Rico Graf

Vom Absurden

Es gibt nur ein wirklich ernstes philosophisches Problem: den Selbstmord. So beginnt Albert Camus seinen Essay Der Mythos des Sisyphos und begründet damit seine Philosophie des Absurden.

Cioran meint Es gibt keinerlei Argumente für das Leben, auf der Verzweiflung Höhe wirft die Leidenschaft fürs Absurde als einzige noch dämonisches Licht auf das Chaos, Nur durch Festhalten am Absurden, durch die Liebe des absolut Sinnlosen, das heißt durch etwas, dem die Konsistenz abgeht, das gleichwohl durch seine Fiktion einen Schein von Leben zu erwecken vermag.

Die Leidenschaft für das Absurde ist eine ältere Idee als Camus’ Definition des Gefühls des Absurden, es sei die Entzweiung zwischen dem Menschen und seinem Leben, zwischen dem Handelnden und seinem Rahmen.

Beide Literaten bringen den Tod und das Absurde in einen Zusammenhang. Anders gesagt, die Absurdität ist die Ursache für das sinnlose Leben. Und das animal rationale denkt über die Sinnlosigkeit nach und denkt weiter: ja oder nein. Somit besteht auch die Möglichkeit eines Handelns: ja oder nein.

Der Selbstmord als Option des Todes, die man sich aussuchen kann, ist niemals rationaler Natur. Es gibt absolut keinen Grund, sich umzubringen! Der Widerspruch: manche tun es eben doch. Den Grund für dieses Doch zu nennen, beispielsweise der konsequente Nihilist, ist nicht Gegenstand dieses Textes. Gegenstand ist vielmehr die Frage nach der Absurdität des Daseins oder die Frage dach dem Absurden des In-der-Welt-Seins. Denn der geworfene Mensch setzt sich in einer absurden Welt aus. Camus: Das Gefühl der Absurdität kann an jeder beliebigen Straßenecke jeden beliebigen Menschen anspringen. Das Absurde ist nichts in der Welt der Dinge an sich. Das Sein fragt nicht nach dem Absurden. Es ist laut dem Franzosen ein Gefühl. Ich glaube, liebe Leser, es ist kein Gefühl. Ich fühle keine Absurdität, ich kann (mich) nicht absurd fühlen. Niemand antwortet auf die Frage hin, wie er sich fühle: Ach, heut fühle ich mich irgendwie absurd. Die Absurdität der Welt ist auch nichts Metaphysisches. Sie ist keine Erscheinung, die uns anspringt, sondern ein Begriff für etwas, was wir als absurd bezeichnen. Es ist eine Eigenschaft von etwas. Es ist ein Wert, denn wir bewerten ja andauernd, ob etwas gut oder böse, lächerlich oder absurd ist. Der Begriff im Kopf ist längst noch kein Gefühl. Jedoch ist die Vorstellung, die sich aus der Wahrnehmung einer absurden Welt ergeben mag – untermauert von Gefühlen oder Stimmungen oder gar Einstellungen oder Meinungen.

Der Mensch ist nicht absurd; er wird nie als ein absurder geboren. Erst wenn er den Begriff denkt, macht er sich eine Vorstellung von ihm durch die Erfahrung. Und dann schleichen sich die Gefühle mit ein. Plötzlich ist die Welt absurd. Apriorisch konnte sie es nie sein. Aber aposteriorisch – o je, wie absurd ist unsere Welt? Nun, und jetzt die Kugel geben? Nein Herr Camus, der Selbstmord ist nicht das eine, dass wirkliche, das ernste philosophische Problem, sondern der Mensch per se. Und Herr Cioran? Die Liebe für das Absurde als ein Nur lässt sich wohl nur schwerlich postulieren. Aber danken wir den beiden Herren für Ihre Ergüsse.

 

Der absurde Mensch. Habe ich dem Begriff durch die Erscheinung eine Vorstellung gegeben, welche durch und mit Gefühle/n überhaupt erst existenziell wird, dann erst frage ich nach dem Sinn meines Daseins.

