Marion Valter

Frühlingserwachen - Wildgänse im Triebwerk


Mein Blick aus dem kleinen Flugzeugfenster fällt auf das rechte brennende Triebwerk. Ich sitze in der zweiten Reihe hinter den Tragflächen und beobachte gebannt den Feuerschein. Menschen um mich herum weinen, diskutieren oder vertiefen sich in ihre Zeitung. Manche telefonieren. Unser Chef sucht den Blickkontakt. Er sitzt drei Reihen hinter mir und signalisiert - bleib ruhig, uns wird nichts geschehen.


Unser Team-Kollegen-Privat-Ausflug steht an. Bernd hat uns alle angeschrieben. "Wer kommt mit und wohin fliegen wir zum Frühlingserwachen im März? Wir müssen heute buchen. Ich habe schon eine Idee. Kurzes Treffen um 15:00 Uhr in meinem Büro." So ist er, spontan. Bei nasskaltem trübem Herbstwetter sitzen wir - 7 Teamer - mit Kaffee, Tee und Terminkalender im Büro des Chefs. Der Team-Kollegen-Privat-Ausflug dauert einen Tag und soll nicht mehr als 100 EUR incl. Anreise, Verpflegung und Eintrittsgelder kosten. In Porto, Barcelona, Rom, Split, London haben wir den Frühlingsanfang bereits erlebt. Dieses Mal entscheiden wir uns für Berlin - unserer Hauptstadt. Die Flüge sind günstig, Hin- und Rückflug für 35 EUR ab Frankfurt/Hahn inklusive aller Versicherungen. Noch vor Feierabend haben alle Mitreisenden ihr Ticket für den 20. März gebucht.
Flug in den Sonnenaufgang

Ist das kalt - 2°. Morgenfrost bedeckt den 8-Sitzer Bus von Marianne. Um 5:30 Uhr treffen wir in Frankfurt/Hahn ein. Der Flughafen mit seinen Lichtern liegt noch verschlafen in der Morgendämmerung. Der Parkplatz füllt sich in den ersten Reihen mit Autos und Reisebussen. 15 EUR Tagesgebühr bis 24 Uhr. Unser Rückflug ist um 19:30 Uhr - das reicht, wenn nichts dazwischen kommt. Wir erleben einen herrlichen kurzen 40 minütigen Flug in den Sonnenaufgang. Ich liebe diesen Blick, wenn das Flugzeug die Wolkendecke durchstößt und die Sonne in ihrer vollen Strahlkraft die Sicht auf die Weite der Wolken freigibt. Und ich genieße den ersten Kaffee im Flugzeug.

Frühling in Berlin

Bernd hat wie immer den Tag perfekt organisiert. Nach einem ausgiebigen Frühstück am dem Brandenburger Tor erleben wir den Panoramablick des Deutschen Bundestages auf die morgendliche Stadt. Dann folgt der Frühlingsspaziergang bei herrlich warmen 16 ° an der Spree entlang bis ins Schokoladentraumland am Gendarmenmarkt. Rote, weise, grüne Pralinen, meterweise Schokoladentafeln mit neuartig klingenden Namen und der Bundestag in Miniatur - ganz aus dunkler Schokolade. Ein Chocolatier spachtelt die Risse geschmolzener Schokolade mit Glacier Handschuhen zu. Ich kann darüber nur schmunzeln - esse ich doch lieber Currywurst und Pommes. Und doch zieht mich diese Schokoladenvielfalt in den Bann. Leider, oder zum Glück, habe ich nur einen kleinen Rucksack dabei. Fünf Trüffelpralinen, 300 g Nussschokolade im Bruch und Schokolade mit Schwarzbier fliegen später mit mir zurück in meine Stadt. Und da wir Frauen gerne einkaufen, bestaunen wir die Frühjahrskollektion in der Galerie Lafayette.

Dann noch ein kurzer Besuch im Französischen Dom und schon geht es weiter zur Museumsinsel, Alexanderplatz und dem Roten Rathaus. Das rege Treiben der Berliner und die vielen Touristen in dieser Jahreszeit ist beeindruckend. Nach dieser Wandertour fahren wir mit der U-Bahn zurück zur Schiffbauerdamm. Bernd hat in der Ständigen Vertretung, dem Kult Restaurant der Politiker, einen Tisch an der Spree reserviert. Leichte Frühlingskost finden wir hier nicht, dafür aber eine deftige rustikale Patte mit Haxen und dunkler Bier Soße, Altkanzler-Filet, Bulette und Blutwurst mit Bratkartoffeln. Natürlich darf Rote Grütze mit Vanillesoße nicht fehlen. Was für ein wunderschöner Tag in unserer Hauptstadt.

