Corina Gillner
Mein kleines ICH
Mein kleines ICH ist unglücklich heute, traurig und still, und ich weiß gar nicht, ob das nun am abnehmenden Mond, am fallenden Schnee oder an dieser kleinen noch kaum zu sehenden Kopf- und Herzwunde liegt. Es ist ein kleiner Hautriss entstanden, auf den ich meinen Finger legen muss. Nicht behutsam, Nein, mit allen verfügbaren Kräften bohrt sich zuerst der kleine und dann der Zeigefinger in das offene Löchlein. Ja, man muss Wunden an- und umfassen, um sie zu greifen und um sie greifend fassen zu können. Ich bohre, weil ich mich vor Entscheidungen scheue, die mein leben verändern könnten.
Ich sehe, wie schnell alle Dinge in Wanken geraten könnten. Ich denke, dass das Wort Beständigkeit einer jener Begriffe ist, die lediglich einen theoretischen Wert haben.
Ich muss schwimmen. Immer weiter, stets mit oder gegen den Strom, obwohl ich momentan nichts lieber sein möchte, als der „tote Mann auf den Wassern“, der innehält, um seinen Lungen mit Luft zu füllen; der mit Ruhe die Bläue über sich betrachten kann und der es nicht bedenklich findet, dass er nicht sehen kann, was unter ihm ist…
Könnte ich mir etwas wünschen, so möchte ich jemand sein, der seinen Schatte sehen kann, während er vorwärts geht.
Vielleicht ist die Wunde in mir, vielleicht ist eine alte Verletzung, eine schlecht zusammengewachsene Narbe, die juckt, brennt und gerötet ist, weil ich ständig an ihr herumkratze. Vielleicht will ich ihre Heilung nicht zulassen, solange meine Hoffungen unbeständig bleiben, sie könne nahtlos und nahezu perfekt zusammenwachsen. So perfekt, dass nur noch ein kleiner blasser Strich zu sehen ist, auf den von Zeit zu Zeit der milde Blick seiner Besitzerin fällt.
Das wäre dann mein Blick. Denn in diesem Fall hätte ich es geschafft!
Ich weiß alle Stimmungen sind variables Gut im Soll und Haben, und deshalb könnte es sein, dass ich morgen wieder sehr gute Laune haben werde.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.07.2005.
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