Dieter Kamensek

Dienstag

Urlaub, endlich Urlaub. Wenn auch nur einige Tage!
An meinen ersten Urlaubstag ging ich – nach dem Frühstück – spazieren! Ich ging gerne spazieren; egal bei welchem Wetter! Es gab keinen bestimmten Platz, an dem mich meine Füße am liebsten führten. Mal ging ich hierhin, mal dorthin und auch mal woanders hin. Diesmal führte mich mein Weg zu einer alten Ruine mitten im Wald. Keine Burg oder ein sonstiges altes, ehrwürdiges Gebäude. Ein ganz normales, altes Steinhaus. Die Außenmauern standen eigentlich – wie bei den meisten Steinhäuserruinen - noch recht ordentlich, wenn auch an manchen Stellen Teile fehlten und so den Zugang zu diesen Gemäuer zuließen. Innen waren die Mauern durchlöchert, eingestürzt oder bedenklich geneigt. Gras, Farne und andere Pflanzen wuchsen im Inneren, Bäume und Sträucher waren die jetzigen Bewohner! Efeu verkleidete die Wände. Ich ging weiter hinein. Neugierig sah ich mich im hellen Sonnenlicht um. Es gab kein Dach mehr und so leuchtete mir die Sonne die Innenräume aus. Ich stöberte immer gerne in alten Gebäuden, bei Steinresten und Ruinen. Da setzte ich mich meistens hin und nahm die Eindrücke der längst entschwundenen Zeiten in mir auf!
Ich ging in den Räumen umher und hörte dabei dem Konzert der Vögel zu. Ich betrat einen Raum der den eigentlichen Vorraum darstellte. Die Türöffnung nach außen war größer als die anderen Öffnungen. Ich verweilte und sah mich ein wenig um. Ich sah die Zugänge zu den Räumen und auch eine Stelle die leicht eingesackt erschien. Obwohl im ganzen „Haus“  moosbedeckte Erde den Fußboden bildete, war diese eine Stelle ein wenig anders! Diese Stelle zog mich an, und wie einem fremden Zwang folgend, ging ich hin. Ich blieb stehen, blickte auf den Boden und trat fest auf. Mit einem dumpfen knacken brach etwas zusammen und gab den Blick auf einen dunklen Schacht frei. Anscheinend war ich auf eine Falltüre aus Holz getreten, welche brüchig und morsch, unter der Erde, den Zugang zum Keller behütete. Um zu sehen was ich nun entdeckt habe, bückte ich mich, reckte meinen Kopf hinunter,  kniete mich nieder, doch sah ich nichts. Eine scheinbar undurchdringliche Dunkelheit lauerte fast greifbar in dieser Kammer. So beschloss ich am nächsten Tag, entsprechend gekleidet und mit einer Taschenlampe ausgestattet, wiederzukommen!
Ich ging nach Hause. Mein Tag verlief wie immer und als es Zeit war mich schlafen zu legen wurde ich – aus mir unbekannten Gründen – unruhig! Doch schließlich schlief ich doch ein. In meinem Traum ging ich nochmals zu dem Haus und es war Nacht. Der Mond war halbvoll. Schatten tanzten im leichten Wind der Nacht. Das Rascheln der Blätter war die Musik dazu. Schatten, nicht greif- oder sehbar, nur aus dem Augenwinkel heraus erkennbar, schienen mich zu begleiten. Im Traum hatte ich das Gefühl, umkehren zu müssen, aber etwas schien mich zu ziehen, zu locken. Geflüster, Geraune, mich ständig begleitend, schienen meinem Geist geheime Dinge einzuflüstern. Der Wald erschien dunkel, unheimlich, fremd. Leuchtende Punkte blitzten in der Finsternis auf und verschwanden wieder, um erneut wieder aufzutauchen.
Ich fühlte in meinem Traum eine beginnende Übelkeit, ich fühlte Angst. Der Wind fing an klagende Laute in den Ästen der Bäume zu erzeugen! Da war ich nun in der unmittelbaren Nähe des Hauses. Die fensterlosen Öffnungen starrten mir gleich leerer Augenhöhlen eines Totenschädels entgegen. Feindselig und böse! Meine Beine gingen, ohne meinen wirklichen Willen, weiter. Ich näherte mich der Türöffnung. Ich spürte einen Sog, der mich in das Innere des Hauses schob.
Mit einem Schlag war alles ruhig. Kein Wind, kein Geraune, kein Knacksen, Knarren oder Rascheln. Ich stand da. Mir war kalt. Eisige Kälte kroch unter meine Kleider, machte meinen Atem sichtbar. Ich näherte mich nun vorsichtig dem Loch im Boden. Ich konnte nichts erkennen. Noch einen Schritt trat ich näher! Da nahm ich eine leichte – kaum wahrnehmbare Bewegung wahr! Ich starrte nach unten und glaubte einen Haarschopf zu erkennen. Da bewegte sich dieser Haarschopf und ein Kindergesicht blickte mich an. Kreideweiß, mit blau - roten Lippen, schwarzes Haar, und weißen, toten Augen umrahmt von dunklen Ringen. Todesflecken waren auf der Haut zu erkennen. Es blickte mich mit diesen toten Augen an. Der Mund dieses Wesens öffnete sich und ein gurgelnder – rasselnder Laut wurde hörbar. Die Zähne waren teilweise schwarz und das Innere des Mundes – wo sich normalerweise die rote Zunge befand, schien aus einer schwarzen schleimigen Masse zu bestehen. Ein süßlicher Gestank aus faulem Fleisch lag in der Luft!  Da streckte es die Hand in meine Richtung! Die Hand schien mir zu deuten, dass ich zu ihm kommen sollte!
Ich schrie auf und erwachte schweißgebadet in meinem Bett! Mein Atem flog. Ich schaltete sofort das Licht ein. Da schrie ich nochmals. Meine Füße waren voll Erde. Sofort sprang ich aus dem Bett! Ich rang nach Luft, tausende Gedanken blitzten in mir auf. Jeder dieser Gedanken suchte nach einer rationellen Erklärung! Ich sprang unter die Dusche und ließ das Wasser einfach laufen. Ich guckte nicht runter.
Nach einiger Zeit aber blickte ich hinunter und sah nichts als meine Füße und Wasser! Ich hatte mir sicherlich alles eingebildet. Ich versuchte langsam und tief zu atmen. Ich war wieder ruhig! Es war ein Traum- nur ein einfacher Traum.
Ich zog einen anderen Pyjama an und legte mich wieder schlafen.
 
