Maria Peters

Freundschaft

 
„Freundschaft...“
Reika saß in ihrem Zimmer und dachte, wie schon so oft in letzter Zeit, nach.
Sie grübelte darüber, was dieses Wort bedeutete.
Für sie war es noch nie nur ein Wort. Freundschaft war für sie alles. Es verband Vertrauen, Aufrichtigkeit und vor allem Spaß.
Doch zurzeit lief alles schief.
Ihre beste Freundin Mai würdigte sie keines Blickes, doch Reika konnte sich nicht vorstellen wieso.
Vor einigen Tagen war noch alles in Ordnung und nun waren sie wie wildfremde Menschen.
„Freundschaft...“, murmelte sie erneut und drehte sich auf den Rücken.
Sie starrte zur Decke.
Mai und Reika waren die typischen besten Freunde, die sich schon seit dem Sandkasten kannten.
Sie wohnte nebeneinander und auch ihre Eltern verstanden sich sehr gut.
Nie hatten sie daran gedacht, sich zu streiten.
„Musste ja mal so weit kommen...!?“, sagte sie schließlich und stand auf.
Sie griff ihren Schulranzen und machte sich wie jeden Morgen auf den Weg zur Schule.
Vor ihrer Tür ließ sie sich besonders viel Zeit, um Mai abzupassen, doch wie sie schon vermutet hatte, war sie bereits weg.
Also entschied sie sich allein zu gehen.
Der Weg war nicht allzu lang, dennoch kam er ihr viel länger vor, wenn Mai nicht da war.  Sie fühlte sich wie die eine Hälfte eines Puzzles und die andere fehlte.
In der Schule angekommen, blickte sie sich sofort um.
Da stand sie!
Doch sie war nicht allein. Sie stand bei einem anderen Mädchen, dass auch aus ihrer Klasse war.
Reika ging schnurstracks auf sie zu.
„Morgen.“, sagte sie und sah Mai an, die versuchte ihren Blick nicht zu erwidern.
Reika war natürlich nicht entgangen, dass sie sehr müde aussah und auch sonst nicht sehr fröhlich drein blickte, doch das war ihr in diesem Moment egal.
„Was hab ich dir eigentlich getan?“, fragte sie etwas aufbrausend, nahm sich danach jedoch zusammen, da sie ihre eigene Stimme selbst gehört hatte.
„Ich weiß nicht wovon du redest.“, entgegnete Mai sofort und rannte los.
Reika sah ihr hinterher und sie hätte schwören können, dass Mai anfing zu weinen.
„Was hat sie nur?“, murmelte sie.
Es vergingen noch einige Minuten, bis ihr auffiel, dass sie sich nicht bewegt hatte. Schnell setzte sie sich in Bewegung und steuerte das Mädchenklo an.
Dort war ihr Treffpunkt, um über andere zu lästern oder einfach nur mal Ruhe vor den Lehrern zu haben.
Es war der einzige Ort, wo Mai sich hätte aufhalten können.
Und so war es auch.
Reika hörte ihr Schluchzen schon, als sie reinkam.
„Mai... bist du hier?“, fragte sie etwas zögernd, weil sie nicht wollte, dass sie wieder weglief.
Sie bekam keine Antwort.
„Okay, überflüssige Frage... ich weiß das du hier bist.“, machte sie weiter und starrte in einen Spiegel, der über einem Waschbecken hing.
Hinter ihr sah sie die Toilettentür, wobei nur eine abgeschlossen war.
Plötzlich ging auch diese langsam auf und ein weinendes, hilfloses Geschöpf kam zum Vorschein.
„Woher wusstest du...?!“, wollte sie fragen, aber Reika fuhr ihr ins Wort.
„Das du hier bist?“, beendete sie ihre Frage. „Ist nicht schwer, wenn man dich fast 15 Jahre kennt.“
Mai lachte kurz, verfiel dann aber wieder in ein lautes Schluchzen.
„Mai, ich will dich nicht bedrängen, aber bin ich an all dem hier schuld?“, fragte Reika schließlich viel sanfter, damit sie sie nicht wieder erschreckte.
Mai schüttelte nur den Kopf. Sie fand nicht die richtigen Worte, um ihrer Freundin ihr Verhalten zu erklären.
