Flo Born

Die Aufzeichnungen eines Weltenreisenden 1

Bevor Sie beginnen, diese Geschichte zu lesen, sollte ich Sie vielleicht vorwarnen. Diese Geschichte ist keinesfalls für jemanden geeignet, der schwache Nerven hat oder dessen Vorstellungsvermögen in einem kleinen Teil seines Hirns eingesperrt ist und nie zutage tritt. Solche Leute sollten jetzt am besten zu ihrem langweiligen, einseitigen Leben zurückkehren und vergessen, dass Sie das hier gelesen haben.
Alle anderen kann ich nur einladen mich auf eine Reise zu begleiten, die Sie an die Grenzen ihrer Vernunft und ihres Vorstellungsvermögens bringen wird, bis Sie weit vom dem entfernt sind, was in der Gesellschaft als „Normal“ bezeichnet wird. In diesem Buch werde ich Ihnen all die unbeantworteten Fragen beantworten, die Sie Ihr Leben lang beschäftigt haben. Oder zumindest einen kleinen Teil davon. Genauer gesagt den Teil, der sich mit Themen wie der Schöpfung der Welt und dem Sinn des Lebens beschäftigt. Sind Sie nun neugierig geworden? Falls die Antwort Ja sein sollte, freut mich das. Andernfalls wird das im Laufe dieses Buches schon wie von allein kommen. Doch ich muss Sie leider vorwarnen und Ihnen gleich jetzt sagen, dass die Beantwortung all Ihrer Fragen noch ein Weilchen warten muss. Ich möchte Sie schließlich nicht vollends verwirren. Am besten beginne ich einfach mal ganz am Anfang.

Meine verfluchte Neugierde

Ich war immer, so hat man es mir zumindest mein Leben lang gesagt, viel zu neugierig. Schon als Kind war meine Lieblingsphrase am Mittagstisch diese: „HÄ?! Wer?! Was?! Warum?!“ Immer. Auch wenn es mich technisch gesehen, nicht das Geringste anging. Das war eine Eigenschaft an mir, die meine Mitmenschen regelmäßig zu Weißglut brachte. Selbstverständlich tat ich mein bestes, mich zu bessern, doch es gelang mir nie ganz. Darum macht es mich auch heute noch absolut wahnsinnig, wenn ich über irgendetwas nicht im Bilde bin. Es war übrigens auch meine verfluchte Neugierde, die mich in diesen lebensverändernden Kuddelmuddel brachte, in dem ich hier und heute stecke.
Alles begann an dem Abend des vierten August zweitausendelf. Es war ein äußerst warmer und ruhiger Abend und so entschloss ich mich, mich mit meinem aktuellen Buch aus dem wunderbaren, vielfältigen Genre der Fantasy in den Garten zu setzen und noch ein Weilchen zu lesen. Ich war in das Buch vertieft und gerade als die Sonne den Horizont berührte, ein Zeitpunkt, der bei uns zuhause aufgrund eines nervigen Hügels sehr viel früher eintritt als anderswo, wurde ich von einem skurrilen Geräusch von der anderen Seite der Hecke aus meinem Buch geholt. Ich blickte überrascht auf. Was zur Hölle konnte das gewesen sein? Langsam erhob ich mich aus meinem Sessel und war schon im Begriff nachzusehen, doch ein leises Stimmchen in mir drin, hielt mich davon ab. Schließlich musste ich lernen, mit meiner Neugierde umzugehen.
Ein wenig stolz auf mich selbst ließ ich mich wieder in meinen Sessel fallen und konzentrierte mich wieder auf mein Buch. Schon Sekunden später hatte ich das Geräusch schon wieder vergessen. Geschätzte zwei Minuten später kam das Geräusch zurück, doch dieses Mal gelang es meiner Selbstbeherrschung nicht mehr mich, zurückzuhalten. Seufzend, fluchend und mich über mich selbst ärgernd, weil meine Neugierde doch noch Macht über mich hatte, legte ich mein Buch auf den Tisch und ging zum Gartentor um zu sehen, was sich da hinter den Büschen abspielte. Ich ging herum und fand, zu meiner großen Überraschung… nichts.
„Das war ja mal wieder klar“, murmelte ich und verpasste mir selbst eins auf den Hinterkopf. Eine kleine Strafe dafür, dass mich meine Neugierde besiegt hatte.
