Jennifer Kirchner

Ifri - Auszug

Ein Jahr später rannte Ifri schweißgebadet durch den Wald. Paul, mittlerweile ausgewachsen rannte vor ihr her. Hinter ihr rannte ein großer Mann, mit einem Stock in jeder Hand ,verfolgte er sie.

Ifri spürte wie ihr das Blut aus den Kopf in die Beine schoß, ihr wurde schwindelig und sie merkte das sie jeden Moment zusammenbrechen würde.

Der Mann schrie hinter ihr, sie raffte noch einmal alle ihre Kräfte zusammen und rannte noch schneller. Beinnahe lautlos preschten sie so zu dritt nun fast eine Stunde durch den Wald. Dann gaben ihre Beine nach, sie sah Sternchen und schwarze Punkte vor ihren Augen und stürzte zu Boden.

Paul blieb augenblicklich stehen und sah sie neugierig an. Der Mann mit den zwei Stöcken stand nun über ihr und sah verachtend auf sie herab. Er atmete nicht mal schneller, keine Zeichen der Anstrengung waren an ihm zu erkennen. Ifri keuchte und bemühte sich nicht ohnmächtig zu werden oder sich zu erbrechen. Langsam setzte sie sich auf und sah zu dem Mann hoch.

"Zu langsam..... jetzt Tot!", sagte er auf chinesisch. Den Rest verstand sie nicht, weil sie sich nicht konzentrieren konnte.

Er reichte ihr einen Stock und sie zog sich daran hoch. Sie verneigte sich vor ihm, ließ den Stock aber nicht los aus Angst wieder zu fallen.

Paul sprang an ihr hoch und leckte ihr durchs Gesicht. Er ging ihr jetzt bis zum Bauch, er war ein Stier von einem Hund. Sein Fell war dunkel aber weich, seine Augen scharf und wachsam und wenn er seine Zähne entblößte sah man schneeweiße scharfe Waffen.

Die Wucht, die sein Sprung mit sich brachte, brachte Ifri beinahe wieder zum Fall, aber der Mann hielt sie fest.

Es war Liu, der Mann dem Ifri von Jotomo anvertraut wurde. Ifri bat damals um eine Ausbildung der Yeshui.

Damals kehrte sie mit Jack zurück in das Haus, aber als Jack nach Australien fuhr machte sie sich wieder auf den Weg zum Yeshui-Berg.

Liu erklärte sich bereit sie auszubilden, sie zu trainieren. Sie bekam essen und eine Unterkunft von seiner Familie. Die einzigen Bedingungen waren das sie nicht sprach, solange bis sie chinesisch ganz verstand und das sie jeden Tag bis zur Erschöpfung trainierte. Ifri hatte damals keine Ahnung was es heißt eine Sprache zu lernen, ohne sie zu sprechen, was es heißt jeden Tag an die Grenzen seiner Kraft zu gelangen, dennoch hatte sie verbissen durchgehalten. Wenn sie alleine war redete sie heimlich mit Paul um ihre Aussprache zu üben. Verstehen konnte sie mittlerweile fast alles, es sei denn sie konnte sich nicht mehr konzentrieren, so wie jetzt. Liu wandte sich ab und ging zurück zum Dorf. Erschöpft folgte sie ihm, sie torkelte.

Sie mussten über einen Fluß der durch den Wald floss, Ifri konnte sich nicht erinnern ihn auf den Hinweg überquert zu haben. Das passierte ihr oft während dem Training. Ihre Gedanken schweiften ab, sie überlegte nicht was sie tat sondern führte nur verbissen die Befehle aus die Liu ihr gab.

Nun hielt er an und deutete in den Fluß.

"Geh hinein, bleibe in der Mitte stehen!"

Ifri bekam eine Gänsehaut, der Fluß floss schnell und das Wasser war bestimmt eisig. Die Temperaturen betrugen etwa 18 Grad an Land, das Wasser aus den Bergen mochte höchstens 10 Grad haben. Flehend sah sie Liu an, das er Erbamen zeigen mochte, aber er würdigte ihr keinen Blick und wartete darauf das sie in das Wasser steigen würde.

Ifri holte tief Luft, konzentrierte sich und ging in das strömende Wasser. Ihre Beine waren beinahe auf der Stelle taub, erst die Anstrengung der Jagd und nun eisiges Wasser. Sie versuchte ruhig weiter zu atmen aber als das Wasser ihr über den Bauch ragte musste sie einmal keuchen. Liu verachtete das mit einem Schnaufen.

Dann warf er ihr die Stöcke zu und sagte schroff: "Halte sie gerade auf den Handflächen bis ich dir sage das du aufhören kannst!"

Ifri balancierte die Stöcke auf den Handflächen aus, so das sie gerade in die Luft standen. Ihre Beine begannen zu schmerzen und sie musste nun schwer atmen. Ihr Kopf dröhnte und sie musste kämpfen ihre Augen offen zu halten.

Liu setzte sich vor sie an das Ufer und machte sich eine Pfeife an. So vergingen die Minuten. Nach etwa zehn Minuten hatte sie das Gefühl als ob unter ihr kein Wasser, sondern Millionen spitzer Nadeln flossen und sich durch ihre Beine bohrten. Ihr Bauch brannte vor Kälte und ihr Kopf schien zu zersprengen. Durch die hohe Belastung ihres Körpers schienen die Stöcke fast 100 Kilo zu wiegen. Sie versuchte sich abzulenken und dachte an Jack, er schien damals sehr traurig zu sein, als sie ihm sagte, dass sie hier bleiben würde. Er sah sie damals recht komisch an, akzeptierte ihren Entschluss aber. Sie war sich seit dem sie in China waren sicher gewesen das sie gute Freunde waren. Mehr empfand sie nicht und mehr kam von ihm auch nicht rüber. Aber als er fuhr schien es als ob er sehr leidete sie hier zu lassen und die Blicke und die Umarmungen die er ihr zum Abschied gab trafen ihr Herz auf eine unangenehme Weise. Sie hatte lange darüber nachgedacht und vielleicht hatte sie sich auch ein wenig eingestanden das sie verliebt war, aber Jack war ihr zu labil, zu materiell und zu anstrengend als das sie über eine Beziehung mit ihm nachgedacht hatte. Außerdem brauchte sie einen klaren Kopf um das hier durch zu stehen.

Sie würde niemanden die Gründe für ihren Entschluss plausibel erklären können.

Das Land und die Menschen hatten sie einfach in Besitz genommen und insgeheim hoffte sie, dass hier das erleben würde, worauf sie schon so lange gewartet hatte.

Ihr Abenteuer.

Es hätte nichts gebracht erst wieder nach Australien zu gehen, dann wäre sie nicht zurück gekommen. Das wusste sie.

Wahrscheinlich hatte sie das Training begonnen um sich selber etwas zu beweisen. Von vorne rein wusste sie das es sich nicht um einen Spaziergang handelte sondern um hartes, gnadenloses Training.

Von vorne rein hatte Jotomo ihr eingeschärft das sie jeden Tag an ihre Grenzen gehen musste.

Falls sie aufgeben würde, so würde sie hier geächtet werden denn das galt als große Schwäche.

Sie wurde selten gelobt, galt als Ausländerin und wurde oft für dumm gehalten weil sie manche Sachen nicht verstand.

Hier waren die Dinge eben anders.

Hier lebten keine Menschen die, die Nase voll von der "Neuwelt" hatten und eine Art Siedlerspiel spielten. Hier lebten Menschen die aus Tradition, Glauben und für sie teils unvorstellbaren Ehregründen, Lebensphilosophien hier abgeschottet blieben.

Die Männer im Dorf, die noch nicht verheiratet waren, schienen sie nicht wahrzunehmen, was ihr aber ganz recht kam, denn sie wollte zwar noch eine Weile bleiben, aber keine Wurzeln schlagen. Oft hatte sie Heimweh, sehnte sich nach Schokolade und einem Fernsehabend, nach Joona und den guten Gesprächen mit ihr.

Aber nun stand sie freiwillig hier in einem Fluss der eisig kalt war. Mit Stöcken die sie kaum noch halten konnte vor einem chinesischen gutmütigen Tyrannen der Pfeife rauchte und war stolz auf sich. Sie hatte jeder Zeit die Möglichkeit aufzuhören. Sie musste nur ihr Schweigen brechen und schon würde Liu mit dem Training aufhören. Aber ihr Stolz hielt sie bei der Sache.

Hier in dem Dorf waren Stolz, Selbstachtung und Ehre das einzige was man ihr nicht nehmen konnte, das hatte sie von Anfang an gelernt. Sie war die Einzige die ihren Stolz brechen konnte und ihre Ehre schänden.

"Das reicht, komm raus!"

Ifri wurde aus ihren Gedanken gerissen. Liu stand nun vor ihr und wartete geduldig.

Sie wollte los gehen aber ihre Beine gehorchten ihr nicht. Wie fest gefroren ließen sie sich nicht bewegen.

Hilfesuchend sah sie Liu an, aber er verzog keine Miene.

Sie gab sich einen Ruck und ihr gelang der erste Schritt, vor Schmerzen stöhnte sie auf und verlor fast das Gleichgewicht. Paul hechelte sie besorgt an.

Dann kam das Gefühl in ihren Beinen mit einem gewaltigen Schmerz zurück und sie hinkte aus dem Wasser. Nun stand sie mit blauen Lippen, leichenblas aber gut kontrolliert vor Liu. Immer noch hielt sie die Stöcke auf ihren Handballen hoch, jetzt reichte sie die Liu. Mit einem leichten Kopfnicken nahm er sie an sich. Dann klappte Ifri abermals zusammen und es wurde schwarz.

Als sie wach wurde sah sie Liu´s Frau, Yinshe die ihre Beine mit einer stark riechenden und warmen Flüssigkeit massierte.

"Liu sollte ein wenig mehr Rücksicht auf deinen Körper nehmen. Dein Wille ist stark, aber dein Körper braucht noch etwas Zeit!", schimpfte sie und lächelte Ifri gutmütig an. Sie mochte Yinshe, sie schien immer gute Laune zu haben, war stets freundlich und versorgte Ifri sehr gut. Ifri fühlte sich wohl bei ihr, Yinshe hatte ihr am Anfang die Regeln im Dorf erklärt, wie sie zu grüßen hatte, immer mit einem Lächeln und einer leichten, dennoch demütigen Verbeugung, was sie auf keinen Fall tun durfte und wem sie besser aus dem Weg gehen sollte.

Das Leben im Dorf war einfach aber hart. Man achtete sehr auf den Umgang mit einander, aber da alle stets freundlich waren viel es nicht schwer mit einem Lächeln durch den Tag zu laufen. Man hatte hier eine Ruhe, die Ifri nicht kannte, der Tag war genau verplant, jeder hatte von morgens bis abends zu tun, dennoch schien niemand im Streß zu sein und man ließ sich bei allem was man tat Zeit und arbeitete so sehr sorgfältig.

"Da steht Suppe für dich. Du solltest sie schnell essen bevor sie kalt wird!"

Ifri richtete sich langsam auf. Ihr Kopf dröhnte immer noch und ihre Beine wollten trotz der Massage nicht aufwachen. Sie kribbelten ganz fürchterlich und ständig spürte Ifri Krämpfe, die aber nicht so stark waren weil ihre Beine noch fast taub waren.

Dankbar nickte sie Yinshe zu und schlürfte die heiße Suppe.

"Maho ist zurück. Er will dich sobald es geht sehen. Liu und Jotomo haben viel von dir erzählt und er ist neugierig unseren Gast kennen zu lernen.", erklärte Yinshe.

Ifri nickte nur. Maho war der Sohn des Obersten, Jakuto, hier im Dorf.

Die Ehre Jakuto kennen zu lernen wurde ihr noch nicht zugeteilt, sie hatte ihn noch nie gesehen und er hatte ihr auch noch nie etwas ausrichten lassen. Das lag an einem uraltem Brauch in dem es verboten war für Fremde, den Obersten zu sehen.

Maho ging vor mehreren Jahren nach Russland um dort die Kunst der Yeshui zu lehren. Die Frauen im Dorf, die noch frei waren, warteten ungeduldig auf seine Rückkehr denn er hatte nicht nur einen hohen Rang im Dorf, er sollte auch ein sehr schönes Gesicht haben. Zumindest erzählte Yinshe ihr das.

Ifri hätte am liebsten gefragt ob man das Treffen auf morgen verschieben könne, da sie sich kaum vorstellen konnte zu laufen. Aber sie durfte nichts sagen und es wäre ein offenes Zeichen der Schwäche gewesen.

Deshalb nickte sie wieder leicht mit dem Kopf und lies sich auf die schmerzenden Beine stellen. Yinshe zog ihr ein schönes Gewand an, eine weite rote Hose und eine rote Bluse. Die Haare kämmte Yinshe mit einem Honigöl glatt nach unten und kniff ihr in die Wangen, damit sie rot wurden.

-Was für eine göttliche Erfindung ist doch das Make up- dachte Ifri verkniffen.

Sie schleppte sich aus ihrem kleinem Schlafgemach und hinkte zum Versammlungsraum des Dorfes. Als sie es betrat bemerkte sie sofort vergnügt die vielen kichernden jungen Frauen die sich schön gemacht hatten um Maho zu gefallen.

Paul trabte vor ihr her, wie immer und er wurde von vielen Kindern fröhlich begrüßt. Bis jetzt hatten sich Jotomos Prophezeiungen, was Pauls Verhalten betraf nicht erfüllt. Er wich Ifri nicht von der Seite, spielte mit Kindern und ließ sich von jedem anfassen. Das einzige mal, als der Wolf in ihm durchkam, war als Ifri ihn mit auf eine Hirschjagd nahm. Die Männer schossen einen Hirsch und Paul stürzte sich im Blutrausch auf das sterbende Tier. Damals hatte Ifri beinahe ihr Schweigen vor den anderen Dorfbewohnern gebrochen um ihren Begleiter zurück zu rufen. Aber als Paul merkte das der Hirsch tot war ließ er von ihm ab und beruhigte sich wieder.

Ifri glaubte solange Paul hier war, würde er sich seiner Umgebung anpassen. Falls er doch kämpfen würde, waren genug starke Männer da, die nur darauf warteten Paul zum Unterwurf zu bringen, obwohl alle ihn mochten. Es galt als besondere Herausforderung für einen Mann gegen ein Tier zu kämpfen. Aber bis jetzt machte Paul keine Anstalten, das seine Wildheit ausbrechen könnte. Jotomo sagte das er sich vielleicht vollkommen Ifri unter geordnet hatte ohne sie jemals in Frage zu Stellen.

Liu kam auf sie zu und stütze sie, damit sie nicht so stark humpeln musste. Er führte sie zum Ende der Halle und sprach dann mit gesengten Kopf einen Mann, der mit dem Rücken zu ihnen stand an.

"Maho, sie ist hier. Das ist Ifri!"

Maho drehte sich um. Vor Ifri stand ein Mann Anfang 30, die Haare lang und ordentlich zu einem Zopf am Hinterkopf zusammen. Er war genauso groß wie die anderen Männer, seine Arme und seine Schultern waren muskulös und sein Gewand schwarz und glänzend.

Sein Gesicht schien versteinert zu sein, gehoben sah er Ifri an wobei seine schwarzen Augen sie durchbohrten. Ifri fuhr ein Stich durch den Magen. Er war wirklich der schönste Mann im Dorf. Seine Gesichtszüge waren edel und anmutig, trotzdem stark und stolz. Sie verbeugte sich unter Schmerzen vor ihm.

"Du bist also Ifri aus Australien.", sagte er mit tiefer warmer Stimme.

"Liu sagte mir du würdest seit einem Jahr freiwillig die Qualen einer Yeshui-Ausbildung über dich ergehen lassen. Und du sollst große Fortschritte machen. Das ehrt dich und dennoch kann ich nicht verstehen warum du den Luxus der moderne Welt für ein Leben bei uns aufgegeben hast. Dein Körper ist zermartert und dein Wille überbeansprucht. Wieso tust du dir das an?"

Sie sah hilflos zu Liu, wusste Maho nicht das sie nicht sprechen durfte?

"Wie ich sehe stehst du unter einem Schweigegelübde das du auch einhältst. Ich freue mich auf den Tag an dem es aufgehoben wird und du mir deine Gründe mitteilen kannst."

Ifri nickte freundlich, dann wandte sich Maho anderen zu. Sie wartete nicht mehr bis zum essen denn ihr Körper verlangte nach dem Bett.

Zwei Monate später, der erste Schnee fiel schon, stand sie mit Liu auf einem Hügel und übte den Schwertkampf mit ihm. Sie übten mit Stöcken, Liu hatte zwei, Ifri einen und sie schlugen so schnell auf einander ein, das man es mit dem Auge kaum verfolgen konnte. Ifri war gut geworden, Liu griff immer wieder an aber sie wehrte beinahe jeden Schlag ab. Ab und zu traf sie einer, aber sie merkte es kaum. Ihr Augen waren auf die Augen ihres Gegners gerichtet und sie konzentrierte sich auf die Geräusche die, die Stöcke beim durchschneiden der Luft machten. Liu traf sie am Bein, sie drehte sich um die eigene Achse und durch den Schwung ihres Körpers schlug sie Liu einen Stock aus der Hand. Seine Augen blitzen auf und er wurde mit dem anderen Stock noch schneller. Er holte zu einem Schlag auf ihre Brust aus, aber Ifri sprang zur Seite, duckte sich um dem Schlag zu entgehen und schlug mit voller Wucht auf seine Knöchel. Mit einem leisen Zischen sackte Liu zu Boden, sofort war sie über ihm und hielt ihren Stock direkt über seinen Augen. Ihre Augen wurden groß und sie sah nun erstaunt, dass sie gewonnen hatte. Auch Lius Augen wurden groß, dann fing er an zu lächeln und hob die Hände, als Zeichen für seine Niederlage. Voller Stolz ließ sie von ihm ab und half ihm auf die Beine. Sie hatten den ganzen Vormittag geübt, sie war naß geschwitzt, aber ihr Atem war ruhig und ihr Körper fühlte sich gesund und frisch an.

