Christa Siegl

A n n a


Ein Zeitspann nur von 80 Jahren
ein Wimpernschlag im Weltgescheh’n
es reichte aus um zu erfahren
dass Leben nur aus Kampf besteht.

Ans Elternhaus denkt sie verschwommen
an der Geschwister große Zahl
die Mutter ist in Himmel kommen
als sie gerade sieben war.

Der erste Weltkrieg war beendet
Der Vater arm – mit Kinderschar
man wusste nicht wie das noch endet
da er auch oft betrunken war.

Die kranke Tante kümmert sich
sie hätte selbst genug zu klagen
es wäre ihr ganz sicherlich
noch heute großer Dank zu sagen.

Mit dreizehn aus der Schul’ entlassen
brauchte sie Arbeit und Logis
sie konnte fast ihr Glück nicht fassen
die Pfarrersfrau – die brauchte sie.

Sie blieb dort unter strenger Hand
lernte den Haushalt und Benimm
bis sie die andre Stelle fand
als „Zimmermädchen“ sie nun ging.

Nun gab es für sie schöne Tage
zuerst war sie in Hindelang
es folgt ein Haus in guter Lage
um Arbeit war ihr niemals bang.

Sie hätt’ die Jugend voll genossen
wär’ nicht im Volk das große Raunen
man hörte von Parteigenossen
von Kriegsgefahr – und von den Braunen.

Und dann war Krieg - sie musst erleben
und schmerzlich fühl’n am eignen Leib
was Frauen und Mütter müssen geben
an Kraft, an Sorgen, Herzeleid.

Ihr Lieblingsbruder kam zum Heer
er durft’ für Deutschland streiten
die Todesnachricht traf sie schwer
der Auftakt schlimmer Zeiten.

Sie geht nach Erfurt ins Hotel
und dort, in dieser Stadt voll Blumen
verliebt sie sich und heirat’ schnell
die Pflicht hat ihn gerufen.

Drei Jahre dauerte das Glück
sie wünscht sich sehnlichst Kinder
er kehrt vom Krieg nicht mehr zurück
in ihrer Seel’ war Winter.

Der Endsieg wurde prophezeit
doch der ließ auf sich warten
in Reutlingen versucht sie jetzt
ihr Leben neu zu starten.

Sie muss an einem Webstuhl stehen
und wohnt zur Untermiete
es zählt nur eins – das Weitergehen
was auch das Schicksal biete.

Sie war noch jung und voller Leben
drum dauerte es auch nicht lang
die Liebe spann erneut die Fäden
noch einmal reicht sie ihre Hand.

Er war nur Schuster von Beruf
hat nie die Front gesehen
Als Gott ein neues Leben schuf
denkt sie, das müsste gehen.

Die Kriegstrauung war schnell vollzogen
mit dickem Bauch, geliehenen Schuh’n
das Bataillon ist abgezogen
für Schuster gab’s nichts mehr zu tun.

Der Trupp sollte nach Mindelheim
im Jahre fünfundvierzig
dort trafen sie jedoch nicht ein
die Kriegswirren sprachen für sich.

Sirenen heulten Tag und Nacht
die Menschen in den Bunkern
sie haben fast nie Licht gemacht
die Angst durchzog das Dunkel.

Sie saß mit Freundinnen im Keller
die Bombe schlug ganz plötzlich ein
der Feuerschein wurd’ immer greller
sie war mit Gott und sich allein.

Vier waren tot – total verschüttet
sie durfte weiterleben
ihr Dasein war total zerrüttet
wer konnte Trost ihr geben.

Nach Stunden wurde sie gerettet
sie hatte nicht mehr dran geglaubt
steht auf der Straße und muss betteln
sie wurde von der Zeit beraubt.

Ein Rucksack war ihr noch geblieben
mit etwas Babysachen
den schultert sie, gehetzt, getrieben
will auf den Weg sich machen.

Sie hat noch einen Hoffnungsschimmer
das ist die Heimat – Donauwörth
sie will zurück und zwar für immer
hat von den Lieben nichts gehört.

Beförderungen gab’s nicht mehr
sie musst’ die Strecke laufen
das tut sie auch – es ging ums Leben
das Deutsche Reich ein Trümmerhaufen.

Manchmal ließ man sie übernachten
auch gab es mal ein Essen
die Leute muss man dafür achten
es hat doch keiner was besessen.

Man schenkt ihr einen Kinderwagen
jetzt geht es leichter schon voran
Sie braucht den Rucksack nicht mehr tragen
kommt irgendwann in Günzburg an.

Hier war mal eine Donaubrücke
doch das ist endlos lange her
nun gähnt hier eine große Lücke
die Heimkehr wurde wirklich schwer.

Es war bereits schon Mitte Mai
die Amis fuhren mit den Panzern
den Flüchtlingen war’s einerlei
auch den versprengten Landsern.

Ein Waldrand lockt mit seine Kühle
es war sehr heiß an diesem Tag
auch merkte man bereits die Schwüle
die ein Gewitter bringen mag.

Hier rastet sie, schläft auch gleich ein
den Rucksack dicht bei sich
das Wägelchen noch obendrein
sie träumt von Zuversicht.

Doch dann verlässt sie aller Mut
als sie vom Schlaf erwacht
gestohlen ist ihr letztes Gut
man hat zur Ärmsten sie gemacht.

Sie weint, sie schreit – kann es nicht fassen
was hier und jetzt mit ihr geschieht
es scheint ihr, Gott hat sie verlassen
fühlt sich erbärmlich wie noch nie.

Nur in die „Kittelschürz’“ gekleidet
sieht sie die Heimat wieder
und als sie die Familie sieht
sind nass die Augenlider.

Nur Tage später – schicksalhaft
hat sie m i ch dann geboren
jetzt wusste sie von Gottes Macht
und war nicht mehr verloren.

© Christa Siegl



Das Gedicht beruht auf Tatsachen. Es entstand anhand von Dokumenten aus dem Nachlass meiner Mutter, einer typischen "Trümmerfrau".
Ich habe es ihr und meinem Vater, den ich leider nie kennenlernen durfte, gewidmet.

Christa Siegl, Anmerkung zum Gedicht

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Christa Siegl).
Der Beitrag wurde von Christa Siegl auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.05.2004. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Christa Siegl als Lieblingsautorin markieren

Buch von Christa Siegl:

cover

Alltagsrosen - gereimtes Leben - Großdruck von Christa Siegl



Die Autorin entführt den Leser in ihre gereimte Geschichtenwelt einerseits mit Ironie die schmunzeln läßt, anderseits regen lebensnahe Themen zum Nachdenken an. Die Gedichte muntern auf und zaubern ein Lächeln aufs Gesicht und in das Herz.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Krieg & Frieden" (Gedichte)

Weitere Beiträge von Christa Siegl

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Chiffre-Nummer 20/30 von Christa Siegl (Lebensfreude)
Krieg von Norbert Wittke (Krieg & Frieden)
MÖCHT' WISSEN von Christine Wolny (Frühling)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen