Heinz-Walter Hoetter

Die Prothesensammlerin

Science Fiction Horror

von

Heiwahoe


 

***


 

 

 


Draußen war es noch dämmerig. Die Kirchturmuhr schlug gerade vier Uhr morgens. Fahl weiße Nebelschwaden hingen zwischen den Häusern der Stadt und kein einziger Laut war zu hören.

In einer kleinen, schäbig aussehenden Nebengasse stand ein altes Haus mit schmutziger Fassade und schmalen Fenstern, wo oben in einem der Zimmer im 2. Stock gerade das Licht eingeschaltet wurde.

Eine junge Frau verschloss kurz darauf eine ziemlich überladene, reich verzierte, rotbraune Vitrine, bevor sie die weinroten Samtvorhänge wieder vollständig vor die geschliffenen Glasscheiben zog.

Stella Born stand noch lange vor der Vitrine. Ihre dunkel glänzenden Augen starrten die ganze Zeit wie gebannt auf das alte Möbelstück, das aus ganz bestimmten Gründen extra in einem kleinen separaten Zimmer in ihrer Wohnung stand.

Plötzlich ging ein Ruck durch den schlanken Körper der hübschen Frau, wobei gleichzeitig ein befriedigtes Lächeln über ihren roten Mund huschte. Dann zog sie sich zurück in ihr Schlafzimmer, zog sich aus, legte sich schlafen und dachte daran, dass das Warten bald ein Ende haben würde.

***

Stella Born hatte in dieser Stadt so gut wie keine Freunde. Es gab nur wenige Menschen, mit denen sie hin und wieder flüchtig verkehrte. Tagsüber arbeitete sie allein als Verkäuferin in einem Kiosk außerhalb der Stadt in der Nähe eines großen Flughafens. Dieser Job war genau auf sie zugeschnitten.

Doch sobald sie mit den Notwendigkeiten ihrer Arbeit fertig war, kehrte sie in ihre Wohnung zurück, zog alle Vorhänge zu und verbarg auf diese Weise die Sicht nach drinnen und draußen, sodass in den Räumen ein dämmeriges Licht herrschte. Dann ging sie hinüber in den separaten Raum, wo die alte Vitrine stand, schaltete die silbrig glänzenden Kerzenleuchter links und rechts davon ein, welche ein seltsam eigentümliches Licht verstrahlten, das in der Tat irgendwie beklemmend wirkte, fast wie in einem Leichenschauhaus.

Aus einem geheimen Versteck holte die junge Frau, so wie sie es immer tat, einen dreieckigen Schlüssel hervor, schob die weinroten Samtvorhänge zur Seite und öffnete mit dem seltsam geformten Ding die Vitrine, dessen geschliffene Glasscheiben mit einem leisen Surren zur Seite glitten. Anschließend griff sie nach einer der vielen schwarzen Kugeln, die dort fein säuberlich platziert waren, schob sie durch die Vagina in ihren Unterleib und wartete eine Weile ab, bis der runde Gegenstand seinen Bestimmungsort erreicht hatte. Dann verschloss sie die Vitrine wieder sorgfältig und verließ den kleinen Raum.

***

Einmal im Monat, meist samstags, zog Stella Born, besonders zurechtgemacht, bis spät in die Nacht los, um mit einer bestimmten Art von Männern Bekanntschaft zu machen, die für sie von nahezu elementarer, lebenswichtiger Bedeutung waren. Aus diesem Grunde tauchte sie auch nie zweimal in den von ihr ausgewählten Lokalen oder Bars auf. Auch veränderte sie immer wieder ihr gesamtes Erscheinungsbild, denn niemand sollte wissen, wer sie wirklich war.

In abwechslungsreicher, stark weiblich betonter Aufmachung zog Stella Born stets genau jene Blicke der begehrlich interessierten Männer auf sich, die sie ebenfalls vorrangig bevorzugte. Die Auswahl war jedes mal mehr als genügend.

