Katja Ruhland

Die Chronik der Nebelwölfe Teil 3

 
 
 
Es war Abend, als ich an Aravas Seite das gewaltige Tor der Akademie durchschritt. Sechsundneunzig Rekruten wurden Jahr für Jahr neu aufgenommen, sie kamen aus allen Teilen der bekannten Welt, um hier in den verschiedensten Waffengattungen und den unterschiedlichsten Kriegstechniken unterrichtet zu werden. Die Rekruten waren fast alle männlichen Geschlechts, da es nur wenige Völker gab, die, wie das meine, von Frauen regiert wurden. So waren in den meisten Völkern die Frauen den Männern untergeordnet und vielen war es daher schon verboten, deine kriegerische Ausbildung zu machen.
 
Eigentlich war es außerordentlich schwer, in die Akademie aufgenommen zu werden. Die Kinder mussten, so erfuhr ich später, zahlreiche Tests durchlaufen und sich als ungewöhnlich begabt erweisen, um überhaupt die Chance zu haben, aufgenommen zu werden, denn schließlich kamen auf die sechsundneunzig freien Plätze mehr als tausend Bewerber.
Ich habe mich lange Zeit gefragt, wie es möglich war, dass ich auch ohne all dies aufgenommen wurde und als ich schließlich erfuhr, dass meine Familie sich seit jeher ihre Plätze mit Gold und Erpressung sicherte, war ich enttäuscht. Dieses Wissen gab meinem Erfolg auf der Akademie einen bitteren Beigeschmack und lange Jahre hatte ich das Gefühl, dass ich den Platz eigentlich gar nicht verdient hätte.
„Ab heute bist du nicht mehr Lillithja von Wolfental, der Nebelwolf, du bist nur noch Lilli, die Elfe. Wenn du jemandem die Wahrheit sagst, dann werden alle, die du liebst sterben und du wirst nie wieder nach Hause kommen!“
Ich höre Aravas Stimme noch heute, wenn ich an diesen ersten Tag denke, daran, wie sie mir meine Identität nahm und mich zu tiefst ängstigte. Ich verstand damals nicht, warum ich plötzlich nicht mehr ich sein durfte, doch aus Angst tat ich, was meine Tante, die Waffenmeisterin meiner Familie, von mir verlangte.
Als wir den großen Vorhof der Akademie erreichten verstummte Arava und deutete mir zu einer der vier Gruppen zu gehen, die auf dem Hof verteilt standen, dann drehte sie sich um und verschwand für die nächsten fünfzehn Jahre aus meinem Leben.
Ich glaube, ich hatte niemals in meinem Leben mehr Angst und habe mich nie einsamer und hilfloser gefühlt, als in dem Augenblick, indem ich auf die Gruppe zukam.
Es waren dreiundzwanzig Kinder, alle in meinem Alter. Ich stellte mich an den Rand der Gruppe und wartete angstvoll ab.
„Meine Eltern sind auch schon weg“, es war ein Junge in meinem Alter, fünf oder auch sechs Jahre alt, der sich unbemerkt neben mich gestellt hatte. „Ich bin Andrej, wollen wir zusammen warten?“
Das war der Beginn unserer Freundschaft, einer Freundschaft, die alle Krisen überstehen sollte und für mich wie ein Lichtstrahl in den dunkelsten Nächten war, der mir immer leuchtete, selbst dann, als alle anderen mich schon aufgegeben hatten.
 
Lillithja von Wolfental.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.04.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Meine Gedanken bewegen sich frei von Andreas Arbesleitner



Andreas ist seit seiner frühesten Kindheit mit einer schweren unheilbaren Krankheit konfrontiert und musste den größten Teil seines Lebens in Betreuungseinrichtungen verbringen..Das Aufschreiben seiner Geschichte ist für Andreas ein Weg etwas Sichtbares zu hinterlassen. Für alle, die im Sozialbereich tätig sind, ist es eine authentische und aufschlussreiche Beschreibung aus der Sicht eines Betroffenen.

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