Uwe Thomsen

Nie wieder nach Traben-Trarbach?!

Mein Bruder hat den Führerschein gemacht. Alter Opel Olympia wurde gekauft mit Lenkradschaltung und
Zwischengas. Vaters Traum: Einmal wieder Traben-Trarbach sehen, im Krieg war er dort stationiert,
wunderschön, immer und immer wieder vorgeschwärmt in den letzten 14 Jahren. Nun soll es losgehen.
Konditorei für 10 Tage geschlossen. Sommer 1959 super Wetter. Kein genaues Ziel. Irgendwo am  Rhein
soll für eine Woche die Unterkunft gesucht werden. Von dort dann Ausflug nach Koblenz und Traben-Trarbach. Mutter fuhr 1928 mit ihrer Schwester zum Rhein. Besuchte auch das Riesengebirge. Alles mit
dem Fahrrad, in Jugendherbergen wurde übernachtet. Unvorstellbar und tausendmal gehört.
 
Morgens um 9 Uhr Abfahrt in Pinneberg. Mit Mühe quer durch Hamburg zu den Elbbrücken und dann
auf die Autobahn. Grobe Richtung erst mal Bremen, Münster, Dortmund. Bruder fährt konstant mit 75 km/h wegen günstigem Benzinverbrauch. Ärgere mich über das langsame Tempo und stelle deshalb interessante
Verbrauchstheorie auf: Bei 75 km/h fährt man 100 km in einer Stunde und 20 Minuten, bei 100 km/h
fährt man nur eine Stunde. Der Motor würde nur eine Stunde laufen und deshalb weniger Sprit verbrauchen. Bruder bestreitet das vehement, kann es aber schlecht begründen. Vater scheint meiner Theorie nicht
abgeneigt zu sein (mein Freund) und hält zu mir. Bruder wird sauer und fühlt sich beim Fahren gestört.
Mutter hält meine Argumente für Quatsch und verlangt Ruhe. Andernfalls könne ich in Bremen aussteigen und mit dem Zug allein zurückfahren. Ich bin lieber ruhig.
 
Das alte Auto hat eine Wasserkühlung, die bei längeren Steigungen schnell zu Kochen anfängt. Im Auto
geht dann ein Temperaturanzeiger in einen roten Bereich. Die ersten Probleme treten bei Osnabrück und
am Rande des Teutoburgerwaldes auf. Nach einer kurzen Pause können wir jeweils weiter fahren. Am
Dortmunder Kreuz mache ich den Vorschlag, über Oberhausen und Duisburg zu fahren: keine
Steigungen. Doch mein Bruder setzt sich mit dem Argument des kürzeren Weges (Benzin) durch.
In Wuppertal kocht unser Auto, man kann kaum noch etwas sehen, wir retten uns auf einen Parkplatz.
Ich muß mit einem Eimer irgendwoher Wasser holen, doch noch kann man die Motorhaube nicht
anfassen. Nach 2 Stunden können wir weiterfahren. Meine Mutter untersagt mir jeden Kommentar.
 
Gegen 20 UIhr treffen wir südlich von Koblenz in Boppard ein.Quartiersuche beginnt. Gasthof oder gar
Hotel ist zu teuer. Mein Bruder (Geizhals mit Spürnase) findet Unterkunftmöglichkeit in einer Schlachterei.
 Ich weigere mich, kann kein Blut sehen. Doch die Schlachterei hat Betriebsferien und deshalb werden
in dieser Zeit die Zimmer des Personals als Ferienunterkunft vermietet. Billig. Ich kann es nicht ändern:
Ein Zimmer für meine Eltern und ein Zimmer für meinen Bruder und mich. Im ganzen Haus riecht es nach
Schlachterei, aber was ist schon dabei. Mein Vater holt morgens freiwillig die Brötchen, damit er bei der
großen Hitze schon mal ein Bier oder  Buttermilch trinken kann. Der Sommer 1959 war so heiß, daß
man am Tag nur nach Schatten suchte. Nachts konnte man nicht schlasfen, denn die Zimmer lagen unter
dem Dach und waren von der Sonne auf 33 Grad  vorgewärmt.
 
