Bea Busch

Elfmeter

Sieben Komma zweiunddreißig Meter breit, zwei Komma vierundvierzig Meter hoch, keine achtzehn Quadratmeter und jetzt, gerade in diesem Moment, doch ein ganzes Universum.
 
Inmitten der Pfosten steht er, allein. Allein mit sich und der ganzen Welt. Angst. Mehr als neunzig Minuten hat er diesen Kasten sauber gehalten, die Bälle sind ihm zeitweise nur so um die Ohren geknallt, doch er hat funktioniert. Er hat pariert, gefaustet, Paraden geliefert. Er war der sichere Halt seiner Abwehr, seiner ganzen Mannschaft. Der ruhende Pol. Bis jetzt.
 
Nein, seine Mannschaft hat nicht gut gespielt in diesem Match, hat dem gegnerischen Torhüter wenig zu tun gegeben. Er weiß nicht, was heute los war. Und vor allen Dingen weiß er nicht, welcher Teufel seinen Verteidiger geritten hat. Foul im Strafraum, in den letzten Sekunden der Nachspielzeit. Der gellende Pfiff des Schiedsrichters schrillt noch in seinen Ohren. Und dann der entschlossene Blick zum Elfmeterpunkt, die eindeutige Geste. Lähmendes Entsetzen in der eigenen Fankurve, zigtausendfache Anfeuerungsrufe auf der anderen Seite. Doch er hört nichts mehr. Nichts mehr außer dem eigenen pochenden Herzen und dem Pulsieren seines Blutes.
 
Nur noch wenige Momente….dann wird er der gefeierte Held sein oder der einsame Verlierer. Dann wird er entweder seine fehlerfreie Leistung aus dieser Partie eindrucksvoll bestätigen oder aber er wird zum Buhmann der Nation.
 
Er ist allein, völlig allein steht er zwischen den Pfosten. Er hat Angst. Er weiß, dass Millionen Augen auf ihn gerichtet sind, auf ihn und den Elfmeterschützen der gegnerischen Mannschaft. Bei dem, was jetzt kommt, kann es nur einen Sieger geben. Den Schützen oder ihn, den Keeper. Die Spielentscheidung durch einen einzigen Schuss nach mehr als neunzig bangen Minuten. Wohin mag der Ball fliegen? Links oben ins Eck? Rechts unten?
 
Ein Adrenalinstoß durchzuckt seinen Körper, Adrenalin pur bringt ihm ein leichtes Zittern. Er spürt jeden seiner zahlreichen Muskel, dehnt sich. Macht sich bereit zum Sprung, zum Hechtsprung auf den Ball. Er will die Lederkugel unter sich begraben. Wird es ihm gelingen? Oder wird der Ball im Netz landen? Werden seine Mannschaftskameraden ihn auf den Schultern tragen und ihn feiern oder wird er einsam den Platz verlassen? Alles hängt nun von ihm allein ab, keiner kann ihm helfen. Er muss funktionieren, dieses eine Mal noch. Nerven bewahren, cool bleiben, ruhig. Standardsituation, im Training tausendmal geübt, immer wieder. Er weiß, er kann es. Ja, im Training. Aber jetzt geht es um die Entscheidung. Er allein ist verantwortlich. Er schüttelt sich ein letztes Mal. Kneift die Augen für einen Nu zusammen. Konzentriert sich.
 
Fixiert seinen Gegner, der sich den Ball auf dem Elfmeterpunkt zurecht legt. Schaut ihm in die Augen, versucht, eine Regung festzustellen. Hat der Schütze auch Angst? Ja, er muss Angst haben…oder wird er kaltschnäuzig den Ball im Tor versenken? Nur einer wird der Sieger sein. Der Ball wird flattern. Und nur er allein kann ihn halten. Er allein steht auf der Linie. Sprungbereit, jede Sehne gespannt bis zum Äußersten. Der Pfiff. Noch Bruchteile von Sekunden. Kurzer Anlauf des Gegners. Schuss.
 
Neunundsechzig Zentimeter Umfang, vierhundertvierundvierzig Gramm Lederball gegen fast achtzehn Quadratmeter Tor. Und er fliegt………
 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.06.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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