Rolf Hoss

Der Aktionär

Aktien und deren Einfluss auf die erschreckende Suizidstatistik

Manchmal ist es mir ein inneres deutliches Bedürfnis auf die ökonomischen Geschicke dieser Welt einen erheblichen Einfluss aus zu üben.

Wenn ich es recht überlege, begann diese Periode schon mit der Empfangnahme des ersten, erkämpften Taschengeldes.

Die Jahre sind fast spurlos an mir vorübergegangen, ich empfand es nun an der Zeit, mich dem Aktiengeschäft, mit aller gebotenem Aufmerksamkeit zu widmen.

Na ja, um der Wahrheit ein wenig Ehre zugestehen, ich war es leid am Stammtisch ausgegrenzt zu werden.

Mich an den wichtigsten und dramatischen Diskussionspunkten unter Freunden immer nur wieder zum „Bierholen“ schicken zu lassen.

Ja, wie sehr konnte ich es meinem kleinen Nachbarjungen nachfühlen, der verstossen von allen, einsam seinen Weg ging, nur weil es ihm versagt wa,r täglich die Sesamstrasse zu verfolgen.

Diese schmerzhafte Isolation von der übrigen Bevölkerung musste unverzüglich ein Ende haben.

Der Kauf von hochqualitativen Wertpapieren will sehr gut vorbereitet und überlegt sein.

Es folgte eine zweijährige Vorarbeit.

Siebzehn Fachillustrierte, zwei Wirtschaftszeitungen, in insgesamt vier Sprachen, wurden abonniert.

Abgesehen von der verdammt kostspieligen Wirtschaftsliteratur, immerhin cirka 17 Bände per Monat, boten die täglichen Wirtschaftssendungen im Fernsehen eine reiche Informationsquelle für den zukünftigen Reichtum.

Ich erachtete es als völlig nebensächlich, wenn die Wohnung, zwei extra hierfür angeschaffte Gartenhäuser und Garagen als Wirtschaftsbibliothek dienen mussten.

Genaue finanzielle Erwägungen liessen es eh angesagt sein, neben einem gut erhaltenen Damenfahrrad, auf weitere Fahrzeuge irgendwelcher Art zu verzichten.

Der kurz bevorstehende Reichtum lässt diese banalen Kleinigkeiten in den Hintergrund treten.

Der Tag kam.

Analysten von neunundzwanzig Banken und meine eigenen fundierten unerschütterlichen Kenntnisse liessen es angebracht erscheinen umfangreich zu investieren.

Ich kaufte eine Aktie der Deutschen Telekom AG.

Zum Geburtstag die zweite und Weihnachten gar eine dritte.

Der Wert der ersten Aktie hatte sich zum Geburtstag bereits halbiert, dafür erhielt ich die Weihnachtsaktie zu einem Spottpreis.

Merkwürdig, fand ich auch, dass die Freunde am Stammtisch immer weniger, fast nie mehr, Aktien zum Gesprächsthema hatten.

Trotzdem wurde ich heimlich angesprochen, ob ich mich nicht zu einem guten Preis von meinem alten Damenfahrrad trennen wollte.

Die Hauptversammlung der AG, auf die ich mich mit mehreren Seiten Redescript vorbereitete war allerdings frustrierend.

Obwohl ich der einzigste Aktionär aus Dithmarschen war, liessen mich die übrigen Zehntausend nicht zu Wort kommen.

Jedes mal wenn ich die Hand zur Wortmeldung erhob, wurde ich missverstanden, wieder wurde mir der Weg zum WC beschrieben.

Trotzdem hatte ich im ohrenbetäubenden Tumult der sich erbarmungslos prügelnden Kleinaktionäre, vor dem, in schusssicheren Glashaus sitzenden Vorstand, sehr gut verstehen können, dass auch für dieses Jahr die Dividende gestrichen wurde.

Zuhause angekommen, frustriert, deprimiert, vom Stuhlbein getroffen und jeder auch nur winzigen Hoffnung beraubt ging ich unverzüglich auf unsere Eiderbrücke.

Auf dem Zenit angekommen, blickte ich todessüchtig auf das schwarze Wasser des Flusses.

Da niemand erwarten kann, dass ich in dieses lausig kalte Wasser springe, kehrte zum Stammtisch zurück und erzählte den Kameraden von fantastischen Wertpapiergewinnen, vom Leben ohne Nöte und Sorgen, aber mit rotem Sportwagen und grossbusigen Blondinen.

Pahlen, den 13.04.2002

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.06.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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