Ramona Jährling

Danilo` s Geschenk


Millionen von Tropfen  zerschmelzen im heißen Asphalt,
durchdringen sattgrüne Wiesen und gerodetes Feld.
Eine Geschichte, die schon Urzeiten alt,
hat mir ein Bettler aus Tallin erzählt
 
Einen großen Bogen zog er mit seiner Hand
und forderte mich auf ihm zu lauschen:
“Komm und setz dich zu mir an den steinigen Strand
und höre der Wellen betörendes Rauschen”
 
Zu der prächtigen Burg am Wasser schweifte sein Blick,
deren Spiegelbild sanft schaukelte im blaugrünen Meer.
Und er lehnte sich leicht zurück.
Das Reden fiel ihm ein wenig schwer.
 
“Vor Jahren, musst du wissen bezauberndes Kind,
hat sich mein Sohn auf die Reise gemacht,
dorthin, wo die Regentropfen zu Hause sind
und hat uns das Meer gebracht.”
 
Ich lächelte, denn ich glaubte ihm nicht,
er war wohl doch ein wenig verwirrt.
Doch ich sah in seinem weißbärtigen Gesicht:
mit der Einschätzung hatte ich mich geirrt!
 
Begeistert erzählte er mir vom estnischen  Land
und der hölzernen Burg, erobert vom dänischen König.
Wie bald darauf eine Domkirche entstand,
und er lachte ein wenig höhnisch.
 
Eine Stadt war geboren durch Weißmantel tragende Ritter,
Kaufleute sollten kommen, um dort zu leben.
Doch nach einem verlorenen Krieg  - vernichtend und bitter -
wurde Reval zurück an die Dänen gegeben.
 
Denn ein Handel, gewollt vom Schwertbrüderorden,
war nur rechtskräftig durch die Rückgabe der Stadt.
Und als dieser beschlossen worden,
bekam ein Jeder, was er begehret hat
 
“Nun guter Mann, so sage mir doch”,
unterbrach ich ihn ungeduldig in seinem Reden,
“Kommt die Geschichte mit deinem Sohn denn noch,
wie hat sich die denn ergeben?”
 
Langsam sah er zu mir auf mit seinen müden Augen,
als wäre er entschwunden in eine andere Welt.
“Ach, du würdest` s ja doch nicht glauben,
und ich zweifle, dass dir die Geschichte gefällt.”
 
“Nun quäle mich nicht alter Mann,
fang an zu erzählen, was vor Jahren geschehen.
Ob ich es gutheißen kann
werde ich dann schon sehen.”
 
“Nun gut, ich sprach von meinem Sohn,
der uns das Meer gebracht.”
“Ja, das sagtest du schon.
Wie aber hat er das denn gemacht?”
 
Ein Jüngelchen war Danilo zu jener Zeit,
sprudelte über vor Energie.
Wortkarg machte er sich eines Tages bereit
zur Reise in das Land der blühenden Phantasie.
 
“Ich komme bald wieder zurück.
Ein Wunder werd ich euch bringen,
aus der Schatztruhe vom ganz großen Glück.
Die Stadt wird noch lang davon singen!”
 
Und er sattelte sein schneeweißes Pferd,
ritt durch sonnigen Tag und frischkühle Nacht.
Ist hier und da zum Ausruhen eingekehrt,
hat Rast nur wenn nötig gemacht.
 
Eines Nachts, als er unter Eichbäumen schlief
und träumte von tanzenden Mädchen,
war ihm, als ob jemand rief:
’Denk an dein Wunder für dein goldenes Städtchen!’
 
Ein Regentropfen fiel neben ihm nieder,
der wollte sogleich in der Erde verschwinden.
Doch er holte ihn wieder,
brauchte nicht lang, um ihn zu finden.
 
Beherzt fragte er mit zitterndem Ton:
“Weißt du, wer ich bin?
Ich bin der Stadt Tallins Sohn.
Wo kommst du her und wo willst du hin?”
 
“Im Himmel dort droben aus den ziehenden Wolken
beginnt mein Weg über das ganze Land.
Muss dem Lied des Windes nur folgen,
bin zu tränken die Erde bekannt.”
 
Danilo schaute argwöhnisch und fing zu grübeln an.
Ein Tropfen über des Landes Felder und Wiesen,
ob der wohl ausreichen kann,
damit sie blühen und sprießen?
 
Wortreiche Bände sprach sein Gesicht.
Dem Regentropfen war dies nicht entgangen:
“Das mach ich allein doch nicht,
es sind Millionen, die so hierher gelangen.”
 
Und weiter dachte der Junge nun nach.
Plötzlich waren die Gedanken ganz klar:
Das Wunder, welches er Tallin versprach,
in diesem Tropfen verborgen war.
 
“Willst du mit mir ziehen in meine Stadt?
Die Kirchtürme darin sind wunderschön,
und Burgen, wie sie dein Auge noch nie gesehen hat,
entlang der Stadtmauer stehen.”
 
“Erzähle mir mehr von diesen Wundern, du mutiger Knabe,
damit ich weiß, ob es sich lohnt, dich zu begleiten.
Und wenn ich es so entschieden habe,
werde ich für immer dort bleiben.”
 
Danilo erzählte von Menschen, die Gastfreundschaft pflegen,
und Augen zwinkernd von fröhlichen Festen an manchen Tagen.
In Tallins Folklore hat er Einblick gegeben,
die Trachten beschrieben, die sie dann tragen.
 
Der Tropfen wusste schon lang, wie er sich entschied.
Trommelte sein Gefolge zum Menschenkind,
dem er alsbald verriet,
dass sie ihm Begleiter auf seiner Reise sind.
 
Vom rauen Winde getrieben zog nun ein  Heer,
welches sonst ganz woanders hin fliegt.  
Tat sich zusammen zu einem riesigen Meer,
dass sonnengeküsst nun am Fuße des Burgberges liegt.
 
“Wo ist dein Sohn denn heut,
der solch ein Wunder brachte für euer Land?
Ihn kennen zu lernen hätte mich sehr gefreut!”
Ohne zu antworten gab mir der Alte zum Abschied die Hand.
 
Ich sah die Tränen in seinen Augen,
spürte, dass ihn die Frage quälte,
und irgendwie wollte ich glauben,
was er mir da erzählte.


(by Ramona Jährling)

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Ramona Jährling).
Der Beitrag wurde von Ramona Jährling auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.11.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Ramona Jährling als Lieblingsautorin markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Zeit ist ewig neu von Siegfried Kopf



Themenbezogen und nachsinnend werden in lyrischer Form viele Facetten des Lebens behandelt und mit farbigen Illustrationen visuell dargestellt. Begeben sie sich mit außergewöhnlichen Texten und Bildern auf eine Reise durch die Zeit, das Leben und die Liebe ...

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (4)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Allgemein" (Gedichte)

Weitere Beiträge von Ramona Jährling

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Fafe der Retter Marunas (vielleicht zu lang zum selber lesen) von Ramona Jährling (Fantasie)
Asiatisches Stundenhotel von Jonny Langer (Allgemein)
Spuren einer Nacht von Rainer Tiemann (Das Leben)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen