Lothar Krist

Der Liebe Mann im Mond.

 
(Eine zarte Ballade über das Koma-Saufen!
Ballade?
Was?
Wer schreibt denn heute noch Balladen?
Bitte! Balladen sind doch die Langeweile pur,
so weit ich das noch von der Schule weiß!
Nun gut! Also benennen wir sie halt (heimlich) um:
Gedicht- und Prosabastard (im engeren Sinne)
nennt sich heute das!
Man will eine Geschichte erzählen, aber auf eine (neue) Art und Weise, die in Prosaform ziemlich banal klingen würde, gleichzeitig ist jedoch das Gedicht seiner Kürze wegen ein völlig ungeeignetes Medium, und dazu liebt man dann noch „Gedichte“, also kehrt man zurück zur alten Balladenform. Man steckt sie aber in ein neues Kleid. Man lässt sozusagen im Hintergrund das Gedicht die Prosa „ficken“. Und außerdem: Wer meine Geschichten schon ein wenig kennt, der weiß ja schon, dass ich sowieso ein Bisschen komisch schreibe.
Ein Bisschen??? Hahahaha!
Also lieber gleich das volle Programm! Oder auch nicht!
EU! Egal! Die Hauptsache ist einzig und allein:
man unterscheidet sich!)
 
 
Der Mann im Mond liegt heute,
wie in einer Hängematte drin,
oben in seinem großen Bett,
dem Himmelszelt.
Die Nacht da droben ist sooo schwarz.
Man sieht die Sterne nicht.
 
Unten auf der Erde huscht eine ganze aufgeregte Stadt
in einem stinkend’ Lichtermeer von A nach B.
Und wer nicht schnell genug hinüber hetzt nach C,
der versäumt dann was in D.
Und von E,
wo es angeblich E viel besser war,
davon hat so mancher Nichts mehr mitgekriegt,
er ist schon zuvor erbarmiglich verreckt
in D.
 
Der Mann im Mond hat seine Äuglein zu.
Er scheint ganz brav zu schlafen.
Doch sieht man hin genau -
oder täuscht es mich?
Ich glaube fast,
er blinzelt!
Da! Ja! Ja! Da! Da!
Er schüttelt seinen Kopf sogar!
Und: Ich glaub’ es nicht:
„Wahnsinn! Wahnsinn!“
murmelt er ganz leise vor sich hin.
 
Da sehe ich es auch!
Im Haltestellenhäuschen,
da hockt auf einer Bank
ein Idiot sooo tot.
An seinen nackten Füßen hat er nur Sandalen an.
Bloß eine dünne weiße Sommerhose
ziert sein oberes Gebein.
Vielleicht kommt er ja von einem See?
Wer kann das heut’ schon wissen?
Der April Zweitausendundsieben
heizt gerade sommersommerschee!
 
Das dunkle Leibchen ist ärmellos und leicht zerfetzt.
Die dunklen Flecken sieht man kaum.
Ein blauer Fleck leuchtet weg
von der zerkratzten Haut an seiner Schulter.
Sein Kopf liegt schwer auf seinen Knien.
Mit den Armen hält er seine Brust
verzweifelt und ganz fest umschlungen.
 
Er stöhnt! Er ächzt!
Er aaahhht und ooohhht und uuuhhht.
Er wirkt so mehr als bloß erbärmlich.
Mit seinen Füßen steht er mitten
in seiner gelblich braunen Kotze drin.
 
Ich überlege:
„Was hat denn der wohl „angestellt“?“
Da hör ich,
wie der Mann im Mond zu mir herunter lacht:
„Haha! Na, was denn wohl?
Was ist bei dir, mein lieber Mensch,
da unten denn gerade gar so IN?
Ich wett’ mit dir, du Gutmensch du,
du weißt es nicht!“
 
„Ach, du lieber Mann im Mond,
ich bin zwar nur ein Mensch,
wenn auch ein Gutmensch nur,
doch ich bin KEIN Depp!
Bei Weitem nicht!
Ich wett’ mit dir,
du meinst,
ins Koma gesoffen hat er sich!“
 