Vogelschlag - Wildgänse im Triebwerk

19:30 Uhr wir sitzen endlich im Flieger. Die kleine Abendmaschine bringt 205 Geschäftsleute, Touristen und uns nach Frankfurt/Hahn.

Nach 20 Minuten Flugzeit fällt mein Blick auf die Stichflamme im rechten Triebwerk. Der Airbus vibriert. Ich drücke mich fest in meinen Sitz. Die Not Lampe - Bitte anschnallen - leuchtet auf. Die Stewardessen bleiben sitzen, nur eine läuft zum Cockpit. Ich frage mich ob sie das Feuer schon bemerkt haben. Mehrere Reisende schreien auf und weinen. Die Stewardessen versucht mit beruhigenden Worten einzuwirken. Es rumpelt, gefolgt von einem lauten beunruhigenden Ansauggeräusch. Stille.

Das Triebwerk brennt immer noch. Ich blicke mich um. Meine linke Nachbarin redet ununterbrochen und erzählt von ihrem beinahe Absturz vor zwei Jahren auf dem Flug nach Lissabon. Der rechte Nachbar liest ungestört seine Zeitung. Vom Kapitän noch immer keine Nachricht.
Ich spüre Unruhe und Panik in mir aufsteigen. Ich will raus, weiß aber das unter mir 1500 m Luft ist. Keine Chance. Hilflosigkeit macht sich in mir breit. Ich denke an meine Kinder. Ob ich sie nochmals sehe? Meine Älteste hat heute Abschlussball und ich habe versprochen um 22 Uhr da zu sein. Ist es Zeit dem Leben Lebewohl zu sagen? Ich bete - bin doch Christin. Nichts - weiterhin Leere. Warum beruhigt mich das Gebet nicht? Ok, dann nicht beten. In meiner Hilflosigkeit beobachte ich die Menschen. Manche telefonieren andere weinen stumm vor sich hin und wieder andere schlafen oder lesen immer noch in seelenruhe ihre Bordzeitung. Ich suche meine Kollegen und Kolleginnen. Marianne ist völlig verstört. Thomas und Nicole pressen sich ebenfalls angespannt und abwartend in ihre Sitze. Bernd sucht Blickkontakt und signalisiert - bleib ruhig, es wird alles gut gehen.

Endlich Nachricht vom Kapitän

"Sehr verehrte Fluggäste, wir fliegen nach Berlin zurück. Ein Vogelschlag hat das rechte Triebwerk entzünden. Es wurde abgeschaltet."
Diese Nachricht soll mich beruhigen? Kann ein Airbus mit nur einem Triebwerk überhaupt fliegen. Vor mir Sitz einer dieser gelassenen Zeitungsleser, wohl ein Techniker - er lacht: "Habe ich es doch gewusst. Na dann werden wir wohl später nach Hause kommen?" Ich suche Blickkontakt zu Bernd - Alles ok, ich beruhige Marianne, scheint er zu sagen. Ich spüre ein starkes Vertrauen in meinen Chef. Was bleibt mich sonst übrig.

Nach weiteren 20 Minuten landen wir endlich in Berlin Tegel. Überstürzt verlasse ich das Flugzeug. Notarztwagen und Feuerwehr stehen für Verletzte bereit. Eine Hochschwangere wird ins Krankenhaus gefahren. In einem kleinen Aufenthaltsraum kümmert sich die Crew um uns bis das Ersatzflugzeug betankt ist. So mancher fährt mit der Bahn. In den Berliner Online-Nachrichten ist zu lesen: "Pilot des Airbus A321 entscheidet sich für eine Notlandung aufgrund eines Defekts am Triebwerk. Grund ist ein Vogelschlag. Besonders in der Abenddämmerung komme es hin und wieder zu diesen Unfällen im Luftraum indem die Vögel in das Triebwerk gelangen. ..."

Ich lebe

Um 23 Uhr - mit einer Stunde Verspätung erreiche ich den Abschlussball. Meine Tochter sieht wunderschön in ihrem sternenblauen Ballkleid aus. Ich vergesse für einen Moment meine Panik und Angst. Ich bin froh und dankbar, dass ich diesen Abend erleben darf und schmiege mich eng an meinen Mann an.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 18.03.2015. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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