„Sebastian!“, erschallte plötzlich die Stimme meines Vaters aus dem Garten, „Wo zum Teufel steckst du?!“
Ach ja!!! Ich hab in dem ganzen Erzählen völlig vergessen, mich Ihnen vorzustellen. Das sollte ich schleunigst nachholen: Mein Name ist Sebastian Karer, ich wohnte zu diesem Zeitpunkt in einem kleinen Dorf irgendwo im Nirgendwo im Osten Kärntens und war zu diesem Zeitpunkt ein Student mit Ferien.
„Bin gleich da!“, rief ich zurück und ging nach einem letzten überprüfenden Blick auf die leere Stelle durch das Gartentor zurück.
„Wo warst du?“, fragte mich mein Vater.
„Vor dem Gartentor.“
„Und warum?“
„Ich hab gedacht ich hätte was gehört.“
„Und? War was?“
„Nein.“
„Was für eine Überraschung…“
„Was soll denn das jetzt schon wieder heißen.“
„Das heißt, dass du dir regelmäßig Sachen einbildest, die nicht da sind und dann aus Neugierde nachsiehst.“
„Na und?! Ich will mein Wissen eben erweitern.“ Das war meine Standardausrede, wenn es um das Thema Neugierde ging.
„Irgendwann wird dir deine Neugierde noch das Leben kosten.“
„Dafür wird das letzte, was ich sehe, mit Sicherheit spektakulär sein“, meinte ich und begann zu lachen.
„Das hoff ich mal für dich“, erwiderte mein Vater, der zumindest auch grinste.
Gemeinsam begannen wir das Abendessen vorzubereiten, das ich jetzt sicher nicht beschreiben werde, da das um ehrlich zu sein Tintenverschwendung wäre, sondern springe gleich nach vorne, als meine Mutter mich bat, noch den Müll vor die Tür zu bringen.
Ich packte seufzend den Müllbeutel und ging damit vor die Türe. Schwungvoll packte ich ihn in den Mülleimer und klappte den Deckel zu. Just als ich mich umdrehte, erklang hinter mir auf einmal wieder dieses merkwürdige Geräusch, das am besten als eine Art Wusch zu beschreiben ist. Sofort wirbelte ich herum, um zu sehen, was es denn da zu sehen gab. Vor mir stand eine kleine Gestalt in einer schwarzen Kutte. Durch das schlechte Licht und den noch schlechteren Winkel konnte ich sein Gesicht nicht erkennen. Nur ein langer, leicht angegrauter, brauner Bart lugte aus der Kapuze hervor.
„Was zum warzigen Arsche eines schwarzäugigen Höhlentrolls?!?!?!?“, erschall es plötzlich darunter hervor, „Kommandant! Ich hab gedacht, alle Ankunftsorte wären sicher?! – Nein! Ist er nicht! – Da steht so ein Bengel vor mir und starrt mich mit großen Augen an! – Keine Ahnung wer er ist! – Na gut! Ich frag ihn! Wie heißt du?!“
„Sebastian… Karer…“, erwiderte ich stockend.
„Er heißt Sebastian Karer. Was soll ich mit ihm machen? – Nein ich weiß es nicht! Deshalb frag ich ja Euch! Ich meine ich könnte ihn auch einfach ein wenig mit meiner Axt kitzeln… – Jah jah… Ich mach’s ja nicht… - Ihn mitnehmen!?! Wie stellt Ihr Euch das vor?! – In Ordnung… – Ja ich mach’s ja! – Ja! – Ja, ich mach mich mit ihm auf den Weg. – Alles klar! Bis später, Sir!“
An diesem Punkt sollte ich nun meine Gefühle, die ich während dieses Selbstgesprächs des kleinen Vermummten empfand, beschreiben. Es begann mit Verwunderung. Diese wurde abgelöst von während des Gesprächs ansteigender Verwirrung, die kurz von Panik abgelöst wurde, die wiederum Erleichterung Platz machte. Gegen Ende des Gesprächs war es wieder eine perfektionierte Form der Verwirrung. Vermutlich musste auch meine Mimik dementsprechend merkwürdig ausgesehen, also war es keine Überraschung für mich, als der Kopf des kleinen Mannes nach oben zuckte und er mich anstarrte. „Was glotzt du so, Junge?!“
„Ähm… Ich… ich… ähm…“, versuchte ich auf miserable Art und Weise einen deutschen Satz zu bilden.