„Haha! Ich seh’, du lieber Mensch,
du bist ja gar nicht mal so dumm!
Ja, ja! Das sicherlich!
Und ein paar so nette Drogen genommen
hat er auch!“
 
„Ja, ja, die Drogen!
Du lieber Mann im Mond,
du hast gut lachen!
Du bist ja so weit fort!
Ich jedoch, ich Gutmensch, ich,
ich stecke mitten drin in dieser meiner Welt!
Ich lache NICHT!
Ich weiß es gut genug!
Auch ich bin im Mund gerade
gar sooo wüstentrocken.“
 
Der O-Bus kommt!
Er flitzt gerade noch bei Grün
über seine Kreuzung.
Dann quietschen seine Bremsen laut.
Da fasst der Bursche sich ein Herz!
Sein Körper ruckt!
Sein Körper zuckt!
Er blickt endlich auf.
Sein Blick verixt sich mit der Straße.
 
Beide Augen blau!
Die Lippen aufgeschlagen!
Das viele Blut, es trocknet sich!
Er stemmt sich hoch.
Er schreit dabei!
„Arrrrhhhh!“ und „Grrrrhhhh!“
Er macht sich Mut!
Er sucht die letzte Kraft
in seines Leibes Irgendwo!
Sein ganzer Körper wird zum Lineal!
Ein erster Schritt ist Zeitlupe.
 
Ich steige in den O-Bus ein!
Da fällt der Junge
um!
`s macht: Bumm!
Und das Alles ohne seine Hände!
Der Asphalt wummt seinen Kopf in tausend Stücke.
Seine Nase biegt sich um die Ecke.
Die Lippen schwellen in Sekundenschnelle an.
Ein roter Saft verspritzt.
 
Da schließen sich die O-Bus-Türen.
Ich bin perplex! Wie angenagelt!
Ich sage also Nichts!
Ein schlechtes Gewissen hab’ ich selbst heut’
noch nicht!
Ich bin ja vielleicht doch
kein dummer Gutmensch nicht?!?
 
Und außerdem:
Seine Zeit war ja sowieso
so gutigutigutmenschgutigut zu ihm!
Man stelle es sich vor:
Seine Zeit hatte schon für ihn
ein Handy!
Ich tippe also Rotes Kreuz hinein!
Es hebt auch gleich wer ab:
 
„Ja, ja, genau! Ja, ja!
Ich brauche sie!
Es ist ganz dringend!
O-Bushaltestelle Neue Heimat!
Dort liegt vielleicht ein Toter!?“
………….
„Was?“
………….
„Nee!“
…………..
„Ja, ja!“
……………
„Es scheint: ein Koma-Patient!
Nee! Ich habe ehrlich keine Ahnung nicht!
Ich hab’ es nur vom O-Bus-Fenster aus geseh’n!
Auf den Kopf gefall’n ist er brutaliglich!
Ja, ja! Ganz sicherlich!
Ein Schädelbruch ist möglich!
Ja, ja, schnell, schnell!
Sonst stirbt er noch!
Der Arme!“
 
Da hab’ ich aufgelegt!
 
Und damit hatte es sich!
War Cool!
Was?
Oder etwa nicht?
Was soll’s?
Die Welt ist sowieso zu voll
von all so vielen Deppen!
 
Epilog:
 
Irgendwann dann unterwegs
hatte ich dann auf einmal doch
ein gar so schlecht’s Gewissen.
Da habe ich zum Mann im Mond hinauf geschaut
und ihn gefragt:
„Hey du! Wach auf! Was denkst?“
 
„Vergiss ihn!“
hat er zu mir gesagt.
Denk’ nicht weiter darob nach!
Es zahlt sich nicht mehr aus!
Ihr Menschen seid nun sowieso
wieder einmal für einen Denkzettel reif!
Weißt du, du mein lieber, lieber Gutmensch, du:
Ich frage mich in letzter Zeit so oft und immer öfter,
wieso ich hier heroben an Eurer Mutter Erde Einfallstor
für Euch die Wache halte!???
Ich schwitz’ mir
unter eurer heißen Sonne Einen ab!
Und frieren tu’ ich,
wenn ich keine seh’!
Mir ist dauernd heiß
und gleich darauf dann wieder eisig kalt.
Und das Alles für den Hugo?
Bin ich vielleicht der Menschheit letzter Trottel
oder gar Euer letzter Überschmäh?
Also, echt: Es scheint,
es wird wieder einmal Zeit für ein ordentliches
Sodom und Gomorrha!“
 