Vielleicht konnte und durfte sie es auch gar nicht.
„Dann sag mir doch wenigstens, warum du so drauf bist...!?“, bat Reika sie weiter.
Plötzlich brach sie wieder in Tränen aus und schüttelte wild den Kopf.
Leise brachte sie „Ich kann es nicht“ hervor und verschwand durch die Tür, durch die Reika gekommen war.
Wieder hatte Mai sie einfach stehen lassen.
„Und das nach all den Jahren.“, fluchte Reika ziemlich beleidigt und auch sehr traurig, denn so hatte sie Mai noch nie erlebt.
Sie entschied sich, es dabei zu belassen. Es würde so und so keinen Sinn machen, sie weiter zu drängen.
Es würde alles auf genau das, was eben passiert war, hinauslaufen.
Deprimiert schleifte sie sich in den Unterricht.
Ein langer Tag lag vor ihr.
 
Völlig kaputt schleppte sie sich wieder einmal allein nach Haus.
Mai hatte sie den ganzen Tag nicht gesehen.
Das lag vielleicht auch daran, dass sie nicht in einer Klasse waren, was Reika aber als ganz entspannend fand.
Als sie gerade die Tür aufschließen wollte, öffnete ihre Mutter sie bereits.
„Hallo, mein Schatz.“, begrüßte sie ihre Tochter.
„Hey...“, sagte diese nur leise zurück und begab sich in Richtung Kinderzimmer.
„Weißt du schon, was mit den Fushitas ist?“, fragte ihre Mutter, bevor sie verschwinden konnte.
Fushita war der Nachname von Mai und somit ein riesiger Grund für Reika stehen zu bleiben. Erschrocken und begierig sah sie zu ihrer Mutter.
„Was?“, fragte sie noch schnell, doch dann begann ihr Mutter schon alles zu erzählen.
„Mais Mutter hat einen Job angeboten bekommen.“
„Das ist doch toll.“, unterbrach Reika sie.
„Kommt drauf an, aus welcher Perspektive man es sieht. Für die Fushitas schon, aber ich denke mal nicht für euch beiden.“
Reika stockte der Atem. Sie hatte eine leise Vorahnung auf das, was nun kommen würde.
„Sie müssen umziehen. Und nicht nur ein paar Straßen weiter.“, offenbarte ihre Mutter ihr nun, da sie das Gesicht von Reika nicht mehr ertragen konnte.
Ihr klappte der Mund auf.
„Was?“, fragte sie völlig überwältigt, doch ihre Mutter nickte nur.
Reika konnte sich eine kleine Träne nicht verkneifen.
Das war es, was Mai ihr nicht sagen konnte. Und Reika verstand sie nur zu gut. Auch sie hätte es nicht so leicht erzählen können.
Sie schauderte bei dem Gedanken, dass sie bald getrennt sein würden.
„Und wann genau?“, fragte sie.
„Spätestens in zwei Tagen. Gepackt haben sie schon.“, antwortete ihre Mutter.
Plötzlich sprintete Reika an ihr vorbei, aus der Tür und zu dem großen weißen Haus, das genau neben ihrem stand.
Hitzig drückte sie auf die Klingel. Es war fast ein Sturmklingeln.
„Ich komm ja schon.“, hörte sie schließlich von drinnen und Mai öffnete die Tür.
Sie wurde blass, als sie erkannte, dass es Reika war.
„Was tust du hier?“, fragte sie etwas tonlos.
„Meine beste Freundin verabschieden. Oder wolltest du gehen, ohne mir „Leb wohl“ zu sagen?“, antwortete sie etwas gefasster, um nicht zeigen zu müssen, wie weh es ihr eigentlich tat.
Mai sagte kein Wort, sondern ging nur einen Schritt zur Seite, damit Reika eintreten konnte.
„Man... da ist man mal wirklich keine 5 Tage hier und schon entschließt ihr euch, umzuziehen.“, sagte sie, um die Stimmung etwas zu heben, doch sie erreichte genau das Gegenteil.
Mai schloss sachte die Tür und versuchte Reikas Blicken aus dem Weg zu gehen.
Sie stieg über zig Kartons und Kisten, Koffer und Taschen.