„Na Klasse…“, murmelte der Kleine, „Worauf hab ich mich da nur wieder eingelassen…? Na los, Junge! Gehen wir!“
„Wohin?“, fragte ich, endlich wieder der Sprache fähig.
„Hossa! Er kann ja doch reden! Jetzt komm mit, sonst mir der Kommandant die Hölle heiß!“
„WO-HIN?“
„Zum Kommandant!“
„Und WO ist dieser Kommandant?! Und wer zum Teufel sind Sie überhaupt? Und warum, um Himmels Willen sollte ich Sie begleiten?“
„Wenn du dann die Klappe hältst und mitkommst, beantworte ich dir eben deine Fragen. Frage Nummer Eins: Ich kenn nur die Koordinaten und falls du nicht zufällig ein menschliches Navigationsgerät bist, werden die dir kaum etwas nützen. Frage Nummer Zwei: Bandrihar Schädelspalter. Und Frage Nummer Drei: Beim warzigen Arsch eines schwarzäugigen Trolls, weil du mich gesehen hast! Darum! Ist jetzt alles klar!? Also komm jetzt gefälligst mit!!!“
„Glauben Sie wirklich, dass ich einfach so mit Ihnen mitgehe, nur weil ich ein paar genervte Antworten bekommen hab, die man auch nur mit viel Gutmütigkeit als solche bezeichnen kann? Ich meine, ich hab ja noch nicht einmal Ihr Gesicht gesehen!“ Mir ging der genervte Ton des Kleinen schon gewaltig auf die Nerven und so möge man mir diesen kleinen Ausbruch verzeihen.
Wütend riss sich der kleine Mann die Kapuze vom Kopf und starrte mich aus großen, braunen Augen an. Diese waren umrahmt von einem rauen Gesicht, das so wirkte, als hätte man es zusammengestaucht. Von seinem Kopf ergoss sich eine schwere Matte aus braunem Haar, die sich ohne Übergang mit dem langen Bart zu vermengen schien, auf seine Schultern. Das Gesicht war gezeichnet von mehreren Narbe und vielen kleinen Fältchen und der Gesichtsausdruck, den es trug, passte dazu wie die Faust aufs Auge: Genervt, wütend und ein wenig unter Stress. Da ich ihn nun unverhüllter vor mir hatte, wurde mir bewusst, dass ich es hier nicht einfach mit einem kleinen Menschen zu tun hatte, sondern mit etwas anderem, dem zu begegnen ich mir nie erträumt hätte. „Ach du heilige Scheiße!“, entkam es mir auf einmal, „Sie sind ein Zwerg!“
„Ich seh‘ jetzt einfach mal davon ab, was ihr hier für komische Sachen anbetet und erkenne deine Leistung darin an, mich als das zu erkennen was ich bin. Respekt. Können wir jetzt!?“
Ich hatte davor immer gedacht, dass ich einen ziemlich klaren Kopf hätte, der sich nur schwer von etwas aus dem Konzept bringen lässt, doch anscheinend gibt es für jeden Menschen diese eine Situation, in dem sein Hirn dem Druck nicht mehr standhalten kann und einfach den Geist aufgibt. Bei mir war es eben diese Erkenntnis. „Ein Zwerg steht in meiner Auffahrt“, murmelte ich zu mir selbst, „ Jetzt ist es soweit. Ich hab den Verstand verloren. Wer hätte gedacht, dass es sich so zeigen würde…“
Ich setzte mich langsam auf die Stufen vor dem Haus und murmelte unablässig vor mich hin. Bis heute kann ich mich an die meisten meiner Worte nicht erinnern. Ich weiß nicht mal mehr mit Bestimmtheit, ob ich mich damit beruhigte oder mich nur noch hysterischer machte.
„Hey! Junge!“, redete nun auch der Zwerg auf mich ein, „Hör auf Selbstgespräche zu führen und komm mit! Hör mal! Ich BIN KEINE Wahnvorstellung.“ Ich ignorierte seine Worte natürlich, auch wenn ich sie zumindest wahrnahm. Vermutlich ist das aber verständlich, denn es ist nur logisch, dass eine wirkliche Wahnvorstellung genau so etwas sagen würde, damit man an sie glaubt, wenn man sie denn entlarvt hat. Irgendwann wurde dem Zwerg mein „Ach du verdammte Scheiße: Ich bin IRRE“- Monolog anscheinend zu blöd, denn er trat einfach vor mich hin und verpasst mir eine gestreckte Ohrfeige, bei mir noch heute die Wange schmerzt, wenn ich daran zurückdenke.