Und dann,
dann hatte ich auf einmal eine Vision:
 
Der Mann im Mond machte sich ganz dünn,
ja, so fast unsichtbar.
Selbst seine sonst so lange Nase zog er ein.
Ich habe ihn nicht mehr geseh’n!
Er hat sich in das schwarze Schwarz
des Himmels hinein verloren.
Doch ein and’rer heller Punkt
ist schnell ganz, ganz groß geworden!
Der Himmel stand in einem Flammenmeer.
Ein großer Meteorit,
der ihn sonst gesehen hätt’,
diesen sonst zu uns so lieben Mann im Mond,
der sauste einfach glatt an ihm vorbei.
Unser lieber Mann im Mond,
er hat ihn, wie sonst von ihm gewöhnt,
nicht abgefangen!
 
Das Neue Welthandelszentrum in New York,
es stand noch immer nicht!
Wie gut! Wie nett!
Da hat sich der Mensch eine Menge Geld gespart!
EU und USA! Also: Egal!
Der halbe Kontinent war hin!
Die Flutwelle vor London und Paris
war über hundert Meter hoch!
Als die Welle dann im Fernsehen kam,
da schaute Alles zu und auch noch blöd!
Kein Gutmensch glaubte es nicht gleich!
Und als sie dann begriffen hatten,
wui, da war es schon zu spät!
 
Ach nee! Du lieber Leser!
Ach, nee! Du liebe Leserin!
Du glaubst das Alles nicht?
Du glaubst an Dich!
Du glaubst, du kriegst noch Alles in den Griff?
Nun ja, ich weiß!
Also wetten, also wetten tu’ ich nicht!
Warten wir halt ab! Wir wollen sehen!
Und außerdem:
Es kann ja auch ganz anders gehen!
Ein wenig wärmer noch,
dann tut’s das viele Wasser
ganz alleine auch!
Zu Sodom und Gomorrha a la Meteor?
 
Also bitte,
gestorben wird nun da
und oder dort!
Wo siehst du da den Unterschied?
Du Gutmensch, du! Du blöder Mensch!
Mir scheint, du lernst es nie!
So steig doch endlich herab vom Podest
Deiner immer wieder gar so kranken,
ja, kranker und immer kranker werdenden
Gutmenschen-Philosophie!
Werde endlich Realist!
 
 
© Copyright by Lothar Krist (21.04.2007 von 22.45 – 02.40 Uhr im O-Bus und in Straßenbahn, und dann im Smaragd von Linz. Wer es nicht glaubt, der rufe bei der Rettung an! Wer weiß, womöglich bin ich nun sogar sein Mörder????? Ich weiß es nicht! Ich lese den Lokalkolorit ja nicht! Gott sei Dank!)
Seit diesem Gedicht weiß ich aber, und zwar mit absoluter Sicherheit, ohne dass ich das nun studiert hätte, dass es nirgendwo da draußen im Universum einen Planeten mit Leben darauf gibt, der nicht auch mindestens einen so braven Mann im Mond hat, der die größten Brocken auffängt, die da im Weltall herum fliegen, wie unsere liebe Mutter Erde. Das hat mir mein Dichterschwanz gesagt! Und der hatte bis jetzt immer Recht, so unglaublich es im ersten Moment auch immer wieder geklungen haben mag, und dies jetzt selbst für mich, der ich diesen irreirregeilen Irren in mir nun ja schon eine Weile kenne.
 
„wo es angeblich E viel besser war“ – eine zarte Anspielung auf die Einnahme von E, also Ecstasy, und darauf „spielt“ dann der liebe Mann im Mond ja auch „an“;
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.05.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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