"Das war gut. Du machst gute Vorschritte. Heute Nachmittag gehen wir auf den Berg. Du kannst jetzt Pause machen!" Die Worte klangen ehrlich und freundlich, fast lobend was für Liu sehr ungewöhnlich war. Sie verbeugte sich vor ihm und ging den Hügel hinab um ins Dorf zu gelangen. Sie sah Maho wie er ihnen von unten zugesehen hatte. Als sich ihre Blicke trafen sah er sie musternd an, dann verbeugte er sich und ging in sein Haus. Ifri konnte mit Maho nichts anfangen. Wenn sie ihn sah, schaute er direkt durch sie durch was ihr jedesmal ein komisches Gefühl bereitete. Mit ihr gesprochen hatte er seid dem Tag seiner Ankunft nicht mehr mit ihr, er ging ihr aus dem Weg und war doch immer da wo sie war. Nachdenklich ging sie zu Yinshe um ihr bei dem Essen zu helfen.

Zwei Stunden später waren sie auf dem Weg den Yeshui zu besteigen. Man brauchte wenn man gut in Form war etwa drei Stunden um den Gipfel zu erreichen. Liu trieb sie an als wäre der Teufel hinter ihnen her, so wie es aussah, wollte er den Gipfel in zwei Stunden erreichen. Langsam spürte sie die Erschöpfung ihrer Beine und ihrer Hände. Immer wieder mussten sie steile Wände hoch an denen sie nur mit den Armen vorwärts kamen. Dann kamen begehbare, dennoch sehr steile Strecken die sie rannten. Als sie das erste mal den Yeshui bestiegen hatten stürzte Ifri ununterbrochen. Unter ihren Füßen war loses Geröll und wenn sie ihre Füße zum Abstoß in den Boden rammte, gab der Boden nach und sie viel der Länge nach hin.

Die Prozedur machten sie fast jede Woche, und nun schaffte sie den Berg ohne zu fallen. Leichtfüßig und den Blick nach vorne gerichtet trat sie immer nur auf feste Steine die ihr Gewicht aushielten. In ihrem Kopf hatte sich nach einiger Zeit eine Art Struktur, wie eine Treppe gebildet, so das sie sogar die Augen schließen und dennoch weiter rennen konnte.

Sie sah den ersten Schnee der um diese Jahreszeit schon auf den Gipfeln lag. Jetzt waren es noch ca. hundert Meter bis zum Gipfel, sie merkte wie ihr Körper sich wieder ihrem Willen beugte und bereit war, weiter Belastungen auf sich zu nehmen und sie spurtete los.

Sie schloss die Augen und rannte so schnell sie konnte. Jetzt kam sie an eine Stelle an der große Felsen ihren Weg kreuzten. Ohne hinzusehen sprang sie hoch und drückte sich sicher von dem ersten Felsen ab. Der zweite war kleiner und sie nutzte ihn als eine Art Treppenstufe. So hüpfte sie beinahe wie ein Steinbock über die Felsen und erreichte tatsächlich nach zwei einhalb Stunden den Gipfel. Erst als sie den Schnee unter ihren Füßen merkte machte sie die Augen auf, blieb stehen und sah sich nach Liu um. Er rannte auch nicht mehr sondern kam nun stolz lächelnd zu ihr hoch, legte eine Hand auf ihre Schulter und verbeugte sich vor ihr. Ifri war stolz und die Geste von Liu bedeutete ihr sehr viel. Sie lächelte ihn an und tatsächlich erwiderte er ihr Lächeln.

"Bleibe hier, übe die Nacht über unsere Sprache. Mache ein Feuer an damit wir sehen können das du lebst. Wenn du die Sonne siehst komme zurück ins Dorf und du hast dein Schweigegelübde erfüllt!"

Er drehte sich um und sprang den Berg wieder hinunter. Ifri konnte es kaum glauben. Morgen durfte sie reden, mit Yeshui, mit Liu, ihm danken und auch Mahos Bitte nachkommen und ihm ihre Gründe erklären.

Als Liu aus ihren Augen war ging sie unter einen Felsvorsprung. Hier lag immer gutes Feuerholz, was die Yeshui immer hier her brachten um in Zeiten der Gefahr auf ihrem Berg Zuflucht zu finden. Sie zündete ein kleines Feuer an, hüllte sich in ein Bärenfell das in einer Wandnische bereit lag und begann laut zu reden. Sie erzählte sich selber ihre Geschichte und war überrascht wie selbstverständlich die Worte aus ihrem Mund flossen. Ohne Nachzudenken konnte sie sprechen, ohne zu übersetzten singen.

Die Nacht wurde bitter kalt auf dem Berg. Immer wieder legte sie neues Feuerholz nach, müde war sie nicht. Sie beobachtete wie die Lichter im Dorf verloschen, außer das Haus von Liu. Er wachte über das Feuer was ihr Lebenszeichen war. Wenn es ausgehen würde, wäre er mit Sicherheit in einer Stunde oben um ihr zu helfen. Sie hatte großen Respekt vor den Männern im Dorf bekommen. Sie schien nichts außer Atem zu bringen. Schon als kleine Jungen verschwanden sie mit ihren Vätern tagelang im Wald, kamen müde und zerschunden zurück und übten dennoch verbissen weiter. Ein Junge im Alter von 6 Jahren hatte hier mehr Kondition und Körperbeherrschung als manch ein guter Sportler bei ihnen in Sydney.