An diesem Samstag hatte sich die junge Frau eine kleine, aber sehr gut besuchte Bar in der etwa 45 Kilometer entfernten Nachbarstadt ausgewählt. Obwohl sie eine strikte Nichtraucherin war, suchte sie sich grundsätzlich gerne starke Raucher aus, immer in der Hoffnung, unter diesen Männern zusätzlich überraschende, verborgene Gegebenheiten zu entdecken.

Schon bei den ersten sich anbahnenden Gesprächen fand Stella Born schnell heraus, ob sich ihre Hoffnungen und Vermutungen als richtig oder falsch erwiesen. Sie verstand es einfach hervorragend, ihre Eroberungen zielstrebig auszukundschaften, um sie danach zu überreden, mit ihr ein Gläschen mehr als nötig zu trinken.

Die meisten Männer ließen sich nur allzu gerne von ihr dazu überreden, manchmal ging das sogar schneller, als ihr lieb war, denn sie musste auf jeden Fall vorsichtig sein, um kein Aufsehen zu erregen. Alles musste ganz normal aussehen, so wie es unter den Menschen eben allgemein üblich war.

***

Etwas später.


 

Der Mann am Klavier machte gerade eine Pause, als Stella Born auf der gegenüberliegenden Barseite einen etwas älteren Herrn bemerkte, der gelangweilt auf seinem Hocker am Tresen saß. Sie beschloss sofort, ihm deutliche Signale zu senden. Mittlerweile wurde die Luft im Raum immer rauchiger, sodass der jungen Frau die Augen weh taten. Aber sie ließ sich nichts anmerken und konzentrierte sich auf ihr baldiges Opfer.

Plötzlich erhob sich der Mann und steuerte direkt auf sie zu und zeigte Interesse an ihr.

Der Unbekannte hatte einen gut geschneiderten, beigefarbenen Anzug an. Sein Gesicht war gebräunt, seine Haaren grau meliert. Er machte auf Anhieb einen sehr sympathischen Eindruck auf die junge Frau. Nur die rechte Hand steckte in einem schwarzen Lederhandschuh, was darauf hindeutete, dass er eine Prothese trug. Stella Born durchfuhr sofort ein leichtes Zittern. Bingo, dachte sie für sich und lächelte ein wenig lasziv bei diesem Gedanken.

Dann stand er direkt vor ihr, stellte sich bei ihr höflich vor und lud sie sogleich freundlich zu einem Drink ein. Sie nahm seine Einladung natürlich dankend an und stellte sich ebenfalls vor. Sein Name war übrigens Georg Fischer.

Im weiteren Verlauf des Abends erzählte ihr neuer Bekannter, dass er zurzeit beruflich als Geschäftsführer eines großen Supermarktes tätig sei und mehrere Jahre seines Lebens in Asien gearbeitet hatte. Auch berichtete er davon, dass er vor einigen Jahren einen schweren Flugzeugabsturz mit seiner Privatmaschine überlebt habe, wobei er seinen rechten Unterarm verlor. So ging das den ganzen Abend weiter und Stella Born wusste schon bald, dass er ihr noch heute Nacht ins Netz gehen würde.

***

Der Barraum hatte sich inzwischen fast geleert, als Stella und Georg leicht angeheitert noch einige Male zusammen tanzten, bevor sie gemeinsam das Rauch geschwängerte Lokal verließen.

Es ergab sich schon fast von selbst: Stella lud ihren neuen Freund zu sich ein.

Georg war von dieser schönen Frau und ihrem vielsagenden Angebot sofort angetan. Wie sehr hatte er als behinderter Mann, der bereits das fünfzigste Lebensjahr überschritten hatte, sich so eine schlanke, intelligente und noch dazu sehr gutaussehende Frau gewünscht? Er verspürte einen zunehmenden Drang, noch heute Abend Sex mit ihr zu machen.

