit leuchtenden Wiesenblumen, daneben lagen einige besonders schöne Blätter und im untersten Fach waren Bilderbücher. Auf einem von denen war ein riesiges, lachendes Bienchen abgebildet.

„Euer Baby hat aber schönes Spielzeug!“, strahlte Sofie.

Die Kinderschwester lachte:

„Ja, noch ist es ja zu klein, um damit spielen zu können. Aber Bienenkinder wachsen sehr schnell und dann freut es sich.“

Streifchen und Sofie nickten.

 
Aber jetzt wanderte Sofies Blick natürlich sofort zu der hübschen weißen Wiege, die neben dem Fenster stand. Über deren Kopfende drehten sich an farbigen Bändern Bienen, Schmetterlinge und Blumen aus Holz. Jedesmal, wenn die Bienen vor Babys Augen her schaukelten, nickten sie eifrig mit dem Kopf. Das sah sehr lustig aus. Besonders toll aber fand Sofie den Stoffhimmel mit den vielen rosa, blauen, roten und gelben Blumen darauf.

„Meine Puppenwiege zuhause hat auch einen Himmel. Da sind lauter Teddys und Püppchen drauf!“, erzählte sie stolz.

Streifchen und die Schwester schmunzelten.

 
„Na, geh` schon hin!“, ermunterten die Beiden die Kleine, die noch ein wenig zögerte.

Das allerdings brauchten sie Sofie nicht zweimal zu sagen. Mit glänzenden Augen trat sie auf Zehenspitzen ganz leise an die Wiege, um den Winzling ja nicht zu wecken.

„Babys brauchen noch ganz viel Schlaf !“, erklärte sie mit wichtiger Miene, gerade so, als ob das Streifchen oder gar erst die Babybienenkinderschwester etwa nicht selber wussten.

 
Neugierig lugte sie in die Wiege.

„Da liegt ja nur eine Kuscheldecke!“, meinte sie enttäuscht.

Die Schwester stellte sich neben Sofie:

„Zieh` sie mal ganz vorsichtig ein wenig zur Seite. Dann kannst du unser Jüngstes auch sehen!“

 
Sofie war sehr gespannt auf das Baby?

„Ob das schon wie eine richtige Biene aussieht?“, grübelte sie.

Sachte fasste sie die eine Ecke der weichen, weißen Kuscheldecke und hob sie ein bisschen an.

„Oh, ist das süß!“, flüsterte sie.

Vor ihr lag ein Mini-Mini-Bienchen mit großen Kulleraugen, einem wohl gerundeten Babybauch, zwei zarten Fühlern und genau so dünnen Beinen.

 
Plötzlich stampfte Sofie mit dem Fuß auf. Sie schien richtig sauer zu sein:

„Mein Papa hat immer gesagt, die Bienenbabys sehen aus wie Würmer. Das ist ja gar nicht wahr. Papa ist doof!“, knatschte sie im Brustton der Überzeugung und da sie so entrüstet war, tat sie das super laut, ohne da an das schlafende Etwas in dem Bettchen vor ihr zu denken.

„Aber Sofie!“, lachte Streifchen. „Dein Papa ist bestimmt recht klug. Er kann doch nicht alles wissen!“

 
Da war diese aber ganz anderer Meinung. Mamas und Papas hatten einfach alles zu wissen. Dafür waren sie schließlich die Eltern! Noch halb mit dem Gedanken beschäftigt, wieso ihr Papa so dumm sein konnte, wurde sie zum Glück urplötzlich in ihren Überlegungen gestört. Ein eigenartiges Geräusch liess Sofie aufmerken:

„Flirr!“

Ganz leise hörte sich das an.

„??“

Sofie guckte verwirrt im Raum umher. Nein, die Babyschwester und Streifchen standen da ganz still. Die waren es nicht gewesen. Die Bienen und Schmetterlinge auf dem Regal selbstverständlich auch nicht. Die waren ja nur Stofftiere.

 
Sofie blickte kurz prüfend zum Baum vor dem Fenster. Aber auch da draußen war alles ruhig.

„Flirrflirr!“

Die Kleine sah zuerst Streifchen, dann die Babyschwester forschend an. Nein, die rührten sich immer noch nicht.

„Haben die das vielleicht gar nicht gehört? War da vielleicht gar kein Geräusch?“

Mittlerweile war sie völlig durcheinander und traute ihren eigenen Ohren nicht mehr.

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Gaby Schumacher).
Der Beitrag wurde von Gaby Schumacher auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.11.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Gaby Schumacher als Lieblingsautorin markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Makellose Morde to go - Erlesene Verbrechen und herzerfrischende Gemeinheinten von Susanne Henke



Es muss nicht immer Coffein sein. Auch Literatur belebt. Vor allem, wenn es um (unfreiwilliges) Ableben geht. Und darin ist die Hamburger Autorin, deren Geschichten Vito von Eichborn für den aktuellen Titel seiner Reihe für herausragende Neuerscheinungen ausgewählt hat, Expertin. Gut und Böse sind wunderbar gemischt in dieser Sammlung erlesener Verbrechen und herzerfrischender Gemeinheiten. Oft in ein und derselben Person.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Märchen" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Gaby Schumacher

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Todesgefahr von Gaby Schumacher (Satire)
Der Hutmacher von Dieter Fetzer (Märchen)
Bennys Weihnachten von Monika Klemmstein (Abschied)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen