Burckhardt Fischer

Etwas Blei zum Gerücht

Etwas Blei zum Gerücht

Ich war aus meiner Gruppe ausgezogen, weil U. unseren Klaus unbedingt heiraten wollte, und wir hatten doch alle einen Tripper von ihr. Die Flügeltüren unserer Berliner Wohnung wurden verschlossen, und der Raum zu eng für mich.
Die Herzensangelegenheiten standen bestenfalls unentschieden – durch meinen Wegzug der alltäglichen Begegnungen beraubt. Schwer lastete auf mir die Frist, in der ich das Thema meiner Diplomarbeit formulieren musste. Nichts tat ich.

Nach dem Seminar wand ich meine Schritte also nicht Richtung Moabit, sondern ging, stromerte den alten Weg: vorbei an den Auslagen der Kunstbuchhandlungen, zur Post, um den schmalen Rest meines Wechsels zu Barem zu machen, beiläufig zu den Antiquariaten in der Knesebeckstrasse. Auch in der Nachbarkommune war niemand, T. eilte vorbei, schwanger, rauchend, saufend, und rief mir zu, daß M. nach Paris gereist sei auf der Suche nach ihrem verflossenem lover, und meine umschwärmte Eisverkäuferin bei Berkel, von der ich wusste, daß ihr Vater jüdischer Jockey in Athen sei – warum in aller Welt verkauft man dann Eis hier? – kühl, geschäftsmäßig, trotz aller Umarmungen. Verkaufte Eis. Ich landete bei Marga Schöllers Bücherstuben Grabbelkiste.

Im Modernen Antiquariat lag ein Krimi, 1,- DM, Scherz.

Trödelte zurück zum Bleibtreu, auch da allein.. Saß und trank, schaute durch die erworbenen Bücher, las.


Ernest Bornemann: Stumme Zeugen.......

Die gleiche , achtmal, nein: neun. Mit jeder Episode dreht sich die Geschichte, der Erzähler: neue Facetten wachsen hinzu. Beiläufige Anmerkungen gewinnen Bedeutung, verlieren sich wieder. Im Strudel der Geschehnisse treiben die Figuren dem bang entgegen. Cameron McCabe, er stirbt.

Sein Bericht wird seziert nach allen Regeln der Kunst: ist es Literatur, ist es Lüge? Ist es die Sprache der Zunft, der Heimatlosen, des Schmelztiegels, oder Absicht, Verschleierung? Beständigkeit im Haltlosen, oder der Verlust aller Moral, aller Verlässlichkeit?

Bornemann, man ahnt es, weiß es, geleitet uns durch die Orte seines Londoner Exils, die Szenarien, in die er als jüdischer Emigrant geraten. Er breitet uns sein Leben aus, beiläufig, seine Wege, seine Orte, seine Hoffnungen, das Verrinnen der Zeit. Ich bin mir sicher: man hätte jeden Platz gefunden, jede Figur, die er einbindet in ein kriminales Geschehen, Fiktion oder Wirklichkeit? Noch ist es Film, der Krieg folgt. Am Ende – ermattet schon von der ausführlichen Klarheit der Anamnese, begegnet uns das Weib, um das sich alles dreht: ein Satz, und jede Gewissheit verfliegt!

Ich habe meine Diplomarbeit so geschrieben, gemäß diesem Schema. Es war summa cum laude, immerhin, bis eben auf die fehlende Gewissheit. Das führte zum Punktabzug.


Die Abendnachrichten meldeten: Ulrike Meinhoff gefasst. T. weinte.