„AU“, brüllte ich den Zwerg an, „Was sollte das!“
„Das war, damit du einsiehst, dass ich keine Wahnvorstellung bin.“
„Und das hätten Sie mir nicht OHNE körperliche Gewalt klarmachen können!?“
„Doch. Ich hab mich aber aus zwei Gründen dagegen entschieden. Erstens hab ich auch ohne dein Gejammer schon genug Stress und will nicht noch Zeit für Überredungen verlieren und zweitens ist mir dein Rumgejammer tierisch auf den Geist gegangen! Jetzt steh gefälligst auf, lass dieses Sie und komm mit!“
„Nein!“
„Was heißt ‚Nein!‘?“
„Das heißt, dass ich dich, auch wenn du keine Wahnvorstellung bist, sicher nicht begleiten werde! Ich meine, selbst wenn ich dich begleiten wollte, was sollte ich meinen Eltern sagen?!“
„Wie wär’s damit: Mutter, Vater, ein freundlicher Zwerg hat mich gebeten, ihn zu einem geheimen Außenposten zu begleiten. Schlaft gut!“, schlug Bandrihar vor.
„Tolle Idee! Ich werd gleich rein gehen und ihnen das sagen.“ Sollte man den Sarkasmus in diesem Satz nicht herauslesen können, weise ich nun noch einmal explizit daraufhin: Achtung! Sarkasmus!!
Bandrihar schien mich nun einfach zu ignorieren und sprach wieder leise mit diesem Kommandanten. In dieser Zeit begann ich nun die Auffahrt langsam auf und ab zu marschieren und fuhr mir dabei unablässig mit der Rechten durch die Haare; ein nervöser Tick, den ich mir Jahren angeeignet hatte. Nach zwei Längen fing ich an leise zu lachen.
„Was ist so lustig?!“, fuhr mich Bandrihar an.
„Die ganze Situation.“
„Was soll daran komisch sein?!“
„Ich stehe in meiner Auffahrt und streite mit einem Zwerg.“
„Und das findest du komisch?“
„Ungeheuer komisch!“
„Mir eigentlich egal. Nur damit du es weißt: Ich hab neue Befehle erhalten. Du hast noch eine letzte Chance, deine Meinung zu ändern und mich zu begleiten.“
„Und was, wenn nicht?“
„Dann hab ich den Befehl, dir eine Kugel in den Schädel zu jagen“, meinte Bandrihar absolut gelassen und zog eine Pistole aus seiner Kutte.
„WAS!?!“
„Glaub mir! Es wäre mir anders lieber, aber der Kommandant will nicht, dass irgendetwas nach außen dringt.“
„Du willst mich abknallen!?“
„Von ‚wollen‘ hat niemand etwas gesagt.“
„Aber du würdest es tun?“
„Wenn ich den Befehl kriege.“
„Bist du irre!? Was hab ich denn getan?!“
„Nichts.“
„Aber trotzdem würdest du mich abknallen!?!“
„Nein.“
„HÄ?!!“
„Ich hab dich verarscht!“, sagte der Zwerg lachend und steckte die Pistole wieder unter seine Kutte, „Mann, du hättest dein Gesicht sehen sollen! Eigentlich soll ich dir nur einbläuen, dass du niemandem hiervon erzählst.“
Ich blickte ihn entgeistert an, was Bandrihar nur noch mehr zum Lachen brachte. „Ich finde das nicht lustig!“
„Ich schon“, meinte er und beruhigte sich langsam, „Aber mal ehrlich: Du solltest mitkommen. Nicht nur für mich sondern auch für dich.“
„Was sollte ich davon haben?“
„Gewissheit.“
Ich blickte Bandrihar fragend an.
„Würdest denn etwa nicht gern wissen, was ein Zwerg spät am Abends in deiner Auffahrt macht? Möchtest du nicht die Wahrheit darüber und über vieles anderes erfahren?“
Zu Beginn hatte ich ja von meiner Neugierde erzählt und dass sie für dieses Kuddelmuddel, in dem ich jetzt stecke, verantwortlich ist. Dies ist nun dieser Punkt. Wäre ich nicht so neugierig, hätte ich an diesem Punkt abgelehnt, wäre Bandrihar vermutlich verschwunden und hätte mir zuvor nur das Versprechen abgenommen, niemandem etwas davon zu erzählen und mein restliches Leben wäre einfach ganz normal weiter verlaufen. Die Geschichte wäre dann hier zu Ende und Sie würden sich ärgern weil Sie Geld für die paar Seiten ausgegeben haben. Zu Ihrem Glück bin ich aber die personifizierte Neugierde.