Aber die wahren Helden waren die Frauen. Sie lernten von klein auf alle Methoden der Heilkunst, übten dennoch verbissen die Selbstverteidigung und gingen vor Sonnenaufgang hinaus in den Wald um zu rennen. Früher musste dieses Volk furchteinflößend gewesen sein. Die Männer stark und beinahe unbesiegbar und die Frauen schnell, klug und wenn es drauf ankam eine tödliche Waffe für all die, die sich an ihren Kinder zu schaffen machen wollten.

Jotomo erzählte ihr das es früher viele Kriege in der Gegend gab.

Die Kaiser wollten die Yeshui ständig für sich kämpfen sehen, aber die Yeshui wollten unabhängig bleiben. So entsandten die Kaiser immer und immer wieder Truppen aus der verbotenen Stadt um die Yeshui gefangen zu nehmen und zu versklaven. Wie groß die Übermacht auch war, die Yeshui zogen sich immer wieder in den Wald oder auf den Berg zurück, und wenn die Truppen ihnen folgten, machten sie dort hunderten Männern durch ihr Geschick den Gar aus.

Sie dachte wieder einmal an Joona, Jack und Sydney. Würde sie zurück gehen wenn ihre Ausbildung vorbei war? Was würde aus Paul werden. Wollte sie überhaupt zurück?

Es sprach nichts dagegen weiterhin hier zu bleiben, sie fühlte sich wohl bei den Yeshui. Die Frage beshäftigte sie fast die ganze Nacht und als die ersten Sonnenstrahlen den Berg streiften stand sie zitternd auf, löschte das Feuer und beschloss solange hier zu bleiben, wie sie sich wohl fühlte.

Sie rannte den Berg hinunter und als sie unten ankam war ihr wieder warm Liu, Yeshui und Maho erwarteten sie. Liu sah stolz aus als Ifri freudestrahlend auf sie zukam. Paul rannte ihr entgegen und machte einen Freudentanz um sie herum.

Vor Liu blieb sie stehen und verneigte sich.

"Vielen Dank dafür, was du und deine Familie für mich getan haben. Ich habe mich immer sehr wohl gefühlt bei euch und einen besseren Trainer wie dich kann ich mir nicht vorstellen!"

Das waren ihre ersten offiziellen Worte nach einem Jahr. Liu nahm sie in den Arm und drückte sie fest. Yinshe, zu Tränen gerührt tat das gleiche.

"Ich würde mich freuen dir nun meine Gründe zu erzählen, Maho!", sagte sie dann und sah ihn kess an. Maho musste lachen und bat sie in sein Haus.

Es war größer und reicher eingerichtet als das von Liu. Sie setzten sich auf zwei Kissen und Ifri ließ sich einen Tee einschenken.

"Ich habe mich entschlossen hier zu bleiben, weil ich mich hier wohlgefühlt habe. Wenn ich hier im Dorf war hatte ich ein Gefühl der Ruhe wie ich es in meiner Heimat nicht kannte. Desweiteren hatte ich auf einen kleinen Wolf zu achten. In der Großstadt wäre kein Platz für ihn, ich habe die Verantwortung für ihn übernommen und die wollte ich nicht leichtfertig wegwerfen. Ich wollte aber auch nicht einfach hier bleiben und wie die Frauen in den Häusern bleiben. Jotomo erklärte mir damals die Kampfkunst der Yeshui und ich habe mich gefragt ob eine Frau zu so was ebenso in der Lage ist wie ein Mann. Und somit entschloss ich mich die Strapazen der Ausbildung auf mich zu nehmen und ob du es glaubst oder nicht, ich freue mich auf den zweiten Teil!"

Maho lächelte sie während des gesamten Gespräches überrascht an.

"Dein Chinesisch ist perfekt. Du bist eine sehr gute Schülerin. Liu war begeistert von dir, seit dem er das Training mit dir begonnen hat, erzählte er mir. Jetzt weiß ich wohl auch warum. Was deinen Wolf betrifft, wenn dich dein Heimweh packt und du es nicht mehr aushältst, dann sei unbesorgt. Ich bin noch nicht lange wieder hier, aber ich weiß das Paul es hier nie an etwas fehlen wird. Du kannst deine Verantwortung getrost an unser Dorf übergeben."

"Das weiß ich. Aber er ist wie ein guter Freund für mich geworden. Ich würde ihn nicht so schnell aufgeben wollen. Aber das sind Gedanken über die ich mir jetzt noch nicht den Kopf zerbrechen möchte. Liu sagt das er mich noch weitere drei Jahre ausbilden kann. Im Nahkampf, im Schwertkampf, in Schnelligkeit und in der Meditation. Ich denke ich bin nun zu neugierig geworden als das ich dieses Angebot ausschlagen könnte."

"Du bist hier willkommen, wegen uns wirst du nicht gehen müssen. Und mit dem Wolf wird sich eine Lösung finden, wenn es soweit ist."

"Wie war es denn in Rußland?", wollte Ifri nun wissen. Sie konnte gar nicht mehr aufhören zu reden, so glücklich und überrascht war sie, das sie nahezu nie überlegen musste welche Wörter sie als nächstes benutzte. Sie wirkte beinnahe schon unhöflich dem Sohn des Obersten gegenüber. Eigentlich lag es nicht an ihr Fragen zu stellen, das gehörte sich einfach nicht. Aber Maho schien das nur zu amüsieren und betrachtete fasziniert diese junge Frau, die vor Energie und Frohmut sprudelte.

