Sonja Sonnenschein

Besuch vom Planet der Frauen

Besuch vom Planet der Frauen

Copyright Sonja Sonnenschein

In memoriam „Star Maidens“ auch bekannt als „Die Mädchen aus dem All“.

Es war ein trüber Tag. Wie jeden morgen fuhr ich mit der S-Bahn zur Arbeit. Heute stand mir ein arbeitsreicher Tag bevor. Heute würde die neue Ware geliefert: Schwere Kartons mit Damenkleidung, die ich in meinem Geschäft verkaufen wollte. Viel zu schleppen für eine zierliche Frau! Seit einiger Zeit betrieb ich meinen Laden ganz allein. Früher hatte mir mein Mann noch beim Einräumen der Ware geholfen. Jetzt aber hatte er ein Rückenproblem, das ihn an solch schwerer Arbeit hinderte, wie er sagte.

Wie jeden morgen nahm ich die U-Bahn. Im Zug lies ich mich auf einer Sitzbank nieder und holte gerade meine Zeitung aus der Handtasche, als mir ein unrasierter Kerl einen Ausweis unter die Nase hielt und unwirsch „Fahrkartenkontrolle!“ brummte. Ich kramte meine Monatskarte hervor und der Kontrolleur zog mit einem Schnauben weiter zu einem schlanken, jungen Mann, der etwas verloren wirkte und neben der Waggontür stand. Er trug eine Art Trainingsanzug in schwarz-gold, wie er in den siebziger Jahren vielleicht einmal modern gewesen war. Wieder brummte der unrasierte Kerl „Fahrkartenkontrolle!“, aber der schlanke junge Mann sah ihn nur aus großen fragenden blauen Augen an.
„Das kostet dann 40 Euro!“
Der Kontrolleur streckte dem Mann im Trainingsanzug seine Hand entgegen. Der schaute ihn nur noch fragender an. Offensichtlich verstand er gar nicht, was von ihm verlangt wurde.
„Ich habe keine 40 Euro“, antwortete er dem Kontrolleur mit seiner sanften Stimme.
„Gib mir deinen Ausweis!“, befahl der Kontrolleur.
„Ich habe auch keinen Ausweis“, erwiderte der schlanke Mann.
Die beiden wirkten ratlos. Da kam mir eine Idee.
„Ich kann das Geld für die Fahrkarte auslegen“, meldete ich mich, „wenn du mir dafür heute Morgen etwas hilfst!“
Die beiden waren einverstanden. Ich gab dem Kontrolleur das Geld und bei der nächsten Station stieg der junge Mann mit mir aus und folgte mir in mein Geschäft. Dabei lief er immer ein paar Schritte hinter mir her. Er vermied es, mir ins Gesicht zu sehen. Ich fand das alles sehr seltsam. Wen hatte ich mir da nur aufgegabelt? Für einen Obdachlosen war der junge Mann zu gepflegt. Er war perfekt rasiert und die dunklen Haare waren frisch geschnitten. Auch die Fingernägel waren sauber und ordentlich. Ich atmete tief durch die Nase ein: ich roch keinen Hauch von Alkohol.

Als wir in meiner Boutique eintrafen, kam der Lieferwagen gerade an. Ich befürchtete, dass der junge Mann sich um die Arbeit drücken würde, aber das war nicht der Fall. Im Gegenteil: er arbeitete sehr fleißig und ordentlich. Es gab sehr viel zu tun und gemeinsam arbeiteten wir länger als ich gedacht hatte, bis in den Abend. Als es Zeit für mich wurde nach Hause zu gehen, drückte ich ihm einen Geldschein in die Hand. Er fragte mich, ob er morgen wieder kommen dürfe.
„Aber gerne“, sagte ich, „aber wie heißt du eigentlich?“
„Hom“, antwortete er knapp.
„Und woher kommst du?“
Meine Frage schien ihm unangenehm zu sein.
„Von weit her. Also bis morgen, Madame!“, und er lief fort.

Als ich zuhause ankam, saß mein Mann vor dem Fernseher. Es lief gerade ein Fußballspiel. Ich machte mich an die Arbeit um uns etwas zu Essen zu kochen. Mein Mann sagte, er hätte etwas für uns gekocht, aber leider hätte er nicht gewusst, was ich gerne essen wollte und so habe er besser gewartet.
In der Halbzeitpause des Fußballspiels aßen wir und er erzählte mir, dass die Arbeitsagentur keine Stellenanzeige für ihn hätte. Nach dem Abendessen war ich furchtbar müde und ging ins Bett. Mein Mann holte sich noch eine Flasche Bier und setze sich wieder vor den Fernseher. Als ich am nächsten Morgen aufstand, saß er immer noch dort und schnarchte. Ich wollte schon das Haus verlassen, da kam mir ein Gedanke und ich ging zurück um Kleiderschrank und nahm einen der Anzüge meines Mannes, die ihm schon lange nicht mehr passten. Dann öffnete ich leise die Tür und ging.