Den Zwerg leise verfluchend ging ich zurück ins Haus, schnappte mir meine Jacke, meine Schlüssel und mein Handy und rief meinen Eltern eine schwache Ausrede zu, die mehr schlecht als recht mein spätes Verschwinden erklärte. „Wohin?“, fragte ich Bandrihar, als ich wieder aus dem Haus kam.
„Keine Ahnung. Ich hab nur die Koordinaten und die helfen mir herzlich wenig.“
„Dann gib sie mir!“
„Kennst du hier etwa alle Koordinaten auswendig?“
„Nein. Aber das hier“, erklärte ich und wedelte mit meinem Smartphone, „hat GPS. Also gib schon her, falls du hier keine Wurzeln schlagen willst!“
„Schon gut“, murmelte der Zwerg und holte einen kleinen Zettel aus seiner Kutte, den er mir reichte. Ich begann die Koordinaten in die Karten-App einzugeben. „Warum bist du jetzt so hilfsbereit und gleichzeitig gereizt?“, fragte mich Bandrihar, woraufhin ich mich natürlich vertippte.
„Weil du Recht hast und ich neugierig bin und weil ich wütend auf mich selbst bin, wegen meiner Neugierde. Also gut. Ich hab hier die Koordinaten. Das ist etwa fünfzehn Minuten zu Fuß entfernt.“
„Na toll. Jetzt muss ich auch noch laufen…“, murrte der Zwerg, „Geh du vor!“
Wir begannen nebeneinander her zu gehen und ich warf immer wieder einen Blick auf mein Handy, um zu sehen, ob wir noch am rechten Weg waren, doch die meiste Zeit unseres Fußmarsches sprachen wir kaum ein Wort miteinander. Mir war das allerdings recht, da ich so genug Zeit hatte, einen innerlichen Streit mit mir selbst zu führen: Meine Vernunft, die sagte, dass ich umdrehen sollte, gegen meine Neugierde. Wie zu erwarten gewann meine Neugierde. Wir bogen nun in einen Waldweg ein und laut meinem Handy, dass durch das Blätterdach kaum mehr Empfang hatte, trennten uns noch etwa fünf Minuten von unserem Ziel. Schließlich hielt ich das Schweigen nicht aus. „Also gut. Du bist ein Zwerg, richtig?“
„Gut aufgepasst.“
„Eine Frage.“
„Ja?“
„Wie? Warum? Und HÄ?!“
„Das waren drei Fragen. Und grenz die Themenbereiche etwas ein.“
„Na gut. Dann eben drei Fragen: Was zum Teufel machst du hier? Woher zum Teufel kommst du? Und warum zum Teufel soll ich eigentlich mitkommen.“
Der Zwerg schien eine Weile über die Fragen nachzudenken. „Das wüsstest du wohl gern, hä?“
„JA!“
„Dein Pech.“
Ein fragender Blick meinerseits.
„Ich darf dir keine Antwort darauf geben.“
„Warum?“
„Weil ich nicht weiß, wie viel du eigentlich erfahren darfst.“
„Und wer entscheidet das?“
„Der Kommandant und/oder der Vertreter des Rates.“
„Was für ein Rat?“
„Darf ich dir nicht sagen.“
„Ich frag erst gar nicht, warum…“
„Die Antwort, würde dir ohnehin bekannt vorkommen.“
Ich warf Bandrihar einen wütenden Seitenblick zu, woraufhin er abwehrend die Hände hob, wie ein Fußballer, der ein eindeutiges Foul verleugnen will. „He! Ich mach die Regeln nicht!“
„Aber es scheint dir Spaß zu machen, mich mit ihnen zu ärgern.“
„Möglich.“
„Kannst du mir irgendetwas erzählen, das meine Verwirrung mindern würde?“
„Ich müsste immer dann unterbrechen, wenn du gerade noch verwirrter wärest.“
„Dann lass es lieber.“
„Du musst dich nur noch ein kleines Weilchen gedulden.“
Das kleine Weilchen war tatsächlich ein solches. Schon nach einer weiteren Minute verkündete der Zwerg freudig, wir hätten unser Ziel erreicht. Für mich klang das ehrlich gesagt mehr nach einem schlechten Scherz, den sich der Zwerg wieder mit mir erlaubte.  Vor uns befand sich die wohl älteste, morscheste und am stärksten verrottete Holzhütte, die noch als solche zu erkennen ist, die ich je in meinem Leben gesehen hatte. Zweifelnd blickte ich den Zwerg an. „Du machst einen Scherz, oder?“
„Nein. Das ist unser Ziel.“
„Und wie willst du dir da so sicher sein?“, fragte ich ihn skeptisch.