Jetzt schweifte sein Blick ab und er erzählte ein wenig nachdenklich: "Rußland ist ein durch und durch kaltes Land. Das Wetter ist kalt, die Städte und die Menschen auch. Ich habe viele Menschen gefunden die unsere Kunst erlernen wollten und sie haben viel Geld dafür gegeben, aber kaum einer war stark genug um es auch durchzuhalten. Nach einiger Zeit fand ich einen Jungen der bereit war bis zur Ohnmacht zu trainieren. Drei Jahre habe ich ihn gelehrt was ich wusste, er war gut und ich war stolz auf ihn genau wie Liu stolz auf dich ist. Dann beschloss sein Vater ihn nach England auf eine Universität zu schicken und ich habe ihn verloren. Einen ähnlichen Schüler fand ich nicht mehr und ich beschloss nach Hause zurück zu kehren. Neid stieg in mir auf als ich hörte das Liu eine Schülerin hatte und die allen Anschein nach dabei war, die erste Phase des Trainings zu bestehen. Aber als ich dich sah war mir klar das ich dich gar nicht trainieren konnte. Also habe ich mich für Liu gefreut."

"Wieso könntest du das nicht?" Ifri wurde neugierig.

"Weil du zu stark bist, ich bewundere dich, nicht nur dein Können. Ich wäre zu ehrfürchtig vor dir gewesen und wäre auf dein Wohlbefinden aus. Und du weißt sicher das ein Trainer nicht auf das Befinden seines Schülers achten kann." Er lächelte wieder.

Ifri erwiderte das Lächeln und nickte. Maho erzählte ihr noch ein bisschen von Rußland, dann verabschiedete Ifri sich aber um Yinshe und Liu bei der Hausarbeit zu helfen. Ihr entging nicht das Maho ihr aus dem Fenster hinterhersah, wie sie zum Fluß ging, gefolgt von Paul, der wie immer wachsam umher sah.

"Kommst du mit in den Wald?" Maho stand vor Lius Haus wo Ifri gerade meditieren üben wollte.

"Nein, ich werde ein wenig meditieren, dann gehe ich ins Bett. Liu will morgen zu Jotomo rennen!"

"Du kannst auch im Wald meditieren. Warst du schon bei den Koisheen?"

"Nein, was ist das?"

"Das ist der Ort an den wir unsere Ahnen ehren. Er liegt auf der anderen Seite des Yeshui. Dort wirst du Ruhe und Einklang finden um zu meditieren." Ifri gab sich geschlagen. Maho war ihr die letzten Wochen aus dem Weg gegangen was Ifri auf eine Art und Weise verletzte, wie sie es nicht kannte. Jedes Mädchen wartete darauf das Maho endlich eine Frau nahm, aber er ließ alle eiskalt abblitzen. Ifri hatte ihn immer angestrahlt wenn sie ihn sah, das kam ganz von alleine, jedes mal machte ihr Herz einen kleinen Salto wenn sie ihm am Fluß, im Versammlungsraum oder einfach so auf der Straße traf. Aber nun wandte er sich immer nur zügig, mit einer freundlichen Verbeugung ab. Als er vorhin nach ihr rufen ließ verstand sie die Welt nicht mehr. Und das er sie nun auch noch bat mit ihm in den Wald zu gehen, war ihr nicht geheuer. Sie fühlte sich geehrt und in ihrem Bauch flogen Schmetterlinge als er sie süß anlächelte, aber trotz allen nahm sie Paul mit. Maho war undurchsichtig, man konnte ihn nicht einschätzen da er seine Außenwelt nie an seinen Gefühlen teilhaben lies.

Die Abenddämmerung begann, es war angenehm warm und sie liefen in den Wald, den Ifri nun beinahe auswendig kannte.

Paul war von dem abendlichen Spaziergang begeistert, er tollte herum, rannte vor und kam kurze Zeit später wieder zurück gerannt.

"Wie kommt es das du plötzlich wieder mit mir redest?"

"Habe ich mal nicht mit dir geredet?"

"Naja, du bist mit aus dem Weg gegangen. Habe ich dich beleidigt? Oder was falsches gesagt?"

Maho lächelte. "Nein, hast du nicht. Wie kann es sein das du noch nie bei den Koisheen warst?"

"Ich glaube Liu hatte zuviel vor mit mir, als das wir dafür Zeit gehabt hätten."

"Das kann gut sein. Magst du ein Wettrennen bis dahin?"

"Das ist mehr als unfair. Ich kenne den Weg nicht und gegen dich hätte ich eh keine Chance."

"Einfach am Berg entlang rennen. Irgendwann wirst du es sehen. Lauf los!"

Ifri mußte grinsen, dann sagte sie zu Paul: "Na dem werden wir zeigen was wir drauf haben!" und schon spurtete sie los. Maho folgte ihr mit kleinem Abstand. Paul bellte begeistert und rannte wie immer vor Ifri her. Sie hatte sich vorgenommen Maho auszutricksen. Eine andere Chance würde sie gegen ihn nicht haben, also rannte sie bei weitem nicht so schnell, wie sie eigentlich konnte. Sie sah einen Trampelpfad den sie sofort einschlug, sie hoffte das sie den Umfang des Berges richtig einschätzte und dachte das sie in etwa 4 Kilometern die Koisheen erreichen würden.

"Liu hat immer gesagt, wenn ich renne, sehe ich aus wie eine Ente, die einen Hasen imitieren will!"

Maho fing an zu lachen und Ifri watschelte die nächsten Tritte absichtlich breit. Es sah zu komisch aus und er steigerte sich in einen Lachkrampf, musste schließlich anhalten um sich den Bauch zu halten. Das war Ifris Chance. "Los Paul!", rief sie. Der Wolf wurde kleiner, legte die Ohren an und raste los. Ifri gab alles. Schnell wie ein Reh rannte sie leichtfüßig los. Sie schloss die Augen und ließ sich von Pauls hecheln führen. Sie spürte den Wind der ihr nun warm entgegenschlug und sie wurde noch schneller.

Sie öffnete die Augen und sah wie der Weg sich gabelte. Rechts ging er in tief in den Wald hinein, links sah sie Kerzen brennen, also bog sie nach links ab. Liu war an dieser Stelle immer rechts abgebogen, daher hatte sie nie darauf geachtet was auf der anderen Seite war. Sie sah einen kleinen Steinring der hell beleuchtet in der Dämmerung schimmerte, sie fragte sich, wie oft sie an dieser Stelle vorbei gerannt war, ohne ihr einen Blick zu würdigen.... ein kräftiger Schlag riss sie zu Boden.