 Nach einer Woche Boppard in dieser großen Hitze und mit dem schlechten Schlaf waren wir alle
genervt, müde und schlapp. Doch der Höhepunkt der Reise stand uns ja noch bevor. Es wurde
beschlossen (von meiner Mutter und meinem  Bruder), am vorletztem Tag nach Traben-Trarbach zu
fahren, die Stadt anzusehen, in der Nähe zu übernachten und dann die Heimfahrt zu starten.
Von Boppard kann man
a) am Rhein entlang nach Koblenz und dann neben der Mosel      oder
b) direkt durch die Weinberge (kürzer) nach Traben-Trarbach fahren.
Ich habe mich an der Festlegung der Fahrtroute nicht beteiligt.
 
Nach dem Frühstück wurde eingepackt, in schon großer Hitze gestartet und um 13 Uhr standen wir
irgendwo i n den Bergen um unser kochendes Auto herum. Diesmal war es komplizierter, denn auch
nach 2 Stunden Abkühlung war klar, daß wir mitten in den Bergen steckten und nach kurzer Weiterfahrt
ein neues Kochen drohte. Mein Bruder war für Abbruch der Fahrt gen Traben-Trarbach, abwarten bis
zumkühleren Abend und dann Antritt der Heimreise in der Nacht. Mein Vater wagte zu sagen (und das
war für ihn eine große Leistung), diese Fahrt wäre doch erstmals seine Reise, quasi für ihn gemacht mit
dem Ziel, seine schönen Erinnerungen aufleben zu lassen. Ich pflichtete ihm vehement bei, man könne
doch nicht 20 km vor dem Ziel umkehren. Wir sollten den frühen Abend abwarten und dann wie
besprochen nach Traben-Trarbach fahren. Da meine Mutter sich ungewohnt ruhig verhielt, mußte
mein Bruder unter Protest weiterfahren.
 
Ea kam, wie es kommen mußte.Nach 10 km war eine weitere Pause nötig, mein Bruder zeterte rum,
mein Vater war genervt und meine Mutter ungewohnt ruhig. Es wurde langsam dunkel, wir hatten nichts
gegessen und nur weig getrunken, es wurde gemeckert und geschimpft, -diese blöde Fahrt- sagte mein
Bruder. Um 21.30 Uhr fuhren wir über die Moselbrücke zum Ortsschild Traben-Trarbach. Jetzt kannst
du sowieso nicht mehr viel von dem Ort erkennen, meinte mein Bruder. Wir können ja irgendwo
übernachten und sehen uns den Ort morgen früh an, schlug ich vor. Am Mittag in der Hitze fahre ich
nicht nach Hamburg, so mein Bruder. Mein Vater war der Verzweiflung nahe.Willst du nun Traben-
Trarbach sehen oder nicht, fragte meine Mutter mit komischer Tonlage, -deinetwegen- sind wir doch
hier, mich interesssiert Traben-Trarbach nicht. Ich war zu jung und zu blöd, anstatt ihn aus dem Auto
zu ziehen und mit ihm in den Ort zu schlendern, ließ ich sprachlos zu, daß mein Vater die
Verantwortung für die Reise zurückwies und erklärte, er müßte Traben-Trarbach auch nicht
unbedingt sehen, wir könnten ruhig vor dem Tor umdrehen und zurückfahren. So geschah es!
Jeder wird verstehen, daß aus mir nicht der große Frauenverehrer geworden ist, obwohl ich
es so gerne wäre. Knuspi, verzeih mir.
 
Wir fuhren zum nächsten Rastplatz. Nebenan war eine Wiese. Im Scheinwerferlicht bauten mein
Bruder und ich unser Minizelt auf, mit dem hatten wir 17/14-jährig Fahrradtouren gemacht, es paßte
normal nur für 2 Leute, aber todmüde krochen wir vier irgendwie alle rein. An Umdrehen war nicht
zu denken und von meiner Mutter allen verboten worden. Mein Bruder bräuchte dringend Schlaf,
er müsse uns ja morgen nach Hause fahren. Um 5 Uhr früh hielt es mein Vater nicht mehr aus. Mit
dem denkwürdigen Satz:"Wenn ick mi nich umdreihen dörff, bliev ick doot." wurde ein einmaliges
allgemeines Wenden eingeleitet.
(Hochdeutsch: Wenn ich mich nicht umdrehen darf, sterbe ich.)
 
Am nächsten Morgen wurde ich durch Kinderlachen und eine fremde Sprache aufgeschreckt. Ich
weckte die anderen. Als wir aus dem Zelt krochen, lachten sich 20 Zigeuner halbtot. Sie hatten in
mehreren Wohnwagen übernachtet. Wir packten unsere Sachen und reisten heim.            
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.11.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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