Worin sehen die Herren denn die Sinnlosigkeit? Es soll ja schon eine ontologische Fragestellung sein. Ist das Leben nicht einfach lebenswert, weil es um es selbst willen gelebt werden darf? Das Leben ist doch eine ganz besondere Ausprägung des Seins – es ist nämlich die Existenz der Essenz bis hin zum ek-statischen Menschen (im heideggerschen Sinne). Was soll daran absurd, also sinnlos sein? Angenommen, der Mensch entstand zufällig infolge einer Reihe von vielen Zufällen. Dann ist er höchstens ein absurder Mensch, weil er nicht weiß: Warum? Denn das Warum fragt ja eben nach dem Sinn von Sein – der Stellung des Menschen im Kosmos. Aber warum ein Warum? Akzeptiere ich einen Zufall (oder viele), dann ist doch alles wunderbar. Aber die Akzeptanz eines Zufalls, liebe Leser, diese Akzeptanz ist ja eben das Absurde. Das Lächerliche. Wenn ich diesen Zufall akzeptiere, dann akzeptiere ich auch andere Zufälle notwendig als Bedingungen von Möglichkeiten. Diese Zufälle sind es nämlich, die uns jederzeit jederorts anspringen können. Es sind diese vermeintlichen Akausalitäten. Ich suche schließlich immer nach einer Ursache für eine Wirkung, oder gern auch mehrere Ursachen für eine Wirkung, oder gern auch nur eine Ursache für viele Wirkungen. Das verstehe ich. Was ich nicht verstehe ist – und genau davon möchte ich erzählen – dass es einen Ausgangspunkt gibt, der eine Ursache ist und eine Wirkung erwirkt, der SCHEINBAR mich oder jeden anderen Menschen dieser Welt in ein Nach-Vorne fallen  lässt, und dennoch eine völlig andere Richtung annehmen kann, als bei jedem anderen!

Wie meine ich das? Ja, Zufall ist doch ein Wort, das fatalistische Züge trägt. Passiert halt, Schicksal! Ich möchte Zufall und Schicksal nicht in einen Topf werfen, aber ich werfe den Menschen dort hinein in diesen Topf der Zufälle und Schicksale. Was ich meine ist, der Zufall lässt uns gleichgültig. Denn er wird erst dann ungleichgültig, wenn wir dessen Gültigkeit bemessen, also bewerten – ihm einen Wert geben, welchen wir ganz banal als Glück oder Pech bezeichnen könnten.

Was ist Zufall? Ein Begriff ist Zufall. Nur ein Begriff. Unsere Vorstellungen machen wir a posteriori. Wir suchen nach einer Erscheinung, die wir wahrnehmen können als Zufall. Da der Zufall kein Ding an sich ist, sondern allenfalls bildhaft erscheint, möchte ich an dieser Stelle ein Bild verwenden. Das Bild vom scheißenden Vogel. Verzeihen Sie den Ausdruck! Du gehst also die Straße entlang. Ein Vogel scheißt dir auf den Kopf. Das ist Zufall, oder besser: Pech. Würdest du woanders entlanglaufen, oder würdest du früher oder später entlanglaufen, dann würde jemand anders angeschissen werden, oder nur die Straße, auf der du entlanggelaufen wärest, wäre angeschissen worden, vielleicht hätte der Vogel auch gar nicht geschissen – wer weiß? Aber stellen Sie sich vor, Sie laufen genau da und dann entlang, wo und wenn der Vogel scheißt, es aber nicht tut. Zufällig kein Zufall – denn der Zufall ist nur dann einer, wenn er sich auf Sie bezieht, da er sich aber nicht auf Sie beziehen kann, weil er nicht existiert, heißt das, dass Sie sich auf ihn beziehen; genau wie Sie den Zufall auch im großen Warum auf sich beziehen. Ist diese Zufälligkeit, diese Absurdität, diese Lächerlichkeit des Daseins also nicht eine vollkommen athropozentrische, also egozentrische? Der Vogel hat mich angeschissen. Hätte er einen anderen Vogel angeschissen, hätte dieser sich nichts daraus gemacht. Hätte er einen anderen Menschen angeschissen, hätte ich mir nichts daraus gemacht. Erst wenn ich mir vorstellte, er hätte mich angeschissen, obgleich er aber einen anderen angeschissen hat, bezöge ich ihn wieder auf mich in der Vorstellung und sagte: Glück gehabt. Der Vogel, der sich nichts daraus gemacht hätte, ist ein Tier. Auch eine Pflanze hätte sich (vermutlich) nichts daraus gemacht. Nur wir hätten uns etwas daraus gemacht. Sich-etwas-daraus-Machen bedeutet: der Zufall entsteht im Kopf als bewertete Auffassung von Glück und Pech. Und wenn ich dieser Logik folge, dann ist demnach auch das Dasein trotz des Warums eben Glück oder Pech.

Glückhaben und Pechhaben skalieren wir offensichtlich nominal, wir skalieren beide Möglichkeiten auch sicher ordinal, indem wir sagen, wir haben sehr, viel, kaum oder gar nicht Glück oder Pech gehabt. Aber das nur am Rande.