Maho hatte sich schreiend auf sie geworfen und der Schwung ihres Aufpralls ließ sie noch ein paar Meter rollen.

"Du hast geschummelt! Das war eine Ablenkung, das mit der Ente!", lachte er und stand wieder auf.

Ifri musste sich zusammenreißen damit er nicht merkte, das die Wucht seines Aufpralls ihr die Luft weg gedrückt hatte. Sie hustete und lachte dann: "Ich hätte sonst nie eine Chance gehabt!"

Zu ihrem erstaunen keuchte er, aber er musste auch immer wieder lachen. Sie musterte ihn. Er hatte viele Lachfältchen an den Augen und er bekam Grübchen wenn er lächelte. Sein Lachen war laut und herzhaft und seine dunklen Augen füllten sich mit Tränen, da er sich nun kaum noch beherrschen konnte. Ifri konnte sich nicht dagegen wehren und musste mitlachen. Als er sich wieder unter Kontrolle bekam, sah er sie wieder so an wie er es oft tat. Irgendwie leidend und besorgt, was Ifri jedes mal einen Stich in den Bauch jagte.

"Komm, ich zeig dir jetzt wo du in Ruhe meditieren kannst!"

Sie folgte ihm zu dem Ringkreis wo überall Kerzen standen. Ein großer, uralter Baum hatte auf seiner Außenseite eine dicke Steintafel genagelt. Dort waren Runen eingemeiselt, Tierköpfe und Symbole.

"Hier gedenken wir unseren Ahnen. Ich bin gerne hier, sogar die Vögel scheinen diesen Ort mit einem Schweigen zu ehren. Mehr Ruhe wirst du nirgends finden.

Sie setzte sich mitten in den Steinring und entspannte sich. Maho verneigte sich und wollte wieder gehen.

"Wo willst du hin?"

"Ich wollte zurück um dich nicht zu stören. Am Anfang ist es schwer den Weg aus seinem Körper zu finden."

"Und wenn es einfacher für mich ist wenn du hierbleibst?"

"Wie könnte ich dir helfen?"

"In dem du dableibst."

Er stockte und sah sie verwirrt an. Dann kam er zurück und setzte sich neben sie.

Beide schlossen die Augen und legten ihre Hände auf ihre Knie. Dann sagte keiner mehr etwas.

Kurz bevor Ifri merkte wie sie aus ihrem Körper wich fühlte sie noch wie Maho eine Hand von ihr nahm und sie festhielt. Dann schwand alles um sie herum...

Am nächsten Tag war Maho weg. Als sie mit Liu auf den Hügel ging um zu trainieren hörte sie die Mädchen klagen, Maho sei in der Nacht gekommen, hätte seine Sachen gepackt und wäre fort. Ifri war verwirrt. Warum ergriff er die Flucht? Gestern Nacht hatte er sie noch nach Hause gebracht und war dann gut gelaunt zu seinem Haus gelaufen. Hatte sie ihn verletzt? Hatte sie ihn falsch behandelt? Sie verstand es nicht.

An diesem Tag steckte sie viele harte Schläge ein. Sie war in Gedanken, wütend und enttäuscht. Liu merkte das und schlug immer wieder feste zu um sie zur Konzentration zu bringen. Aber es gelang ihm nicht und nach dem Mittag brach er das Training ab.

"An was denkst du Ifri?", wollte er wissen.

"An nichts bestimmtes....."

Er holte aus und schlug ihr mit dem Stock auf die Schulter. Ifri zuckte zusammen.

"Aha. Und warum weichst du nicht mehr aus? Wenn dein Kopf frei wäre, hättest du den Schlag zehn mal abwehren können. Also erzähl mir nichts!"

"Ich möchte nicht darüber reden.", sagte sie nun vorsichtig.

Liu nickte." Möchtest du mit Yinshe reden. Sind es Dinge die Frauen lieber unter sich bereden?"

Ifri überlegte sagte dann aber: "Nein. Ich muß das mit mir selber klären."

"Dann geh. Wir machen heute nicht weiter. Es hat eh keinen Sinn."

Ifri verbeugte sich tief, es war ihr peinlich ,dass sie für ihren Lehrer ein so offenes Buch war. Sie rief Paul und ging mit ihm zu den Koisheen um über sich und Maho nachzudenken.

Aber bis auf ein komisches Gefühl im Magen, kam an diesem Tag nichts dabei heraus.

Maho blieb eine Woche weg. Dann kam er zurück und berichtete das er in Peking war um dort ein paar geistige Männer aufzusuchen.

Ifri wartete den ganzen Tag darauf das er zu ihr kommen würde um ihr Hallo zu sagen. Aber er kam nicht. Am Tag darauf auch nicht. An einem Tag, der erste Frost lag auf den Feldern, gingen die Männer des Dorfes auf die Jagd. Ifri durfte sie begleiten, Paul musste zurückbleiben, zu sehr befürchtete man, das er erneut dem Blutrausch verfallen würde, dem er damals bei dem verletzten Hirsch erlag.

Sie teilten sich in zwei Gruppen die ungefähr einen Kilometer von ein ander entfernt durch den Wald pirschten. Maho war nicht bei Ifris Gruppe, sie hatte es auch nicht anders erwartet aber Liu begleitete sie.

Sie waren nun schon fast den halben Tag unterwegs und mehr als ein paar Hasen und ein paar Vögeln hatten sie noch nicht erlegt. Sie machten gerade eine Pause und überlegten ob es sich lohnen würde weiter zu gehen als Ifri aus den Augenwinkeln ein großes Tier, ganz in ihrer Nähe vorbei huschen sah.

Sofort sprang sie auf und rannte dem Schatten hinterher. Die anderen versuchten ihr zu folgen aber gaben es auf, da sie ihre Waffen nicht so schnell umschnallen konnten und Ifri schon hinter den Bäumen verschwunden war.