Reika hatte sich noch immer nicht vom Fleck bewegt. Unentwegt beobachtete sie Mai, die nun an einem Fenster stehen geblieben war.
„Ich wollte es dir erzählen.“, begann sie plötzlich. „Ganz ehrlich.“
Reika konnte das Beben in ihrer Stimme hören.
„Weiß ich doch. Ich kann dich verstehen. Aber wolltest du wirklich gehen, ohne dich zu verabschieden?“, entgegnete sie ihr nun.
„Nein, natürlich nicht. Ich wusste nur nicht, wie ich es dir beibringen sollte. Ich meine, wir waren bis jetzt noch nie lange getrennt und allein der Gedanke...“, machte sie weiter, doch brach an dieser Stelle ab.
„Der Gedanke daran macht mich doch genauso verrückt. Aber deswegen musst du mir doch nicht aus dem Weg gehen, als würden wir uns nicht kennen. Deshalb bin ich doch erst darauf gekommen, dass irgendetwas nicht stimmen kann. Und natürlich, weil du vollkommen fertig aussahst. Ich schätze das kam vom Packen, oder?“, versuchte Reika sie nun zu beruhigen.
Sie nickte kurz und blickte weiter aus dem Fenster.
Plötzlich kicherte Reika ein bisschen und Mai sah sie erschrocken an.
Wie konnte sie nur in dieser Situation lachen?
„Was hast du?“, fragte sie Reika.
„Was ich habe? Ist das nicht schon komisch, dass Sandkastenfreunde nur wegen eines Umzuges wie Fremde werden?“, bekam Mai als Gegenfrage.
Als sie es sich durch den Kopf gehen ließ, bemerkte sie, wie kindisch sie sich doch eigentlich verhalten hatte.
Doch lustig fand sie es noch immer nicht.
Verstört blickte sie noch immer zu Reika, deren Lächeln nun verschwunden war.
„Mensch Mai.. ich kann es zwar nicht ändern, dass ihr wegzieht. Doch eines kann ich dir versprechen. Nämlich, dass wir weiterhin Freunde bleiben.“, entgegnete sie ihr nun und kam näher.
Sie nahm ihre beste Freundin in den Arm.
„Wir schreiben uns und wir mailen uns. Und alles andere, was es gibt, machen wir auch, okay?“, fragte Reika sie.
„Okay.“, stimmte Mai zu.
Kurz schwiegen beide.
„Ich hab noch zwei Tage, dann fahren wir schon.“, bemerkte schließlich Mai und sah Reika an.
„Denkst du nicht, dass wir uns auseinander leben? Ich meine, du wirst wieder eine beste Freundin finden und ich sicher auch.“, machte sie zögernd weiter.
„Mai... du wirst immer meine beste Freundin bleiben, auch wenn wir nicht immer für einander da sind, verstanden? Und jetzt keine Widerrede.“, versuchte Reika noch einmal, sie zu beruhigen.
„Das ist lediglich eine kleine Probe, die uns das Leben stellt. Das schaffen wir. So, wie wir sonst auch immer alles schaffen.“
Mai lächelte kurz, empfand aber alles als ziemlich traurig.
Sie spürte schon jetzt, dass Reika für sie unerreichbar werden würde. Doch diesen Gedanken verwarf sie ganz schnell und stimmte all den Sachen, die Reika so liebevoll gesagt hatte, zu.
Sie standen noch einen kurzem Moment nebeneinander.
Dann fingen die beiden an, Mais restliche Sachen zusammenzupacken.
Doch nun ging alles viel schneller, da sie zu zweit waren.
„Freundschaft..“, murmelte Reika noch kurz und sah Mai an, die das nicht mitbekam.
Das war die wahre Bedeutung von Freundschaft.
Auch jetzt noch zusammen zu halten, auch wenn es sehr schwer fiel.

Hier einmal eine richtige Kurzgeschichte von mir ..
Das ist ebenfalls die Geschichte, mit der ich an einem Wettbewerb teilnahm und einen guten dritten Platz ergattern konnte.
Das Thema war, wie auch der Titel, Freundschaft..
Eine typische Freundschaft zweier Mädchen, die auf die Probe gestellt wird...
Maria Peters, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 18.10.2006. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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