„Wegen der Wachen.“
„Welche Wachen?“
„Denen“, erwiderte Bandrihar und deutete in den Wald. Erst jetzt erkannte ich mehrere Männer in grünen Mänteln undfarbigen Tüchern über Mund und Nase. In den Händen hielten sie schlanke Gewehre und ihre Füße steckten in hohen Lederstiefeln. Bei mehreren von ihnen konnte ich Revolver in Gürtelhalftern erkennen. Es fehlten nur noch Hut und Pferd und ich hätte sie für eine Gruppe von Cowboys gehalten. Aber auch so wirkten sie zumindest wie eine aufgemotzte, futuristische Version davon. Mein Blick blieb vor allem an ihren schlanken Gewehren hängen. Ich war nie ein Waffenexperte und werde vermutlich auch nie einer werden, doch ich wusste, hauptsächlich aus dem Fernsehen und aus Videospielen, dass kein Militär dieser Welt solche Gewehre verwendete. Noch ein Hinweis dafür, dass hier etwas ganz und gar nicht mit rechten Dingen zuging.
Ein kleiner Teil von mir hoffte zu diesem Zeitpunkt übrigens immer noch, dass es sich bei Bandrihar gar nicht um einen echten Zwerg handelte. Ein kleiner nerviger Teil meines selbst, der während meiner noch folgenden Erlebnisse immer mehr an Präsenz verlor. Doch zu diesem Zeitpunkt versuchte dieser kleine Teil fieberhaft eine logische Erklärung für all das zu finden.
„Ist dir etwas nicht aufgefallen, dass diese Kerle uns, seit wir den Weg entlanggehen, beschatten?“, fragte mich Bandrihar.
„Was? Wirklich?“
„Sieht so aus, als hätten sie sich ihren Ruf wirklich verdient.“
„Und der wäre?“
„Die Guardians seien, was unentdeckte Ermittlung und schnelle Operationen angeht, die besten Söldner im kompletten Ratssektor.“
„Und warum hab ich dann noch nie etwas von ihnen gehört?“
„Weil diese Welt nicht offizieller Teil des Ratssektors ist!“
„Warte, warte, warte! Was meinst du mit diese Welt?“
„Na klasse! Wegen deiner ständigen Fragen, hab ich mich verplappert. Ich werd am besten einfach nicht mehr mit dir reden, bis wir unser Ziel erreicht haben!“
Ich wollte weiter nachhaken, doch Bandrihar schnitt mir mit einer Geste das Wort ab und schritt auf die Baracke zu. Schulterzuckend, aber noch verwirrter als zuvor, folgte ich ihm. Aus dem Augenwinkel konnte ich erkennen, dass sich zwei der Guardians aus der Gruppe lösten und ebenfalls auf die Baracke zu gingen. Wir erreichten den Eingang des Gebäudes gleichzeitig, doch die beiden Söldner, einer mit einem roten und einer mit einem blauen Tuch, schoben sich wortlos an uns vorbei. Rot blieb vor der Tür stehen und berührte eine der Holzplanken daneben mit dem Finger, woraufhin sich diese zur Seite schob und einen Netzhautscanner offenbarte. Der Grund, warum ich wusste, dass es sich um einen Netzhautscanner handelte, ist recht einfach: Rot hielt gleich darauf seinen Kopf davor und das Ding scannte seine Netzhaut.
Mir erschien das im ersten Moment als ziemlich übertriebene Sicherheitsmaßnahme für eine vergammelte Baracke. Dann öffnete sich die, von mir als morsch empfundene Holztür mit einem Zischen und offenbarte den Innenraum der Hütte, der zwei alte Sprichwörter bestätigte: „Irren ist menschlich“ und „Der äußere Schein kann trügerisch sein“.