Ifri rannte dem Tier nach was sie immer wieder zwischen den Bäumen umherspringen sah. Sie erreichte das Gefühl, das sie schon so oft während dem Training hatte, sie fixierte den Schatten und rannte einfach, ihr Körper gehorchte ihr ohne Widerwillen.

Es vergingen Minuten und Stunden, sie merkte nicht das es anfing zu dämmern und nach langer Zeit wurde das Tier langsamer bis es schließlich aufgab und keuchend einen letzten Hacken schlug. Ifri spannte den Bogen und zielte, es war ein großer Hirsch der sie nun ängstlich ansah. Das Tier atmete schwer und Ifri befürchtete schon es bekäme einen Kreislaufzusammenbruch bevor sie es überhaupt schießen konnte. Ihre Blicke trafen sich und sie ließ widerwillig den Bogen sinken. Der Hirsch war stundenlang um sein Leben gerannt, dennoch stand er stolz mit erhobenem Kopf vor ihr und wartete darauf, das sie endlich schießen würde. Zu viel Respekt hatte sie plötzlich vor dem Hirsch, sie konnte ihn nicht mehr erlegen. Dann wurde sie von einer Nebelschwaden abgelenkt die wenige Meter hinter dem Hirsch aufstieg. Verwundert ließ sie von dem Hirsch ab und sah das ungefähr zehn Meter hinter dem Tier der Boden aufhörte.

Ungläubig ging sie an dem Hirsch vorbei, der sich nicht bewegte, auf den Abgrund zu und sah voller Überraschung und erstaunen auf das Nebeltal hinab, das sie vor mehr als zwei Jahren durchquert hatte um bei den Yeshui zu leben.

Der Hirsch sah seine Chance und trabte mit letzter Kraft davon. Ifri war wie gelähmt und starrte in das Tal. Man konnte die Bäume kaum sehen, so dicht stand der Nebel nun über dem Tal, sie spähte auf die andere Seite des Tals und sah das Dach von Jacks Haus. Ein Stich fuhr ihr durch den Magen als sie sah wie Rauch aus dem Schornstein aufstieg. War Jack da? Sollte sie rüber gehen um ihn zu sehen? Oder war es klüger zurück zu laufen? Sie war hin und her gerissen, überlegte und preschte dann doch zurück in den Wald um wieder zu den Yeshui zu kommen.

Sie konnte schon den Berg wieder sehen, auch wenn es nun fast dunkel war als neben ihr etwas laut knackte und Maho plötzlich neben ihr stand.

"Wir haben uns Sorgen gemacht!", sagte er und sah wirklich besorgt aus.

"Wieso? Liu weiß das ich im Wald sehr gut zurecht komme!"

"Ich habe mir Sorgen gemacht.", sagte er leise.

Verdutzt musterte sie ihn.

"Es geht mir gut. Der Hirsch hat bis zum Nebeltal durchgehalten. Ich habe ihn laufen lassen, er ist stark, der Wald kann ihn besser gebrauchen als unsere Mägen."

"Wenn er bis zum Nebeltal gerannt ist, hat er zweifellos sein Leben verdient."

"Maho, was haben wir beide für ein Problem. Warum verachtest du mich so?"

"Ich verachte dich nicht...." Maho stockte.

"Wieso bist du so abwertend mir gegenüber. Das war mal anders. Ich dachte du magst mich?"

Maho schwieg und sah bedrückt zu Boden. Ifri holte tief Luft. Warum gab er ihr keine Antwort? Warum brachte dieser Mann ihre Gefühle so durcheinander das sie sich kaum noch konzentrieren konnte und warum spielte er so mit dieser Macht?

Sie ging an ihm vorbei und wollte wieder lostraben. Aber sie war nicht weit gekommen da sagte Maho leise aber bestimmt: "Du wirst uns wieder verlassen, eines Tages wirst du zurück nach Australien gehen. Deswegen halte ich Abstand um nicht jeden Tag zu sehen wie schön du bist, wie klug du bist und auf welche Geschickte Art du die Menschen um dich herum zum Lachen bringst."

Ifri blieb stehen. Würde sie tatsächlich irgendwann gehen? Auch wenn sie mit Maho zusammen wäre? Würde sie die Yeshui verlassen um wieder im Großstadtjungel zu leben?

Wahrscheinlich ja. Sie gehörte nicht hier her, es war mehr eine Art Abenteuer. Aber Maho hatte wahrscheinlich recht, ihre Gefühle zu ihm waren aufrichtig, warum sollte man etwas verschlimmern was eh schon schlimm genug war?

Sie drehte sich nicht um sondern nickte nur. Dann rannte sie los.

"Ich werde zu Jack gehen, er ist in seinem Haus, zumindest glaube ich das."

Ifri stand mit einer Tasche und Paul vor Yinshe und Liu die sie traurig ansahen.

"Du wirst nicht zurück kommen, oder?", fragte Liu.

"Das weiß ich nicht. Wenn nicht, dann danke ich euch jetzt schon für alles was ihr für mich getan habt. Ich werde euch nie vergessen!"

Trotz all dem Training der Körperbeherrschung rannen ihr nun Tränen über die Wangen. Yinshe nahm sie wortlos in den Arm und hielt sie lange fest. Liu verbeugte sich vor ihr und Ifri tat es ihm gleich.

"Irgendwann werde ich bestimmt den Weg wieder her finden."

"Und der Weg steht dir immer offen. Willst du uns nicht den Grund sagen warum du gehst?", fragte Yinshe.

Ifri zögerte: " Es ist wegen.... Maho."

Liu nickte nur und Yinshe schien es auch nicht zu überraschen.

Die Sonne war noch nicht aufgegangen und es war kalt. Der Winter war hereingebrochen und Frost lag auf den Feldern. Als sie losging sah sie Maho auf einem Hügel stehen und ihr hinterher guckend. Als er sah das sie zu ihm aufblickte wandte er sich ab und verschwand auf der anderen Seite des Hügels.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.11.2005. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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