Wann und wo wir Glück oder Pech haben, ist eine entscheidende Angelegenheit: Es macht den Zufall nämlich abhängig von Raum und Zeit (Raumzeit). Erst wenn beides, mein hic et nunc mit einer Begebenheit, die wir als den Zufall bezeichnen, auf den ich mich beziehe, zusammenfällt, dann erst entsteht die Absurdität. Aber ist diese denn lächerlich?

Camus, der das Aufbegehren des Fleisches als Summe der Gefühle der Absurdität benennt, die aber nur Teilmenge der Elemente des Absurden sind, sagt: die Dichte und die Fremdheit der Welt sind das Absurde. Wir haben ja bereits festgestellt, dass das nicht stimmt. Die Dichte und die Fremdheit der Welt sind nicht absurd. Diese Behauptung ist allenfalls absurd, aber weder sachlich noch logisch korrekt. Er war vielleicht auch einfach nur ein Übertreiber des Absurden. Und Übertreibungen machen Zusammenhänge nicht evident. Er meint, dass weiter der Fremde in uns das Absurde ist. Der Fremde in uns? Sie wissen ja, Sie stehen eines Morgens auf und plötzlich erschrecken Sie sich, weil Sie aus Versehen den Fremden in Ihnen angerempelt haben! Huch, entschuldige! – Kein Problem. Ich denke, den Fremden in uns, also das Unverständliche, möglicherweise Zufällige in uns, können wir getrost zu den generellen Zufällen packen, die wir auf uns beziehen. Camus fasst den Begriff sowieso sehr weit. Das Unverständliche der Welt ist nicht absurd – was soll daran absurd sein? Das ist Nonsens. Nur der absurde Zufall, der akausale Anspringer, auf der Straße, auf der Toilette, beim Sex, im Bett, unter Dusche – überall und jederzeit – ist eben absurd. Aber, und das erfasst Camus gleichermaßen, das Absurdeste überhaupt ist das Leben mit Zufällen im Angesicht des Todes! Absurd ist es vielleicht zu sagen, warum leben, wenn man sterben muss? Aber das ist pessimistisch. Das ist eine Pechbewertung. Dem Zufall kann man nicht ausweichen. Wie auch? Genauso wenig wie dem Tod. Fliegt statt eines Schisses ein zehn Kilogramm schwerer Stein bei entsprechender Beschleunigung auf meinen Schädel nieder, dann ist der Superlativ des Absurden eingetroffen: der zufällige Tod (mal abgesehen davon, dass sich der Vogelschiss in der Bewertung relativiert). Da man nie weiß, wann man stirbt, es sei denn, man befindet sich mitten im Sterbemoment (und selbst dann können Glaube und Hoffnung Berge versetzen oder Illusionen einräumen), ist die Tatsache, in einer Welt geworfen zu sein, deren Zufälle Sie jederorts und jederzeit abdanken lassen können, schon eine absurde. Das Absurde ist unsere Hilflosigkeit in der Welt und unsere damit begründete Ur-Sorge. Denn wir werden geboren mit der Sorge um unser Leben in Anbetracht der Sense von Gevatter Tod. Bei einigen Menschen schlägt diese Sorge auch um in Angst, welche sie wiederum depressiv macht, sie endlich sogar den Freitod wählen lässt. Der Suizid kann unmöglich ein Ausweg aus der Absurdität sein. Denn die letzte Handlung, also die des Sich-selbst-Tötens, ist eine absurde Handlung. Handlung soll aber meinen, dass ich weiß, was ich tue. Es willentlich frei entscheide. Eine Entscheidung, die Handlung impliziert, ist nicht absurd, weil sie nicht zufällig ist. Wäre sie zufällig, und ich sterbe, dann ist das im Zuge der letzten Bewertung: Pech. Ein Unfall. Der zufällige Tod ist absurd. Aber niemals der entschiedene. Diese Handlung ist eben genau nicht absurd. Wenn aber gerade die Absurdität als sinnloses Dasein den Freitod wünschenswert machte, dann kann eine nicht-absurde Handlung diese Absurdität nicht aufheben, weil es paradox wäre! Es ist absurd, sich der Absurdität durch eine nicht-absurde Handlung, die umgekehrt sinnvoll ist, zu entziehen. Das würde ja bedeuten, Sie gäben Ihrem Sein ein Sinn durch Ihr Nicht-Sein. Aber dem Sinn vom Sein geht das Sein, das Dasein, erst voran. Der Freitod, das Nicht-Sein, ist sinnlos, da es nicht nach dem Sinn fragt! Die Antwort auf die Frage nach der sinnvollen Begegnung mit dem Absurden kann also gar nicht im oder mit dem Tode, sondern nur im bzw. mit dem Leben beantwortet werden!

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 18.09.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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