Da Vater jetzt tot war, ging ich Mutter manches Mal zur Hand, auch wenn es weit war. Ich blieb den Montag, um den Damen Kaffee und Kuchen zu servieren Ihres Volkshochschul-Literaturkurses, den sie leitete bis ins hohe Alter, und der mit Rücksicht auf die Trauerzeit diesmal in ihrem Haus stattfand. 8 bis 10 gestandene Damen um die Siebzig, ein Herr, dieser stockesteif, würdevoll, stumm. Sex im Drama.
Dabei auch, natürlich, B., die Schuhverkäuferin, deren Haus voll hing mit Expressionisten, die sie über den Krieg gefüttert hatte – die Maler natürlich – und die als einzige Kinderschuhe herausgegeben hatte vor der Währungsreform an meine Mutter, die über 600 km geflüchtet war mit 3 kleinen Kindern, zu Fuß. Sie war Meinhoff`s Patin, und wir waren ihr freundschaftlich und dankbar verbunden.
Heute waren die Damen nicht befasst mit ihrem Thema, sondern verfassten einen Offenen Brief, der mir in die Tasten diktiert wurde, ungefähr des Inhalts: Nun habt Ihr sie! Haltet inne mit der Hatz, bedenkt, daß es junge verirrte Seelen sind. Und ein wenig auch, warum vielleicht sie auf diesen Weg geraten sind... und was wir dazu getan haben mögen, vielleicht! Ich glaube schon, daß die gesamte Truppe einzig und allein nicht aus der ehrwürdigen Volkshochschule geschmissen wurde, weil mein Vater ihr Gründungspräsident gewesen war nach dem Kriege.... Weitere Kurse jedoch folgten nicht mehr, nach all den vielen Jahren, und erschienen ist es nicht.

Ich aber hatte es eilig, noch nach Berlin zu kommen, warf den Brief bei der Redaktion ein und lenkte auf die Autobahn. Später, als ich in der langsam hereinbrechenden Dunkelheit den geliebten, endlosen Alleen der B5 folgte, drehte ich - müde geworden -am Radioknopf und geriet in einen Kommentar ungefähr des Inhalts:
Nun also habt Ihr sie! Haltet inne mit, bedenkt, daß es junge verirrte Menschen sind. Und ein wenig auch, warum vielleicht sie auf diesen Weg geraten sind... und was wir dazu getan haben mögen, vielleicht! Und welche Verantwortung wir jetzt haben. Prof. Dr. Ernest Bornemann.
Dem ondit nach ist es eine Verwechslung gewesen: der WDR hatte den Frühkommentar verabredet mit einem stockkonservativen Psychater gleichen Namens, der im Westdeutschen wohnte, und UNSEREN Bornemann frühmorgens unvorbereitet aus dem Bett gerissen und ihm telefonisch diesen Stegreifkommentar entlockt, dessen Wiederholung ich aufgesessen war. So las ich es nächsten Tags.

Unserem Bornemann ist es nicht gut bekommen. Die Presse, die Drähte glühten, ihm wurde die Aufenthaltsgenehmigung für seine österreichische Wahlheimat entzogen. Bei der Zwangsräumung seiner Bibliothek habe er einen Herzinfarkt erlitten, war zu lesen.


Ernest Bornemann begegnete mir noch ein weiteres, ein Drittes Mal. Ich hatte mich aufgemacht zum Bahnhof, um zur Beerdigung meiner Mutter zu fahren.

Vom Büro aus ging ich zu Fuß, um mit mir eins zu werden. Am Steinplatz, meinem Lieblings-Kiosk genau vor dem Kino, gegenüber HdK und Mensa, kaufte ich noch Reiselektüre. Mein Blick fiel auf eine Riesen-Schlagzeile: Sex-Papst vergiftet - sich, und kleiner Junge (Bild) Geliebte lief weg, und noch kleiner: Professor Dr. Bornemann. Und ein Dosssier über Bornemann, Liebe, Sex und Tod. So habe ich zum ersten und einzigen Male in meinem Leben Bild gekauft: Mittwoch, 7.Juni 1995, 70 Pf unabhängig – überparteilich, Berlin – Rudi, verzeih!

Es bleibt nicht viel von so einem Leben, sagte schon Bach`s Witwe beim Schütteln der Brieftasche.

Good bye, mama!

Vom Himmel fiel strahlender Sonnenschein – Sterbewetter. Wie manches, jedes Mal dann.

Originaltitel:
Cameron McCabe: The face on the cutting-room floor, London1937
Deutsch: Ernest Bornemann: Stumme Zeugen lügen nicht.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.09.2023. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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