Lothar Krist

Vater! Oh Vater!

Vater! Oh Vater!
(Ein Generationenkonflikt)

I.

Es schaun aus einem gramverdunkelten Gesicht
zwei Augen, schon ganz im Leid ertrunken.
Ein Hauch des Tods weht durch den Raum,
Er süßelt leis, ein Geruch, der Bände spricht.

Deine Zitterhand sich schwach mir hebt entgegen.
Ich fühle, wie jedes Wort in mir zerbricht.
Grüßend legst Du den Finger an den Ort,
den dereinst ein Kehlkopf tat bewegen.

Auf dem Weg zu Dir ich gute Worte hab ersonnen,
ich wollte tröstend Dir zur Seite stehn.
Doch der reschen Schwester Schritt,
der von Bett zu Bett sich dreht und mahnt,
hat mir die Worte weg genommen.

Ein Arzt spricht Trost: Die Wunde heilt!
Ich seh mit einem Blick: er hat uns angelogen.
So fieberfahl erhoben aus zerwühlten Kissen,
schaut ganz verloren ein gelebtes Leben,
das auf schon halb erloschnen Spuren
einem neuen Herrn entgegen eilt.

II.

Geboren in einem armen Dorf von Bauern,
an der Grenze zu einem Land von Burgen,
stiegst Du den Lebensberg hinan,
ohne weinerlich die Armut zu bedauern.

Voll innerlicher Stärke und voll Lebensmut
hast Du Dich dem Leben hin gegeben
und gabst ohne laut zu Murren,
wenn es sein musste, auch von Deinem Hab und Gut.

In einer Zeit, in der die feurigen Eisenwagen
ohne anzuhalten schon mal sturmgeschwellt
Brust- und Schenkelberge überfuhren,
hast Du Dich, siebzehnjährig, dem Wahn gestellt
und musstest Dich in fremde Kriegerspiele wagen.

In feindlich weiter Ferne, noch keine Kugel abgeschossen,
den Kopf geduckt, nahm Dich ein Franzos gefangen.
Im Lager nagte irrer Hunger an den Wangen,
der Dich in einem unbewachten Augenblick
in einen kochenden Topf voll fetten Fleisches greifen ließ.
Schnell unter einem schon verschliss'nen Hemd geborgen,
haben ewig lange Narben diesen Bissen Rind
den Oberschenkel runter bis zu deinen Fesseln heiß genossen.

Ausgerissen bist Du Ende Februar,
über die so eisig kalte Donau geschwommen!
Nach Tagen von den Russen wieder eingefangen,
verprügelt und dann ausgeliefert,
standst Du gefesselt in tiefer Keller nassem Schutt.
Gedanken eines Kinds, das nicht mehr Kind,
standst Du verloren und so verzweifelt in einer Einsamkeit,
die eine grausam weiße Wintershand beschneit.

Ein brauner Sensennarr, einst durch die Nacht geirrt,
tat sich in Höherem aufzutürmen.
Doch wer hoch steigt, der auch tief fällt,
hat seine ganze Welt mit sich genommen.
Sie ist noch heute deshalb ganz verwirrt.

Du hast ihn nie gewollt, den Krieg.
Was soll man sagen? Siebzehn Jahr!
Trotzdem hast Du die Schuld auf Dich genommen.
Ein weiter Weg nach Hause. Ohne Ehr´ und ohne Sieg!
Keine Engel sangen! Und singen heut noch nicht!
So ganz unverstanden
vor schmerzlich würgender Gewalten Zaun,
nahmen Schutt und Asche Dich gefangen.

Mit dem letzten Rest der Deinen
standst Du verloren, wie verlaufen in einem großen Wald.
Die klirrenden Waffen hatten ausgedeppert.
Aus Schutt und Asche eine neue Welt zu erbauen,
es galt.

Den Hass und den Mord, die leichtfertig versät, zu vergessen.
Doch wo blieb die Zeit, das Schauern,
das einen durchwühlt, über den Gräbern zu sühnen,
und wo blieb vor Allem die Zeit, die man braucht
zum heilsamen Weinen?

III.

Stein für Stein und Herz für Herz
galt es neue Wände eines neuen Hauses aufzubauen.
Mit leeren Händen, die vom Mörtel rau,
mit schweren Gedanken, die vor Schmerz ganz grau.
Ein Jeder einen Liebsten hat verloren, mancher mehr,
und verloren in diese Welt sein Urvertrauen.

Um so einen Neuen Liebsten – MICH - neu zu schaffen,
fandst Du in Liebe Dein geliebtes Weib.
Nahmst Dich in hartem Werk, in Entbehrungen gefangen,
trugst weiter Stein auf Stein. Die Wände wuchsen,
und darin ein neues, wie zu hoffen, bess´res Menschen-Sein.

So zog Jahr für Jahr in ein einstig Totenland,
das diese Dornenkrone tief in Deine Schläfen trieb.
Und als wär´s noch nicht genug,
hast Du Dir wegen Deiner so vielen Raucherei
- um dem Stress des Lebens einen Augenblick zu stehlen,
einen Kehlkopfkrebs errangelt, ja, so eingefangen.
Du weißt, dass niemand weg nehmen kann die Schuld,
wo eines Narren Mörderhand die heile Welt zerbrach,
in der das Leben seine Spiele spielt
und man nur überdauern kann mit viel Geduld.

So sag ich an denn, ich Dein Sohn,
der heute tief in Dein gramgebeugtes Antlitz schaut
und sieht den Tod:

Es sei genug!

Ich will heute Dich bewegen. Ich will heute mich erweichen
und endlich Dir verzeih´n, was immer gestern Dich bewog.
Du bist von aller Schuld gereinigt,
auf dass MICH NICHT eine NEUE überkommt.

Wir Söhne und Töchter der Väter und Mütter jener Zeit
stehen heute erst am Beginn unseres Lebens
und ich sehe unseren Schuldenberg wachsen, weit und breit.
Wer nicht vergibt, dem wird auch nicht vergeben.

Auch WIR haben Söhne und Töchter in Ehren
und abgerechnet wird auch hier einst ganz gewiss.
Wir Achtundsechziger,
WIR möchten den Tag schon vor dem Abend loben!
Dabei sollten WIR doch schon längst
vor unseren eigenen Türen kehren.

Drum all ihr Brüder und Schwestern im Geiste
lasst uns gehen und einen Neuen Anfang wagen.
Es wird Zeit!
Die letzten unserer Väter und Mütter
befahren gerade den erdigen Wagen.
Mehr als fünfzig Jahre Sühne stehen an.

Genug der Vorwürf´, genug gesteinigt!
Wir wollen unsere Hand fest in die seine legen,
die für all die Seinen steht und fällt,
die Freund und Feind verbindet
und unsere Generationen endlich einigt.

Lasst UNS endlich dieser Kriegsgeneration
dieses so unsäglichen Deutschen Reichs
verzeihen!
Dabei stellt sich heute - Zwei-tausend-dreiundzwanzig -
jedoch schon so eine Neue Frage:
Wie umgehen mit allen Russen nach diesem Ukraine-Krieg?

Hey, Du, Du lieber Vater, bitte, sag Du Es Uns!
Wir wissen Es Alle zur Zeit noch nicht!?
Die Menschheit steht wieder einmal
vor einem neuen Massenmord-Spektakel,
und NIEMAND weiß, ob nicht atomar das Ende ist?

Oh, mein Vater, ich liebe Dich!
Und sag UNS, bitte, bitte, auch:
Wie sehr schuldig, oder auch nicht,
WIR 68er an der Ursache
von der nun kommenden Sintflut
und dann auch dieser Scheiß-Eiszeit sind?
Unsere so entartete Gutmenschen-Idiotologie,
mit seinem Alles überdeckenden Individual-Egoismus
und seinem so sehr gelobten Haifisch-Kapitalismus,
wird man eines Tages doch nicht schlimmer beurteilen,
wie diesen Nationalismus und diesen Rassismus
dieser so beschissenen und so mörderischen
NAZIS?

Nun, nur allein aufgrund der verschuldeten Toten!!!!!!
Ein paar hundert Millionen Tote
versus
Drei, vier Milliarden Tote,
womöglich sogar mehr!?

Copyright by Lothar Krist (Irgendwann im Jänner 2002, ich habe ihn im Krankenhaus nach der 2. Kehlkopf-Operation besucht, und dann später im Februar irgendwann, mein Vater ist laut Sterbeurkunde am 02.02.2002 an seinem Kehlkopfkrebs gestorben. Ich war bei meinen Eltern zu Besuch, habe mit ihnen Mittag gegessen, einen Kaffee getrunken, und wahrscheinlich einen von Mutters immer so köstlichen Kuchen verspeist, und habe mich gegen 14.00 Uhr verabschiedet. Mein Vater ist ins Wohnzimmer gegangen. Meine Mutter hat mich zur Haustüre hinaus begleitet. Ich habe ihr dort noch einen Abschiedskuss gegeben, und da kam auf einmal von hinten aus dem Wohnzimmer so ein gehauchtes „Pfiaaa-tii“. Ich habe auch „Pfiiaaati!“ gerufen. Ich bin dann mit dem Auto weggefahren. Plötzlich, ich war schon gut fünf Kilometer weg, da läutete mein Handy. Mama war am Telefon, und weinte: Der Papa ist gestorben! Er liegt tot im Wohnzimmer. Ich habe an der Trauner Kreuzung umgedreht, und bin …..........Nun ja, Ihr wisst schon.

Vollendet heute, am 05.08.2023 von 22.30 bis 23.40 Uhr)


 

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