Hom wartete bereits vor der Boutique, als ich ankam. Der Anzug, den ich ihm gab, stand ihm hervorragend. Auch auf meine Kundinnen machte er einen guten Eindruck. Viele ließen sich gerne von dem charmanten, höflichen Mann beraten. Und das war nicht alles, er konnte sogar nähen und so ließ ich ihn einige Kleider meiner Kundinnen ändern.

Er war gerade in der Werkstatt, als zwei außergewöhnliche Frauen mein Geschäft betraten. Die beiden hätten auf jedem Laufsteg dieser Welt aufsehen erregt. Sie waren beide groß und schlank. Aber das Auffälligste an ihnen war ihr Outfit: Beide trugen knappe orange Hotpants und bauchfreie, langärmelige Tops in demselben grellem Orangeton. Auf ihren Köpfen Helme, die an Fönhauben in Retro-Friseursalons erinnerten und dazu weiße Overknee-Stiefel. Auf ihren Gesichtern stellten sie grelle Schminke und Arroganz zur Schau. Eine der beiden hantierte mit einem weißen Kästchen, als sie mein Geschäft betraten. Sie kamen zu mir an die Kasse und nahmen ihre Helme ab. Beide hatten langes, glattes Haar. Die eine war jedoch so blond, wie die andere dunkelhaarig war. Sie hielten sich nicht lange mit einer Vorrede auf:
„Haben Sie diesen Mann gesehen?“
Die eine hielt mir eine Art Tablett – Computer vor die Augen, auf dem ein Porträt von Hom zu sehen war.
Ich nickte unsicher.
„Um was geht es?“
„Ich glaube, man könnte es ein Eigentumsdelikt nennen“, war die Antwort. Ich war entsetzt. Hatte ich etwa einem Dieb mein Vertrauen geschenkt?
„Wo ist er?“
Ich zeigte auf die Tür zum Lager. Die beiden zogen aus den Halftern an ihren Gürteln zwei weiße Pistolen. Eigentlich sahen sie mehr wie Spielzeugwaffen aus. Die Dunkelhaarige gab der Blonden ein Zeichen und mit einem Tritt öffnete sie die Tür zum Lager während die Blonde, die Waffe mit beiden Händen umklammert, in das Lager stürmte. Aber Hom war nicht mehr da.
Die große Korbtruhe war vor das Oberlicht am anderen Ende des Raumes gerückt und das Oberlicht war geöffnet. Der kalte Wind bewegte den Vorhang.
"Er ist durch das Fenster abgehauen!"
Schrie die Blonde, sprang auf die Korbtruhe und kletterte aus dem Fenster. Die Dunkle war dabei es ihr gleich zu tun als ich sie am Arm packte und zurückhielt. Ich verlangte eine Erklärung. Widerwillig begann sie zu berichten.
„Mein Name ist Pandora“, begann sie, „und wie Dragonia bin ich Offizierin der Garde. Wir haben nicht viel Zeit! Sie halten uns nur auf!“
Während sie sprach beobachtete ich ihre schmalen Lippen und ihre kalten blauen Augen. Dann riss sie sich los, kletterte durch das Oberlicht und verschwand. Was für eine irre Geschichte! Dachte ich und stand ratlos im Lagerraum. Dann öffnete sich langsam der Deckel der Wäschetruhe und Hom kletterte heraus.
„Ich glaube, ich verlasse Sie jetzt besser, Madame“, sprach er und verschwand.
„Aber Hom, was hast du denn angestellt?“, rief ich ihm hinterher, ohne eine Antwort zu erhalten.

Als ich gerade das Geschäft verlassen und nach Hause gehen wollte kamen die beiden Frauen wieder zurück. Sie wirkten erschöpft und ratlos. Jetzt nahmen sie sich mehr Zeit für meine Fragen. Sie erzählten, dass sie beide vom Planeten Medora gekommen waren, um Hom einzufangen. Medora? War da nicht etwas? Ich versuchte mich daran zu erinnern, wann und wo ich den Namen dieses Planeten schon einmal gehört hatte, aber es wollte mir partout nicht einfallen. Die beiden Damen erklärten mir, dass das weiße Kästchen ein ‘Mannfinder‘ sei. Es reagiere auf Gerüche. Damit hätten sie Homs Spur bis zu meiner Boutique verfolgt. Dann gaben sie mir ein anderes Kästchen mit einem roten Knopf. Den solle ich drücken, wenn er sich wieder blicken lassen würde. Die Dunkle nahm ihre Waffe aus dem Holster und gab sie mir.
„Für alle Fälle“, sagte sie, „das ist eine Lähmungspistole.“
Ich fragte, ob Hom denn gefährlich sei und was er verbrochen habe.
„Er ist mein Domestik“, erklärte die Blonde, „Alles war in Ordnung, aber dann begann er plötzlich, von Gleichberechtigung zu faseln. Eines Tages konnte ich seine Aufmüpfigkeit einfach nicht mehr ertragen und lies ihn bestrafen. Er wurde auf ein Bergwerk an der Oberfläche unseres Planeten verbannt. Dort sollte er so lange arbeiten, bis er wieder zur Vernunft gekommen war. Aber irgendwie gelang es ihm, ein Raumschiff in seine Gewalt zu bekommen. Ausgerechnet zu der Zeit als Medora wieder in der Nähe dieser rückständigen Erde vorbeizog!"
Die andere erklärte, dass nicht mehr viel Zeit blieb, denn bald hätte sich der Abstand zwischen Erde und Medora wieder so weit vergrößert, dass eine Rückkehr unmöglich wäre. Spätestens morgen müssten sie wieder zurückfliegen.
„Und das war alles, was Hom verbrochen hat?", fragte ich die beiden.
„Verstehen Sie denn nicht?“, fragte die blonde Dragonia. Sie sah mich mit ihren kalten, grauen Augen an, als wäre ich schwachsinnig. „Er gehört mir! Wo kämen wir denn hin, wenn jeder Kerl einfach das machen würde, was er gerne tut! Das ist alles die Schuld von Euch Erdenmenschen! Ihr wart damals viel zu nachsichtig mit diesen beiden entflohenen Abhängigen!“
'Was für eine irre Geschichte', dachte ich wieder.

