Hans Pürstner

INRI 2.0 Teil 1

Gelangweilt drehte Omri Scheider an dem Drehknopf seines uralten Kurzwellenempfängers. Seit Stunden hörte er nur die üblichen Geräusche, pfeifen, trillern, mal ein sattes Brummen, das wohl an seinem schon etwas in die Jahre gekommenen Netzteil lag.

Doch auf einmal vernahm er ein gleichmäßiges Signal, er drehte interessiert an seinem Regler, bis er deutlich ein sich wiederholendes Funksignal vernahm. Nach dem Morsealphabet ließ es sich schon mal nicht entziffern.

"Scheint wohl codiert zu sein", brummelte er etwas enttäuscht vor sich hin. Nun hatte er nach stundenlangem Abhören aller möglicher Kurzwellenfrequenzen endlich etwas entdeckt und dann wusste er doch nicht was.

Omri war Frührentner. Jahrelang war er zur See gefahren. Nach der Ausbildung bei der britischen Navy als Bordfunker hatte er noch einige Jahre auf einem Boot der englischen Küstenwache gearbeitet, bis er auf Drängen seiner Frau Rachel, die wie er selbst jüdischen Glaubens war, mit der Familie nach Israel auswanderte.

Sie waren keine orthodoxen Juden, hatten aber dennoch zeitlebens davon geträumt, später mal ins gelobte Land zu übersiedeln. Dass das warme Klima seinem chronischen Rheuma besser bekommen würde, war eine nicht unwillkommene Zugabe.

Er hatte schnell eine Stellung gefunden auf einem Fischtrawler, der den Fischgroßmarkt von Haifa mit frischem Mittelmeer-Seafood versorgte.

Seit drei Jahren lebte er nun in Safed, einer kleinen Künstlerkolonie in Galiläa, nordöstlich von Haifa, schlecht und recht von seiner Erwerbsunfähigkeitsrente.

Seine Frau hatte ihn schon vor Jahren verlassen, zu selten war er berufsbedingt zu Hause gewesen. Seine zwei Töchter sah er so selten, dass diese ihn eher wie einen Onkel betrachteten denn als Vater. Irgendwann war die Freundschaft Rachels zu ihrem Nachbarn Gal so eng geworden, dass selbst Omri nicht mehr die Augen verschließen konnte, dass es einen ernstzunehmenden Nebenbuhler gab.

Auf langen Streit hatte er sich nicht einlassen wollen und sich sehr schnell gütlich auf eine Scheidung geeinigt. Die Mädels waren mittlerweile aus dem Haus und verdienten ihr eigenes Geld, so brauchte er auch keine Alimente mehr zu zahlen.

Das Funksignal ließ ihm keine Ruhe. Unablässig wiederholte sich die Tonfolge, 3 mal lang, einmal kurz, 2 mal lang und sechsmal kurz. Klar und deutlich war es zu vernehmen, es konnte nicht allzu weit entfernt sein.

Omri beschloss, seinen alten Freund Jonathan anzurufen. Ihn hatte er bei einer Schulung der israelischen Schifffahrtsbehörde kennen gelernt damals, kurz nach seiner Umsiedlung nach Israel.

Jon war ebenso wie er begeisterter Amateurfunker und hin und wieder tauschte man interessante Frequenzen miteinander aus. Beim gleichzeitigen Anpeilen würde man so vielleicht den Standort des geheimnisvollen Senders ausfindig machen können.

Er nahm sein Handy zur Hand und wählte seine Nummer. The number you called is temporarly not available bekam er als Antwort. "Nicht mal die Mailbox hat er eingeschaltet" brummte er und schrieb ihm halt dafür eine SMS, das heißt, er versuchte eine zu schreiben. Jahrzehntelang hatte er als Funker mit technischen Apparaten zu tun gehabt, aber als er in Frührente ging, waren die alten Geräte gerade erst von Digitalempfängern abgelöst worden. Deshalb war ihm die Bedienung all dieser neumodischen Sachen noch immer ein Gräuel.