Angeregt kamen die beiden schließlich in Stellas Wohnung an. Georg war von der geschmackvoll eingerichteten Wohnung seiner neuen Bekanntschaft angenehm überrascht. Alles war bis aufs Kleinste aufeinander abgestimmt, fast so, als hätte jemand alle Möbel bis auf den Millimeter genau in Beziehung gebracht. Lediglich auf die seltsamen Bilder an den Wänden konnte er sich keinen Reim machen. Obwohl seine Kunstkenntnisse nicht die schlechtesten waren, fand er die bildlichen Darstellungen menschlicher Körperteile, die sich in sehr skurrilen Formen darstellten, doch überaus befremdlich. Einzelne Augen schienen den Betrachter von den Bildern runter regelrecht zu verfolgen.

Stella Born lächelte vielsagend, als sie bemerkte, dass ihr neuer Freund ein nachdenkliches Gesicht machte und ihre Bilder dabei anstarrte, enthielt sich aber jeder Erklärung dazu. Sie nahm Georg jetzt einfach an die Hand und zog ihn rüber ins Wohnzimmer, tranken gemeinsam Kaffee und sahen sich dabei verliebt in die Augen. Georg beschloss daher, alle weiteren Aktivitäten seiner neuen Freundin zu überlassen, lehnte sich entspannt nach hinten mit geschlossenen Augen und genoss die Küsse und die aufregende Fummelei seiner neuen Geliebten an seinem steifen Glied, das aus der halb geöffneten Hose heraus ragte und hart wie ein Stück Holz geworden war.

Dann war es nur noch eine Sache von wenigen Augenblicken, bis beide im Bett lagen und ihre nackten Körper aneinander schmiegten. Georg war dankbar für jeden Moment, den er mit Stella auf diese faszinierende, erotische Art und Weise verbringen konnte. Während er tief in sie eindrang, flüsterte sie ihm die verdorbensten Dinge ins Ohr, die man sich vorstellen konnte. Für eine Weile versank die Welt für die beiden ringsum vollständig, sodass sie weder Zeit noch Raum fühlten. Sie spürten nur sich selbst.

***

Als Georg wieder aufwachte, es mochten wohl mehr als vier oder fünf Stunden vergangen sein nach dem Liebesakt, befand er sich nicht mehr im Bett seiner Geliebten, sondern irgendwo in einer dunklen Kammer. Völlig nackt saß er auf einem sich metallisch anfühlenden Boden. Sein Körper zitterte die ganze Zeit wie Espenlaub.

Angestrengt lauschte er in die Stille hinein. Erst jetzt bemerkte er, dass seine Handprothese fehlte. Eine unbestimmte Angst kroch in ihm hoch. Seine Gedanken kreisten um die Frage, was hier eigentlich los war.

Auf einmal wurde eine kleine Klappe über seinen Kopf geöffnet und das Gesicht von Stella wurde sichtbar.

Ihre Stimme klang plötzlich ganz anders, nicht mehr so schmeichelnd sanft wie in der Bar und später in ihrer Wohnung beim Sex, sondern rau und unpersönlich.