Als ich zu Hause angekommen war, war mein Mann schon vor dem Fernseher eingeschlafen. Auf dem Tischchen neben ihm standen einige leere Bierflaschen. So konnte ich in Ruhe im Internet recherchieren. Als Erstes suchte ich nach Informationen über den Planeten Medora. Ich wurde schnell fündig. Vor vierzig Jahren hatte es einen Zwischenfall gegeben, der damals großes Aufsehen erregte. Ein Planet, der durch eine Katastrophe aus seinem Sonnensystem gerissen wurde, war auf seiner Bahn der Erde nahegekommen. Es war der Planet Medora, der von Frauen regiert wurde. Die Oberfläche des Planeten war durch eine Katastrophe unbewohnbar geworden und die Bewohner lebten in Städten im Inneren des Planeten. An der Oberfläche des Planeten gab es lediglich Bergwerke. Die Arbeit in diesen Bergwerken war hart und gefährlich.

Als der Planet Medora vor vierzig Jahren in der Nähe der Erde vorüberzog, nutzten zwei Männer die Gelegenheit zur Flucht. Männer wurden von den Medoranerinnen übrigens als geistig minderbemittelt angesehen und als ‘Abhängige‘ bezeichnet. Die beiden flüchtigen Männer wurden von Frauen verfolgt, die sogar so weit gingen, Geiseln zu nehmen. Am Ende konnte man sich gütlich einigen: Die beiden Medora-Männer kehrten auf ihren Planeten zurück und die Geiseln wurden wieder freigelassen.
Ich begriff, dass Medora sich auf einer weiten Bahn um die Sonne befand und sich wohl wieder der Erde genähert hatte. Als ich gerade meinen Computer ausschaltete und leise zu Bett gehen wollte, erwachte mein Mann. Ich fragte ihn, ob die Arbeitsagentur heute etwas für ihn gehabt hätte.
„Bringt doch alles nichts“, lallte er und schlief wieder ein.

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, hatte ich schlechte Laune. Wer würde mir heute bei meiner Arbeit helfen? Hom würde wohl nicht wiederkommen. Vielleicht sollte ich bei der Arbeitsagentur nach einer Hilfe fragen? Mein Mann schnarchte noch vor dem Fernseher. Da hatte ich einen Einfall. Sollte er mir doch helfen, bis ich jemand anderen fand! Also weckte ich ihn. Nach einigen Diskussionen war er schließlich bereit mir ausnahmsweise zu helfen. Es dauerte Stunden, bis er gewaschen, rasiert und angezogen war. Es war schon fast Mittag, als ich die Tür meiner Boutique aufschloss. Gerade als ich meinem Mann erklärt hatte, wie er die Ware im Lager sortieren sollte, klingelte die Ladentür.

Es war Hom.

„Ich dachte schon, Sie würden heute nicht kommen, Madame“
Ich griff in die Tasche meiner Strickjacke, wo sich das Kästchen befand, dass mir die beiden Medoranerinnen gegeben hatten, und drückte auf den Knopf. Dann griff ich in die Schublade, in der sich die Lähmungspistole befand.

Zehn Minuten später waren die beiden Frauen da. Sie wirkten sehr gehetzt.
„Wo ist er? Wir haben keine Zeit mehr! Wir müssen sofort zurück nach Medora!“
Ich führte sie in die Werkstatt und zeigte auf die Korbtruhe. Durch das Gitter des Korbes war Homs schwarz-goldener Traininganzug zu erkennen. Dragonia zückte ihr Mannfinder-Kästchen und nickte befriedigt. Ich bestellte ihnen ein Taxi und half ihnen die Korbtruhe nach draußen zu tragen.
Das Taxi raste los zu einer Waldlichtung, wo die beiden ihr Raumschiff geparkt hatten.
Ich ging zurück in die Boutique und atmete tief durch. Diese Sache war mir wirklich schwergefallen.

Die Türe zum Lager öffnete sich leise. Am Griff der Tür war eine schlanke Hand zu erkennen.
Dann blickten mich sanfte, blaue Augen dankbar an.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.01.2017. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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