Leila Schneider

Valentinstag

Heute ist ein bitterkalter Samstagmorgen Ende Januar. Schnellen Schrittes tripple ich durch die Strassen der Stadt Chur. Ich friere, weil ich mich viel zu kühl angezogen habe. Eitelkeit lässt grüssen.
"Hauptsache ist, dass es schön ausschaut!", habe ich noch vor einer halben Stunde gedacht, als ich mich zufrieden vor dem Spiegel bewunderte. Naja, was soll's. Bald bin ich ja in der Wärme. Zielstrebig steuere ich auf das weitläufige Einkaufszentrum zu. Die Kälte allein wäre eigentlich gar nicht so schlimm. Was mir fast mehr zu Schaffen macht, ist meine Schwester Bernadette. Quitschvergnügt stolziert sie neben mir her und freut sich beinahe giftig über mein vor Kälte verzerrtes Gesicht.
"Stell dich doch nicht so an, Leila, wir sind ja gleich da."
Wäh, Städte, wie ich die hasse. Grau in grau; keine Farben; beinahe keine Natur, nur Trostlosigkeit, Abgase und mürrische Gesichter, soweit das Auge reicht. Naja, weit ist das sowieso nicht, denn die umherschweifenden Blicke klatschen schnell mal an die steinigen Betonmauern.
Endlich sind wir angekommen und treten in das Getümmel ein. Wenigstens ist es warm hier drin. Keine zehn Meter haben mir zurückgelegt, schon wühlt Bernadette im erstbesten Kleidergeschäft. Derweil gucke ich mir die ausgestellten Bücher an.
Ja, was ist das denn? Ist das nicht ein lustiger Zufall? Auf dem Umschlagdeckel einer Lektüre lese ich den Titel: "Die Kunst NEIN zu sagen!" Ob ich mir dieses Buch wohl kaufen soll? Während meiner scharfsinnigen Überlegung schiele ich zur Boutique hinüber und sehe Bernadette mit einem Stapel Kleidungsstücken in der Umkleidekabine verschwinden.
Oh Gott, oh Gott, oh Gott! Das dauert ja bestimmt ewig bis sie weiss was sie will. Und ich habe mich auch noch bereit erklärt, sie bei ihrer "Kleidersuchtour" zu begleiten. So das reicht; ich marschiere jetzt zur Kasse und kaufe das Buch.
Ach du liebe Güte, was ist denn das? Jemand hat mir auf die Schulter getippt. Oh nein, ich stehle nichts, ich habe nichts getan, ich wollte doch nur bezahlen, ich...
"Guten Morgen Leila, wie geht's?"
"Oh, du bist es, hast du mich aber erschreckt."
Vor mir steht er, Rolf W. Was für ein Mann. In seiner Gegenwart schmelze ich wie Butter in der Sonne. Zum Glück bin ich keine Butter.
Grossgewachsen, schlanker Körper, muskulöse Arme, blaue Augen und blondes Haar. Ein Bild von einem Mann. Ooooohh", ich glaub', mir wird schwindelig.
"Rooooohooooolf!" kreischt es plötzlich hinter mir. Jetzt wird mir schlecht. Bernadette rennt uns in einem ihrer anprobierten Kleider entgegen. Wie das aussieht. Überall flattern die Preisschilder umher.
Ich mag gar nicht hinsehen. Dann gibt's Wangenküsschen zur Begrüssung, obwohl, Küsschen ist dafür nicht gerade der passende Ausdruck. "Schmatz, Schmatz, Schmatz" tönt es. Donnerwetter! Wenn der arme Rolf nicht noch Knutschflecken davonträgt ist das ein halbes Wunder. Zum Glück labert meine Schwester ihn nicht allzu lange voll, und ich komme auch noch ein wenig in den Genuss mit diesem hübschen Boy zu plaudern.
"Leeeeeeeiiilaaaaaaaa, kommst du mal bitte?" Oh je, wenn wir nicht inerhalb der nächsten fünf Minuten aus dem Laden geworfen werden, dann verstehe ich die Welt wirklich nicht mehr.
"Die Pflicht ruft wohl nach dir", meint Rolf.
"Ja ja, du kennst doch Bernadette".
"Na dann, bis bald vielleicht."
Da schlendert er hin der Rolf, und ich bleibe gedankenverloren zurück.
"Geh nur, mein Schönster, ich habe schon bemerkt wie rot du geworden bist und wie deine Stimme gezittert hat. Wir sehen uns bald wieder, davon bin ich überzeugt."