Am nächsten Tag frühstückte ich – wie gewohnt! Ich lächelte als ich an den Traum von gestern dachte. Doch ich wollte nicht mehr zu dem Haus gehen. Trotzdem steckte ich mir eine kleine Taschenlampe ein. Man kann ja nie wissen!
Ich ging einfach wieder los! Da traf ich einen Bekannten, und rein „zufällig“ kamen wir auf das Haus zu sprechen. Er wusste nur- aus seiner schon etwas weit zurückliegenden Kindheit - dass es dort spuken sollte! Irgendetwas war einmal mit einem Kind, das in den Keller gesperrt worden sein soll – wie und was wusste er aber nicht! Während unseres Gespräches gingen wir, ohne uns dessen bewusst zu sein,  in Richtung des Waldes, wo das Haus, die Ruine stand. Als wir das Haus sahen, durchzuckte es uns beide. Er hatte leider keine Zeit mehr und ging, schnellen Schrittes, in die Gegenrichtung, davon.
Ich überlegte. Sollte ich mich von diesem Traum beherrschen lassen? Mich zum Sklaven meiner Angst machen?
Nein, sicher nicht. Ich wurde aber, je näher ich dem Gemäuer kam, langsamer, vorsichtiger.Ein schmaler Weg mit weicher Erde führte mich direkt zum Eingang. Ich blickte auf die Erde und sah die Abdrücke nackter Füße eines Erwachsenen. Mir lief eine Gänsehaut über den Rücken. Meine Blicke folgten den Spuren und ich sah, im Halbschatten des Hauses, den Umriss eines Menschen, eines Kindes. Es schien in meine Richtung zu schweben. Ich sah sprachlos auf das Etwas, das auf mich zuschwebte. Es war hell und dunkel gleichzeitig – so schien es mir; Ich hatte einmal etwas über Auras gelesen, genauso sah es aus!
Ich konnte meine Füße nicht mehr bewegen. Es kam näher. Ich schien förmlich das Unheimliche, Fremdartige und Jenseitige körperlich zu spüren. Kein Laut kam über meine Lippen. Ich stand nur so da. Da spürte ich wie eine Hand meine Schulter berührte, ich drehte mich um und schrie, schrie meine Angst heraus. Der Bann war nun gebrochen. Mein Bekannter, der mich kurz zuvor allein stehen ließ, war zurückgekehrt. Er hatte es sich anscheinend anders überlegt. Er sah mich an – fassungslos, mit weit aufgerissenen Augen, weiß und fast erstarrt. Ich blickte ihn wie ein Gespenst an, unfähig etwas zu sagen. Da blickte mein Bekannter über meine Schulter und wurde noch bleicher. Er zog mich und wir rannten davon.
Als wir – außer Atem, verstört, verschwitzt- stehen blieben, wollte keiner von uns beiden etwas zu dem Vorfall sagen. Wir verabschiedeten uns und gingen unserer Wege.
Zuhause gewann meine Vernunft wieder Oberhand! Ich genoss den Alltag, die Routine.  Schon bald tat ich alles als Hirngespinst ab. Der Tag verging.
Ich legte mich schlafen. Da begann wieder mein Traum. Wieder näherte ich mich dem Haus. Bald schon stand ich dort, vor dem Eingang zu meinem Alptraum. Ich sah nicht hinunter, ich spürte wie knöcherne, teilweise mit Fleischfetzten bedeckte Hände, meine Knöchel umfingen. Süßlicher Gestank drang in meine Nase. Da spürte ich weitere Hände, die mich hielten und nach mir griffen. Das Gemurmel und Geflüster wurde lauter. Der Gestank raubte mir schon die Sinne. Gesichter erschienen im dunkel der Kammer. Das Kindergesicht von gestern. Ein Mädchengesicht mit blonden Haaren und einer schrecklichen Schädelwunde. Auch sie hatte Leichenflecke und die Lippen schienen verdörrt. Ihre Augen hatten keine Pupillen. Das Gesicht eines anderen Kindes erschien. Dieses hatte einen zerfetzten Hals. Dessen tote Augen starrten mich ebenfalls an. Da hörte ich hinter mir so etwas wie die Stimme eines Erwachsenen – da verschwanden diese Gesichter. Ich drehte mich um und sah eine Gestalt, die nicht von dieser Welt war. Etwas absolut böses, fürchterlich abartig böses, stieg von diesem Wesen auf, und ich wusste, dieses Wesen war einmal der Peiniger dieser Kinder. Mir wurde schwindelig, mir wurde schwarz vor Augen. Ich erwachte wieder in meinem Bett. Obwohl ich gleiche Atemnot hatte wie gestern, ich verschwitzt war, vermied ich den Blick auf meine Füße. Ich schaltete auch nicht das Licht ein!
Ich drehte mich – mit unkontrollierbaren Herzrasen – in meinem Bett auf die Seite!
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.02.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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