"So ein Mist, schon wieder hab ich die falsche Taste gedrückt und der Text ist weg. Jetzt kann ich alles noch mal eingeben", seufzte er missmutig. Mit all den Drehknöpfen früher war er halt wesentlich besser zurechtgekommen.

Nach wiederholten missglückten Versuchen schaffte er es doch noch, seinem Freund die Frequenz durchzugeben und bat ihn, anschließend anzurufen, damit man einen Versuch starten konnte, die unbekannte Signalquelle anzupeilen.

Schon einige Minuten später klingelte sein Telefon und am Apparat war sein Freund.

"Hallo Jon, schön dass du gleich angerufen hast. Kriegst du das Signal auch rein? Ich höre es klar und deutlich, so deutlich, dass es mir fast unheimlich ist!"

"Du hast recht, Omri", antwortete Jonathan, "mir kommt das auch eigenartig vor. Ob sich da jemand einen Scherz erlaubt mit uns?"

"Das mit dem Anpeilen lassen wir lieber sein, Jon!" antwortete Omri. "Wer weiß, was da dahintersteckt. Irgendwie hab ich ein ungutes Gefühl. Es ist ja eine der Frequenzen, die wir nicht benutzen sollen. Ich kenne da jemand von früher, der arbeitet jetzt bei der Flugsicherungsbehörde der Armee. Den werde ich gleich morgen anrufen, vielleicht kann er das ja an eine entsprechende Stelle weitergeben".

Man plauderte noch ein wenig von alten Zeiten und mit dem gegenseitigen Versprechen sich bald wieder zu melden, legten die Beiden auf.

 

 

Schlaftrunken schlich Omri zur Haustür. "Ja, ja, ich komm doch schon!" rief er ärgerlich, weil das Klingeln einfach kein Ende nehmen wollte. Bevor er überhaupt den Sicherheitsriegel an seinem Schloss vernünftig zurückschieben konnte, rissen ihm seine Besucher schon die Tür auf. "Halt, halt, Sie machen mir ja mein Türschloss kaputt!" schimpfte er. Doch die drei Herren, einer in Zivil und zwei mit der Uniform der israelischen Militärpolizei drängten ihn ungeduldig, endlich seine Tür richtig zu öffnen.

Danach stürmten sie polternd in die Wohnung, ohne sich überhaupt vorzustellen.

Der Zivile zückte nun immerhin kurz seinen Ausweis, aber bevor Omri ihn überhaupt näher betrachten konnte, hatte dieser die kleine Plastikhülle schon wieder weggesteckt.

"Sie haben gestern ein Funksignal auf einer Militärfrequenz aufgefangen, wissen Sie nicht, dass das verboten ist? Dies kann Sie ihre Amateurfunklizenz kosten!", bläffte er Omri an.

Der hatte es mit den Frequenzen nicht immer so genau genommen, wenn er stundenlang gelangweilt in der unendlichen Weite des Kurzwellenfunks rumgesucht hatte. Offensichtlich war es nicht besonders schlau gewesen, seinen Freund zu informieren. Dass ihm dieser jedoch gleich solche Schwierigkeiten bereiten würde, war ihm nicht in den Sinn gekommen.

"Ich wollte doch nur meine staatsbürgerliche Pflicht tun und die zuständigen Stellen informieren, was habe ich denn verbrochen, dass Sie gleich so grobes Geschütz auffahren?" verteidigte er sich vehemnt, wenngleich er doch etwas schuldbewusst war.

Der Fremde wies unwirsch einen seiner uniformierten Begleiter an, ihm ein mitgebrachtes Formular auszuhändigen.

"Dies ist ein gerichtlicher Beschluss, der Ihnen bis auf weiteres verbietet, Ihr Funkgerät zu benutzen. Ich werde jetzt den Hauptschalter abklemmen und das Gerät versiegeln."