Zehn Tage sind seit diesem überraschenden Treffen in Chur vergangen. Nun ist der 14. Februar - Valentinstag - um es auf den Punkt zu bringen. Ich fühle mich ruhelos, nervös, einfach vollkommen durcheinander, und das hat einen ganz bestimmten Grund, mit dem Namen Rolf. Ich erwarte bitterlich seinen Anruf. Ich will seine Stimme hören, wie er sich bei mir bedankt, wie er sich mit mir verabredet, wie wir uns dann näher kommen und näher, und noch näher und... Tja, das hoffe ich, weil ich ihm einen zauberhaften Brief geschrieben habe. Meine Gefühle für ihn habe ich in die folgenden Worte gefasst:

"Jedesmal, wenn ich an dich denke, und dich in Träumen vor meinen Augen sehe, geht für mich eine Sonne auf, und diese Sonne bist du."

"Ringelringelring!" Endlich, ein Anruf!
"Ja ich bin zu Hause, wer ist da?"
"Mensch, Leila, hast du noch einen blöderen Spruch auf Lager?"
Oh nein, diese Stimme. Es ist Bernadette.
"Du hör mal, ich muss dir etwas erzählen."
"Ja? Was denn?" frage ich aus gutem Grunde genervt.
"Ich habe eine Valentinstagskarte bekommen, und weißt du von wem?"
Nein, natürlich nicht, denk ich bei mir, aber bevor ich überhaupt einen Buchstaben hervorbringe, kreischt sie mir die Antwort schon ins Ohr.
"Rolf hat sie mir geschickt, du weißt doch, der tolle Typ, den wir letztens in Chur getroffen haben."
Das darf doch einfach nicht wahr sein! Kein Wort bringe ich über die Lippen.
"Hey, Leila, bist du noch dran?"
"Klar, herzlichen Glückwunsch, Schwesterherz", sage ich mit gefasster Stimme.
Du lieber Himmel, ich bin den Tränen nahe.
Den Verlauf des folgenden Gespräches nehme ich kaum noch wahr. Wie bin ich froh, als meine Schwester endlich einhängt, weil sie sich für ihren Verehrer hübsch machen muss. Mit
einem ruck ziehe ich den Telefonstecker aus, denn, was ich jetzt nicht ertrage ist ein Anruf von diesem blöden Typen. Ich mag keine billige Entschuldigung von ihm hören. Soll er doch meine Schwester haben, wenn er sie will. Meinen Segen haben die beiden jedenfalls nicht!

In der nächsten Stunde lasse ich meinem Kummer freien Lauf. Das tut bitter gut. Plötzlich schrecke ich hoch.
"Ding-dong!"
Jemand ist an der Tür. Wer mag das wohl um diese Zeit sein? Ich erwarte doch niemanden. Eine Dame steht mit einem riesigen Strauss roter Rosen vor mir.
"Guten Tag, ich komme von der Gärtnerei "Flora Spring", und habe für Frau Leila Schneider Blumen abzugeben."
"Was? Für mich? , vielen herzlichen Dank."
Mit riesiger Freude betrachte ich das prachtvolle Gebinde. Es sind sicher dreissig Rosen. Neugierig schaue ich die beiliegende Karte an, deren Vorderseite ein grosses rotes Herz ziert, und lese die folgenden Worte:

"Es gibt nichts was ich lieber tät', als dir zu sagen, was du mir bedeutest.
Doch das ist schwer, denn wahrscheinlich kennst du mich nicht einmal.
Vielleicht bist du noch frei,
und wirst dich über ein Brieflein von mir freuen,
und wenn es bei dir ankommt ist Valentinstag."
Peter!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.03.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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