Patrick Rabe

Weihnachtspaket von Patrick Rabe (verschiedene Texte)

Hallo zusammen auf e-stories!

Ich packe heute mal ein Weihnachtspaket zusammen für euch alle. Endlich wieder eine Kurzgeschichte! NEU! Ich werde sie in den nächsten Tagen auch noch einmal in der richtigen Kategorie veröffentlichen. Allerdings nichts besonders Weihnachtliches. Sie knüpft viel mehr an meine kafkaesken Erzählungen an. Ich empfehle sie ab 12 Jahren. Frohe und besinnliche, ungetrübte Weihnachten wünscht

Patrick Rabe

Und hier isse:


Surviving of the Fittest

Vor einigen Jahren hatte Peter Lorenz eine Verhaltenstherapie gemacht, die ihm helfen sollte, mit ihn belastenden Personen besser umzugehen. Die Therapeutin hatte Peter gesagt: "Wenn sie einen Feind oder Gegner in der Außenwelt haben, und der nervt sie und hört einfach nicht auf, dann gehen sie ab jetzt nicht mehr auf die Barrikaden, sondern, wenn sie die Situation nicht ändern können, dann stellen sie sich einfach vor, SIE wären ihr Feind, versuchen sich in ihn einzufühlen, und seinen Standpunkt zu verstehen." Sie gab Peter auch ein paar Imaginationsübungen an die Hand.

Eines Tages beschloss die Eigentümergemeinschaft in dem großen Mietshaus, in dem Peter wohnte, die Balkone zu erneuern, weil sie angeblich vom Einsturz bedroht waren. Das ganze Haus wurde eingerüstet und mit Leitern versehen. Zum Schluss wurde es mit einer Schutzplane versehen. Und dann kamen die Bauarbeiter. 

Weil sich die Eigentümer auf eine billige Firma geeinigt hatten, die langsam arbeitete, wurden für die Bauarbeiten drei Jahre veranschlagt. Peter stöhnte innerlich. Er arbeitete für seine selbstgegründete Firma, einen kleinen Versand für Scherzartikel, schon seit Jahren von zu Hause aus, und würde gezwungen sein, sich den ganzen Baulärm anzuhören.

Und dann rückten die Bauarbeiter an. Den ganzen Tag ertönte am Haus ohrenbetäubendes Bohren, Hämmern und Flexen. Peter wurde fast wahnsinnig. Er schloss alle Fenster und machte ein paar Imaginationsübungen. Dennoch wurde seine Gesundheit in den drei Jahren immer schlechter, und er wurde immer dünnhäutiger. Fast ganz zum Schluss wurde Peters Balkon erneuert.

Nun war der Baulärm unerträglich. Die Schlagbohrmaschine des Bauarbeiters legte ein durchdringendes Stakkato hin, die Wände wackelten. Peter hatte sich ins Bett gelegt, und den Kopf in den Kissen vergraben. Was sollte er nur tun? Er fühlte sich hilflos und jämmerlich. Da fielen ihm die Imaginationsübungen seiner Therapeutin wieder ein. Vielleicht würde es helfen - da diese ohrenbetäubende Bohrmaschine ja im Moment sein Feind war- sich vorzustellen, er sei diese Bohrmaschine. Vielleixht könnte er dann genug Mitgefühl mit ihr empfinden, dass sie ihn nicht mehr störte. Vielleicht wurde er dann sie. Das war auch eine Theorie seiner Therapeutin gewesen. Mit der Kraft des Gegners arbeiten und sie in sich aufnehmen, den Gegner mit seinen eigenen Waffen schlagen. Obwohl diese Theorie ihrer Mitgefühls-Theorie etwas widersprach. Viele sind heute der Meinung das darwin'sche "Surviving of the fittest" müsse mit "Überlebren des Anpassungsfähigsten" übersetzt werden, und nicht mit "Überleben des Stärkeren". "To fit" heißst "Sich anpassen", "hineinpassen". Vielleicht war es das. Aber kurz gesagt ging es Peter eigentlich nur darum, dass er diesen Lärm besser aushielt.

Peter Lorenz drehte sich im Bett auf den Rücken, und stellte sich vor, er wäre diese Bohrmaschine. Er übernahm innerlich ihr Tackern und Hämmern, spürte ihr Vibrieren, ihr hartes Auftreffen auf den Balkon und das rhythmische hervorschnellen des Bohrers aus der Plastikverkleidung. Er spürte dieses Vibrieren am ganzen Körper, und begann, zu empfinden, dass ihn das Bohren nicht mehr störte. Dazu stellte er sich vor, dass er auch äußerlich die Gestalt dieser Bohrmaschine annahm. Die Imaginationsübung wirkte, und dennoch merkte Peter beim in sich Hineinhorchen, dass er sich etwas vormachte. Das Bohren störte ihn immer noch. Nur, dass er jetzt selber glaubte, eine Bohrmaschine zu sein.

Da geschah etwas Unerwartetes. Ruckartig setzte der Bauarbeiter die Maschine ab, und hörte von einem Moment auf den anderen auf zu bohren. Peter war darauf nicht gefasst gewesen. Es riss ihn urplötzlich aus der selbstgeschaffenen Trance. Er schnellte im Bett empor...

Und dann geschah es.

Peter sauste durch die Luft, tuckerte und vibrierte. Aus Peters Plastikverkleidung schoss ruckartig immer wieder ein Bohrer hervor. Peter Lorenz hatte sich in eine Schlagbohrmaschine verwandelt. Er hopste durch sein Zimmer, flog unkontrolliert von Wand zu Wand, und riss mit seinem Bohrer Löcher in Wände und Schränke. Sein Nachbar, Günther Wagner, kam auf den Flur und rief: "Jetzt bohren bitte nicht auch noch sie, Herr Lorenz!". Peter wollte Günther etwas entgegnen und um Hilfe rufen, doch es kam nur ein "Rattattatatt" heraus. Wütend ging Günther wieder in seine Wohnung.

Peter hingegen flog immer noch von Wand zu Wand, und die Bohrmaschine in seiner Plastikverkleidung bohrte seine ganze Wohnung zu Klump. Er war verzweifelt. Es gab kein Zurück mehr. Da kristallisierte sich in dem Rest Menschlichen, das er noch in sich hatte, ein letzter Wunsch heraus: Den Feind, den Übeltäter, der ihm seit  fast drei Jahren das Leben zur Hölle machte, ausradieren. Peter versuchte, seine Flugrichtung zu steuern, und hüpfte auf sein großes Panoramafenster zu, vor dem der Bauarbeiter stand. Mit Wucht und einem lauten "Rattatatatt" krachte Peter durch seine Scheibe, und schlug seinen Bohrer in das Herz des Bauarbeiters auf dem Balkon. Von der Wucht getroffen, stürzten er und die Bohrmaschine Peter Lorenz in die Tiefe.

Unten, vor dem Haus, krachte Peter auf den Asphalt und zerbrach in tausend Stücke. Einen Gedanken hatte er noch, bevor er sein junges Bohrmaschinenleben aushauchte: " 'Surviving of the Fittest'  war weder besonders erstrebenswert, noch immer gegeben. Zweimal machte Peters Bohrer noch ein kurzes "Rattatatatt". Dann war es das.


Für Andrè Zimmermann


© by Patrick Rabe

(geschrieben am Donnerstag, den 7. Dezember.)

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.12.2023. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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