Ohne weitere Erklärung tat er wie versprochen und stürmte grußlos aus dem Raum, mit ihm die beiden MP.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Landrover kam von einem Militärstützpunkt nahe Har Sagi in der Negev-Wüste, südwestlich von Mizpeh Ramon. Ein Unteroffizier und sein Fahrer fluchten leise vor sich hin. Kurz vor dem Mittagessen hatten sie den Auftrag bekommen, an eine nur durch Funkkoordinaten angegebene Stelle mitten in der Wüste zu fahren.

"Ich weiß auch nicht, wonach wir suchen sollen!", schimpfte Hauptmann Schneider,

"alles, was ich gehört habe, ist dass dort ein unbekanntes Objekt seit zwei Tagen Funksignale aussendet, die angeblich niemand entschlüsseln kann."

Diese Antwort konnte die Laune des Fahrers auch nicht unbedingt verbessern, sein Magen knurrte und er war nur noch froh, vor diesem überaus hektisch angeordneten Auftrag seine Thermosflasche mit Tee eingepackt zu haben.

Nach ungefähr einer Stunde Fahrt auf unbefestigten Wegen erreichten sie das vorgegebene Ziel.

"Nichts zu sehen, war wohl wieder so ein blinder Alarm von so einem Übereifrigen in der Leitstelle" schimpfte der Hauptmann. Sein Fahrer sagte lieber nichts und sucht angestrengt die Umgebung nach irgendeinem Gegenstand ab, je schneller sie etwas finden würden, um so schneller könnte man wieder zurück in den im Vergleich zu dieser unwirtlichen Stelle doch schon wieder komfortablen Stützpunkt fahren.

Er schirmte mit der rechten Hand seine Augen gegen das grelle Sonnenlicht ab und blinzelte mehrmals ungläubig, als er tatsächlich einen metallisch in der Sonne glänzenden Gegenstand sah.

"Herr Hauptmann, da, sehen Sie es?" rief er aufgeregt zu seinem Begleiter gewandt und deutete in die Richtung, aus der die Spiegelblitze kamen.

"Ja, jetzt sehe ich es auch", antwortete dieser und beide rannten los.

 

 

Keuchend stoppte der Fahrer, der als erster an der fraglichen Stelle angelangt war und blickte ungläubig auf das kegelförmige Metallding im Sand.

"Was soll das denn sein? So etwas hab ich noch nie gesehen!". Inzwischen war sein Beifahrer endlich dazugekommen und wies ihn an, nichts zu berühren.

"Wir machen jetzt erst mal ein Foto mit der Digitalkamera und gehen zum Wagen zurück. Dort speichern sie die Aufnahmen auf unserem Laptop und schicken das Bild mit als Email Anhang zur Leitstelle."

Kurze Zeit, nachdem sie die Mail mit den Bildern abgeschickt hatten, meldete sich Major Levy, der Vorgesetzte Schneiders und wies ihn an, den Fundort abzusichern und nichts anzufassen. "Wir schicken einen Helikopter mit einem Strahlenexperten. Scheint wohl ein abgestürzter Militärsatellit zu sein. Wenn sie zurückkommen, gehen sie beide erst mal zum Arzt und lassen sich auf radioaktive Verseuchung untersuchen! Bis dann!"

Moran Sagal, sein Beifahrer guckte erschrocken, als Schneider ihm den Inhalt des Funkspruchs mitgeteilt hatte.

"Ab morgen hab ich doch meinen Resturlaub genehmigt bekommen, da wollte ich nach Haifa zu meiner Freundin!"

"Daraus wird wohl nichts werden, Turaj Sagal, tut mir leid. Morgen müssen wir zum Arzt, wer weiß, wie lange die brauchen werden, um uns durchzuchecken!"

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.12.2008. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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