Der Raum war komplett mit Metall verkleidet, was die vernagelten Fenster der Hütte erklärte. An drei Wänden standen hochmoderne Computerterminals, die aber alle unbesetzt waren. Im Zentrum des Raums, der innen bedeutend größer wirkte, als es von außen den Anschein gehabt hatte, konnte ich eine Glasröhre erkennen, in der sich eine Kapsel befand. Erst beim zweiten Blick erkannte ich sie als einen Aufzug.
Flankiert von Rot und Blau gingen Bandrihar und ich auf diesen Aufzug zu, dessen einzige mögliche Fahrrichtung nach unten war. Irgendwie, auch wenn ich nicht unter Klaustrophobie litt, schauderte mir bei dem Gedanken, unter die Erde verfrachtet zu werden, ohne zu wissen was mich dort unten erwartete.
Zu viert betraten wir die kleine Kabine, in der es dadurch recht eng wurde. Diese bewegte sich nur Sekunden später und schoss mit atemberaubender Geschwindigkeit die Röhre hinunter. Bis heute weiß ich nicht, ob das Gefühl der Schwerelosigkeit in diesen Aufzügen Einbildung oder Realität ist. Auf jeden Fall hatten wir nur wenige Sekunden später unseren Bestimmungsort erreicht.
Dadurch, dass die Aufzugsröhre aus Glas war, konnte ich schon bevor wir den Boden erreichten, eine Blick hinaus werfen. Rund um den Aufzug erstreckte sich eine große Halle, deren Anblick in einem Zug sowohl atemberaubend als auch verwirrend war. Auf den ersten Blick wirkte die Halle wie eine größere Version des Innenraums der Baracke. Überall in dem weitläufigen Raum befanden sich Computerterminals, Schaltkonsolen, Aufzüge auf höhere Etagen aus Galerien, kleinere und größere Kammern, die wie Büros und Besprechungszimmer aussahen und wenn ich nicht irrte, sah ich noch eine Reihe schmaler Gänge, die aus der Halle hinauszuführen schienen und die große unterirdische Anlage anscheinend noch größer machten. Doch die Halle war nicht nur größer als die Baracke; sie war auch bedeutend voller. Trotz des nicht komplett durchsichtigen Glases des Aufzugschachtes konnte ich geschätzte zweihundert Personen in der Halle erkennen, die an den Terminals standen, miteinander redeten oder geschäftig durch die Halle und über die Galerien eilten. Man konnte aber nicht behaupten, dass die Halle aus diesem Grund auch nur im Ansatz gefüllt aussah, sondern immer noch leer. Damit wäre der beeindruckend, atemberaubende Teil des Anblicks beschrieben.
Der verwirrende Teil des Anblicks offenbarte sich mich erst, als sich die Türen des Aufzugs öffneten und sich mein Blick klärte. Die Leute, die ich aus der Kabine nur als Schemen hatte erkennen können, offenbarten sich mir nun in ihrer ganzen Pracht. Eine Pracht, die das Herz eines jeden Lesers der Fantasy-Literatur ein wenig schneller schlagen lassen würde. Orks, Zwerge, Gnome, Kobolde und eine Reihe anderer Kreaturen, wie ich sie sonst nur in den Seiten eines Buches hatte finden können bevölkerten die Halle und ließen so meine Begegnung mit Bandrihar beinahe alltäglich erscheinen.
Da stand ich also. Mit vor Erstaunen geweiteten Augen in einer unterirdischen Halle voller Geschöpfe der Fantasy, neben einem vor Freude strahlenden Zwerg, der sich das erste Mal, seit ich ihm begegnet war, richtig wohlzufühlen schien und zwei grimmigen futuristischen Cowboys, die noch kein Wort gesagt hatten und versuchte das alles irgendwie zu verstehen. Dieser kleine vernünftige Teil von mir schien so etwas wie „Ich hab’s dir ja gesagt. Hättest du bloß auf mich gehört.“ zu sagen und wenn ich mich nicht täuschte hatte dieses Stimmchen die Stimme meines Vaters und ich spürte beinahe seinen Blick auf mir ruhen, der sagte, ich solle meine Neugier bekämpfen. Hätte ich bloß auf ihn gehört. Doch zumindest konnte ich sagen, dass sich meine Worte bewahrheitet hätten, sollte ich in den nächsten Minuten sterben. Mein letzter Anblick wäre wirklich spektakulär.

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