"Entschuldige, aber was soll ich sagen, lieber Georg? Du hast mich in der Tat auf zweierlei Art glücklich gemacht. Ich hatte einerseits wirklich guten Sex mit dir und andererseits spendest du mir gleich mit den Überresten deines Körpers wieder Leben. Weißt du eigentlich wo du dich gerade befindest? Ich habe dich in einen speziellen atomaren Materieverdichter gesteckt, der dich gleich zu einer kleinen schwarzen Kugel pressen wird. Es kommen noch einige weitere, wichtige Substanzen hinzu, die ich zusammen mit dieser fantastischen Maschine aus meinem havarierten Raumschiff retten konnte, bevor es schließlich für immer im Meer versank. Ich konnte auch noch ein automatisches Notsignal absetzen, aber es wird noch etwas dauern, bis meine Leute kommen und mich von hier wegholen werden von diesem Müllhaufen Erde. Sie sind mittlerweile schon unterwegs, wie ich denke. Bis zu meiner Rettung muss ich mich allerdings zwangsweise mit einer ganz bestimmen Art von Bio-Energie versorgen, die ich nur aus höher entwickelten Kreaturen gewinnen kann. Dazu gehört nun mal auch ihr, eine Kreatur, die sich so hochtrabend als Homo sapiens sapiens bzw. Mensch bezeichnet. Euer Gehirn ist eigentlich nur ein kranker Wasserkopf, weiter nichts. Aber insgesamt seid ihr für mich sehr reich an wertvollen Elementen und Stoffen, die man eigentlich überall im Universum findet, z. B. Kohlenstoff. Ach ja, deine Handprothese nehme ich übrigens als Souvenir mit, sozusagen als Andenken für meine Zeit hier auf eurem unterentwickelten Planeten Terra. Und schreie bitte nicht so laut, wenn du zusammen gepresst wirst. Es hat sowieso keinen Sinn, Georg. Hier hört dich keiner. - So, ich schließe jetzt die Klappe und schalte den Materieverdichter ein, der sich übrigens in einem alten, verlassenen Bergwerk befindet, wo ihn kein Mensch finden wird. Wenn meine Rettungscrew da ist, verschwindet auch dieses Ding von hier. Ich freue mich schon darauf, dich bald als Energiekugel in meinen Händen zu halten, mein Guter. Du sicherst mein Überleben damit, jedenfalls für eine bestimmte Zeit. Ich bin dir wirklich zu großem Dank verpflichtet, mein Freund. Ich werde immer an dich denken, wenn ich dann wieder bald Zuhause sein werde. Ach so, was ich noch sagen wollte. Deine Handprothese bekommt einen Extraplatz in meiner Sammelvitrine, weil sie mir besonders gut getan hat, als du mich damit befriedigt hast. So, jetzt mache ich aber Schluss! Ich muss den Prozess der Verdichtung endlich in Gang setzen. Ende der Vorstellung, mein kleiner Perversling. Wusste gar nicht, dass man mit einer Handprothese so gut ficken kann."

Starr vor Angst versagte die Stimme von Georg Fischer. Er konnte nicht schreien, weil der Schrei wie ein trockener Klos im Hals stecken geblieben war. Panik kam in ihm auf. Er begriff auch nicht, wie ihm geschah, als sich die Kammer mit einem Gas zu füllen schien.

Kurz darauf fiel die geöffnete Klappe mit einem dumpfen Knall zu. Ein knirschenden Geräusch verriet, dass Stella sie verriegelte. Nur wenige Sekunden später wurde der Körper von Georg Fischer von ungeheuren Gravitationskräften zusammen gepresst und mit einigen anderen zugeführten Stoffen zu einer kleinen schwarzen Kugel geformt, die schon bald durch eine qualmende Öffnung des Materieverdichters in die Hände der jungen Frau fiel, die ein außerirdischer Cyborg war und aus einer anderen Galaxie kam. Hier auf der Erde musste Stella eine menschliche Gestalt annehmen, um überhaupt unauffällig überleben zu können.

Nun, nach irdischer Zeitrechnung würde der weibliche Cyborg Stella Born noch etwa ein Jahr warten müssen, bis das Raumschiff mit ihrer Rettungsmannschaft endlich die Erde erreicht haben würde.

Was aber ist schon ein Jahr Wartezeit angesichts der Tatsache, dass sie bereits seit 120 Jahren auf ihre Rettung wartete? Alles braucht eben seine Zeit, denn ihr Heimatplanet befindet sich Lichtjahre von der Erde entfernt in einer anderen Galaxie. Aber das Warten hat sich gelohnt.

 

ENDE

 

(c)Heiwahoe

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.07.2023. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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